Ver­sor­gung nach Vorfuß­amputation mit einem indivi­duell her­ge­stell­ten Inte­rims­schuh und Einbauelement

G. Berges, A. Beck
Nach der zurückliegenden Fortschreibung der PG 31 (Schuhe) im Hilfsmittelverzeichnis ist eine wichtige postoperative Versorgung für Patienten mit Vorfußamputation weggefallen: die diabetesadaptierte Fußbettung (DAF) im Verbandschuh. Doch im Interimsschuh darf die DAF nach wie vor eingesetzt werden. Wir haben eine Methode entwickelt, mit welcher der Interimsschuh einfacher als früher individuell gefertigt werden kann.

Ein­lei­tung

Die Pati­en­ten mit Dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom (DFS), die wir an den Kli­ni­ken ortho­pä­die­schuh­tech­nisch ver­sor­gen, haben oft sehr lan­ge Lie­ge­zei­ten – ins­be­son­de­re, wenn sie eine Fuß­teilam­pu­ta­ti­on hin­ter sich haben. Die Tech­ni­sche Ortho­pä­die am Mathi­as-Spi­tal in Rhei­ne und die Dia­be­to­lo­gie am Kran­ken­haus Maria-Hilf in Stadt­lohn, mit denen wir koope­rie­ren, haben für die post­ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung des DFS vor der Fort­schrei­bung der PG 31 im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis gern den Lang­zeit-Ver­band­schuh mit dia­be­tes­ad­ap­tier­ter Fuß­bet­tung (DAF) ver­ord­net und damit sehr gute Erfol­ge erzielt. Die dia­be­tes­ad­ap­tier­te Fuß­bet­tung ist dabei für die Druckum­ver­tei­lung an der Fuß­soh­le essen­ti­ell; sie bie­tet die Mög­lich­keit, Druck gezielt auf die belast­ba­ren Fuß­area­le zu ver­la­gern und von den Risi­ko­re­gio­nen weg­zu­neh­men (Abb. 1). Der Ver­band­schuh bie­tet eine zusätz­li­che Ent­las­tung des Fußes durch Abroll­soh­le und/oder Soh­len­ver­stei­fung und schützt den Fuß von außen, solan­ge die­ser noch nicht dau­er­haft schuh­ver­sorgt wer­den kann.

Gera­de Pati­en­ten nach Fuß­teilam­pu­ta­ti­on haben oft nur noch weni­ge Area­le am Fuß oder Stumpf, die noch belast­bar sind; häu­fig lie­gen Nar­ben in der Belas­tungs­zo­ne des Fußes. Nach der Ope­ra­ti­on muss die gefähr­de­te Fuß­re­gi­on kom­plett ent­las­tet wer­den, um die Hei­lung zu beför­dern bzw. Rezi­di­ve zu ver­hin­dern. Gegen­über der Ent­las­tung durch Gips und Roll­stuhl hat die Ver­sor­gung mit einer DAF und einem Ver­band­schuh den Vor­teil, die Pati­en­ten früh­zei­tig mobi­li­sie­ren zu kön­nen. Der Lang­zeit-Ver­band­schuh wird dann so lan­ge ein­ge­setzt, bis die Wun­de so weit geheilt ist, dass eine ortho­pä­di­sche Maß­schuh­ver­sor­gung oder eine ande­re dau­er­haf­te Ver­sor­gung erfol­gen kann.

Früh­mo­bi­li­sa­ti­on auch in der Dia­be­tes­ver­sor­gung wichtig

Die Früh­mo­bi­li­sa­ti­on kann dazu bei­tra­gen, die Blut­zu­cker­wer­te der Pati­en­ten durch Bewe­gung zu ver­bes­sern – ein wich­ti­ger Fak­tor, um wei­te­re Dia­be­tes­fol­ge­schä­den zu ver­mei­den. Auch trägt die Mobi­li­sie­rung zur Vor­beu­gung von Mus­kel­atro­phien, Kon­trak­tu­ren, Throm­bo­sen und Gelenk­stei­fig­kei­ten bei. Sie ermög­licht es vie­len Pati­en­ten, eigen­stän­dig in der häus­li­chen Umge­bung zurecht­zu­kom­men, und schon bald nach der OP eine Per­spek­ti­ve auf die Ver­bes­se­rung ihrer Situa­ti­on zu erhalten.

Die Früh­mo­bi­li­sa­ti­on von Pati­en­ten mit DFS darf aber nur mit einem aus­rei­chend ent­las­ten­den Hilfs­mit­tel gesche­hen, da selbst kür­zes­te Wege zu Maxi­mal­be­las­tun­gen füh­ren und mehr­wö­chi­ge The­ra­pie­er­fol­ge auf einen Schlag zunich­te­ma­chen kön­nen. Mit der DAF im Ver­band­schuh konn­ten hier gro­ße Erfol­ge erzielt wer­den. Doch seit der Fort­schrei­bung der PG 31 im Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis von 2018 darf die DAF nur noch im Dia­be­tes­spe­zi­al­schuh und im ortho­pä­di­schen Maß­schuh ein­ge­setzt wer­den – eine Ent­schei­dung des GKV-Spit­zen­ver­ban­des, die von den Fach­ge­sell­schaf­ten vehe­ment kri­ti­siert wur­de. Für die Pati­en­ten nach Vor­fuß­am­pu­ta­ti­on, für die eine sol­che Ver­sor­gung nun nicht mehr in Fra­ge kommt, muss­ten die Ärz­te und wir uns also etwas ande­res über­le­gen, um die Druckum­ver­tei­lung und Früh­mo­bi­li­sa­ti­on wei­ter­hin zu errei­chen. Ins­be­son­de­re Dr. Joa­chim Kers­ken, Kran­ken­haus Maria-­Hilf Stadt­lohn, ver­ord­net in vie­len die­ser Fäl­le inzwi­schen einen indi­vi­du­ell gefer­tig­ten Interimsschuh.

Der Inte­rims­schuh

Der Inte­rims­schuh lässt den Ein­satz der DAF nach wie vor zu. Aller­dings wird er in der Ortho­pä­die­schuh­tech­nik eher sel­ten ein­ge­setzt und ist, ver­mut­lich wegen des hohen Fer­ti­gungs­auf­wands und der dar­an gemes­sen nied­ri­gen Kos­ten­er­stat­tung, wenig beliebt. Er wird in der Regel meist ähn­lich wie ein Bade­schuh aus Gum­mi gefer­tigt. Die Mate­ria­li­en sind oft sehr hart und fest. Ein Teil des Inte­rims­schuhs muss tief­ge­zo­gen und das Gan­ze dann ver­klebt wer­den. Die­sen Auf­wand betrei­ben nur wenige.

Wir set­zen den Inte­rims­schuh heu­te nicht so oft ein wie frü­her den Ver­band­schuh. Seit der Fort­schrei­bung der PG 31 fer­ti­gen wir ihn jedoch wie­der häu­fi­ger. Es gibt durch­aus leich­te­re Fäl­le, die man auch mit Ver­band­schuh und lang­soh­li­ger Weich­bet­tung ver­sor­gen kann, das ent­schei­den die Ärz­te je nach vor­lie­gen­der Situa­ti­on. Aber bei vie­len Pati­en­ten, mit denen wir an den Kli­ni­ken zu tun haben, sind extre­me Destruk­tio­nen oder post­ope­ra­tiv nur noch klei­ne Auf­la­ge­flä­chen des Fußes vor­han­den. Hier­für reicht eine lang­soh­li­ge Weich­bet­tung nicht aus, da sie nicht die nöti­ge Druckum­ver­tei­lung erreicht.

Dia­be­tes­er­fah­ren soll­te man sein

Die im Fol­gen­den gezeig­te Ver­sor­gung mit indi­vi­du­el­lem Inte­rims­schuh und DAF soll­te nur durch­ge­führt wer­den, wenn man mit kom­pli­zier­ten Dia­be­tes­ver­sor­gun­gen sehr erfah­ren ist. Die Bei­ne und Füße der Pati­en­ten sind extrem emp­find­lich; man muss hier sehr indi­vi­du­ell ver­sor­gen und entlasten.

Bei der Pla­nung soll­te man mit dem Arzt das Ver­sor­gungs­ziel genau abspre­chen. Dabei müs­sen die Wund­si­tua­ti­on und die Belast­bar­keit des Fußes genau bedacht wer­den. Dies kann jede Woche bei der Visi­te neu bewer­tet wer­den. Je nach Wund­si­tua­ti­on pla­nen wir einen dicke­ren oder dün­ne­ren Ver­band bei den Leis­ten­ma­ßen ein. Der Blau­ab­druck wird vor­sich­tig genom­men, ohne dass der Pati­ent dabei auf­steht und den Fuß belas­tet. Die Umfang­ma­ße wer­den mit einem Maß­band bestimmt.

Wir erle­ben es als vor­teil­haft, dass unser Inte­rims­schuh zwei Quar­tie­re hat. Da der Pati­ent nicht auf­ste­hen darf, ken­nen wir sei­ne Bein­stel­lung im Stand nicht. Vie­le Pati­en­ten haben zum Bei­spiel auch einen Spitz­fuß, wenn sie mobi­li­siert sind. Außer­dem kön­nen die Ver­bän­de mit der Zeit auch dün­ner aus­fal­len oder Weich­teil­schwel­lun­gen abneh­men. Der Inte­rims­schuh kann an die­se Situa­tio­nen mit Klett­ver­schlüs­sen leicht ange­passt werden.

Der Fuß wird vor­sich­tig pal­piert und dann ein Gips­ab­druck bei lot­ge­rech­ter Bein­stel­lung erstellt (Abb. 2). Auch hier besteht die Her­aus­for­de­rung dar­in, dass der Fuß meist im Bett abge­gipst wer­den muss. Wenn mög­lich, las­sen wir den Pati­en­ten sich auf die Bett­kan­te set­zen, um zu erah­nen, wie die Bein- und Fuß­stel­lung im Stand sein könn­ten. Nach Abspra­che mit dem Arzt und dem Pfle­ge­per­so­nal wird die jet­zi­ge und zukünf­ti­ge Ver­bands­si­tua­ti­on ein­be­zo­gen. Beim Abgip­sen trägt der Pati­ent kei­nen Ver­band, ledig­lich die Wun­den blei­ben mit Wund­auf­la­gen bedeckt. Geziel­tes Auf­set­zen von Wund­auf­la­gen bedeu­tet mehr Maß an gefähr­de­ten Bereichen.

Mit Hil­fe des Gip­ses und aller erho­be­nen Daten wer­den der Leis­ten und eine Arbeits­bet­tung aus Mikro­kork ange­fer­tigt. Die­se wird mit dem Pro­be­schuh dem Pati­en­ten anprobiert.

Ein­bau­teil mit ­ven­tra­ler Stütz­la­sche und im Schaft inte­grier­te Rückfußversteifung

Dreh- und Angel­punkt unse­res Inte­rims­schuhs ist ein teil­ba­res Ein­bau­teil mit fle­xi­bler ven­tra­ler Stütz­la­sche, mit Ver­stei­fungs­ele­men­ten in den Quar­tie­ren und dia­be­tes­ad­ap­tier­ter Fuß­bet­tung (Abb. 3). Zwi­schen der DAF und dem unte­ren Teil des Ein­bau­teils ist eine Trenn­schicht aus EVA 75 Shore, 1,5 mm, ein­ge­baut, Ein­bau­teil und DAF sind also nicht ver­klebt. Dadurch kann man die DAF her­aus­neh­men und am Fuß leich­ter kon­trol­lie­ren. Das Ein­bau­teil kann auch als Gan­zes kom­plett aus dem Inte­rims­schuh her­aus­ge­nom­men, am Fuß des Pati­en­ten über­prüft und gege­be­nen­falls ange­passt werden.

Für die Fer­ti­gung des Inte­rims­schuhs ver­wen­den wir Mate­ria­li­en der Fir­ma W. R. Lang (Neu­wied). Die ven­tra­le Stütz­la­sche des Ein­bau­teils fer­ti­gen wir aus LaNe EVA flex Color oder Erko­flex Color schwarz und pols­tern sie mit EVA Pri­ma, 15 Shore, 6 mm – einem beson­ders wei­chen, des­in­fi­zier­ba­ren Mate­ri­al. Es lässt sich sehr gut anfor­men und ist reiß­fest. Die Soh­le des Ein­bau­teils besteht aus dem Brand­soh­len­ma­te­ri­al Tex­on mit einer Carbonversteifung.

Der Schaft­bau

Für den Schaft­bau wird zunächst eine Leis­ten­ko­pie der Innen- und Außen­sei­te erstellt (Abb. 4). Auf die­ser Grund­la­ge wer­den die Mate­ria­li­en zuge­schnit­ten (Abb. 5). Das Ver­stei­fungs­ele­ment im Rück­fuß­be­reich wird aus CR Ver­stei­fungs­stoff (Ther­mit) gefer­tigt. Als Schaft­in­nen­fut­ter ver­wen­den wir geschloss­enzel­li­ges EVA Pri­ma, 15 Shore A mit LaNe EVA Skin, 70 Shore A, 1,5 mm, kom­bi­niert. Sie kön­nen ver­klebt wer­den oder sind als vul­ka­ni­sier­te OT3-Ver­bund­plat­te erhältlich.

Für die Schaft­au­ßen­sei­te ver­wen­den wir Klett­ve­lours mit Schaum­stoff und Frot­tee in etwa 3 mm Stär­ke. Klett­bän­der (elas­tisch und Stan­dard mit 5 mm Brei­te) set­zen wir als Ver­schlüs­se an der Vor­der- und Rück­sei­te des Schaf­tes ein.

Nach dem Zusam­men­nä­hen und Ver­kle­ben der Schaft­tei­le (Abb. 6) wird das Ver­stei­fungs­ele­ment im Schaft posi­tio­niert (Abb. 7). Dann wird der Schaft bei 130 Grad im Wär­me­ofen erhitzt und anschlie­ßend mit der ein­ge­bau­ten Knö­chel­kap­pe und dem Ver­stei­fungs­ele­ment tief­ge­zo­gen (Abb. 8). Am Ende wer­den die Klett­ver­schlüs­se angebracht.

Boden­bau

Der Boden wird aus einem leich­ten EVA tief­ge­zo­gen (EVA Spe­zi­al Clean, 50 Shore, 2 x 10 mm), geschlif­fen und in Stand gebracht. Dann wer­den die fer­ti­ge Scha­le und die Lauf­soh­le mit dem Schaft verklebt.

Vor­tei­le des Interimsschuhs

Neben der Mög­lich­keit, eine DAF inte­grie­ren zu kön­nen, bie­tet der Inte­rims­schuh wei­te­re Vor­tei­le. Durch den Klett­ver­schluss ist er sowohl für den Pati­en­ten als auch für das Pfle­ge­per­so­nal leicht zu hand­ha­ben. Auch auf Weich­teil­schwel­lun­gen oder Ände­run­gen der Ver­bands­si­tua­ti­on kann man durch indi­vi­du­el­les Ein­stel­len der Klett­ver­schlüs­se gut reagie­ren. Das Schaft­in­nen­fut­ter ist des­in­fi­zier­bar und leicht zu rei­ni­gen, was einen Vor­teil ins­be­son­de­re bei näs­sen­den Wun­den dar­stellt. Durch die schnel­le Fer­ti­gung kann das Hilfs­mit­tel schnell bereit­ge­stellt wer­den, was vor allem dann wich­tig ist, wenn der Pati­ent ent­las­sen wer­den soll. Auch das Design ist ver­gleichs­wei­se anspre­chend, und das Fuß­kli­ma laut der Rück­mel­dun­gen unse­rer Pati­en­ten ver­hält­nis­mä­ßig ange­nehm, so dass der Inte­rims­schuh von den Pati­en­ten in der Regel gut akzep­tiert wird.).

 

Der Inte­rims­schuh im Hilfsmittelverzeichnis

Indi­ziert ist der Inte­rims­schuh (Hilfs­mit­telnr. 31.03.01.4) bei

  • Beein­träch­ti­gung der Mobi­li­tät (des Gehens) bei Fuß-/Fuß­teilam­pu­ta­tio­nen (trans­me­ta­tar­sal) in einer Über­gangs­pha­se bei noch zu erwar­ten­der Ver­än­de­rung des Krank­heits­bil­des, wenn eine Wiederherstellung/Sicherstellung der Mobi­li­tät mit fuß­ge­rech­tem Kon­fek­ti­ons­schuh­werk, losen ortho­pä­di­schen Ein­la­gen, The­ra­pie­schu­hen, ortho­pä­di­schen Schuh­zu­rich­tun­gen oder sons­ti­gen ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gun­gen in Ver­bin­dung mit Kon­fek­ti­ons­schu­hen nicht aus­rei­chend ist zur Emög­li­chung und Erhal­tung einer ange­mes­se­nen Gehfunktion.

In Zusam­men­hang mit dem Inte­rims­schuh kann bei Vor­lie­gen einer ent­spre­chen­den Indi­ka­ti­on (neben einer dia­be­tes­ad­ap­tier­ten Fuß­bet­tung) Fol­gen­des abge­rech­net werden:

  • erfor­der­li­che Zusatz­ar­bei­ten am ortho­pä­di­schen Maß­schuh nach den Pro­dukt­ar­ten 31.03.02.0 und 31.03.02.2 bis 7, zum Bei­spiel bimal­leo­lä­re Kap­pen oder Arthrodesenkappen.
  • Son­der­ar­bei­ten (31.99.99.0) in Arbeitsminuten. 

 

Hin­weis
Die­ser Arti­kel erschien in ähn­li­cher Form in der Aus­ga­be 1/2022 des Fach­ma­ga­zins Orthopädieschuhtechnik.

 

Die Autoren:
Gre­gor Ber­ges und Andre­as Beck
OSM Gre­gor Berges
Ber­ges GmbH
Osna­brü­cker Stra­ße 83
48429 Rhei­ne

 

Zita­ti­on
Ber­ges G, Beck A. Ver­sor­gung nach Vor­fuß­am­pu­ta­ti­on mit einem indi­vi­du­ell her­ge­stell­ten Inte­rims­schuh und Ein­bau­ele­ment. Ortho­pä­die Tech­nik, 2024; 75 (3): 56–59

 

 

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