Über­le­gen­heit einer Knie­ent­las­tungs­or­the­se in der Gonar­thro­se-The­ra­pie — Eine pro­spek­ti­ve ran­do­mi­sier­te ver­glei­chen­de Studie

M. Benning, R. Schneider-Nieskens
Die Ergebnisse dieser randomisierten vergleichenden Studie zu patientenbezogenen klinischen Endpunkten zeigen den hohen medizinischen Nutzen durch das Tragen der Orthese „Genu OA“ bei Patienten mit Kniearthrose gegenüber der Standardbehandlung. Neben der deutlichen Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke begünstigen der hohe Tragekomfort und die einfache Handhabung die Akzeptanz der Orthese und damit schließlich auch den Therapieerfolg. Die vorliegende Studie gibt Anlass für weitere qualitativ hochwertige klinische Studien über einen größeren Beobachtungszeitraum zum Nachweis des längerfristigen Nutzens valgisierender/varisierender Orthesen.

Ein­lei­tung

Die Gonar­thro­se ist eine der häu­figs­ten Erkran­kun­gen der älte­ren Bevöl­ke­rung. Welt­weit sind etwa 34 % der Frau­en und 24 % der Män­ner ab 60 Jah­ren betrof­fen 1. Nach Daten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts stellt die Knie­ar­thro­se die Haupt­dia­gno­se für die Indi­ka­ti­on „Kniet­o­tal­en­do­pro­the­se“ (Knie- TEP) dar 2. 2015 gehör­te die Implan­ta­ti­on der Knie-TEP auf Rang 18 zu den 50 häu­figs­ten Ope­ra­tio­nen in Kran­ken­häu­sern 3. Beson­ders älte­re Pati­en­ten sind durch die Ope­ra­ti­on zur TEP-Implan­ta­ti­on von ver­schie­de­nen erhöh­ten Risi­ken wie Kom­pli­ka­tio­nen wäh­rend der Nar­ko­se, Revi­si­ons­ope­ra­tio­nen oder bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen der Knie-Endo­pro­the­se bis hin zur Sep­sis und Herz­in­fark­ten betrof­fen 456.

Anzei­ge

Von den arthro­ti­schen Ver­än­de­run­gen ist häu­fi­ger das media­le als das late­ra­le Gelenk­kom­par­ti­ment betrof­fen 7. Dies wird durch eine Achs­fehl­stel­lung begüns­tigt 8. Ein wich­ti­ger The­ra­pie­an­satz ist des­halb die Ver­la­ge­rung der Belas­tung auf das intak­te Kom­par­ti­ment 910. Dabei hat sich die Ver­wen­dung von ent­las­ten­den knie­über­grei­fen­den Orthe­sen als siche­re und kos­ten­güns­ti­ge Behand­lungs­mög­lich­keit zur Schmerz­re­duk­ti­on und Funk­ti­ons­ver­bes­se­rung eta­bliert. Sie kann eine chir­ur­gi­sche Inter­ven­ti­on sogar ver­zö­gern 11. Sowohl kli­ni­sche als auch bio­me­cha­ni­sche Stu­di­en konn­ten die Wirk­sam­keit von Knie­or­the­sen bele­gen, aller­dings lagen dabei nur sel­ten ran­do­mi­sier­te ver­glei­chen­de Stu­di­en­de­signs zugrun­de. Au- ßer­dem muss der län­ger­fris­ti­ge Nut­zen valgisierender/varisierender Orthe­sen durch wei­te­re kli­ni­sche Stu­di­en belegt wer­den. Der Nut­zen­nach­weis ist dabei auch von der Akzep­tanz in Bezug auf das Tra­gen der Orthe­se oder vom Fort­schrei­ten der Arthro­se abhän­gig 1213. Ziel die­ser pro­spek­ti­ven ran­do­mi­sier­ten Stu­die im Par­al­lel­grup­pen­de­sign zur Anwen­dung der Knie­or­the­se „Genu OA“ war dem­nach die Erfas­sung fol­gen­der Aspekte:

a) des medi­zi­ni­schen Nut­zens im Sin­ne der Wir­kung auf Schmerz, Geh­leis­tung und Beweg­lich­keit sowie die­ser Ergeb­nis­se aus Patientensicht,

b) der Gebrauchs­taug­lich­keit der Orthe­se in der ambu­lan­ten Ver­sor­gung und

c) der Hand­ha­bung und Akzep­tanz durch Pati­en­ten mit Gonarthrose.

Metho­den

Stu­di­en­de­sign

Die Stu­die ent­spricht einer soge­nann­ten Post-Mar­ket Cli­ni­cal Fol­low-up Stu­dy gemäß der Euro­päi­schen Leit­li­nie MEDDEV 2.12/2 rev.2 [2012–01]. In die­ser ran­do­mi­sier­ten, pro­spek­ti­ven, inter­ven­tio­nel­len, mono­zen­tri­schen Stu­die in zwei­ar­mi­gem Par­al­lel­grup­pen­de­sign wur­de eine Grup­pe von Pati­en­ten mit Gonar­thro­se über einen Zeit­raum von zwei Mona­ten mit der Knie­or­the­se „Genu OA“ ver­sorgt und mit einer Kon­troll­grup­pe ver­gli­chen, der eine Stan­dard­in­ter­ven­ti­on zukam.

Pati­en­ten

Für die Stu­die wur­den Pati­en­ten eines Ortho­pä­di­schen Pra­xis­zen­trums rekru­tiert. Die Zuord­nung zu einer der bei­den Grup­pen erfolg­te auf der Basis einer vor­ab erstell­ten Ran­do­mi­sie­rungs­lis­te. Ein­ge­schlos­sen wur­den Pati­en­ten, bei denen eine media­le oder late­ra­le Femur­ti­bi­al­ar­thro­se 2. oder 3. Gra­des nach der radio­lo­gi­schen Klas­si­fi­ka­ti­on von Kell­gren und Law­rence vor­lag. Zu den Aus­schluss­kri­te­ri­en gehör­te eine Geh­un­fä­hig­keit oder Roll­stuhl­ab­hän­gig­keit sowie Erkran­kun­gen, die eine Stu­di­en­teil­nah­me über einen Zeit­raum von zwei Mona­ten nicht zulie­ßen. Wei­te­re Aus­schluss­kri­te­ri­en waren eine beglei­ten­de ipsi­la­te­ra­le femu­ropa­tel­la­re Arthro­se 3. oder 4. Gra­des, ipsi­la­te­ra­le Cox­ arthro­sen 2. bis 4. Gra­des jeweils nach der radio­lo­gi­schen Klas­si­fi­ka­ti­on von Kell­gren und Law­rence, ein Body- Mass-Index über 30, Kor­ti­son­in­jek­tio­nen im Zeit­raum von weni­ger als vier Wochen vor Stu­di­en­be­ginn und eine feh­len­de Ver­stän­di­gungs­mög­lich­keit in deut­scher Sprache.

Inter­ven­ti­on

In der Stu­die wur­de die Ver­sor­gung von Pati­en­ten mit der Knie­or­the­se „Genu OA“ (Abb. 1) der Fir­ma Thuas­ne mit der Stan­dard­in­ter­ven­ti­on über einen Beob­ach­tungs­zeit­raum von zwei Mona­ten ver­gli­chen. Die Orthe­se besteht aus einem tex­ti­len, elas­ti­schen Trä­ger­ma­te­ri­al. Auf einer Sei­te der Orthe­se ist eine her­aus­nehm­ba­re Gelenk­schie­ne plat­ziert, wel­che die phy­sio­lo­gi­sche Gelenk­füh­rung unter­stützt. Exten­si­ons- und Fle­xi­ons­be­gren­zung kön­nen über Anschlä­ge ein­ge­stellt wer­den. Auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te setzt das Ent­las­tungs­sys­tem an, das aus unelas­ti­schen Zug­ele­men­ten besteht. Das Zug­sys­tem beruht auf einem 3‑Punkt-Ent­las­tungs­sys­tem und sorgt für die not­wen­di­ge Ent­las­tung des betrof­fe­nen Knie­kom­par­ti­ments. Es besteht aus zwei sich kreu­zen­den Gur­ten. Um das Öff­nen und Schlie­ßen der Orthe­se für den Pati­en­ten zu erleich­tern, sind die Gur­te an der Vor­der­sei­te mit einem auto­ma­tisch sich schlie­ßen­den Magnet­ver­schluss ver­se­hen. Auf­grund der Bau­art kann die Orthe­se sowohl medi­al als auch late­ral entlasten.

Alle Pati­en­ten der Orthe­sen­grup­pe wur­den in der Hand­ha­bung der Orthe­se geschult und über die Gefahr einer Durch­blu­tungs­stö­rung und einer Schwel­lungs­nei­gung des Unter­schen­kels bei zu fest ange­leg­ten Gur­ten auf­ge­klärt. Je eine Grup­pe mit der Orthe­se ver­sorg­ter Pati­en­ten und eine Grup­pe ohne Orthe­se wur­den über einen vor­ab defi­nier­ten Zeit­raum von zwei Mona­ten beob­ach­tet. Die bis dahin durch­ge­führ­te Stan­dard­the­ra­pie (Analge­ti­ka oral und lokal, Kran­ken­gym­nas­tik, Puf­fer­ab­satz, Schuh­r­and­er­hö­hung oder Ver­wen­dung eines Geh­stocks) wur­de bei­be­hal­ten. Die­se bei­den Grup­pen wur­den dann im Hin­blick auf vor­her fest­ge­leg­te Para­me­ter mit­ein­an­der verglichen.

Para­me­ter

Sämt­li­che Ergeb­nis­pa­ra­me­ter der Stu­die wur­den a prio­ri fest­ge­legt. Haupt­pa­ra­me­ter war die Aus­wei­tung der frei­en Geh­stre­cke bis zur Schmerz­ver­stär­kung nach zwei­mo­na­ti­ger Ver­wen­dung der Knie­or­the­se. Fol­gen­de sekun­dä­re Para­me­ter wur­den wie folgt erfasst:

  • Der Leques­ne-Index dien­te zur Erfas­sung der Ver­än­de­run­gen in den Berei­chen Schmerz, Geh­leis­tung und kör­per­li­che Funk­tio­nen als sinn­vol­le Ergän­zung der kli­ni­schen Befun­de. Er ermög­licht die Mes­sung des indi­vi­du­el­len Gesund­heits­zu­stan­des der Pati­en­ten sowie die Refle­xi­on der Ergeb­nis­se aus Sicht des Pati­en­ten 14.
  • Schmer­zen bei Belas­tung wur­den nach einem drei­ßig­mi­nü­ti­gen Spa­zier­gang auf der Nume­ri­schen Rating-Ska­la (NRS) gemessen.
  • Schmer­zen in Ruhe wur­den eben­falls anhand der NRS erfasst.
  • Der Analge­ti­ka­ge­brauch wur­de am Ende des Stu­di­en­zeit­rau­mes in einen Bezug zur Aus­gangs­men­ge bei Stu­di­en­be­ginn gesetzt. Ein Abset­zen der Analge­ti­ka ent­sprach einer Reduk­ti­on um 100 %. Die Medi­ka­ti­on selbst wur­de nicht ver­än­dert. Pati­en­ten, die zu Stu­di­en­be­ginn kei­ne Analge­ti­ka ein­nah­men, konn­ten nicht zur Reduk­ti­on beitragen.
  • Die sub­jek­ti­ve Beweg­lich­keit wur­de qua­li­ta­tiv erfasst, indem Pati­en­ten sie als „deut­lich ver­bes­sert“, „ver­bes­sert“, „unver­än­dert“, „ver­schlech­tert“ oder „deut­lich ver­schlech­tert“ bewerteten.
  • Die objek­ti­ve Bes­se­rung der Beweg­lich­keit wur­de in Grad gemessen.
  • Druck­ge­fühl und unan­ge­neh­mes Schwit­zen in der Orthe­se wur­den eben­falls qua­li­ta­tiv über die Anga­be der Pati­en­ten erfasst. Hier­zu wur­de ange­ge­ben, ob das Tra­gen der Orthe­se als Belas­tung und das Druck­ gefühl als „stö­rend“, „unan­ge­nehm“, „schmerz­haft“ oder „tole­rier­bar“ emp­fun­den wur­de, zudem, ob blei­ben­de Druck­stel­len und ein unan­ge­neh­mes Schwit­zen auftraten.
  • Die Hand­ha­bung der Orthe­se wur­de qua­li­ta­tiv gemes­sen, indem sowohl die Pati­en­ten als auch das medi­zi­ni­sche Fach­per­so­nal zur pro­blem­lo­sen Anwen­dung (Anpas­sung, Ein­stel­lung, Nach­pas­sung) und Pfle­ge sowie zur Ver­ständ­lich­keit der Gebrauchs­in­for­ma­tio­nen befragt wur­den. Eben­so wur­de der Tra­ge­kom­fort über die qua­li­ta­ti­ve Befra­gung zu fol­gen­den Aspek­ten aus­ge­wer­tet: Anwe­sen­heit von Druck­stel­len, indi­vi­du­el­le Ein­stell­bar­keit, Ein­schnü­run­gen, Haut­ir­ri­ta­tio­nen, unan­ge­neh­mes Schwit­zen und Wärmestau.

Sta­tis­tik

Bei einer sta­tis­ti­schen Power von 80 % wur­de für die Stu­die ein Stich­pro­ben­um­fang von 16 Pati­en­ten pro Grup­pe als not­wen­dig berech­net, um in einem Zwei­stich­pro­ben-t-Test eine Ver­än­de­rung in der Geh­stre­cke von 1,0 (± 0,8) zu 0,3 (± 0,4) auf dem 5-%-Signifikanzniveau nach­wei­sen zu kön­nen. Bei der Berech­nung der Fall­zahl wur­de eine Dro­pout-Rate von 5 % berück­sich­tigt. Die Ran­do­mi­sie­rungs­lis­te wur­de mit dem Pro­gramm „ran­do­mizR“ erstellt. Zur Deskrip­ti­on der Daten wur­den Mit­tel­wer­te und Stan­dard­ab­wei­chun­gen, abso­lu­te Häu­fig­kei­ten und pro­zen­tua­le Anga­ben ver­wen­det. Zur Berech­nung der Unter­schie­de zwi­schen den Grup­pen bezüg­lich „Schmer­zen in Ruhe“ und „objek­ti­ve Beweg­lich­keit“ wur­den t‑Tests durch­ge­führt. Die Gruppen­ unter­schie­de im Analge­ti­ka­ver­brauch wur­den mit F‑Tests, die sub­jek­ti­ve Beweg­lich­keit anhand von Cochran-­ Armi­ta­ge-Tests unter­sucht. Den Daten zur Ver­än­de­rung des Leques­ne-Index, der Geh­stre­cke und der Schmer­zen bei Belas­tung wur­de ein Line­ar-Mixed-­ Effect-Modell mit der Einflussvaria­ blen „Behand­lung“ und der Kova­ria­blen „Vor­wert“ ange­passt. Die sta­tis­ti­schen Aus­wer­tun­gen wur­den mit dem Pro­gramm „SAS 9.4“ (SAS Insti­tu­te Inc., Cary, NC, USA; Win­dows 10, 64 Bit) durchgeführt.

Ergeb­nis­se

Der Beob­ach­tungs­zeit­raum erstreck­te sich über zwei Mona­te zwi­schen dem 12. Dezem­ber 2016 und dem 28. Febru­ar 2017. Dazu wur­den ins­ge­samt 32 geeig­ne­te Pati­en­ten auf die bei­den Grup­pen ran­do­mi­siert: 15 Pati­en­ten wur­den der Kon­troll- und 17 der Orthe­sen­grup­pe zuge­teilt (sie­he das Flow­chart in Abb. 2). Es konn­ten alle 32 Pati­en­ten am Ende des Stu­di­en­zeit­raums nach­un­ter­sucht werden.

Ins­ge­samt lagen zu Stu­di­en­be­ginn kei­ne sta­tis­tisch signi­fi­kan­ten Unter­schie­de in den Cha­rak­te­ris­ti­ka zwi­schen den bei­den Grup­pen vor (Tab. 1). Eine Gonar­thro­se drit­ten Gra­des wie­sen 9 Pati­en­ten der Orthe­sen- (52,9 %) und 9 Pati­en­ten der Ver­gleichs­grup­pe (60 %) auf. Bei 47,1 % (8 Pati­en­ten) der Orthe­sen- und 40,0 % (6 Pati­en­ten) der Kon­troll­grup­pe lag eine Gonar­thro­se zwei­ten Gra­des vor. Die freie Geh­ stre­cke bis zur Schmerz­ver­stär­kung lag zu Stu­di­en­be­ginn in der Orthe­sen­grup­pe bei 2,71 (± 1,39) km und in der Kon­troll­grup­pe bei 2,87 (± 1,55) km. Die durch­schnitt­li­che Schmerz­stär­ke am Ende eines 30-minü­ti­gen Spa­zier­gangs wur­de in der Orthe­sen­grup­pe zu Beginn der Stu­die mit 4,71 (± 0,99) auf der NRS ange­ge­ben; in der Kon­troll­grup­pe lag die­ser Wert bei 4,20 (± 0,56). Zu Stu­di­en­be­ginn wur­de der durch­schnitt­li­che Leques­ne-Index in der Orthe­sen­grup­pe mit 7,62 (± 3,24) und in der Ver­gleichs­grup­pe mit 8,43 (± 3,58) ange­ge­ben. 13 Pati­en­ten der Orthe­sen­grup­pe nah­men zu Beginn der Stu­die Analge­ti­ka ein; in der Kon­troll­grup­pe waren es 11 Pati­en­ten. Die objek­ti­ve Beweg­lich­keit lag zwi­schen 104 Grad in der Kon­troll- und 105 Grad in der Orthesengruppe.

Tabel­le 2 ent­hält die pri­mä­ren und sekun­dä­ren Ergeb­nis­se der Stu­die. Die Ver­än­de­rung der frei­en Geh­stre­cke bis zur Schmerz­ver­stär­kung war in der Orthe­sen­grup­pe gegen­über der Kon­troll­grup­pe signi­fi­kant erhöht (F = 20,23, ndf 1, ddf 29, p = 0,0001). Lag die­ser Gewinn an Geh­stre­cke in der Orthe­sen­grup­pe nach der Behand­lung bei 1,29 km, konn­te in der Kon­troll­grup­pe kaum ein Unter­schied ver­zeich­net wer­den. Abbil­dung 3 zeigt die Ver­än­de­rung der frei­en Geh­stre­cke im Ver­lauf über die zwei Mona­te der Behandlung.

Die durch­schnitt­li­che Schmerz­stär­ke am Ende eines maxi­mal 30-­mi­nü­ti­gen Spa­zier­gan­ges ver­rin­ger­te sich in der Orthe­sen­grup­pe um 1,06 (± 0,66) Punk­te auf der Nume­ri­schen Rating-Ska­la; in der Kon­troll­grup­pe ver­än­der­te sich die­ser Wert im Stu­di­en­ver­lauf kaum (-0,1 ± 0,35). Die Ver­än­de­rung der Schmer­zen bei Belas­tung war in der Orthe­sen­grup­pe gegen­über der Kon­troll­grup­pe signi­fi­kant erhöht (F = 22,13, ndf 1, ddf 29, p < 0,0001). Abbil­dung 4 zeigt die­se Ver­än­de­rung in den Grup­pen über den Zeit­raum von zwei Monaten.

Hin­sicht­lich des Ruhe­schmer­zes wur­den kei­ne Ver­än­de­run­gen über den Stu­di­en­ver­lauf hin­weg beob­ach­tet. Ledig­lich ein Stu­di­en­teil­neh­mer berich­te­te nach zwei Mona­ten über einen um eine Ein­heit gerin­ge­ren Wert auf der NRS. Der Ruhe­schmerz war ledig­lich in der Orthe­sen­grup­pe von 1,59 (± 1,00) auf 1,53 (± 0,94) gesun­ken und ver­än­der­te sich in der Kon­troll­grup­pe nicht. Die Grup­pen unter­schie­den sich am Ende der zwei­mo­na­ti­gen Behand­lungs­dau­er dem­nach nicht in den durch­schnitt­li­chen Wer­ten des Ruhe­schmer­zes von­ein­an­der (t = 1,42, df 29,64, p = 0,1654).

Der Leques­ne-Index fiel in der Kon­troll­grup­pe um durch­schnitt­li­che 0,17 (± 0,36) auf 8,27 (± 3,48), wohin­ge­gen er sich in der Orthe­sen­grup­pe um einen Wert von 0,68 (± 0,71) auf 6,94 (± 2,86) ver­rin­ger­te. Die Ver­än­de­rung des Leques­ne-Index war in der Orthe­sen­grup­pe gegen­über der Kon­troll­grup­pe signi­fi­kant erhöht (F = 10,08, ndf 1, ddf 29, p = 0,0035). Abbil­dung 5 zeigt die­se Ver­än­de­rung über den Stu­di­en­zeit­raum von zwei Monaten.

In der Orthe­sen­grup­pe wur­de eine Reduk­ti­on des Analge­ti­ka­ver­brauchs um 17,3 % beob­ach­tet, wäh­rend er sich in der Ver­gleichs­grup­pe um 3,1 % ver­rin­ger­te. Die­ser Unter­schied war jedoch nicht sta­tis­tisch signi­fi­kant ­(­F = 3,40, ndf 1, ddf 22, p = 0,0785).

Trotz Tra­gens der Orthe­se beur­teil­ten 35 % der Pati­en­ten der Orthe­sen­grup­pe die Beweg­lich­keit als „ver­bes­sert“ und 65 % der Pati­en­ten als „unver­än­dert“. In der Ver­gleichs­grup­pe bewer­te­ten zwei Pati­en­ten die Beweg­lich­keit als „ver­bes­sert“, die rest­li­chen Pati­en­ten als „unver­än­dert“. Die Ände­rung der sub­jek­ti­ven Beweg­lich­keit unter­schied sich nicht signi­fi­kant zwi­schen den Behand­lungs­grup­pen (Cochran- Armi­ta­ge-Test, p = 0,1522).

Die objek­ti­ve Beweg­lich­keit ver­bes­ser­te sich in der Orthe­sen­grup­pe um 2,35 (± 4,37) Grad und in der Ver­gleichs­grup­pe um 0,67 (± 2,58) Grad. Dabei gab es kei­nen signi­fi­kan­ten Unter­schied zwi­schen den Grup­pen (F = 1,61, ndf 1, ddf 21, p = 0,2142).

Die Pati­en­ten mit Orthe­sen­ver­sor­gung gaben an, dass sie das Tra­gen der Orthe­se als Belas­tung wahr­ge­nom­men hat­ten: Der Druck der Korrektur­ gur­te wur­de als „stö­rend“ und „unan­ge­nehm“ emp­fun­den, nicht jedoch als „schmerz­haft“ oder „nicht tole­rier­bar“. Anhal­ten­de Druck­stel­len tra­ten nie auf, ein unan­ge­neh­mes Schwit­zen eben­falls nicht. Fünf Pati­en­ten wur­den außer­halb der geplan­ten Kontroll­ ter­mi­ne zur Nach­jus­tie­rung der Orthe­se kurz­fris­tig vorstellig.

Wäh­rend der gesam­ten Anwen­dungs- und Beob­ach­tungs­zeit tra­ten kei­ne uner­wünsch­ten Wir­kun­gen auf, die mög­li­cher­wei­se mit der Orthe­sen­nut­zung in Ver­bin­dung gestan­den hät­ten. Bei fünf Pati­en­ten wur­de die Metall­schie­ne der Orthe­se wegen nicht aus­rei­chen­der Ent­las­tung des arthro­ti­schen Kom­par­ti­men­tes nach­ge­passt. Alle mit der Orthe­se aus­ge­stat­te­ten Pati­en­ten kamen mit dem Gebrauch und der Pfle­ge des Pro­duk­tes zurecht.

Dis­kus­si­on

In die­ser pro­spek­ti­ven ran­do­mi­sier­ten ver­glei­chen­den Stu­die tra­ten bei Pati­en­ten mit Gonar­thro­se durch das Tra­gen der Orthe­se „Genu OA“ signi­fi­kan­te Ver­län­ge­run­gen der frei­en Geh­stre­cke bis zur Schmerz­ver­stär­kung auf; eben­so waren die Beschwer­den bei Belas­tung gegen­über der Stan­dard­be­hand­lung deut­lich ver­rin­gert. Die signi­fi­kan­te Reduk­ti­on des Leques­ne-Index bestä­tig­te den posi­ti­ven Effekt auf Schmerz, Geh­leis­tung und kör­per­li­che Funk­tio­nen in der Orthe­sen­grup­pe auch aus Pati­en­ten­sicht. Die Hand­ha­bung erwies sich als ein­fach und der Tra­ge­kom­fort als gut. Die Orthe­se ent­spricht damit den tech­ni­schen und medi­zi­ni­schen Anfor­de­run­gen an die Pro­dukt­art „Knie­or­the­sen zur Ent­las­tung und Füh­rung“ und eig­net sich nach den Ergeb­nis­sen die­ser Stu­die für die Anwen­dung bei Gon­ arthro­se sowohl in der ambu­lan­ten Ver­sor­gung als auch zu Hause.

Die vor­lie­gen­de Stu­die trägt zum Bedarf an kli­ni­schen Stu­di­en mit einem ran­do­mi­sier­ten ver­glei­chen­den Design für den Wirk­sam­keits­nach­weis bei 15. Die Power der Stu­die war ange­mes­sen, um Unter­schie­de zwi­schen den Grup­pen auf­zu­de­cken. Es konn­ten alle ein­ge­schlos­se­nen Pati­en­ten am Stu­di­en­en­de nach­un­ter­sucht und ihre Ergeb­nis­se ana­ly­siert wer­den. Zudem basier­ten die Selek­ti­ons­kri­te­ri­en auf rönt­ge­no­lo­gi­schen Kri­te­ri­en zur Klas­si­fi­ka­ti­on der Gonar­thro­se, wie sie in der kli­ni­schen Pra­xis Ver­wen­dung fin­den 16, was eine Über­tra­gung der Stu­di­en­ergeb­nis­se in die Pra­xis zulässt. Die Rele­vanz der Ergeb­nis­se für die Ver­sor­gungs­pra­xis wird durch die Erhe­bung der Pati­en­ten­sicht ver­stärkt. Hin­sicht­lich der Akzep­tanz der Orthe­se und damit des Therapie­erfolgs spielt sie eine wich­ti­ge Rol­le. Ins­ge­samt konn­te kei­ne Ver­än­de­rung des Ruhe­schmer­zes beob­ach­tet wer­den, was durch die eher kur­ze Behand­lungs­pe­ri­ode von zwei Mona­ten bedingt sein könn­te. Die Ergeb­nis­se geben Anlass für wei­te­re qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge kli­ni­sche Stu­di­en zum län­ger­fris­ti­gen Nut­zen valgisierender/varisierender Orthesen.

Obwohl in der Kon­troll­grup­pe kei­ne Ände­rung des The­ra­pie­re­gi­ments statt­fand, zeig­te sich eine Bes­se­rung der Geh­stre­cke. Mög­li­cher­wei­se ist dafür ein soge­nann­ter Respon­se Bias ver­ant­wort­lich. Ver­zer­run­gen die­ser Art kön­nen auf die Stu­di­en­teil­neh­mer, auf ein ver­än­der­tes (Antwort-)Verhalten in einer Stu­di­en­si­tua­ti­on, auf die Kon­struk­ti­on der Fra­gen oder die Gestal­tung des Fra­ge­bo­gens sowie auf den Inter­view­er („Inter­view­er­ef­fekt“) zurückgehen.

Anhand des Leques­ne-Index konn­te auch aus Pati­en­ten­sicht durch das Tra­gen der Orthe­se ein grö­ße­rer posi­ti­ver Effekt auf die Aspek­te Schmerz, Geh­leis­tung und kör­per­li­che Funk­tio­nen gegen­über der Stan­dard­be­hand­lung gezeigt wer­den. Der Leques­ne-Index ermög­licht die Erfas­sung des indi­vi­du­el­len Gesund­heits­zu­stan­des und auch die Sicht des Pati­en­ten auf die Behand­lungs­er­geb­nis­se 17. Die­ser Index ist inter­na­tio­nal weit ver­brei­tet und wird zur Ergeb­nis­mes­sung bei Knie­ge­lenks­er­kran­kun­gen von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) emp­foh­len 18. Da der Leques­ne-­In­dex zwar die Schmerz­dau­er, nicht jedoch die Schmerz­stär­ke berück­sich­tigt und Geh­stre­cken nur bis zu einem Kilo­me­ter erfasst, wur­de die Schmerz­er­fas­sung in die­ser Stu­die mit dem Ein­satz der Nume­ri­schen Rating-Ska­la ergänzt und die Mes­sung der Geh­stre­cke sepa­rat vorgenommen.

Obwohl die Ver­bes­se­rung der Beweg­lich­keit kein pri­mä­res Ziel der Orthe­sen­ver­sor­gung war, schien die Zunah­me der Mobi­li­tät zumin­dest sub­jek­tiv auch die Beweg­lich­keit zu ver­bes­sern. Durch die stu­fen­wei­se Stei­ge­rung der Ent­las­tung des arthro­ti­schen Kom­par­ti­men­tes im Rah­men der Nach­kon­trol­len lern­ten die Pati­en­ten den Zusam­men­hang zwi­schen Schmerz­lin­de­rung, der frei­en Geh­stre­cke bis zur Schmerz­ver­stär­kung und den Kor­rek­tur­drü­cken der Zug­gur­te ein­zu­schät­zen. Eine sorg­fäl­ti­ge Auf­klä­rung des Pati­en­ten und Nach­jus­tie­rung dien­te als Grund­vor­aus­set­zung für eine gute Akzep­tanz der Orthese.

Die Ergeb­nis­se zur Hand­ha­bung erga­ben, dass eine ein­fa­che, sinn­ge­mä­ße und siche­re Anwen­dung der Orthe­se gewähr­leis­tet ist. Es trat bei kei­nem der Pati­en­ten ein unver­träg­li­cher Druck durch die Metall­schie­ne auf, der nicht eigen­stän­dig sofort hät­te kor­ri­giert wer­den kön­nen. Es gab kei­ne Ein­schnü­run­gen in der Knie­keh­le oder Haut­ir­ri­ta­tio­nen bei Kon­takt der Orthe­se mit der Haut der Patienten.

Fazit

Das Tra­gen der Orthe­se „Genu OA“ hat­te einen der Stan­dard­be­hand­lung signi­fi­kant über­le­ge­nen Effekt auf Schmer­zen, Geh­leis­tung und kör­per­li­che Funk­tio­nen und damit auf Aspek­te, die sich letzt­lich posi­tiv auf die Lebens­qua­li­tät und Selbst­stän­dig­keit der Pati­en­ten aus­wir­ken. Bei guter Kor­rek­tur­wir­kung weist die Orthe­se einen hohen Tra­ge­kom­fort auf, gewähr­leis­tet eine ein­fa­che Hand­ha­bung, ein schnel­les Anzie­hen und kann unter der Klei­dung sowie beim Sport getra­gen wer­den. Dar­über hin­aus ist eine schnel­le indi­vi­du­el­le Anpas­sung mög­lich. Die Orthe­se ist dem­nach zur eigen­stän­di­gen Anwen­dung im häus­li­chen Bereich durch den vor­ge­se­he­nen Anwen­der­kreis geeignet.

Die vor­lie­gen­de ran­do­mi­sier­te ver­glei­chen­de Stu­die gibt Anlass für wei­te­re qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge kli­ni­sche Stu­di­en über einen grö­ße­ren Beob­ach­tungs­zeit­raum zum Nach­weis des län­ger­fris­ti­gen Nut­zens valgisierender/varisierender Orthesen.

Für die Autoren:
Dr. med. Micha­el Benning
Fried­rich-Wil­helm-Platz 5/6
52062 Aachen
m.benning@exinmo.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Ben­ning M, Schnei­der-Nies­kens R. Über­le­gen­heit einer Knie­ent­las­tungs­or­the­se in der Gonar­thro­se-The­ra­pie — Eine pro­spek­ti­ve ran­do­mi­sier­te ver­glei­chen­de Stu­die. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 68 (8): 24–29
Merk­mal Orthe­sen­grup­peKon­troll­grup­pe
Geschlecht weib­lich (%)12 (70,6)10 (66,7)
Alter, Mit­tel­wert (±)69,53 (9,91)70,07 (12,26)
BMI, Mit­tel­wert (±)26,82 (1,83)26,48 (2,01)
lin­kes Knie betroffen (%)7 (41,25)

9 (66,0)
lat. Gonar­thro­se III links (%)2 (11,8)0
lat. Gonar­thro­se III rechts (%)01 (6,7)
lat. Gonar­thro­se II links (%)01 (6,7)
lat. Gonar­thro­se II rechts (%)2 (11,8)2 (13,3)
med. Gonar­thro­se III links (%)3 (17,6)7 (46,7)
med. Gonar­thro­se III rechts (%)4 (23,5)1 (6,7)
med. Gonar­thro­se II links (%)

2 (11,8)1 (6,7)
med. Gonar­thro­se II rechts (%)4 (23,5)2 (13,3)
freie Geh­stre­cke bis zur Schmerz-
ver­stär­kung, Mittelwert (±)
2,71 (1,39)2,87 (1,55)
Schmer­zen bei Belas­tung (30 min.
Spa­zier­gang, NRS), Mittelwert (±)
4,71 (0,99)4,20 (0,56)
Schmer­zen in Ruhe (NRS),
Mittelwert (±)
1,59 (1,0)2,0 (0,93)
Leques­ne-Index, Mittelwert (±)7,62 (3,24)8,43 (3,58)
Analge­ti­ka­ge­brauch, N (%)13 (76,47)11 (73,34)
objek­ti­ve Beweg­lich­keit, Grad (±)105,29 (11,25)104,0 (11,83)
Tab. 1 Basis-Charakteristika.
Ergeb­nis

Orthe­sen­grup­pe

Kon­troll­grup­pe

Ver­än­de­rung der frei­en Gehstrecke
bis zur Schmerzverstärkung,
Mittelwert (±)

1,29 (0,90)*

0,20 (0,37)

Ver­än­de­rung der Schmer­zen bei
Belas­tung (30 min. Spaziergang,
NRS), Mittelwert (±)

-1,06 (0,66)*

-0,13 (0,35)

Ver­än­de­rung der Schmer­zen in
Ruhe (NRS), Mittelwert (±)

-0,06 (0,24)

0 (0)

Ver­än­de­rung des Lequesne-Index,
Mittelwert (±)

-0,68 (0,71)*

-0,17 (0,36)

Ver­än­de­rung des Analgetika
gebrauchs, Mittelwert (±)

-17,31 (23,68)

-3,09 (10,25)

Ver­bes­se­rung der subjektiven
Beweg­lich­keit, N (%)

6 (35,3)

2 (13,3)

Ver­än­de­rung der objektiven
Beweg­lich­keit, Grad (%)

2,35 (4,37)

0,67 (2,58)

Tab. 2 Pri­mä­re und sekun­dä­re Ergeb­nis­se. *p=0,0001
  1. Perei­ra D, Pel­e­tei­ro B, Arau­jo J, et al. The effect of osteo­ar­thri­tis defi­ni­ti­on on pre­va­lence and incin­dence esti­ma­tes: a sys­te­ma­tic review. Osteo­ar­thri­tis Car­ti­la­ge, 19 (11): 1270–1285
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  5. Deut­sche Gesell­schaft für Unfall­chir­ur­gie (DGU) in Zusam­men­ar­beit mit der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Unfall­chir­ur­gie (ÖGU) (Hrsg.). S1-Leit­li­nie Endo­pro­the­se bei Gonar­thro­se (AWMF-Leit­li­ni­en­re­gis­ter Nr. 012–008). Stand: 01.06.2009 (in Über­ar­bei­tung), gül­tig bis 30.06.2014. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/012–008_S1_Endoprothese_bei_Gonarthrose_2009_abgelaufen.pdf (Zugriff am 23.05.2017)
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