Einleitung
Das Spiraldynamik®-Konzept – ein dreidimensionales Bewegungs- und Therapiekonzept – wurde von dem Arzt Dr. Christian Larsen und der Physiotherapeutin Yolande Deswarte vor 20 Jahren begründet. Es ist als eine Art Gebrauchsanweisung für den physiologischen Gebrauch des Bewegungsapparates zu verstehen 1 2 3 4 5. Es macht menschliche Bewegung erklärbar und beschreibbar. Dadurch können Abweichungen funktioneller Natur aufgedeckt werden und mit der entsprechenden Therapie behandelt werden.
Grundüberlegung des Spiraldynamik®-Konzepts ist die wiederkehrende Struktur der Spirale in der menschlichen Anatomie (z. B. DNA, dreidimensionale Form des Femurs) und die auf spiralischen Bahnen verlaufenden Bewegungen vieler Gelenke (z. B. Bewegung des Iliums über den Femurkopf im Gangzyklus). Die Spirale ist dabei als formales Raum- und Strukturprinzip zu verstehen 6. Für die Frequenzmodulation ist die Welle – als formales Zeit- und Bewegungsprinzip – das Pendant 7. Aus diesen Beobachtungen heraus wurde das lehr- und lernbare Konzept der Spiraldynamik® entwickelt. Mit dem Wissen um die physiologisch richtige Bewegung können ein funktioneller Befund erhoben und daraus die entsprechenden Therapieziele abgeleitet werden.
Patientenbeispiel
Das Vorgehen im Sinne des Spiraldynamik®-Konzepts wird anhand eines Patientenbeispiels mit der Diagnose Hallux valgus rechts mehr als links beschrieben. Die Patientin ist weiblich, Mitte 30, Mutter von zwei Kindern. Sie hat früher Ballett gemacht und war in ihrer Jugend ambitionierte Eiskunstläuferin.
Der Hallux rechts machte ihr im Alltag Probleme bzw. war schmerzhaft bei Belastung. Der Schmerz verstärkte sich beim Tragen hoher Schuhe. Die Patientin gab zeitweise geringe Schmerzen im unteren Bereich des Rückens an. Einen Zusammenhang zwischen Fuß- und Rückenschmerzen konnte sie nicht feststellen. Sie hatte als Kind Sichelfüße, die früher mit Krankengymnastik behandelt wurden. Unfälle oder andere Verletzungen gab sie keine an. Sie hatte bis jetzt noch keine Therapie für den Hallux valgus. Ihr Ziel war es neben der allgemeinen Schmerzreduktion bzw. ‑freiheit, wieder schmerzfrei hohe Schuhe tragen zu können.
Befunderhebung
Die Befunderhebung nach dem Spiraldynamik®-Konzept umfasst die statische Haltungsbetrachtung in allen Ebenen, die manuelle passive Beweglichkeitstestung der relevanten Gelenke sowie die dynamische Untersuchung der Beweglichkeit und des Gangs. In diesem Fall wurde eine videogestützte Ganganalyse mit einer einfachen Videokamera auf dem Laufband durchgeführt. Das Video wurde danach im Zeitlupen- und Standbildmodus ohne weitere Software analysiert.
Statischer Befund
Im Stand war zu erkennen, dass das Becken im Verhältnis zur Gesamtkörperausrichtung nach vorne verschoben war. Die LWS-Lordose war stark ausgeprägt und zog sich weit in den lumbothoracalen Übergang hoch. Das rechte Ilium war – im Sinne einer Beckenverwringung – nach ventral gedreht, die LWS zeigte eine Linkskonvexität und war in Rotation nach links eingestellt. Der rechte Fuß war in Knick‑, Senk-Spreizfuß-Position aufgesetzt, die linke Ferse valgisiert. Leichte Reste der Sichelfußhaltung waren beidseits noch zu erkennen. Beide Knie waren in Hyperextension verriegelt. Die Gesamtgewichtverteilung war nach vorne auf den Fußballen verlagert. Nebenbefundlich war ein Scapulahochstand rechts festzustellen.
Beweglichkeitsbefund
Die Beweglichkeit der Wirbelsäule v. a. der LWS war in Flexion vermindert, die Lateralflexion beidseits ohne Befund. Die Rotation der HWS war ebenfalls ohne Befund, bei der Rotation der BWS kam es zu einer starken Ausweichbewegung des Oberkörpers zur kontralateralen Seite mit einem Shift in Höhe des lumbo-thoracalen Übergangs. Die Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke war unauffällig. In beiden Füßen waren die Gelenke zwischen Talus und Naviculare sowie zwischen Naviculare und Cuneiforme mediale zu wenig beweglich, das Tarsometatarsalgelenk I war beidseits stabil.
Dynamik
Im Einbeinstand rechts kam es zu einem Absinken des Beckens auf der Spielbeinseite (links) und zu einer verstärkten Vorrotation des Beckens auf der Standbeinseite (rechts). Im Einbeinstand links war ein geringes Absinken des Beckens auf der Spielbeinseite zu erkennen.
Die Ganganalyse wurde bei einer Geschwindigkeit von 4,0 km/h auf einem Laufband durchgeführt. Die Patientin war mit dem Gehen auf einem Laufband vertraut. Die Betrachtung der Standbeinphase rechts zeigte folgendes Bild: Die im Einbeinstand bereits festgestellten Ausweichbewegungen verstärkten sich, das Becken sank auf der Spielbeinseite (links) noch weiter ab, die Vorrotation des Beckens auf der Standbeinseite unter Belastung war ebenfalls vergrößert. Der Oberkörper folgte dieser Beckenrotation mit einer Gesamtrotation des Rumpfes nach links. Dabei bewegte sich die rechte Scapula ebenfalls verstärkt nach ventral-kranial. Zusätzlich knickte die rechte Ferse verstärkt ein, der Oberschenkel drehte im Hüftgelenk vermehrt nach innen. Diese Innenrotation übertrug sich durch die fehlende exzentrische Bremsbewegung der Knieflexion im initialen Fersenkontakt direkt auf den Fuß. Der Mittelfuß blieb stabil. Der gesamte Druck war visuell erkennbar auf das Köpfchen des Metatarsale I konzentriert.
In der Standbeinphase links blieb das geringe Absinken des Beckens auf der Spielbeinseite weiter erkennbar, der Oberkörper shiftete in Höhe des lumbo-thoracalen Übergangs leicht nach links. Die Beinachse blieb stabil, das Einsinken des Fußgewölbes war gering verstärkt.
„Normo-Mechanik“ der Standbeinphase
Um die Befunde einer pathomechanischen Wirkkette zuordnen zu können, soll im Folgenden die anatomisch abgeleitete Mechanik der Standbeinphase nach dem Spiraldynamik®-Konzept vorgestellt werden.
Beim initialen Bodenkontakt kommt die Ferse durch die Aktivität des M. tibialis anterior auf der lateralen Unterseite zuerst auf den Boden. In diesem Moment ist die Muskulatur der Hüft-Außenrotation spontan gefordert, um den Femur orthograd im Raum ausgerichtet zu halten. Während der Stoßdämpferphase wird die Bremswirkung über die exzentrische Knieflexion und die Exzentrik des muskulär aufgebauten Quergewölbes des Fußes erbracht. Die Stabilität im Fuß entsteht durch die dreidimensionale Verschraubung, Fersenbein gegen Vorfuß für das Längsgewölbe und Großzehenballen gegen Kleinzehenballen für das Quergewölbe.
Das Fersenbein orientiert sich dabei um die transversale Achse nach hinten, um die sagittale Achse nach lateral und um die longitudinale Achse nach außen, während der Großzehenballen um die transversale Achse nach vorne, um die sagittale Achse nach medial und um die longitudinale Achse nach innen muskulär geführt wird.
Um das zu gewährleisten, muss der Großzehenballen über den M. fibularis longus und Anteile der kurzen Fußmuskulatur kräftig am Boden abgestützt und die Fersenposition über den Tibialis posterior stabilisiert sein. Der Fuß rollt orthograd nach vorne ab und nimmt über die mittlere Standbeinphase das Gewicht weiter auf, dabei gibt er langsam exzentrisch bis zur terminalen Standbeinphase nach, ohne die zentrierte Position der Ferse zu verlieren. Beim Abstoß bedingt die initiale konzentrische Aktivität der quergewölbebildenden Muskulatur die Plantarflexion in den Zehengrundgelenken, das Einrollen der Metatarsalköpfchen I und V im Sinne eines Quergewölbeaufbaus sowie die geringe Dorsalextension im oberen Sprunggelenk.
Schon mit Beginn des Bodenkontakts bewegt sich das standbeinseitige Ilium um die transversale Achse nach dorsal (im Sinne einer Aufrichtung), um die sagittale Achse nach kaudal (im Sinne einer Abduktion im Hüftgelenk) und um die longitudinale Achse nach lateral (im Sinne einer kranialen Innenrotation im Hüftgelenk).
Die Bewegung wird konzentrisch von den verschiedenen Anteilen der kleinen Glutaeen ausgeführt und exzentrisch von den Adduktoren, den Hüftbeugern und den Hüftaußenrotatoren geleitet. Diese Bewegung des Iliums wird bis zur terminalen Standbeinphase weitergeführt, um im Moment des Abstoßes die maximale Gelenksicherung zu erreichen: Für das Hüftgelenk heißt das Extension, Abduktion und Innenrotation mit maximaler Gelenksüberdeckung, maximaler Spannung der Hüftbänder und muskulärer Vorspannung für die folgende Spielbeinphase. Die Iliumbewegung nach hinten-unten-außen führt die Gelenkflächen des Iliosacralgelenks von einer eher vertikalen zu einer mehr horizontalen Ausrichtung.
Unterstützend wirken die Bänder des Beckens (Lig. sacrotuberale und Lig. sacrospinale sowie die Ligg. Sacroiliaca dorsalia), die das Sacrum im Sinne einer Gegennutation in die Bewegung mitnehmen. Das bedeutet eine bessere und bandhaft gesicherte Gewichtsübernahme. Durch die Verbindung der Ligg. iliolumbalia zur unteren LWS wird die Bewegung auch auf diesen Bereich weitergeleitet. Die untere LWS richtet sich auf (Flexion), wird zur Standbeinseite gezogen (Lateralflexion zur Spielbeinseite) und zur Standbeinseite gedreht (Rotation zur Spielbeinseite).
Die dreidimensionale Bewegung wird über die Bänder der Wirbelsäule und die Bandscheiben von einem Segment auf das andere nach kranial übertragen. Dabei werden die Gelenkflächen der standbeinseitigen Facettengelenke kongruent aufeinander gepresst. Somit ist eine „Press-Passung“ der Gelenke vom Hüft- über das Iliosacralgelenk bis in die LWS gegeben, die eine störungsfreie Impulsübertragung des Abstoßes in eine Vorwärtsbewegung ermöglicht 8 9.
Im Zusammenspiel der Hüft- und Fußmechanik während der Standphasen wird die optimale Ausgangssituation für einen kraftvollen Abstoß für die folgende Schwungphase geschaffen. Die zuvor durch die Exzentrik gespeicherte Energie wird bandhaft kontrolliert und muskulär gesichert auf die Bewegungen der initialen Schwungphase übertragen.
Befundinterpretation und Konsequenz für die Therapie
Folgende interessante Fragen lassen sich auf Grundlage des Befundes stellen: Warum ist der Hallux valgus seitenunterschiedlich ausgeprägt? Wie hängen die Rückenschmerzen und die Scapulaposition mit dem Gangbild zusammen?
Im Abgleich mit der vorherigen Bewegungsbeschreibung können folgende Mechanismen abgeleitet werden: Rechtsseitig fehlt die Stabilisierung des Hüft-Beckenbereichs während der Gewichtsübernahme. Dadurch kommt es nach kranial zu einer knöchern und bandhaft instabilen Situation im Iliosacralgelenk, die durch verstärkte Muskelaktivität ausgeglichen werden muss und zusätzliche Belastung für die nutationsverhindernden Bänder des ISG bedeutet. Die untere LWS reagiert mit einer Lateralflexion und Rotation zur Standbeinseite, was ebenfalls zu einer Insuffizienz der bandhaften Sicherung und zur Notwendigkeit erhöhter muskulärer Aktivität führt. Die Rotation des gesamten Rumpfes zur Spielbeinseite macht einen physiologischen Armpendel rechts unmöglich, die Scapula rechts wird reaktiv weiter mit in die Rotation bewegt und kommt verstärkt nach kranial-ventral.
Nach kaudal betrachtet bringt die Bewegung des Beckens nach vorne-oben-innen mit sich, dass die Hüftbänder nicht genutzt werden können; Stabilität in der Hüfte wird nur muskulär erreicht. Im Abstoß ist die stabile Impulsübertragung – wegen der ungesicherten Gelenkssituation – nicht mehr gegeben. Vielmehr wird die Fehlbewegung des Beckens in der Standbeinphase auf den Femur und die Tibia übertragen. Das gesamte Bein bewegt sich in Innenrotation und überträgt diese Bewegung auf den rigiden Fuß. Die Kräfte werden direkt auf das Metatarsale I übertragen. Dieses weicht durch die fehlende Verschraubungssicherung in eine Supination und Adduktion aus. Die Sehne des M. flexor hallucis longus zieht die Endphalanx I weiter nach lateral. Der Weg für den Hallux valgus ist geebnet.
Der aufgezeigte pathomechanische Weg gibt die Therapieziele vor. Diese wurden im Fall dieser Patientin wie folgt festgelegt:
- Aufrichtung der gesamten Wirbelsäule.
- Erlernen der Stabilisierung im Lenden-Becken-Hüftbereich rechts mehr als links während der Standbeinphase.
- Erlernen der dreidimensionalen Verschraubung des Fußes.
- Muskuläre Verankerung des Metatarsale I.
- Integration in den individuellen Alltag.
Behandlungsschritte in Bildern
Durch immer wiederkehrende ungleichmäßige Belastung des Körpers geht das Potential der Bewegungsvielfalt verloren. Eingeschliffene Bewegungsmuster wiederholen und manifestieren sich in muskulärer Dysbalance; Ansteuerung und bewusste Rekrutierung der restlichen Muskulatur gehen verloren. Die Arbeit nach dem Spiraldynamik®-Konzept erfolgt in bestimmten Lernschritten. Im Zuge der Neuorganisation der Bewegungsmuster ist es zunächst notwendig, Wahrnehmung für die verloren gegangenen Bewegungsmöglichkeiten zu schaffen. Daran schließt sich je nach Bedarf die aktive Mobilisation restriktiver Bewegungsrichtungen an. Der neu gewonnene Bewegungsumfang wird anschließend funktionell beübt, d.h. umgehend in die Situation umgesetzt, in der er später nutzbar sein muss. Abschließend steht das kraftvolle Üben in der Funktion im Vordergrund, um eine möglichst gute Integration in den individuellen Alltag zu gewährleisten.
Aufrichtung der gesamten Wirbelsäule
Gemäß dem Aufrichtungsprinzip des Spiraldynamik®-Konzepts wird die Aufrichtung der Wirbelsäule durch die spiegelsymmetrische Einrollung der Pole Kopf und Becken erreicht. Dazu muss die Patientin lernen, der LWS- und HWS-Lordose muskulär exzentrisch nachzugeben.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen die Wahrnehmungsübung in Rückenlage. Für die Entlordosierung der LWS legt die Patientin sich mit dem Becken auf ein Handtuch. Der Therapeut zieht die LWS über die Einrollung des Beckens durch den Handtuchzug in die Flexion, die Patientin gibt exzentrisch nach. Ist die Wahrnehmung dafür geschaffen, unterstützt sie diese Bewegung initial durch die Aktivität des Beckenbodens.
Die Entlordosierung der HWS erfolgt auf ähnlichem Wege. Der Therapeut führt über seine Hände die Flexion in den oberen Kopfgelenken. Dies führt weiterlaufend zu der erwünschten Entlordosierung der HWS. Wieder unterstützt der Patient diese Bewegung über die Aktivität der tiefen paravertebralen Muskulatur. Das erlernte Bewegungsmuster wird dann auch im Sitz und im Stand eingeübt. Dabei ist eine möglichst geringe konzentrische Muskelarbeit anzustreben. Ziel ist, die Wirbelsäule in den gegebenen Möglichkeiten (vorhandener Bewegungsumfang) bestmöglich aufzurichten.
Stabilität im Lenden-Becken-Hüftbereich während der Standbeinphase
Die angestrebte Bewegung des Iliums wurde oben bereits beschrieben. Im ersten Lernschritt führt der Therapeut das Becken der in Seitenlage positionierten Patientin passiv in die Bewegung. Sie unterstützt baldmöglichst diese Arbeit durch eigene muskuläre Tätigkeit. Sobald die Bewegung verstanden ist, wird sie gegen die Schwerkraft ausgeübt. Der Einbeinstand ist dafür eine gute Ausgangsstellung.
Der Bewegungsauftrag lautet: „Machen Sie sich über dem Standbein so groß als möglich“. Der Therapeut führt zu Beginn der Übung das Becken noch mit, später ist die Bewegung von der Patientin alleine auszuführen. Ziel ist, die dreidimensionale Bewegung des Iliums über den Hüftkopf wahrzunehmen, aktiv ausführen zu können sowie die Konzentrik und die Exzentrik der beteiligten Muskulatur koordinieren zu können.
Begleitet wird dieser Lernschritt durch das Aktivieren und Kräftigen der Außenrotatoren der Hüfte. Eine einfache aber effektive Ausgangsstellung dazu ist die Seitenlage (Abb. 3 u. 4). Das Knie wird bis in die Horizontale oder darüber gehoben. Die Kraft sollte nur aus den Außenrotatoren kommen, nicht aus dem Bein. Zusammen mit der Beckenbewegung wird das in die Gangsequenz eingebaut.
Das Lernziel ist, mit dem initialen Kontakt der Ferse auf dem Boden sowohl die femurstabilisierende Aktivität der Hüft-Außenrotatoren als auch die dreidimensionale Bewegung des Iliums zu initiieren und über den Verlauf der Standbeinphase zu verstärken. Nach dem Beüben in der gesamten Standbeinphase soll dies in den Gang umgesetzt werden.
Dreidimensionale Verschraubung des Fußes
Der Fuß ist in der Belastungsphase dann stabil, wenn er dreidimensional verschraubt ist, d. h. Supination des Rückfußes gegen Pronation des Vorfußes eingestellt wird. Dafür muss sowohl die Gelenksmobilität als auch die entsprechende Muskelaktivität vorhanden sein.
Die Patientin sitzt auf dem Boden und umfasst die Ferse des Fußes mit der gegenüberliegenden Hand (rechter Fuß, linke Hand). Die gleichseitige Hand umschließt den Fuß in Höhe des Naviculares (Abb. 5). Die „Fersenhand“ stabilisiert den Fuß nach außen, die andere Hand bewegt den Vorfuß in einer spiralischen Bewegung nach innen. Der Fuß wird unten nicht zusammengedrückt, er wird in die Länge gezogen (Abb. 6).
Ziel ist, die Wahrnehmung für die Verschraubungsmöglichkeiten zu schulen und die hypomobilen Gelenke zu mobilisieren. Bei der hier vorgestellten Patientin lag der Fokus auf der Mobilisation der Gelenke zwischen Talus und Naviculare sowie dem Naviculare und dem Cuneiforme I. Zusätzlich bereitet sie das Anbahnen der Muskelaktivität für die aktive Verschraubung vor.
Muskuläre Verankerung des Metatarsale I
Der M. fibularis longus bringt das Metatarsale auf den Boden, der Tibialis posterior stabilisiert die Ferse gegen das Valgisieren, zusammen verschrauben und stabilisieren sie den Fuß. Um das aktiv zu kräftigen, sitzt die Patientin wieder auf dem Boden, legt das Knie seitlich auf einen Ball oder ein Kissen ab. Der Fuß liegt auf dem Außenrand, das obere Sprunggelenk ist ca. 90 Grad abgewinkelt. Nun wird das Theraband so um den Großzeh gewickelt, dass es vom Innenrand des Fußes zum Fibulaköpfchen verläuft (Abb. 7).
Es gilt nun, den Großzehenballen bei ruhendem Rückfuß gegen den Widerstand des Therabandes in Richtung Boden zu bewegen (Abb. 8). Die Straffheit des Therabandes wie auch die Wiederholungszahl definieren den Kräftigungseffekt. Diese – in der offenen Kette – erreichte Kräftigung muss nun auch in der geschlossenen Kette zur Verfügung stehen. Dazu soll die Patientin im Einbeinstand den Großzehenballen aktiv über Muskelkraft in den Boden schieben. Dadurch richtet sich der Innenrand ihres Fußes auf und die Ferse wird mehr auf der ganzen Fläche belastet (weniger auf der Innenseite). Die Patientin soll die muskuläre Anspannung an der Außenseite des Unterschenkels und den Druck unter dem Großzehballen spüren. Diese Aktivität gilt es nun auch während der Standbeinphase abzurufen.
Integration in den individuellen Alltag
Große Bedeutung kommt der Umsetzung des Erlernten im individuellen Alltag der Patientin zu. Das isolierte Üben in unterschiedlichen Ausgangsstellungen macht nur dann Sinn, wenn die erworbenen Fähigkeiten auch im Alltag nutzbar sind. Dazu wurde die Patientin angehalten, folgende Verhaltensänderungen vorzunehmen: Beim Stehen soll die Aufrichtung der gesamten Wirbelsäule beachtet werden. Dazu wird dieser Bewegungsauftrag an eine definierte in ihrem Alltag öfter wiederkehrende Situation, z. B. Stehen an der Ampel, geankert. Immer wenn sie an der Ampel steht, soll sie bewusst die Wirbelsäule nach der erlernten Vorstellung aufrichten. Durch die Wiederholung wird die Wahrnehmung geschult und eine neue langsam in die Routine übergehende Haltung erlernt, die dann auch in anderen Situationen bewusst angewandt werden soll.
Gleiches gilt für den Einsatz der Beckenbewegung und der Großzehenverankerung am Boden in der Standbeinphase. Hier soll die Erinnerung z. B. an das Schieben des Kinderwagens geankert werden. Mit der Zeit steht der Patientin diese Bewegungsvorstellung im normalen Gehen zur Verfügung und kann – kombiniert mit der Wirbelsäulenaufrichtung – täglich umgesetzt werden. Und schließlich soll die Patientin in den bisher schmerzauslösenden Situationen – beim Tragen hoher Schuhe – ganz besonders auf das erlernte Bewegungsverhalten sowohl der Wirbelsäule als auch der Füße zurückgreifen.
Ausblick
Die Patientin hat die ersten Lernschritte absolviert und kann die Aufrichtung der Wirbelsäule konsequent in ihren individuellen Alltag integrieren. Die Verschraubung des Fußes hat sie ebenfalls schon gelernt und arbeitet an der Kräftigung der relevanten Muskulatur. Ihre Wahrnehmung für die richtige Haltung hat sich ebenfalls stark verbessert; so fällt es ihr heute auf, wenn sie wieder in ihr altes Haltungsmuster zurückfällt. Sie empfindet diese Position dann als unangenehm und unkomfortabel. In der Therapiesituation kann sie schon unter Beibehaltung der Verschraubung des Fußes konzentriert erste Schrittsequenzen absolvieren. Der Test – länger Stehen mit hohen Schuhen – steht noch aus.
Der Autor:
Dr. phil. Jens Wippert
Elementhera GbR
Eisenmannstraße 4
80331 München
jw@elementhera.de
Begutachteter Beitrag/Reviewed paper
Wippert J. Therapie eines Hallux valgus nach dem Spiraldynamik-Konzept. Orthopädie Technik, 2013; 64 (7): 48–53
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024
- Ehrler-Menzi S. Die clevere Gebrauchsanweisung für unseren Bewegungsapparat. VGS Gesundheitsmagazin. Volksgesundheit Schweiz, 2001; 93: 27–29
- Heel C, Widmer M. Alles spricht von Spiraldynamik®. GYMtech, 2004: 3–5
- Heel C. Bewegung ist Leben und Leben ist Bewegung. In: Hüter-Becker A. (Ed.). Lehrbuch zum Neuen Denkmodell der Physiotherapie: Band 1. Bewegungssystem. Stuttgart: Thieme, 2006: 10–216
- Larsen C. Spiraldynamik – Bewegungs- und Therapiekonzept. Physiotherapie, 1997
- Larsen C. Bewegung ist die beste Medizin. Heilkunde und Erfahrung, 2006: 74–77
- Larsen C. PNF-Muster ade? – Die PNF-Muster aus spiraldynamischer Sicht. Krankengymnastik, 1999; 51: 941–961
- Larsen C. PNF-Muster ade? – Die PNF-Muster aus spiraldynamischer Sicht. Krankengymnastik, 1999; 51: 941–961
- Heel C. Bewegung ist Leben und Leben ist Bewegung. In: Hüter-Becker A. (Ed.). Lehrbuch zum Neuen Denkmodell der Physiotherapie: Band 1. Bewegungssystem. Stuttgart: Thieme, 2006: 10–216
- Larsen C. Koxarthrose: Periphere Dämpfung – zentrale Belastung. Krankengymnastik, 1998; 50