Tech­ni­sche Assis­tenz­sys­te­me für die moto­ri­sche Reha­bi­li­ta­ti­on von Men­schen mit Querschnittlähmung

R. Rupp
In der Rehabilitation von Querschnittgelähmten haben sich mittlerweile technische Assistenzsysteme etablieren können. Speziell in der frühen Phase stellen robotische Lokomotionstrainingsmaschinen eine wichtige Komponente eines funktionsorientierten, restaurativen Therapieprogramms bei inkompletter Lähmung dar. Auch wenn selbst mit den aufwendigsten Exoskeletten keine deutlich besseren Therapieerfolge erzielt werden, sind eine effektive Entlastung von Therapeuten und eine poststationäre Therapiefortführung möglich. Ein vollständiger Funktionsausfall bei Hochquerschnittgelähmten kann durch individualisierte Neuroprothesen oder durch per Brain-Computer Interface gesteuerte Roboterarme kompensiert werden. Der Beitrag gibt für Techniker und Kliniker gleichermaßen einen kompakten Überblick über (neuro)technische Assistenzsysteme und zeigt die Möglichkeiten und Grenzen hinsichtlich eines Alltagseinsatzes der aktuellen Technologien auf.

Ein­lei­tung

In den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten hat sich das Bild eines typi­schen Pati­en­ten mit Quer­schnitt­läh­mung erheb­lich gewan­delt: Wäh­rend vor 20 Jah­ren die Mehr­zahl der Rücken­mark­ver­let­zun­gen trau­ma­ti­schen Ursprungs war, sind es heut­zu­ta­ge zuneh­mend nicht-trau­ma­ti­sche Ursa­chen wie Ent­zün­dun­gen, Tumo­re oder dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­run­gen der Wir­bel­säu­le, die zu einer Quer­schnitt­läh­mung füh­ren. In Indus­trie­län­dern wie Deutsch­land resul­tiert die Mehr­zahl der fri­schen Quer­schnitt­läh­mun­gen inzwi­schen aus nicht-trau­ma­ti­schen Rücken­mark­schä­di­gun­gen 1. Dies hat erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Alters­struk­tur der etwa 2.000 Men­schen, die jähr­lich in Deutsch­land eine Quer­schnitt­läh­mung erlei­den. Zuneh­mend tritt eine Zwei­gipf­lig­keit in der Alters­ver­tei­lung der Betrof­fe­nen in den Alters­klas­sen 18–30 und 60–75 Jah­ren auf; das mitt­le­re Pati­en­ten­al­ter bei Läh­mungs­ein­tritt beträgt mitt­ler­wei­le 60 Jah­re 1. Auch hat sich der Anteil der Pati­en­ten mit Tetra­ple­gie erhöht, der aktu­ell etwa 40 % des Gesamt­kol­lek­tivs aus­macht. Der Trend hin zu nicht-trau­ma­ti­schen Läsio­nen, aber auch die Abnah­me der Schwe­re von Unfäl­len hat zur Fol­ge, dass bei der Mehr­heit der Betrof­fe­nen eine inkom­plet­te Läh­mung mit noch erhal­te­nen Rest­funk­tio­nen unter­halb der Läsi­ons­stel­le vorliegt.

Eine Rücken­mark­schä­di­gung führt zu Beein­träch­ti­gun­gen sen­si­bler, auto­no­mer und moto­ri­scher Funk­tio­nen bis hin zu deren voll­stän­di­gem Aus­fall. Die Kon­se­quen­zen des Ver­lusts der Geh- und ins­be­son­de­re der Greif­funk­ti­on auf die Teil­ha­be der Betrof­fe­nen am gesell­schaft­li­chen Leben sind dra­ma­tisch. Für Hoch­ge­lähm­te hat nach­voll­zieh­ba­rer­wei­se die Ver­bes­se­rung der Greif­funk­ti­on höchs­te Prio­ri­tät. Da bis heu­te kei­ne ursäch­li­che The­ra­pie der Rücken­mark­schä­di­gung exis­tiert, sind es haupt­säch­lich reha­bi­li­ta­ti­ve Maß­nah­men, die den Betrof­fe­nen zu mehr Selbst­stän­dig­keit ver­hel­fen. Dabei wird das Reha­bi­li­ta­ti­ons­prin­zip vor­ran­gig vom Schwe­re­grad der Läh­mung bestimmt: Je kom­plet­ter die initia­le Läh­mungs­si­tua­ti­on ist, des­to gerin­ger sind die intrin­si­schen Erho­lungs­chan­cen und des­to eher fin­det eine Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln wie Roll­stuhl, Orthe­sen oder Neu­ro­pro­the­sen zur Kom­pen­sa­ti­on des dau­er­haf­ten Funk­ti­ons­ver­lusts statt. Bei inkom­plet­ten Läh­mun­gen mit noch erhal­te­nen Rest­funk­tio­nen wer­den spe­zi­ell in der frü­hen Pha­se nach Ein­tritt der Quer­schnitt­läh­mung funk­ti­ons­ori­en­tier­te The­ra­pien mit dem Ziel ange­wandt, eine best­mög­li­che Wie­der­her­stel­lung der ursprüng­li­chen Funk­ti­on zu errei­chen. Dass dies mög­lich ist, liegt an der Plas­ti­zi­tät des zen­tra­len Ner­ven­sys­tems (ZNS), also der Fähig­keit zur Reor­ga­ni­sa­ti­on von Ner­ven­ver­bin­dun­gen. Auch das Rücken­mark ist ein Teil des ZNS, das nicht nur Befeh­le vom Gehirn zu peri­phe­ren Ner­ven bzw. Mus­keln wei­ter­lei­tet, son­dern ein zur Anpas­sung fähi­ges Inter­neu­ro­nen­netz­werk im Zer­vi­kal- und Lum­bal­mark besitzt. Damit ziel­ge­rich­te­te Reor­ga­ni­sa­ti­ons­vor­gän­ge in Gang gesetzt wer­den kön­nen, müs­sen Pati­en­ten All­tags­be­we­gungs­auf­ga­ben häu­fig aus­füh­ren. Eine akti­ve Betei­li­gung der Pati­en­ten ist dabei uner­läss­lich. Eine ent­schei­den­de Rol­le spielt dabei die durch die Bewe­gun­gen aus­ge­lös­te sen­si­ble Rück­mel­dung vor allem von Mus­kel­spin­deln ins Rücken­mark und ins ZNS 2.

Trai­nings­sys­te­me zur Ver­bes­se­rung der Gehfunktion

Bei der Durch­füh­rung funk­ti­ons­ori­en­tier­ter The­ra­pien, spe­zi­ell dem Loko­mo­ti­ons­trai­ning zur Ver­bes­se­rung der Geh­funk­ti­on, wer­den inzwi­schen in allen Pha­sen der Reha­bi­li­ta­ti­on rou­ti­ne­mä­ßig Trai­nings­ge­rä­te ein­ge­setzt (Abb. 1). Die Kom­ple­xi­tät und der Anwen­dungs­be­reich die­ser Gerä­te unter­schei­den sich erheb­lich und sol­len im Fol­gen­den genau­er vor­ge­stellt werden.

Lauf­band­trai­ning

Als Stan­dard­the­ra­pie hat sich das manu­ell unter­stütz­te Lauf­band­trai­ning unter teil­wei­ser Ent­las­tung des Kör­per­ge­wichts („body weight sup­port­ed tre­ad­mill trai­ning“, BWSTT) eta­bliert. In vie­len wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en konn­te gezeigt wer­den, dass sich mit die­ser The­ra­pie nicht nur das Gang­bild und die Aus­dau­er der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ver­bes­sern las­sen, son­dern dass dadurch auch die Spas­tik und die Unter­stüt­zung durch Geh­hil­fen redu­ziert wer­den kön­nen 3. Hier­bei muss aller­dings dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass eine erheb­li­che Band­brei­te der indi­vi­du­ell erreich­ten Geh­funk­ti­ons­ver­bes­se­run­gen vor­liegt und in Ein­zel­fäl­len auch bei inten­si­vem Trai­ning kei­ne Funk­ti­ons­ge­win­ne (non-respon­der) zu errei­chen sind. Gene­rell gilt der Grund­satz, dass eine ein­mal durch Trai­ning erreich­te, ggfs. mit Hilfs­mit­teln unter­stütz­te Geh­funk­ti­on im Lang­zeit­ver­lauf erhal­ten bleibt.

Robo­ti­sche Trainingsmaschinen

Da bei Pati­en­ten mit weni­gen Rest­funk­tio­nen bis zu drei The­ra­peu­ten zur manu­el­len Unter­stüt­zung der Geh­be­we­gun­gen not­wen­dig sind, haben in vie­len Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen robo­ti­sche Loko­mo­ti­ons­trai­nings­ma­schi­nen zur Ent­las­tung der The­ra­peu­ten Ein­zug gehal­ten. Um bereits im frü­hen Sta­di­um der Quer­schnitt­läh­mung mit einem auf neu­ro­bio­lo­gi­schen Erkennt­nis­sen zur Akti­vie­rung des spi­na­len Gang­pro­gramms basie­ren­den Loko­mo­ti­ons­trai­ning begin­nen zu kön­nen, kom­men Gerä­te zur Gene­rie­rung phy­sio­lo­gi­scher, sen­si­bler Sti­mu­li mit der Mög­lich­keit zur kreis­lauf­an­ge­pass­ten Ver­ti­ka­li­sie­rung zum Ein­satz. Bei Pati­en­ten mit rela­tiv guter Moto­rik, aber aus­ge­präg­ten (tiefen-)sensiblen Aus­fäl­len kann ein instru­men­tier­tes Bewe­gungs­feed­back­trai­ning, bei dem den Pati­en­ten ihre Abwei­chung von einem phy­sio­lo­gi­schen Gang­bild in Echt­zeit rück­ge­mel­det wird, zur anhal­ten­den Nor­ma­li­sie­rung des Gang­mus­ters bei­tra­gen 4 5.

Nach viel­ver­spre­chen­den The­ra­pie­er­fol­gen im Rah­men von Ein­zel­fall­stu­di­en in der Anfangs­zeit konn­te in Meta­ana­ly­sen aller­dings bis­her kein Nach­weis einer deut­li­chen the­ra­peu­ti­schen Über­le­gen­heit robo­tisch unter­stütz­ter The­ra­pien im Ver­gleich mit einer kon­ven­tio­nel­len phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Gang­schu­lung glei­cher Inten­si­tät erbracht wer­den 6. Die bis­he­ri­gen Stu­di­en zei­gen aber, dass eine hohe Trai­nings­in­ten­si­tät mit län­ge­ren The­ra­pie­zei­ten 7 und über einen län­ge­ren Zeit­raum ggfs. auch über den sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt hin­aus 8 zu einem bes­se­ren The­ra­pie­er­geb­nis füh­ren. Hier­für kön­nen robo­ti­sche Trai­nings­ma­schi­nen wir­kungs­voll ein­ge­setzt werden.

Über die letz­ten Jahr­zehn­te nimmt die Dau­er der Erst­be­hand­lung von Quer­schnitt­ge­lähm­ten und damit post­sta­tio­när die Quan­ti­tät und Qua­li­tät funk­ti­ons­för­dern­der The­ra­pien dras­tisch ab. Das Poten­zi­al vie­ler vor allem älte­rer Betrof­fe­ner bleibt damit unge­nutzt. Daten aus der mul­ti­zen­tri­schen EMSCI-Stu­die (EMSCI = Euro­pean Mul­ti­cen­ter Stu­dy about Spi­nal Cord Inju­ry, http://emsci.org) zei­gen, dass älte­re Men­schen zwar grund­sätz­lich kei­ne schlech­te­re neu­ro­lo­gi­sche Erho­lung zei­gen, dass sie aber im Ver­gleich zu jün­ge­ren Pati­en­ten mehr Zeit zu deren Umset­zung in ver­bes­ser­te All­tags­fä­hig­kei­ten benö­ti­gen 9.

„MoreGait“-Prototyp

Einen Ver­such zur Fort­füh­rung einer inten­si­ven Loko­mo­ti­ons­the­ra­pie über den sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt hin­aus stellt der initi­al von der Uni­ver­si­tät Ulm und der Kli­nik für Para­ple­gio­lo­gie des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Hei­del­berg ent­wi­ckel­te „MoreGait“-Prototyp („More­Gait“ = „Moto­ri­zed ortho­sis for home reha­bi­li­ta­ti­on of gait“) dar. Herz­stück des „More­Gait“ ist eine mecha­ni­sche Fuß­soh­len­sti­mu­la­ti­ons­ein­heit („sti­mu­la­ti­ver Schuh“), mit der auch in einer siche­ren halbau­f­rech­ten Trai­nings­po­si­ti­on ein weit­ge­hend phy­sio­lo­gi­sches Fuß­soh­len­be­las­tungs­mus­ter gene­riert wer­den kann. Eine schritt­pha­sen­be­zo­ge­ne Fuß­soh­len­be­las­tung stellt einen wich­ti­gen Reiz zur Anre­gung des lum­ba­len Inter­neu­ro­nen­netz­werks dar. Die Ergeb­nis­se einer Mach­bar­keits­stu­die mit 25 chro­ni­schen, moto­risch inkom­plett Quer­schnitt­ge­lähm­ten zei­gen, dass ein unbe­auf­sich­tig­tes, siche­res Heim­trai­ning mit „More­Gait“ mög­lich ist und dass sich damit in acht Wochen Ver­bes­se­run­gen der Geh­ge­schwin­dig­keit und ‑aus­dau­er in der glei­chen Grö­ßen­ord­nung wie mit einer acht­wö­chi­gen sta­tio­nä­ren The­ra­pie mit Groß­ge­rä­ten erzie­len las­sen 10.

Moto­ri­sier­te Exoskelette

Eine wei­te­re Mög­lich­keit für die selbst­stän­di­ge Fort­füh­rung eines Loko­mo­ti­ons­trai­nings stel­len moto­ri­sier­te Exo­ske­let­te dar, mit denen sich Betrof­fe­ne auch in einer außer­kli­ni­schen Umge­bung fort­be­we­gen kön­nen. Exo­ske­let­te eig­nen sich prin­zi­pi­ell auch als Hilfs­mit­tel zur Kom­pen­sa­ti­on eines voll­stän­di­gen Ver­lusts der Bein­funk­ti­on. Die aktu­el­len auf dem Markt befind­li­chen Sys­te­me sind aller­dings schwer, recht lang­sam, ver­schwin­den nicht unter der Klei­dung, und der Ober­kör­per muss zusätz­lich durch Geh­stüt­zen oder einen Rol­la­tor sta­bi­li­siert wer­den. Auf­grund der Kom­ple­xi­tät der Gerä­te ist deren Preis mit 80.000 bis 100.000 Euro außer­or­dent­lich hoch, sodass ein Pri­vat­erwerb kaum in Fra­ge kommt. Eini­ge Her­stel­ler gehen des­halb den Weg des Down­si­zings, bei dem das Exo­ske­lett auf die abso­lut not­wen­di­gen Kom­po­nen­ten redu­ziert ist. Ein Bei­spiel ist das Exo­ske­lett „ABLE“, das aktu­ell (Stand: Sep­tem­ber 2021) im Rah­men eines vom Gesund­heits­be­reich des Euro­pean Insti­tu­te of Inno­va­ti­on and Tech­no­lo­gy (EIT) geför­der­ten Pro­jekts in Bezug auf Sicher­heit und Gebrauchs­taug­lich­keit im kli­ni­schen Umfeld getes­tet wird (https://clinicaltrials.gov/, Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer: NCT04876794). Bei posi­ti­ven Ergeb­nis­sen ist im wei­te­ren Ver­lauf eine aus­ge­dehn­te Heim­an­wen­dung geplant.

Sol­che All­tags­stu­di­en sind drin­gend not­wen­dig, vor allem auch, um die Lang­zeit­fol­gen der Exo­ske­lett-Nut­zung – zum Bei­spiel erhöh­ter Gelenk­ver­schleiß oder ande­re Neben­wir­kun­gen wie Stür­ze oder Druck­stel­len – zu unter­su­chen 11. Gene­rell ist zudem der Kreis der poten­zi­el­len Exo­ske­lett-Nut­zer ein­ge­schränkt, weil die­se eine Rei­he von Vor­aus­set­zun­gen erfül­len müs­sen, zu denen eine aus­rei­chen­de Rumpf­sta­bi­li­tät, unein­ge­schränk­te pas­si­ve Gelenk­be­weg­lich­keit und wenig Spas­tik zählen.

Rücken­mark­sti­mu­la­ti­on

Mit allen hier vor­ge­stell­ten mecha­ni­schen Trai­nings­ver­fah­ren lässt sich frü­her oder spä­ter auch bei wei­te­rer Inten­si­vie­rung des Trai­nings kein zusätz­li­cher Funk­ti­ons­ge­winn erzie­len. Des­halb wer­den Mög­lich­kei­ten erforscht, das Out­co­me funk­ti­ons­ori­en­tier­ter The­ra­pien durch Kom­bi­na­ti­on mit phar­ma­ko­lo­gi­schen oder neu­ro­mo­du­la­to­ri­schen Ver­fah­ren zu „boos­ten“. Ein beson­ders viel­ver­spre­chen­des Ver­fah­ren in die­sem Zusam­men­hang stellt die Rücken­mark­sti­mu­la­ti­on („spi­nal cord sti­mu­la­ti­on“, SCS) dar. Dabei wer­den über Ober­flä­chen- oder – wesent­lich selek­ti­ver – implan­tier­te Epi­du­ral-Elek­tro­den die sen­si­blen dor­sa­len Ner­ven­wur­zeln des Rücken­marks sti­mu­liert und damit das lum­ba­le spi­na­le Inter­neu­ro­nen­netz­werk ange­regt, das für die Schritt­mus­ter­ge­ne­rie­rung und ‑modu­la­ti­on ver­ant­wort­lich ist. Ers­te Stu­di­en­ergeb­nis­se zei­gen, dass zumin­dest bei inkom­plett Quer­schnitt­ge­lähm­ten ein rele­van­ter zusätz­li­cher Funk­ti­ons­ge­winn durch die Kom­bi­na­ti­on aus einer schritt­pha­sen­ge­trig­ger­ten, epi­du­ra­len SCS und einem inten­si­ven, auf­ga­ben­spe­zi­fi­schen The­ra­pie­pro­gramm erreicht wer­den kann 12. Beson­ders erfreu­lich ist, dass es bei den Stu­di­en­teil­neh­mern mit chro­ni­scher Quer­schnitt­läh­mung zu Ver­bes­se­run­gen der Will­kür­funk­ti­on nicht nur bei Nut­zung der SCS, son­dern dar­über hin­aus auch bei abge­schal­te­ter Sti­mu­la­ti­on kam. Aller­dings deu­ten die Daten auch dar­auf hin, dass die The­ra­pie­ef­fek­te bei Men­schen mit nur weni­gen Rest­funk­tio­nen deut­lich gerin­ger sind.

Assis­tenz­sys­te­me zur Wie­der­her­stel­lung der Greiffunktion

Bei Men­schen mit Tetra­ple­gie und voll­stän­di­gem Funk­ti­ons­ver­lust der Hän­de besitzt die Ver­bes­se­rung der Greif­funk­ti­on höchs­te Prio­ri­tät. Ste­hen noch genü­gend will­kür­lich vom Pati­en­ten kon­trol­lier­ba­re Arm- und Hand­mus­keln zur Ver­fü­gung, kann mit Ner­ven- und Mus­kel­trans­fers ein erheb­li­cher Funk­ti­ons­ge­winn erzielt wer­den. Bei voll­stän­dig aus­ge­fal­le­ner Greif­funk­ti­on, aber noch erhal­te­ner Schul­ter­funk­ti­on und Ellen­bo­gen­beu­gung (ent­spricht einem moto­ri­schen Läh­mungs­ni­veau von C5) kann aber nur mit­tels tech­ni­scher Hil­fen eine Funk­ti­ons­wie­der­her­stel­lung erreicht wer­den. Liegt nur eine wenig aus­ge­präg­te Zweit­mo­to­neu­ron­schä­di­gung und damit ein gerin­ger Grad der Dener­va­ti­on von Arm­mus­keln vor, kön­nen mit­tels Funk­tio­nel­ler Elek­tro­sti­mu­la­ti­on (FES) zwei für All­tags­auf­ga­ben wich­ti­ge Grif­fe (Schlüs­sel- und Zylin­der­griff) wie­der­her­ge­stellt wer­den 13. Die­se Griff­mus­ter kön­nen mit­tels sie­ben Ober­flä­chen­elek­tro­den auf dem Unter­arm erzeugt wer­den, die zur bes­se­ren Hand­ha­bung in einen indi­vi­dua­li­siert her­ge­stell­ten Elek­tro­den­är­mel ein­ge­ar­bei­tet wer­den (Abb. 2). Ist zusätz­lich zur Hand- auch die Ellen­bo­gen­funk­ti­on sub­stan­ti­ell ein­ge­schränkt, kann die­se mit einer exter­nen, akti­ven Orthe­se (Hybrid-FES-Orthe­se) wie­der­her­ge­stellt wer­den. Eine voll­stän­di­ge Unter­stüt­zung der Ellen­bo­gen­fle­xi­on mit­tels FES ist jedoch nur kurz­fris­tig mög­lich, weil die nicht­phy­sio­lo­gi­sche Akti­vie­rung der Ober­arm­mus­ku­la­tur auf­grund des gro­ßen Kraft­be­darfs und der Not­wen­dig­keit einer Dau­er­sti­mu­la­ti­on zur Auf­recht­erhal­tung einer bestimm­ten Posi­ti­on inner­halb weni­ger Minu­ten zu einer star­ken Ermü­dung führt. Bei indi­vi­du­el­ler Anpas­sung aller Kom­po­nen­ten kann mit­tels Neu­ro­pro­the­sen nach Abschluss eines vor­be­rei­ten­den Mus­kel­trai­nings ein deut­li­cher Kraft- und vor allem Funk­ti­ons­zu­wachs erreicht wer­den 13.

Aller­dings besteht für einen rou­ti­ne­mä­ßi­gen All­tags­ein­satz nicht­in­va­si­ver Greif­n­eu­ro­pro­the­sen gro­ßer Ver­bes­se­rungs­be­darf hin­sicht­lich Sta­bi­li­tät und Repro­du­zier­bar­keit der gene­rier­ten Griff­mus­ter. Der Grund hier­für liegt in Elek­tro­den­ver­schie­bun­gen, die beim Anzie­hen des Elek­tro­den­hand­schuhs und bei Bewe­gun­gen auf­tre­ten. Zur Lösung die­ses vor allem bei der Sti­mu­la­ti­on der klei­nen Mus­kel­grup­pen des Dau­mens auf­tre­ten­den Pro­blems wur­den im EU-Pro­jekt „More­Grasp“ (http://moregrasp.eu) Mul­ti­elek­tro­de­n­ar­rays (60 × 35 mm, 5 × 3 Elek­tro­den mit 5 mm Durch­mes­ser und 5 mm Abstand) aus leit­fä­hi­gem Sili­kon ent­wi­ckelt 14. Die Ein­zel­elek­tro­den des Arrays kön­nen mit­tels eines Mul­ti­ple­xers zu grö­ße­ren Elek­tro­den zusam­men­ge­schal­tet wer­den, die dann inner­halb des Arrays elek­tro­nisch ver­scho­ben wer­den kön­nen. Damit kann der Sti­mu­la­ti­ons­ort nicht nur sta­tisch nach dem Anle­gen des Unter­arm­elek­tro­den­hand­schuhs, son­dern auch dyna­misch bei Rota­ti­on der Hand kor­ri­giert wer­den. Letz­te­res ist beson­ders wich­tig, um einen plötz­li­chen Kraft­ver­lust nach Ergrei­fen eines Gegen­stands zu ver­mei­den. Das Poten­zi­al der Mul­ti­ar­ray­elek­tro­den­tech­no­lo­gie kann aller­dings nur dann voll aus­ge­schöpft wer­den, wenn die Mög­lich­keit zur (teil-)automatisierten Kali­brie­rung besteht. Bei die­sem Kali­bra­ti­ons­vor­gang wer­den die opti­ma­len Elek­tro­den­po­si­tio­nen für jedes Greif­mus­ter auf der Basis kli­ni­schen Vor­wis­sens in vor­de­fi­nier­ten Hand­ge­lenk­stel­lun­gen (Pro­na­ti­on, Neu­tral­stel­lung, Supi­na­ti­on) unter Ver­wen­dung ver­schie­den­ar­ti­ger Sen­so­ren (Druck‑, Kraft‑, Beschleu­ni­gungs­sen­so­ren, Tief­en­ka­me­ras) bestimmt. Die­se Infor­ma­tio­nen kön­nen dann spä­ter in Clo­sed-Loop-Algo­rith­men zur auto­ma­ti­schen Kon­trol­le der durch die Greif­n­eu­ro­pro­the­se gene­rier­ten Greif­mus­ter und zur Anpas­sung der Sti­mu­la­ti­ons­pa­ra­me­ter ver­wen­det werden.

Benut­zer­schnitt­stel­len von Assistenzsystemen

Die Mensch-Maschi­ne Schnitt­stel­le (Human-Machi­ne Inter­face, HMI) trägt maß­geb­lich zur Nut­zer­ak­zep­tanz jeg­li­cher tech­ni­scher Assis­tenz­sys­te­me und im Spe­zi­el­len von Neu­ro­pro­the­sen bei. Die Visi­on eines „per­fek­ten“ HMIs besteht in einer voll­stän­dig intui­ti­ven Bedie­nung. Um Neu­ro­pro­the­sen­nut­zern eine intui­ti­ve­re Steue­rung zu ermög­li­chen, stellt die Steue­rung über eine Gehirn-Com­pu­ter Schnitt­stel­le (Brain-Com­pu­ter Inter­face, BCI) zur Detek­ti­on der Bewe­gungs­in­ten­ti­on direkt am Ent­ste­hungs­ort einen viel­ver­spre­chen­den Ansatz dar. Dies gilt beson­ders für Hoch­quer­schnitt­ge­lähm­te, bei denen oft nur weni­ge Ein­ga­be­mög­lich­kei­ten für ein HMI exis­tie­ren. Aktu­ell sind Hybrid-BCIs (hBCIs) am aus­sichts­reichs­ten für eine All­tags­nut­zung 15. Bei sol­chen hBCIs wird ein BCI mit eta­blier­ten HMIs kom­bi­niert, zu denen Joy­sticks, myo­elek­tri­sche Schnitt­stel­len zur Ablei­tung der Akti­vi­tät von nicht durch die Läh­mung betrof­fe­nen Mus­keln 16 oder Eye-Tra­cker 17 gehö­ren. Auch ande­re aus dem Elek­tro­en­ze­pha­logramm (EEG) extra­hier­te Signa­le wie Feh­ler­po­ten­zia­le 18 kön­nen mit dem BCI kom­bi­niert werden.

Durch die Ver­wen­dung eines hBCIs bestehend aus einem auf Bewe­gungs­vor­stel­lun­gen basie­ren­den nicht­in­va­si­ven BCI und einem Schul­ter­po­si­ti­ons­sen­sor konn­te zum ers­ten Mal gezeigt wer­den, dass die Kon­trol­le einer nicht­in­va­si­ven Greif- und Ellen­bo­gen­neu­ro­pro­the­se prin­zi­pi­ell mög­lich ist (Abb. 3) 19. Bis zu einer All­tags­an­wen­dung ist es aber auf­grund der hohen Zahl falsch erkann­ter Schalt­be­feh­le des BCIs und der auf­wen­di­gen Hand­ha­bung der Arm-FES-Orthe­se noch ein wei­ter Weg. Damit nicht­in­va­si­ve Neu­ro­pro­the­sen im All­tag funk­tio­nie­ren kön­nen, muss neben den Elek­tro­den­po­si­tio­nen, dem Elek­tro­den­hand­schuh und den Orthe­sen­kom­po­nen­ten auch die Benut­zer­schnitt­stel­le an die indi­vi­du­el­len Wün­sche und Gege­ben­hei­ten des Nut­zers ange­passt werden.

Obwohl poten­zi­el­le BCI-Nut­zer nicht­in­va­si­ve Sys­te­me bevor­zu­gen 20, las­sen sich mit inva­si­ven Sys­te­men auf­grund der höhe­ren Signal­qua­li­tät und Selek­ti­vi­tät deut­lich bes­se­re Ergeb­nis­se im Hin­blick auf eine intui­ti­ve Kon­trol­le erzie­len. Unter Ver­wen­dung intra­kor­ti­ka­ler Mikro-Elek­tro­de­n­ar­rays, die chir­ur­gisch in den Motor­kor­tex ein­ge­bracht wer­den müs­sen, ist die simul­ta­ne Steue­rung von bis zu zehn Frei­heits­gra­den eines Robo­ter­arms mög­lich 21. Eine ähn­li­che Per­for­mance scheint beim aktu­el­len Stand mit nicht­in­va­si­ven BCIs uner­reich­bar. Aller­dings bestehen bei den intra­kor­ti­ka­len Elek­tro­den gro­ße Pro­ble­me mit der Lang­zeit­sta­bi­li­tät, die momen­tan weni­ger als 5 Jah­re beträgt. Dar­über hin­aus muss der Com­pu­ter­al­go­rith­mus, der die Bewe­gungs­in­ten­tio­nen des Nut­zers aus den Ablei­tun­gen der Feue­rungs­ra­te der Neu­ro­ne iden­ti­fi­ziert, täg­lich neu durch tech­ni­sche Exper­ten ange­lernt wer­den. Grund dafür ist, dass zwei Drit­tel der Neu­ro­ne über Nacht schlicht „ver­ges­sen“, wie sie den Robo­ter­arm am Vor­tag gesteu­ert haben. Hier ist noch viel Grund­la­gen­for­schung not­wen­dig, um die neu­ro­na­len Mecha­nis­men genau­er zu ver­ste­hen. Mög­li­cher­wei­se bewirkt die Rück­mel­dung von Bewe­gungs­in­for­ma­tio­nen mit­tels Elek­tro­sti­mu­la­ti­on des sen­si­blen Kor­tex eine Sta­bi­li­sie­rung der Lern­ef­fek­te 22. Ein mög­li­cher Kom­pro­miss zwi­schen Per­for­mance und Inva­si­vi­tät könn­te ein auf den Kor­tex auf­ge­leg­ter Ver­stär­ker für die Auf­zeich­nung und draht­lo­se Über­mitt­lung des Elek­tro­kor­ti­ko­gramms dar­stel­len 23. In einer Ein­zel­fall­stu­die konn­te jeden­falls die Steue­rung von 4 × 2 Frei­heits­gra­den eines beid­arm­i­gen Exo­ske­letts erfolg­reich gezeigt wer­den, wobei über meh­re­re Wochen kein neu­es Anler­nen des Bewe­gungs­de­ko­die­rungs­al­go­rith­mus not­wen­dig war.

Fazit

In der Gangre­ha­bi­li­ta­ti­on von inkom­plett Quer­schnitt­ge­lähm­ten haben sich inzwi­schen eine Rei­he von robo­ti­schen Loko­mo­ti­ons­trai­nings­sys­te­men in der kli­ni­schen Rou­ti­ne eta­blie­ren kön­nen. Aller­dings konn­te bis­her kei­ne deut­li­che the­ra­peu­ti­sche Über­le­gen­heit der gerä­te­ge­stütz­ten The­ra­pien nach­ge­wie­sen wer­den. Dies ist nicht wei­ter ver­wun­der­lich, da Loko­mo­ti­ons­ro­bo­ter im Wesent­li­chen das durch The­ra­peu­ten durch­ge­führ­te Trai­ning nach­ah­men. Aller­dings zeich­net sich ab, dass mit kom­bi­na­to­ri­schen Ansät­zen aus inten­si­ver funk­ti­ons­ori­en­tier­ter, robo­tisch­un­ter­stütz­ter The­ra­pie und neu­ar­ti­gen neu­ro­mo­du­la­to­ri­schen Ver­fah­ren wie der Elek­tro­sti­mu­la­ti­on des lum­bo­sa­kra­len Rücken­marks in Zukunft deut­lich grö­ße­re Funk­ti­ons­ge­win­ne erreicht wer­den können.

Bei Hoch-Quer­schnitt­ge­lähm­ten mit stark beein­träch­tig­ter Greif­funk­ti­on ste­hen zumin­dest im For­schungs­um­feld eini­ge viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze in Form von Neu­ro­pro­the­sen oder über Gehirn­si­gna­le gesteu­er­te Robo­ter­ar­me zur Ver­fü­gung, mit denen der Funk­ti­ons­ver­lust zumin­dest teil­wei­se aus­ge­gli­chen wer­den kann. Aller­dings müs­sen die­se kom­ple­xen Tech­no­lo­gien ihre All­tags­taug­lich­keit und ihren Nut­zen noch unter Beweis stellen.

Den­noch geben die in die­sem Bei­trag vor­ge­stell­ten For­schungs­ar­bei­ten auf dem Gebiet der Neu­ro­tech­no­lo­gie und der tech­ni­schen Assis­tenz­sys­te­me berech­tig­ten Anlass zu der Hoff­nung, dass in Zukunft eine Quer­schnitt­läh­mung zwar nicht geheilt wer­den kann, dass aber den­noch eine ver­bes­ser­te Reha­bi­li­ta­ti­on und damit ein selbst­be­stimm­te­res Leben mög­lich sein werden.

Der Autor:
Priv.-Doz. Dr.-Ing. Rüdi­ger Rupp
Sek­ti­ons­lei­ter Experimentelle
Neu­ro­re­ha­bi­li­ta­ti­on
Kli­nik für Paraplegiologie
Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Heidelberg
Schlier­ba­cher Land­str. 200a
69118 Hei­del­berg
ruediger.rupp@med.uni-heidelberg.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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