(K)ein Kin­der­spiel – The­ra­pie mit Reha-Handschuh

Es begann 2013 mit der Teilnahme beim Nachwuchswettbewerb „Jugend forscht“ – die Jury war vom Reha-Handschuh schnell überzeugt. Drei Jahre später folgte mit Cynteract die Gründung eines eigenen Start-ups. Geschäftsführer Gernot Sümmermann (24) sowie Manuel Wessely (25), die an der RWTH Aachen Maschinenbau bzw. Informatik studieren, heimsten mit ihrer Entwicklung bereits einige Preise ein, zuletzt unter anderem den vom NRW-Wirtschaftsministerium verliehenen Digital Health Award (NRW-Sonderpreis).

Sowohl in die Wohn­zim­mer von Patient:innen als auch in The­ra­pie­pra­xen und Kli­ni­ken hat der als Medi­zin­pro­dukt Klas­se I zer­ti­fi­zier­te Reha-Hand­schuh mitt­ler­wei­le Ein­zug gehal­ten. In die­sem Jahr – so der Plan – soll die Nut­zung durch die Auf­nah­me ins Ver­zeich­nis für Digi­ta­le Gesund­heits­an­wen­dun­gen (DiGA) dann auch per Ver­ord­nung mög­lich sein.

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Den Anstoß für die Ent­wick­lung gab ein Freund, der im Alter von 15 Jah­ren einen Schlag­an­fall erlitt und infol­ge­des­sen sei­ne Hand­funk­tio­nen trai­nie­ren muss­te. Mit den mono­to­nen und lang­wei­li­gen Übun­gen wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­on hat­te er jedoch zu kämp­fen. „Kann man das nicht moti­vie­ren­der gestal­ten?“, frag­ten sich die Cyn­ter­act-Grün­der und tüf­tel­ten zusam­men an einer Alter­na­ti­ve zum klas­si­schen Bäl­ledrü­cken: Der Grund­stein für den Reha-Hand­schuh war gelegt.

Direk­tes Feed­back für Patient:innen und Therapeut:innen

Über den Bild­schirm flim­mert ein Com­pu­ter­spiel. Doch gesteu­ert wird die­ses nicht über die Maus oder die Tas­ta­tur, son­dern über die Arm‑, Hand- und Fin­ger­be­we­gun­gen, die der ­Pati­ent oder die Pati­en­tin macht. Heißt: Wer beispiels­weise eine Rake­te steu­ern muss, um mög­lichst vie­le Ster­ne in der Umge­bung zu sam­meln, hebt die Fin­ger, damit sich auch die Rake­te hebt. Wer­den die Fin­ger wie­der mehr geschlos­sen, senkt sich die ­Rake­te. Dahin­ter steht fol­gen­de Tech­no­lo­gie: Der Hand­schuh ist mit ver­schie­de­nen Sen­so­ren aus­ge­stat­tet, die auf der Hand­ober­flä­che befes­tigt sind. So kann der Hand­schuh die Bewe­gun­gen wie hoch und run­ter, beu­gen, stre­cken und sprei­zen mes­sen und anschlie­ßend über USB an den Com­pu­ter über­tra­gen. Grund­sätz­lich ist das nicht neu. „Es wird in der Bran­che an ver­schie­de­nen Stel­len ver­sucht, Patient:innen durch Spie­le zum Trai­ning zu ani­mie­ren“, sagt Ger­not Süm­mer­mann. „Uns ist auf­ge­fal­len, dass vie­le Spie­le jedoch sehr kin­disch kon­zi­piert sind.“ Das will Cyn­ter­act ändern und mit den eigens ent­wi­ckel­ten For­ma­ten auch Jugend­li­che und älte­re Men­schen anspre­chen. Egal ob Schnel­lig­keit, Rät­sel­spaß oder im Retro­de­sign: Alle Nutzer:innen sol­len auf ihre Kos­ten kom­men. „Wenn jemand Spaß hat zu trai­nie­ren, dann sind auch die Erfol­ge bes­ser“, ist Süm­mer­mann über­zeugt. Dafür pas­sen sich die Spie­le selbst­stän­dig dem Pati­en­ten­le­vel an. „Wenn der Ava­tar oft schei­tert, ver­ein­facht sich das Spiel“, erläu­tert Süm­mer­mann. Daten wie die­se gehen in die indi­vi­du­el­le Sta­tis­tik der Betrof­fe­nen ein, die den Therapeut:innen Aus­kunft über den Fort­schritt gibt und als Grund­la­ge für die wei­te­re Reha­bi­li­ta­ti­on dient. Kein sel­te­nes Feed­back: „Die Patient:innen trai­nie­ren zu lan­ge“, berich­tet Süm­mer­mann. Für den Geschäfts­füh­rer ein Grund zur Freu­de und gleich­zei­tig zur Anpas­sung der Soft­ware. „Das bestä­tigt uns, dass die Patient:innen ger­ne trai­nie­ren“, sagt er. Um die­se aber ein Stück weit zu brem­sen und z. B. mög­li­che Seh­nen­über­las­tun­gen zu ver­hin­dern, hat Cyn­ter­act ein ­Limit nach­ge­rüs­tet – Spaß auf Zeit. Um die Tech­no­lo­gie und die Pati­en­ten­zu­frie­den­heit umfas­send beur­tei­len zu kön­nen, lau­fen seit 2020 Stu­di­en in Zusam­men­ar­beit mit dem BG Kli­ni­kum Duis­burg und dem Uni­kli­ni­kum ­Aachen. Eine wich­ti­ge Grund­la­ge für die ange­streb­te Auf­nah­me ins DiGA-Ver­zeich­nis – und auch für die ins Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis (HMV). „Soll­te der DiGA-Antrag nicht durch­ge­hen, wäre das HMV eben­falls eine Mög­lich­keit, uns am Markt zu plat­zie­ren“, so Sümmermann.

„Wir wol­len die ­kon­ven­tio­nel­le ­The­ra­pie nicht erset­zen, son­dern unterstützen“

Zum Ein­satz kann der Hand­schuh sowohl in der The­ra­pie von chir­ur­gi­schen Ver­let­zun­gen wie Seh­nen­ris­sen kom­men als auch in der von neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen wie Par­kin­son oder Schlag­an­fall. „Wir wol­len die kon­ven­tio­nel­le The­ra­pie nicht erset­zen, son­dern unter­stüt­zen“, betont Süm­mer­mann und ver­weist auf wei­te­re Vor­tei­le, die der Hand­schuh mit sich bringt. Gefer­tigt aus Nylon mit hohem Elas­than­an­teil ist er dünn und dehn­bar und passt sich der Hand­form an. Mit einem Gewicht von 60 Gramm ist er leicht und por­ta­bel und kann so zu Hau­se, in der Kli­nik oder auch im Urlaub genutzt wer­den. Vor­aus­set­zun­gen für die Anwen­dung sind ledig­lich ein Com­pu­ter mit USB-Anschluss, Win­dows als Betriebs­sys­tem und – im Best­fall eine Inter­net­ver­bin­dung, um die Fort­schrit­te spei­chern und mit den Therapeut:innen tei­len zu kön­nen. Künf­tig soll das Pro­gramm auch auf dem Smart­phone nutz­bar sein. Spaß und Erfolg für die Patient:innen, Kon­trol­le für die Therapeut:innen und durch die ver­kürz­te Reha-Zeit eine Kos­ten­er­spar­nis für Kran­ken­kas­sen – „Wir sagen dazu immer Win-win-win-Situa­ti­on, weil alle Sei­ten ­pro­fi­tie­ren kön­nen“, so Süm­mer­mann. Anfangs noch mit 5.000 Euro kal­ku­liert, gibt es den Hand­schuh der­zeit für rund 800 Euro im Online-Shop. In Ein­zel­fäl­len sei er schon von Kran­ken­kas­sen geneh­migt wor­den. Cyn­ter­act hofft, die Kos­ten für die Anwender:innen durch die Auf­nah­me ins DiGA-Ver­zeich­nis künf­tig wei­ter sen­ken zu kön­nen. Der Antrag ist laut Süm­mer­mann bereits gestellt.

„Was uns nach wie vor moti­viert, ist die Freu­de in den Gesich­tern der Patient:innen“, betont der Geschäfts­füh­rer. „Wir sehen, wir kön­nen mit dem Pro­dukt etwas bewe­gen.“ Aus die­sem Grund arbei­tet das Duo an wei­te­ren Pro­duk­ten, dar­un­ter eine Ver­si­on, die die Fin­ger aktiv unter­stützt, beugt und streckt. Auf­grund der Nach­fra­ge meh­re­rer Therapeut:innen ver­sucht Cyn­ter­act die Tech­nik des Reha-Hand­schuhs zudem auf den gesam­ten Kör­per aus­zuweiten. „So kön­nen wir eine Platt­form bie­ten, die die Reha­bi­li­ta­ti­on ins Digi­ta­le bringt und dem Pati­en­ten das Gerät vor­schla­gen, das er benötigt.“

Pia Engel­brecht

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