Helmuth ist eine Spornschildkröte, 24 Jahre alt und wohnhaft in der Zoom Erlebniswelt in Gelsenkirchen. Aufgrund von Arthritis und damit einhergehenden Schmerzen bewegte er sich jedoch kaum noch. Die Zoomitarbeiter:innen behalfen sich mit einem Möbelrollbrett, doch Helmuth stieß immer wieder mit den Füßen dagegen und fand keinen richtigen Halt auf dem Boden. Zudem kam er damit nur auf den glatten Flächen des Innengeheges vorwärts. „Das geht anders“, dachte sich Ulrich Schade, Inhaber des gleichnamigen Orthopädie-Technik-Betriebs in Bochum, als er davon in den Nachrichten erfuhr und tüftelte gemeinsam mit Kollege und OT-Meister Dennis Tiedtke an einer Lösung. Keine leichte Aufgabe, denn Helmuth stellte die beiden vor einige Herausforderungen. Die wohl größte Hürde: einen Abdruck machen. „Männliche Schildkröten sind an der Unterseite konkav und – was man aufgrund des Panzers vielleicht nicht vermutet – an der Bauchseite sehr empfindlich“, lernte Schade. Der Versuch, einen Vakuumabdruck per Sitzsack zu machen, schlug fehl. Durch die scharfen Krallen war der Sack innerhalb weniger Sekunden kaputt. „Wir haben dann überlegt einen Gipsabdruck zu machen“, sagt Schade. Doch dafür hätte Helmuth auf den Rücken gelegt werden müssen. Für Schildkröten nicht nur eine unangenehme, sondern mitunter gefährliche Position.
Die nächste Idee glückte: Mithilfe einer Motorradhebebühne konnte das Team einen Gipsabdruck und genau Maß nehmen. Aus Polypropylen, verstärkt mit Kohle-Kevlar wurde eine passgenaue Schale gefertigt. Das Team entschied sich für herkömmliche Möbelrollen, die auf einer Drehbank auf die für Helmuth passende Höhe herunter gedreht wurden. Für den nötigen Halt sorgen unten Klettverschlüsse und oben über Kreuz adaptierte Gurte. Doch hält die Konstruktion auch? Schließlich sollte Helmuth mit der Orthese künftig auch im Außengehege über Stock und Stein kriechen können. „Er ist sofort losgelaufen“, erinnert sich Tiedtke. Für den Orthopädietechniker-Meister der Beweis, dass Helmuth zufrieden war. „Er konnte nie sagen: ‚Hier drückt es‘ oder ‚Da bleibe ich hängen‘. Kein Feedback zu bekommen war eine große Herausforderung.“
Ab April 2021 bahnte sich Helmuth mit der Sonderanfertigung täglich den Weg durch sein Gehege – und das scheint sich ausgezahlt zu haben: „Aufgrund von regelmäßiger Physiotherapie sowie des Trainings auf der Gehilfe konnte Helmuth seine Muskelkraft wieder aufbauen“, berichtet Zoo-Tierärztin Dr. Judith Wabnitz. Künftig kann er auf die Orthese verzichten. Für ihren Einsatz ist Wabnitz den Orthopädietechnikern sehr dankbar: „Die Zusammenarbeit verlief super“, betont sie. „Wir konnten gemeinsam ein Konzept entwickeln. Nach dem ersten Testlauf mit der Orthese haben wir noch einmal nachgebessert, bis wir ein perfektes Ergebnis erhielten.“
Für den nächsten tierischen Patienten ist der Bochumer Betrieb, der eigentlich auf die Anfertigung von Miedern spezialisiert ist, nun gut gewappnet. „Hilfreich kann es sein, ein Biologiebuch zur Hand zu nehmen“, zieht Ulrich Schade ein Fazit und lacht. Und auch folgenden Tipp möchte er anderen Orthopädietechniker:innen mit auf den Weg geben: „Wir müssen immer die ganze Bandbreite der Orthopädie-Technik vor Augen haben. Dann finden wir auch Lösungen.“
Pia Engelbrecht
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