OT: Was sollte mit der Orthese erreicht werden?
Jan Euerle: Ziel der orthetischen Versorgung waren die Stabilisierung und die Funktionssicherung des Ellenbogengelenkes.
OT: Sie haben sich für Additive Fertigung entschieden. Warum?
Euerle: Eine vergleichbare, konventionelle Versorgung wäre eine Orthese mit Carbon-Glasfasermix und weichem Acrylharz nach Gipsabdruck. Mit dieser Technik hätte man weder das geringe Gewicht noch die Flexibilität eines TPU-Drucks erreichen können. Die Additive Fertigung bietet, richtig angewendet, viele Vorteile im Vergleich zur konventionellen Fertigung. So ist zum Beispiel der Scan eines Arms eine schnelle und saubere Alternative zum klassischen Gipsen. Bei uns kommt für solche Fälle der 3D-Scanner iSense mit iPad zum Einsatz. Dazu kommt eine geringere gesundheitliche Belastung für den oder die Techniker:in bei der Additiven Fertigung. Gerade das Arbeiten mit Acrylharzen und Carbonfasern ist wesentlich schädlicher als das Arbeiten mit gedrucktem TPU.
OT: Welche Rolle nahm Mecuris bei der Zusammenarbeit ein?
Euerle: Das Modelling der Orthese wurde mit der Software von Mecuris (Mecuris Solution Platform, kurz MSP, Anm. d. Red.) in enger Zusammenarbeit mit Orthopädietechniker Ylli Binakaj, Projekt- und Anforderungsmanagement bei Mecuris, meinem Kollegen Michael Wille und mir umgesetzt. Durch den Support und die Schulungen erstelle ich mittlerweile eigenständig Orthesen und andere Hilfsmittel mit Hilfe der MSP.
OT: Wie lief die Versorgung ab?
Euerle: Nach dem Scan und der Modellierung der Zweckform wurde eine Anprobe aus PA12 gedruckt. Mit der Anprobe wurde eine Passformkontrolle durchgeführt. Außerdem wurden über die feste Anprobe die Caroli-Gelenkschienen (Dual 14/20 Modul P) angerichtet. Anschließend wurden die TPU-Schalen mit den Gelenkschienen und vier Klettverschlüssen vernietet. Für den Druck des Orthesenrohlings hatten wir einen Dienstleister beauftragt.
OT: Gedruckt wurde die Orthese mit dem FDM-Verfahren und mit TPU. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Euerle: Das FDM-Verfahren ist wesentlich umweltschonender als SLS oder MJP. Für Thermoplastisches Polyurethan (TPU) haben wir uns entschieden, da wir ein weiches Material gesucht haben, was auch ohne Polster auf der Haut getragen werden kann. Den Randverlauf haben wir dünner gestaltet, um Kantendruck zu vermeiden. Zur Mitte hin haben wir eine Wabenstruktur in das Material gedruckt. Dadurch wurde der Bereich stabiler, ohne seine Flexibilität zu verlieren und ohne zu schwer zu werden. Da TPU thermoplastisch verformbar ist, lässt sich die Orthese auch noch nachträglich verändern und anpassen.
Kostengünstige und umweltschonende Alternative
OT: Welches Fazit ziehen Sie aus dieser Versorgung?
Euerle: Das Thema der Additiven Fertigung begleitet uns schon längere Zeit. Seit 2019 scannen und drucken wir unsere Leisten für Maßschuhe bei uns im Haus. In unserer Werkstatt befinden sich zwei FDM-Drucker, die wir u. a. für Anproben, Leisten und Prothesen-Cover verwenden. Benötigen wir eine bessere Druckqualität, arbeiten wir mit Druckdienstleistern. Ich war besonders von der Qualität des TPU-Drucks im FDM-Verfahren angetan. Auch wenn ein Bauteil aus einem Multi Jet eine noch bessere Qualität liefert, ist das FDM-Verfahren eine kostengünstige und umweltschonende Alternative.
OT: Wie kommt der Patient mit der Orthese zurecht?
Euerle: Der Patient war sehr zufrieden mit dem Gewicht und Tragekomfort der Orthese. Eine Nachbesserung war bisher nicht notwendig.
OT: Wie verlief die Kostenübernahme durch den Kostenträger des Patienten?
Euerle: Die Kostenübernahme stellte kein Problem dar. Dank der guten Vorarbeit erfolgte die Abgabe der Orthese zwei Tage nach der Genehmigung.
OT: Können Sie anderen Betrieben empfehlen, ebenfalls auf additiv gefertigte Orthesen für die oberen Extremitäten zu setzen?
Euerle: Gerade für die oberen Extremitäten bietet sich die Additive Fertigung besonders an! Hier können die Vorteile wie geringes Gewicht, neue Gestaltungsmöglichkeiten wie perforierte Schalen und die neuen Materialeigenschaften am besten ausgenutzt werden. Bei stark belasteten Bauteilen, wie zum Beispiel Ganzbeinorthesen, setzen wir bei uns jedoch immer noch auf Carbon-Laminate oder PrePreg, da hier immer noch eine höhere Stabilität erzeugt wird.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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