OT: Herr Lichtenthäler, wie hoch ist die Investitionssumme, die Unternehmen für die Anschaffung eines leistungsfähigen 3D-Druckers einplanen sollten?
Niels Lichtenthäler: Da liegen Sie je nach Werkstoff und Anforderungen an das Endprodukt sicherlich schnell im sechsstelligen Bereich. Die Frage ist aus meiner Sicht aber eher, ob die Unternehmen eine solche Anschaffung überhaupt anstreben sollten. Gerade für kleinere und mittlere Häuser kann es sinnvoller sein, den eigentlichen 3D-Druck des Endproduktes an einen Dienstleister auszulagern. Das zentrale Know-how und damit zukünftig auch der wesentliche Anteil der Wertschöpfung für die Unternehmen liegt aus unserer Sicht vor allem in der Modellierung von Hilfsmitteln. Ob dies in Zukunft weiterhin vorwiegend mit Gips stattfindet, halte ich für eher unwahrscheinlich, da werden die Vorteile von digitaler Modellierung überwiegen.
OT: Welche Vorteile hat die digitale Modellierung gegenüber der traditionellen aus Gips?
Lichtenthäler: Natürlich ist der Gips-Abdruck eines erfahrenen Orthopädie-Technikers eine perfekte Grundlage etwa für die Erstellung eines Prothesenschaftes. Neben den rein handwerklichen Fertigkeiten zur Erstellung des Gips-Abdruckes ist es aber wichtig, dass der Orthopädie-Techniker aus Erfahrung weiß, wo er beispielsweise ein wenig Spielraum einplanen muss, damit die spätere Prothese hält und gleichzeitig keine Druckstellen hinterlässt. Das ist unter Umständen ein langwieriger Prozess, in dessen Verlauf mehrere Abdrücke erstellt werden. Bei der digitalen Modellierung kann der Orthopädie-Techniker ohne Materialkosten aufzuhäufen so viele Varianten austesten wie er will. Bei Nachfertigungen holt er sich die Datei aus dem Ordner und nicht den Gipsabdruck aus dem Lager. Das spart Lagerkapazitäten und damit Kosten. In jedem Fall ist die digitale Modellierung effizienter. Das ist der unschlagbare Vorteil dieser Technik. Wie stark der Effizienzfaktor ausfällt, hängt aber vom Bereich ab, in dem die Technik eingesetzt wird. Eines bleibt aber auch bei der digitalen Modellierung immer bestehen: Kompetenzträger sind die Mitarbeiter mit ihrem medizintechnischen Know-how und Erfahrungswissen am Patienten.
OT: Wie sollten sich insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen dem Thema nähern?
Lichtenthäler: Um sich mit digitaler Modellierung und Fertigung intensiver auseinandersetzen zu können oder erste Prototypen drucken zu können, ist die Anschaffung eines Low-Budget-Scanners und eines „einfachen“ Druckers zu empfehlen. Da kommen sie dann auch schon jeweils mit einer dreistelligen Investitionssumme erstaunlich weit. Denn die Einsatzpotenziale für die digitale Modellierung und die digitale Fertigung sind in der Orthopädie-Technik enorm groß. Wenn Sie sich anschauen, mit welcher Geschwindigkeit die Prozesse im Bereich von Hörgeräten und Dentalanwendungen, oder auch der industriellen Schuh-Produktion, in den letzten Jahren digitalisiert wurden, ist es naheliegend, dass dies bald auch für Produktgruppen aus dem Sanitätshaus- und Orthopädie-Technik-Bereich der Fall sein wird.
OT: 3D-Druck war bereits auf zahlreichen Kongressen der Branche ein Thema. Wo sehen Sie weiteren Informationsbedarf?
Lichtenthäler: Bei uns geht es um die gesamte Entwicklungskette, nicht nur um den „finalen“ Druck. Es geht also auch um Scan-Verfahren und Modellierung. Bei der Herstellung können außerdem je nach Bedarf CNC-Fräsen oder Laser-Cutter zum Einsatz kommen, da muss es nicht immer der 3D-Druck sein. Im FabLab (fabrication laboratory/Fabriklabor, Anm. d. R.) besteht zudem die Möglichkeit, eigene Elektronik zu entwickeln und Platinen zu fertigen. Vor allem gehen wir aber über die reine Information hinaus. Spätestens am zweiten Tag probieren die Teilnehmer selbst die Möglichkeiten im FabLab aus.
OT: Was war das Kernziel Ihrer Veranstaltung?
Lichtenthäler: In Abgrenzung zu den üblichen Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden wollen wir die Dinge gemeinsam anpacken. Klar geht es auch um die Sensibilisierung der Teilnehmer für die Möglichkeiten digitaler Fertigung, im Kern aber darum, aus der Beobachter-Rolle heraus zu kommen und im praktischen Ausprobieren von eigenen Ideen zu erleben, welche Technologien, Software und Geräte für den Einsatz im eigenen Unternehmen wirklich geeignet sind.
OT: Wie haben die Teilnehmer auf den Workshop reagiert?
Lichtenthäler: Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie gut die FabLab-Kultur mit den Arbeitsweisen von Sanitätshäusern und Orthopädie-Technikern zusammenpasst. Entsprechend zupackend waren die Teilnehmer: Sie haben nicht lange geredet und einfach mal etwas ausprobiert. Im Workshop trafen Handwerker und Techniker auf die Mitarbeiterinnen des FabLabs, „Maker“ genannt, die ähnlich ticken, bisher aber mit anderen Werkzeugen arbeiten. Das konnten wir auch in anderen Projekten erleben, die wir begleitet und durchgeführt haben. Beispielsweise im Projekt „HelpCamps“, wo wir Maker, Menschen mit Behinderung und Vertreter von Sanitätshäusern unter anderem in der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik zusammengebracht haben. In einem Hackathon (Kurzform für Hack-Marathon) sind so konkrete und individualisierte Produkte entstanden. „HelpCamps“ war eine wichtige Grundlage für „MatchMyMaker“, ein weiteres Projekt in diesem Bereich, welches wir begleiten.
OT: Mit welchen Ergebnissen sind die Teilnehmer abgereist?
Lichtenthäler: Insgesamt waren wir alle an den zwei Tagen nicht mal zehn Stunden zusammen und trotzdem gab es bereits zahlreiche Ideen, an denen wir arbeiten wollen. Konkret wurde ein erster Prototyp für einen Joystick-Adapter entwickelt und gedruckt, der in einen E‑Rollstuhl eingebaut werden soll. Eine andere Gruppe hat verschiedene Scanverfahren ausprobiert, um zu testen, ob sich auch Low-Budget-Scanner für den Einsatz im Herstellungsverfahren von Schuheinlagen oder ‑orthesen eignen.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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