Dabei war die Pandemie, wie in vielen anderen Lebensbereichen, ein Fortschrittskatalysator. Beispielsweise im Bereich der Kommunikation waren bereits Vorkehrungen getroffen worden, zukünftig über digitale Kanäle zu kommunizieren. Doch statt Monaten der Vorbereitung und Etablierung von Systemen und Abläufen musste der Verband innerhalb von einer Woche von analoger auf digitale Kommunikation wechseln. „Wir waren vorbereitet“, lautet daher Reuters Fazit, der durch vorausschauende Planung den Verband manövrierfähig vorfand. Lediglich im Bereich der Verhandlungen mit Kostenträgern sorgten die neuen Kommunikationswege teilweise für komische Blüten, wie Vizepräsident Albin Mayer zu berichten wusste. „Es ist ein ganz anderes Gefühl, über einen Bildschirm miteinander zu sprechen, als gemeinsam in einem Raum zu verhandeln. Wenn dann auch noch auf Kostenträgerseite keine Kamera eingeschaltet wird, verhandelt man mit einem schwarzen Monitor. Trotz aller Widrigkeiten haben wir unsere Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen“, so Mayer.
Aus den Erfahrungen der Vergangenheit haben sich auch die Aufgaben für Gegenwart und Zukunft abgeleitet. „Wir brauchen möglichst wenig Verträge und vereinheitlichte Formulare“, fordert Reuter einen deutlichen Bürokratieabbau aufseiten der Leistungserbringer. Nicht zuletzt die Krisen, die aus Corona und dem Ukrainekrieg erwachsen sind, machten deutlich, dass das aktuelle System nicht manövrierfähig ist, um flexibel auf äußere Einflüsse zu reagieren. „Eigentlich muss ich als Unternehmer jeden Versorgungsbereich mit allen 97 Krankenkassen einzeln verhandeln. Was für ein Wahnsinn“, beschreibt Reuter den Ist-Zustand. Durch Leitverträge würde sich die Zahl der verhandelnden Parteien verkleinern und dementsprechend mehr Raum für zeitnahe Anpassungen ergeben.
„Wir müssen die Betriebe in die Lage versetzen, betriebswirtschaftlich vernünftig arbeiten und damit ihre Beschäftigten auch ordentlich vergüten zu können“, fasst Mayer zusammen und spricht damit auch eine weitere Aufgabe an, die das Fach bewegt, nämlich den Fachkräftemangel. Eine zeitgemäße Vergütung, die die Versorgung an den Patient:innen in den Mittelpunkt stellt und nicht ein Produkt, würde der Arbeit der Orthopädietechniker:innen gerecht werden und zeitgleich dafür sorgen, dass mehr Interessierte auch wirklich den Weg in das Fach finden, statt von schlechten Verdienstaussichten abgeschreckt zu werden. „Unsere Mitarbeiter haben es verdient und sind es auch wert“, erklärt Mayer.
Alf Reuter fasste zudem die politische Arbeit der vergangenen drei Jahre zusammen. Durch die Gründung des Bündnisses „Wir versorgen Deutschland“ hat man nun eine gemeinsame Stimme des Fachs in der Bundespolitik in Berlin. Das Gewicht dieser Stimme könne aber noch zunehmen, wenn die Betriebe ebenfalls den Dialog mit der Politik suchen. „Ich kann die Leute nur aufrufen: Sprechen Sie ihre Bundes- und Landespolitiker an!“, fordert Reuter auf und fügt an: „Wir brauchen die Unterstützung der Häuser vor Ort“.
„Wir müssen unsere Rechte untermauern“, forderte auch Mayer – vor allem im Verhältnis zu den Krankenkassen. Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im BIV-OT hat er mit den Verhandlungen mit Krankenkassen täglich zu tun. Die Kostenträger würden immer mehr Forderungen stellen, gegen die sich die Leistungserbringer auch wehren können. Manche Forderungen verstoßen sogar gegen geltendes Recht, so Mayer, wie zum Beispiel im Bereich der Kompressionsversorgung.
Bei den politischen Aufgaben der Gegenwart spielen die durch WvD kommunizierten Reformpläne für die Branche eine große Rolle. Seien es Leitverträge oder auch die Souveränität gegenüber Kostenträgern. Einige Kompetenzen – wie zum Beispiel die Gestaltung des Hilfsmittelverzeichnisses – liegen nur bedingt in der Hand der Fachleute. Der Bundesinnungsverband ist beispielsweise als einer der wenigen Verbände stellungnahmeberechtigt. Doch statt auf die Meinung der Expert:innen aus dem Spitzenverband zu hören, gab es häufig nur frustrierende Erlebnisse für Alf Reuter. „Wir wollen daher statt eines Anhörungsrechts ein Mitbestimmungsrecht“, erklärt der BIV-OT-Präsident, der die aktive Mitarbeit bevorzugt.
Ein ganz aktuelles Thema, dass die Branche betrifft, ist, dass die Apotheken künftig auf eine Präqualifizierung verzichten wollen. „Das ist eine absolute Ungleichbehandlung“, beurteilt Reuter die Forderung. Es gehe um ein Qualitätsmerkmal in der Hilfsmittelversorgung und das sei auf Bundesebene auch schon entsprechend kommuniziert worden. Die Bundesregierung müsse den Antrag prüfen, die Bedeutung der PQ sei dem BMG allerdings sehr genau bekannt. Durch den Umweg über die Landespolitik haben es die Apothekenverbände allerdings geschafft, die Abschaffung der Präqualifizierung für „apothekenübliche Hilfsmittel“ in ein Gesetz zu bringen. Der BIV-OT arbeitet nun daran, dass diese unverhältnismäßige Vorzugsbehandlung zugunsten der Apotheken nicht den Weg in die Gesetzesumsetzung findet.
Heiko Cordes
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