Rol­la­tor­mo­dul zur Hal­tungs­er­ken­nung und Sturzprävention

Rollatoren sind aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Zahlreiche Modelle für draußen oder drinnen sind bereits auf dem Markt. Warum es dennoch Innovationspotenzial auf dem Gebiet der Rollatoren gibt, erklärt Jeannine Budelmann, Geschäftsführerin der Budelmann Elektronik GmbH, im Gespräch mit der OT-Redaktion.

Das auf die Ent­wick­lung elek­tro­ni­scher Lösun­gen spe­zia­li­sier­te Unter­neh­men hat die Pro­jekt­ko­or­di­na­ti­on des For­schungs­pro­jek­tes „ModE­St“ (Rol­la­tor-Modul zur Hal­tungs­er­ken­nung und Sturz­prä­ven­ti­on) inne, das für mehr Sicher­heit beim Gebrauch von Rol­la­to­ren sor­gen soll. Das For­schungs­pro­jekt ende­te Ende Juni nach drei­ein­halb Jah­ren Lauf­zeit. Von den ins­ge­samt 1,35 Mil­lio­nen Euro For­schungs­vo­lu­men über­nahm das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung 63 Pro­zent Förderanteil.

OT: Wie kamen Sie zur Betei­li­gung an einem For­schungs­pro­jekt zu Rollatoren?
Jean­ni­ne Budel­mann: Wir sind grund­sätz­lich gut ver­netzt und hat­ten bereits zuvor Kon­takt mit For­schungs­pro­jek­ten. Anfang 2016 kamen Ver­tre­ter des Kli­ni­kum Bre­men-Nord vom Kli­nik­ver­bund Gesund­heit Nord auf uns zu. Sie such­ten nach einer Lösung, die ver­hin­dert, dass Pati­en­ten auf­grund einer feh­ler­haf­ten Hal­tung bei der Nut­zung ihrer Rol­la­to­ren stür­zen. Sie frag­ten uns, ob wir uns vor­stel­len könn­ten, eine Tech­nik zu ent­wi­ckeln, die die Hal­tung der Nut­zer ana­ly­siert und ihnen etwa­ige Feh­ler zurück­mel­det. Damit soll­ten Stür­ze, die ins­be­son­de­re im Alter eine gro­ße Gefahr dar­stel­len, ver­hin­dert wer­den. Grund­la­ge unse­res For­schungs­pro­jek­tes war also die Fest­stel­lung eines medi­zi­ni­schen Bedar­fes. Die Auf­ga­ben­stel­lung fan­den wir gleich span­nend und sinn­voll, aller­dings auch kom­plex. Daher haben wir wei­te­re Part­ner ins Boot geholt.

OT: Wer sind die wei­te­ren Part­ner des For­schungs­pro­jek­tes und wie war die Aufgabenverteilung?
Budel­mann: Zu den wei­te­ren Part­nern zäh­len das Deut­sche For­schungs­zen­trum für Künst­li­che Intel­li­genz (Bre­men) und der Rol­la­tor­her­stel­ler Topro (Fürs­ten­feld­bruck). Bis zum Start des For­schungs­pro­jek­tes im Janu­ar 2017 haben wir zunächst das gemein­sa­me Ziel und die Rol­len­ver­tei­lung defi­niert: Wir woll­ten die Hal­tung und Gang­wei­se von Pati­en­ten bei der Nut­zung von Rol­la­to­ren ana­ly­sie­ren und ihnen rück­mel­den, ob sie sich in einer fal­schen, mög­li­cher­wei­se zum Sturz füh­ren­den, Hal­tung bewegen.
Nach dem Mot­to „jeder, was er kann“ über­nah­men wir die Ent­wick­lung der Hard­ware – eine Elek­tronik­bau­grup­pe – und der hard­ware­na­hen Soft­ware. Das For­schungs­zen­trum war für die Klas­si­fi­zie­rung zustän­dig, beschäf­tig­te sich also mit dem Mess­auf­bau und der Daten­ana­ly­se: Wel­che Daten kann ich wo mes­sen und wel­che Ana­ly­se dar­aus ablei­ten? Unser Indus­trie­part­ner über­nahm den Ein­bau der von uns ent­wi­ckel­ten Bau­tei­le. Hier galt es vor allem dar­auf zu ach­ten, dass die Ein­bau­ten, die Funk­ti­on und Optik der Rol­la­to­ren nicht stö­ren. Der Kli­nik­ver­bund lie­fer­te uns Daten zur Fra­ge, was ist gesun­des und was ist patho­lo­gi­sches Gehen. Zudem über­nahm er die Tests im Ganglabor.

OT: Wie ist der aktu­el­le Stand zum Abschluss des Forschungsprojektes?
Budel­mann: Stand heu­te haben wir einen Demons­tra­tor ent­wi­ckelt, der von 23 Per­so­nen im Gang­la­bor getes­tet wur­de. Noch sind wir in der Aus­wer­tung der Daten. Auf den ers­ten Blick sind sie aber sehr viel­ver­spre­chend. Auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie ent­fie­len geplan­te Tests in den letz­ten Mona­ten, sodass wir lei­der mit den 23 jetzt vor­lie­gen­den Tests das For­schungs­pro­jekt abschlie­ßen müs­sen. Den voll­stän­di­gen For­schungs­be­richt­be­richt wer­den wir im Sep­tem­ber hof­fent­lich vor­le­gen können.

OT: Wor­in genau besteht die Inno­va­ti­on des Demonstrators?
Budel­mann: Unser Demons­tra­tor ist welt­weit der ers­te Rol­la­tor, der über sechs Distanz­sen­so­ren die Hal­tung des Nut­zers erkennt. Die Sen­so­ren mel­den ihre Daten an ein ziga­ret­ten­schach­tel­gro­ßes Modul, das im Rol­la­tor inte­griert ist. Die Daten wer­den mit­hil­fe soft­ware­ba­sier­ter Algo­rith­men ver­ar­bei­tet und mel­den in Echt­zeit an eine im Griff inte­grier­te LED, ob die Hal­tung im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes im grü­nen Bereich ist oder roter Alarm droht. Die LED zeigt grün an, wenn die Hal­tung aus medi­zi­ni­scher Sicht kor­rekt ist und leuch­tet rot, wenn der Nut­zer eine inkor­rek­te Hal­tung auf­weist. Das klingt heu­te sehr ein­fach. Tat­säch­lich hat­ten wir zu Anfang an weit dif­fe­ren­zier­te Rück­mel­dungs­we­ge gedacht. Gleich in der ers­ten Test­rei­he 2018 muss­ten wir aber fest­stel­len, dass wir die zumeist älte­ren Nut­zer nicht über­for­dern oder gar ver­wir­ren dür­fen. Eini­ge Rol­la­tor­nut­zer wei­sen Begleit­erkran­kun­gen auf, die zu kogni­ti­ven Ein­schrän­kun­gen geführt haben.

OT: Wer­den Sie wei­ter am The­ma arbeiten?
Budel­mann: Wir sind sehr zufrie­den mit der tech­ni­schen Umset­zung unse­rer Auf­ga­ben­stel­lung und sind zuver­sicht­lich, dass unser Sys­tem zukünf­tig in den Ein­satz kommt. Dazu benö­ti­gen wir aber eine Zer­ti­fi­zie­rung, die ja für Medi­zin­pro­duk­te beson­ders kom­pli­ziert und lang­wie­rig ist. Alle bis­he­ri­gen Tests haben in den Gang­la­bo­ren des Kli­nik­ver­bun­des statt­ge­fun­den. Das ist für die Ent­wick­lung eines Demons­tra­tors auch genau rich­tig. Nach Abschluss des For­schungs­pro­jek­tes möch­ten wir aber gern einen Schritt wei­ter gehen und einen „All­tags­test“ mit einer grö­ße­ren Kohor­te durch­füh­ren. Wenn unse­re Inno­va­ti­on beim Pati­en­ten ankom­men soll, müs­sen wir zei­gen, dass das Sys­tem auch im All­tag funk­tio­niert und Men­schen vor dem fal­schen Gebrauch und damit Stür­zen schützt. Ins­be­son­de­re für die Kos­ten­über­nah­me sol­cher Rol­la­to­ren brau­chen wir die­se har­ten Fak­ten. Zudem sol­len die daten­schutz­kon­form auf­ge­zeich­ne­ten Infor­ma­tio­nen hel­fen, behan­deln­den Ärz­tin­nen und Ärz­ten den Fort­schritt oder Rück­schritt von The­ra­pien fun­diert ana­ly­sie­ren zu können.

Vie­len Dank für das Gespräch!

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

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