René Baumgartner wurde am 12. Februar 1930 in Grenchen im Kanton Solothurn in der Schweiz geboren. Sowohl seine Geburt im „Uhrmacher-Eck“ als auch der Beruf seines Vaters Fritz, der Uhrentechniker war, bahnten letztendlich den „technischen Weg“ für den jungen René Baumgartner, der sich später in seiner medizinischen Laufbahn fortsetzte. Nach bestandenem Staatsexamen trieb es ihn ins Ausland: 1956 und 1957 arbeitete er am Stamford Hospital in Stamford, Connecticut in den USA im Rahmen einer „Rotating Internship“, bevor es ihn aufs Meer trieb – als Schiffsarzt für die schwedische Johnson Line.
Sein weiterer Werdegang begann dann am Kantonsspital in Aarau im Pathologisch-Bakteriologischen Institut. Es folgten Stationen am Universitäts-Kinderspital in Basel, in der orthopädischen Abteilung von Prof. Dr. W. Taillard, Genf, und in der Kinderchirurgie bei Prof. Dr. R. Nicole. Weitere Ausbildungsjahre am Bürgerspital in Basel in der Chirurgischen Klinik beim namhaften Prof. Dr. Rudolf Nissen und an der Orthopädischen Universitätsklinik Balgrist in Zürich unter Prof. M. R. Francillon schlossen sich an. 1966 absolvierte René Baumgartner seine Facharzt-Ausbildung und führte seitdem die Anerkennung als „Spezialarzt FMH Chirurgie und Orthopädie“. Nach einer oberärztlichen Tätigkeit am Kantonsspital Genf wechselte Baumgartner 1970 wieder an „das Balgrist“ zu Prof. Dr. A. Schreiber. Dieser schuf als Nachfolger von Francillon eine Abteilung für Technische Orthopädie und berief René Baumgartner als leitenden Arzt. Dort entstand auch die seinen weiteren Lebensweg wesentlich prägende Habilitationsschrift zum Thema „Beinamputation und Prothesenversorgung bei arteriellen Durchblutungsstörungen“, die in der Folge mit dem Konrad-Biesalski-Preis der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie ausgezeichnet wurde. Am Balgrist arbeitete René Baumgartner von 1972 bis 1985 als leitender Abteilungsarzt für Technische Orthopädie und erwarb dabei 1979 den Titel eines Titularprofessors. Durch seine sehr aktiven Bemühungen um René Baumgartner erreichte Prof. H. H. Matthiaß, Ordinarius der Klinik für Allgemeine Orthopädie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dass René Baumgartner 1985 nach Münster auf den einzigen Lehrstuhl für Technische Orthopädie und Rehabilitation in Deutschland wechselte.
Dort war er Klinikdirektor bis 1996. Wie kaum ein anderer hat René Baumgartner die Technische Orthopädie in Europa geprägt. Dabei betonte er immer wieder den notwendigen ganzheitlichen Ansatz einer Kombination aus Chirurgie und Handwerk zum Wohle der Patienten. Nicht zuletzt deshalb waren Lehre und Ausbildung der jungen Generation eine Leidenschaft René Baumgartners. Eine kaum überschaubare Zahl an Vorträgen – immer gewürzt mit Karikaturen und Schweizer Charme – belegt das. Baumgartner war quasi ein „Wanderprediger“ auf dem Gebiet der Amputationschirurgie und der Technischen Orthopädie, was seine zahlreichen weiteren Aktivitäten – darunter Vorträge, Kurse und zahlreiche Buchveröffentlichungen – unterstreichen. Bekannt sind
neben seinen mehr als 350 Originalveröffentlichungen besonders die Standardwerke zu Amputation und Prothesenversorgung, zur Technischen Orthopädie sowie zur Orthopädie-Schuhtechnik. Als Chirurg und Orthopäde war Baumgartner Grenzgänger zwischen den Fächern, wurde aber in beiden gleich hoch angesehen.
Mit unermüdlichem Einsatz, mit Freundlichkeit und Achtsamkeit hat René Baumgartner sich immer um das Wohl seiner Patienten gekümmert, zu denen er teilweise enge freundschaftliche Beziehungen auch über lange Distanzen pflegte. Dabei bedeutete Patientenversorgung für ihn immer eine fächerübergreifende Zusammenarbeit mit Therapeuten und den Gesundheitshandwerken, die er stets auf Augenhöhe sah. Sein kooperatives Verhältnis zu den Gesundheitshandwerken spiegelte sich insbesondere in seiner Ernennung zum Ehrenmeister der Orthopädie-Schuhtechnik und in der Verleihung der Heine-Hessing-Medaille durch den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik wider.
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie verdankt René Baumgartner den Erhalt dieses wichtigen, aber für viele Kollegen unattraktiven Fachbereiches der Technischen Orthopädie, dessen Bedeutung vielen Beteiligten erst durch seinen unermüdlichen Einsatz deutlich wurde und heute im Vorstand der Gesellschaft unbestritten ist.
René Baumgartner ist Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Unter seinen zahlreichen Auszeichnungen sind besonders der Konrad-Biesalski-Preis der DGOT, der zweimal an ihn verliehene Carl-Rabl-Preis des VSO für das beste Buch des Jahres sowie die Ehrenmitgliedschaften in der ISPO Deutschland und der Initiative ’93 Technische Orthopädie, deren Gründervater er war, zu erwähnen.
Die DGOU und die Technische Orthopädie verlieren mit René Baumgartner eine wichtige Stütze, einen wichtigen Mentor und einen liebevollen Kollegen.
Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Leiter der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, Priv.-Doz. Dr. med. habil. Lutz Brückner, Michael Schäfer, BIV-OT-Vorstand und
Geschäftsführer der Pohlig GmbH
Kennengelernt habe ich Professor Baumgartner 1988 bei den regelmäßigen Fortbildungen in der damaligen Technischen Orthopädie der Uniklinik Münster an der Robert-Bosch-Straße. In der Turnhalle wurden Patienten vorgestellt, ihr vollständiger Krankheitsverlauf präsentiert und die Hilfsmittelversorgung diskutiert. Mein erster persönlicher Kontakt mit René Baumgartner kam im Jahr 1995 zustande, als eine Patientin nach einer „inneren“ Fußamputation von mir orthopädieschuhtechnisch versorgt werden sollte. Alle Details wurden genau besprochen; während des Gipsabdrucks waren jedoch plötzlich vier Hände im Spiel – Professor Baumgartner legte unvermittelt selbst Hand an, denn die Maßschuhe mussten schon kurze Zeit später zur großen Visite mit Orthopädie-Technikern, Orthopädie-Schuhmachern und Physiotherapeuten fertig sein. Schon damals zeigte sich, dass es René Baumgartner immer um das Beste für die Patienten ging. Sein Vorgehen war sehr aufwendig, dennoch habe ich dabei sehr viel gelernt. René Baumgartner war es stets ein großes Anliegen, anderen seine Kenntnisse zu vermitteln und sie an geeigneter Stelle zu publizieren. So hat es mich besonders gefreut, als er mich fragte, ob ich gemeinsam mit ihm und Dr. Hartmut Stinus das Lehrbuch „Orthopädieschuhtechnik“ verfassen wolle.
Sprache und insbesondere das Spiel mit der Sprache haben René Baumgartner stets besondere Freude bereitet und ein Lächeln auf sein Gesicht gezaubert. So machte er in einem Kapitel in unserem gemeinsamen Buch etwa deutlich, dass der Ausdruck „Absatzsprengung“ nichts mit einer Detonation zu tun habe.
Aus der gemeinsamen Arbeit mit René Baumgartner ist eine ganz besondere Freundschaft entstanden. Eine besonders schöne Erinnerung betrifft einen gemeinsamen Urlaub unserer Familien in Afrika: Beim Besuch bei Dr. Peter Ickler in Tansania wurde mir bewusst, dass sich die Familie Baumgartner über viele Jahre und mit viel Herzblut für die Menschen in Afrika engagiert hat.
Prof. Dr. René Baumgartner hat meine Arbeit und mein Leben sehr geprägt – ich habe ihm viel zu verdanken.
Michael Möller, 1. Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO) Deutschland
Professor Baumgartner war der Bundesfachschule stets verbunden, nahm an ihrer Entwicklung engagiert Anteil und setzte durch seine beliebten praxisbezogenen und anschaulichen Vortragsveranstaltungen bleibende Akzente. Er etablierte auf diese Weise nachhaltig den konstruktiven Dialog zwischen Orthopädie-Technik und orthopädischer Chirurgie. Zentrale Themen seines ärztlichen Wirkens waren die Wiederherstellung und der Erhalt der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung sowie die langfristige Folgen abschätzung chirurgischer Handlungen und orthopädietechnischer Konstruktionen. Mit diesem Grundverständnis befruchtete er die Weiterentwicklung der Hilfsmittelversorgung und prägte die Lehre an der BUFA nachhaltig. Sein großer Erfolg als akademischer Lehrer wird auch an seinen Lehrbüchern deutlich, die allesamt als Standardwerke gelten.
Die Bundesfachschule ist Herrn Professor Baumgartner zu Dank verpflichtet. Wir verneigen uns vor einem hochgeschätzten ärztlichen Lehrer und versichern die Familie unserer Anteilnahme.
Für die Bundesfachschule, Stefan Bieringer
Der Schweizer Verband der Orthopädie-Techniker (SVOT) hat mit Trauer vom Hinschied von Prof. Dr. René Baumgartner erfahren. René Baumgartner hat sich jahrzehntelang für die betroffenen Menschen und ihre orthopädietechnische Versorgung eingesetzt. Seinem unermüdlichen Engagement und der engen Zusammenarbeit mit den verschiedensten Orthopädie-Technikern ist es zu verdanken, dass viele praktische Versorgungslösungen und entsprechende Standards entwickelt sowie stetig verbessert werden konnten. Seine Fachbücher haben die Ausbildung zum Orthopädie-Techniker in der Schweiz stets begleitet und sind auch heute noch unverzichtbare Nachschlagewerke.
Im Namen aller Mitglieder des SVOT verneigen wir uns vor René Baumgartner angesichts seiner großen Verdienste um die Orthopädie-Technik in der Schweiz und bedanken uns für die freundschaftlichen Beziehungen und sein unermüdliches persönliches Engagement. Unsere Gedanken sind auch bei den Angehörigen und Freunden.
Schweizer Verband der Orthopädie-Techniker
Gerade noch suchte ich in alten Veröffentlichungen und im Internet nach Personen und Daten, um auf einen Brief von Prof. Dr. René Baumgartner zu antworten, als ich die Nachricht erhielt, dass er im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen ist.
Nach seiner Emeritierung war René Baumgartner über viele Jahre mit seinem Interesse an medizintechnischen Versorgungsfragen in afrikanischen Ländern, besonders bei Lepra, und seiner Neugier bezüglich historischer Fragestellungen ein wunderbarer Gesprächspartner, der immer wieder neue Fragestellungen aufwarf. So befasste er sich unter anderem mit Fragen zu den Vorfußamputationen durch Erfrierungen in Russland im Zweiten Weltkrieg, mit dem Mobilisator nach Amberg sowie mit den eisernen Händen des Ritters Götz von Berlichingen und den dazugehörigen Konstruktionsbeschreibungen Christian von Mechels.
Es schmerzt mich sehr, einen liebenswerten, nachdenklichen und profunden Kenner der Orthopädie, einen ihrer großen Ärzte und Lehrer nicht mehr befragen zu können. Er bleibt unvergessen!
Klaus Dittmer
Mit René Baumgartner verliert die Technische Orthopädie einen ihrer aktivsten freundlich-seriösen Kritiker und Unterstützer. Kein anderer in unserem klinisch-technischen Arbeitsfeld verfügte über ein so breites und exzellentes Wissen, keiner hat so klar seine Meinung gesagt, und keiner vermochte – in diesem multidisziplinären Bereich – so viel so bedarfsgerecht und der jeweiligen Situation angepasst weiterzugeben. Keiner hat überdies dem Begriff „Team” eine vergleichbare Bedeutung geben können. René Baumgartner hat die Orthopädie, die Physiotherapie und die Orthopädie-Technik zu verinnerlichen gelehrt, dass es im Team um den Patienten als Mitmenschen und daher um seine optimierte Behandlung, Rehabilitation und technische Versorgung geht. Er hat den Teamgedanken gelebt und geholfen, ihn in der Realität zu installieren.
Wir alle sind seine Schüler und Studenten gewesen. Die Älteren unter uns durften ihn über Jahrzehnte in seiner klinisch aktiven Periode persönlich erleben, durften mit ihm auf internationalen Konferenzen Meinungen und Erfahrungen austauschen und haben ihn nicht nur als sprachgewandten, kritischen Fachexperten, sondern auch als warmherzig-humorvollen Freund erleben dürfen, der mit uns lachen konnte, bis ihm die Tränen in den Augenwinkeln standen.
Gemeinsam haben wir mit dem Ableben von René Baumgartner eine Leitfigur und einen hochaktiven Lehrer verloren, persönlich werde ich einen guten Freund und Wegbegleiter missen.
Wieland Kaphingst
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