Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann ist Leiter der Rehaklinik Münsterland der LVA Westfalen in Bad Rothenfelde. Ehrenamtlich engagiert er sich in einer Vielzahl von Organisationen. Er ist unter anderem Vorsitzender des deutschen Ablegers der International Society for Prosthetics and Orthotics (ISPO).
OT: Trotz der schweren weltpolitischen Lage mit dem Ukraine-Krieg ist die OTWorld ein Treffpunkt für die internationale Zusammenarbeit der Branche. Wie wichtig ist es in so schweren Zeiten den Dialog über Landesgrenzen aufrecht zu erhalten?
Prof. Dr. Bernhard Greitemann: Der Wert einer internationalen Vernetzung unter Experten, die sich friedlich zu wissenschaftlichen oder praktischen Themen austauschen, war immer schon eines der Kernziele der ISPO. Der dadurch entstehende Mehrwert durch den „Blick über den Tellerrand“, das „Zuhören können“ bei Argumenten und Lösungsmöglichkeiten anderer, hat viele Behandlungsansätze befruchtet. Dies hat in der internationalen Politik in den vergangenen Jahrzehnten erkennbar nicht stattgefunden, mit den fatalen Folgen, die wir jetzt alle sehen. Der Dialog untereinander ist und bleibt eminent wichtig und unverzichtbar! Wir alle sollten versuchen, durch Nutzung unserer persönlichen Kontakte und Netzwerke, diesen unseligen Krieg zu beenden und den russischen Kollegen ein wahres Bild der Lage zu vermitteln.
OT: Corona, Flut und nun Krieg – die Schlagzahl der Krisen hat sich in den vergangenen Jahren erhöht. Welche Anpassungen musste die Branche vornehmen, um den neuen Bedingungen gerecht zu werden?
Greitemann: Eine Lehre für die westeuropäischen Firmen wird aus dieser Krise sicher sein, dass Standorte für Produktionsanlagen nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer möglichst kostengünstigen Fertigung, sondern auch mit Blick auf Sicherheit und verlässliche Arbeitsplätze ausgewählt werden. Ich gehe davon aus, dass viele Firmen daher ihre Schwerpunkte auf den heimischen Bereich bzw. Westeuropa legen werden. In der OT-Branche erwarte ich ggf. eine personelle Verstärkung durch gut ausgebildete Flüchtlinge aus der Ukraine, die angesichts der Zerstörungen in ihrem Heimatland aus meiner Sicht zumindest kurz- bis mittelfristig hierbleiben werden. Wie in jedem Krieg wird die Zahl der versorgungsbedürftigen Verletzten in der Ukraine selbst – und ggf. dann auch hier – sehr hoch sein.
OT: Die OTWorld wird 2022 wieder in Leipzig stattfinden. Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, wenn möglichst viele Inhalte digitalisiert werden würden, damit die internationalen Vertreter, die aus diversen Gründen nicht persönlich teilnehmen, dennoch am Wissensaustausch partizipieren können?
Greitemann: Ich persönlich schätze mehr den direkten Austausch. Aus der Erfahrung aus zahlreichen Videosessions und ‑kongressen heraus kann ich für mich sagen, dass die Diskussionsfreudigkeit des Auditoriums bei Meetings ad personam deutlich höher, somit der Nährwert deutlich besser ist. Vorteil der digitalen Lösungen ist natürlich, dass ich mir die einzelnen Topics ggf. intensiver und mehrfach ansehen kann. Zudem ist ein breiteres Spektrum der Zuhörerschaft zu verzeichnen, was die Internationalität durch entfallende lange Anreisezeiten angeht. Damit können die Inhalte sicher weiterverbreitet werden, ich habe aber den Eindruck, dass es sich weniger positiv auf den wissenschaftlichen Diskurs auswirkt.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
Eine Gesamtübersicht aller Kurzinterviews zur OTWorld 2022 finden Sie hier.
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