Raus aus der Alltagsroutine und hinein in ein kleines Abenteuer. So könnte ich die Intention beschreiben, die mich nach Tokio brachte. Schon mehrfach hatte ich mich vergeblich um einen Platz im „Repair Service Team“ bemüht. Mitte 2018 kam endlich der Anruf aus der für mich zuständigen Ottobock-Niederlassung in Benelux: „Hallo Stephan, hier ist der Andreas, du bist in Tokio dabei!“ Meine Freude war riesig!
Auch nach der Verlegung der Paralympischen Spiele 2020 auf 2021 aufgrund der Covid-19-Pandemie stand für mich nach kurzer und trotzdem reiflicher Abwägung meines persönlichen Risikos schnell fest: Ich fliege mit nach Tokio!
Chance auf qualifizierte Reparatur
Die Paralympischen Spiele sind besonders für Athlet:innen aus Afrika oder Asien die einzige Chance, eine qualifizierte Reparatur ihrer Prothesen, Orthesen oder Rollstühle zu bekommen. In ihren Heimatländern fehlt es sehr oft an der nötigen Technik, an neuen Passteilen, an Ersatzteilen für Rollis und vielem mehr. Und nicht zuletzt fehlt es an Techniker:innen und finanziellen Mitteln. Genau diese Hilfen bekommen sie bei den Spezialist:innen des „Service Repair Teams“ der Paralympics – und das völlig kostenfrei. Ein tolles Engagement der Firma Ottobock, wie ich finde.
Das Abenteuer beginnt
Mithilfe des „Play Books“ von Ottobock wurden wir für die Einreise und den Einsatz in der Werkstatt sowie den Wettkampfarenen gebrieft. Im Vorfeld musste so manches erledigt werden, darunter ein 14-Tage-Health-Monitoring, PCR-Tests in Abständen von 96 Stunden und 72 Stunden vor Ankunft sowie das Installieren verschiedener Apps auf dem Smartphone.
Über die ebenfalls im Vorfeld eingerichtete WhatsApp-Gruppe konnten wir schon vor Abflug Kontakt mit den anderen Mitgliedern des Service Teams aufnehmen und uns verabreden. Im Team wurden insgesamt 22 Sprachen gesprochen! Gemeinsam mit Elisabeth aus Bayern, Ingo aus Mecklenburg-Vorpommern und Robin aus der Schweiz flog ich dann ab Frankfurt am Main zum Flughafen Haneda. Hier konnten wir uns sofort von der Top-Organisation und Freundlichkeit der Japaner:innen überzeugen: Während bei uns in Deutschland ein genervter Ordner herumsteht, waren hier fünf Leute zur Stelle, die immer freundlich lächelten – genauso, wie man sich Japan in Europa vorstellt.
Rund um die Uhr im Einsatz
Vor Ort arbeiteten wir in zwei Schichten: von 8 bis 15:30 Uhr oder von 15 bis 23 Uhr. Nachts gab es einen Standby-Notfallservice. Das heißt, es waren immer 24 Stunden abgedeckt. Außerdem dauerte so manche Schicht länger als geplant, denn wir wussten nie, was auf uns zukam – und das meine ich positiv. Bei den insgesamt 2.079 Reparaturen in der OT-Werkstatt ging es mal um die Reparatur einer Orthese, mal um einen Rollstuhl oder eine Prothese. Das ständige Rein und Raus sorgte dafür, dass die Zeit wie im Flug verging. Am spannendsten fand ich meinen Einsatz in den Wettkampfarenen. Hier konnte ich ganz nah dran an den Sportler:innen mit all ihrem Adrenalin sein, ob bei Warm-up, Wettkampf oder den Siegerehrungen, bei denen jeder im Stadion respektvoll den Blick in Richtung Siegertreppchen richtete.
Was bleibt?
Die zwei Wochen waren eine sehr erfahrungsreiche Zeit für mich. Meine Entscheidung, mit nach Japan zu gehen, war genau richtig. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt eingesperrt oder unsicher gefühlt. Im Gegenteil: Mir werden die Freundlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Mega-City Tokio noch lange im Gedächtnis bleiben.
Danke für die Chance der Teilnahme und liebe Grüße an alle meine Teamkolleg:innen weltweit!
Stephan Sohn
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