Studienlage Orthesen nach OP
Beugung und Streckung können durch Verwendung von Hartrahmen-orthesen vom Operateur limitiert werden, um das Operationsergebnis nicht zu gefährden. Klassischerweise kommen diese Hilfsmittel z. B. nach einer vorderen Kreuzbandverletzung zum Einsatz. Das ersetzte Band wird durch diese Nachbehandlung zwar nicht direkt geschützt, neuerliche Verdrehungen sind aber unwahrscheinlich. Die überwiegende Anzahl der Kniechirurgen verwendet diese Orthesen nach einer Operation. Das zeigen einerseits Umfrageergebnisse im deutschsprachigen Raum, andererseits auch Umfragen unter amerikanischen kniechirurgischen Kollegen1 2. Wenn man die Stabilität des vorderen Kreuzbandtransplantats über die Zeit untersucht, so zeigt sich, dass diese während der ersten Monate zunächst abnimmt und unter Berücksichtigung von Einheilungs- und Umbauprozessen im weiteren Verlauf aber wieder zunimmt3. Dies hat zur Folge, dass das Tragen der schützenden Orthese grundsätzlich bis zu Monaten nach der OP sinnvoll erscheint und nicht wie häufig üblich nur für wenige Wochen. Auch wenn die Datenlage nicht ganz eindeutig ist, so wird der Nutzen hinsichtlich der sich entwickelnden Kniegelenksfunktion, der Stabilität und der Anzahl der Rerupturen häufig in Frage gestellt4.
Dies hat dazu geführt, dass unterschiedliche Fachgesellschaften den routinemäßigen Einsatz wegen fehlender Evidenz nicht empfehlen5. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass einerseits die Compliance hinsichtlich Tragedauer/Anwendung oft nicht abgefragt wird und gemessen an der großen Fallzahl an vorderen Kreuzbandverletzungen und Operationen die überwiegende Anzahl an operierten Patienten nicht in Studien erfasst ist. Zudem sind isolierte vordere Kreuzbandverletzungen selten, eine Kombination mit Verletzungen des kollateralen Bandapparates oder der Menisken dagegen häufig, wodurch schnell inhomogene Gruppen entstehen.
Hintere Kreuzbandverletzungen können effektiv durch Verwendung von Orthesen mit einem tibialen Support behandelt werden (Abb. 1). Hierdurch wird ein Zurückfallen des Unterschenkels verlässlich verhindert. Dies ist sowohl in der operativen wie auch in der konservativen Behandlung für den Erfolg entscheidend.
Neuere Orthesenmodelle sind auch mit digitalen Sensoren versehen. Hierdurch kann unter anderem die Beweglichkeit gemessen und so eine digitale Rehabilitationssteuerung ermöglicht werden. Somit ergeben sich erweiterte Möglichkeiten des Monitorings der Nachbehandlung, was sich positiv auf das Tragen des Hilfsmittels auswirken kann.
Bewegliche Orthesen mit einem sog. Lock-Mechanismus lassen sich durch ein seitlich angebrachtes Arretiersystem von einer Beuge- in eine Streckorthese verwandeln (Abb. 2). Dies ermöglicht gerade in der Nachbehandlung von Meniskus- oder Knorpelverletzungen den Erhalt einer lastfreien Beweglichkeit sowie eine reine Beanspruchung in Streckstellung. Insbesondere Meniskusrisse werden in höheren Beugegraden belastet, was nach einer Naht unbedingt vermieden werden sollte. Das Konstrukt Meniskusnaht kann so geschützt werden und wird in der aktuellen Literatur empfohlen6 7.
Auch nach knorpelchirurgischen Eingriffen ist somit die frühe Aufbelastung mit einer Orthese in Streckstellung möglich. Langwierige vollständige Entlastungsperioden lassen sich damit bei patellofemoral lokalisierten Schäden verhindern8.
Compliance Orthesen nach OP
Es gibt tatsächlich nur wenige Arbeiten, die auf das Thema Compliance explizit eingehen. Schlussfolgerungen über den Nutzen des Hilfsmittels sind damit schwierig zu interpretieren.
Aus der konservativen Arthrosetherapie weiß man, dass das Tragen einer valgisierenden Osteoarthrose-Orthese zur Reduktion des Knie-Adduktionsmoments mit der Dauer der Anwendung deutlich abnimmt, obwohl der Nutzen der Orthese für die meisten Patienten bereits nach wenigen Wochen erkennbar ist9 10.
Als Hauptursache werden Tragekomfort und schlechte Praktikabilität im Alltag angegeben, wobei die Hälfte der behandelten Patienten sich für die erneute Verwendung im Falle einer Folgeverletzung ausspricht11.
Nach Meniskusnähten scheint das Thema Compliance genau wie nach einer Ersatzbandplastik des medialen patellofemoralen Ligaments keine Rolle zu spielen. Die Tragedauer wird nur für wenige Wochen empfohlen und im Allgemeinen gut angenommen. Die klinische Praxis zeigt ein Abnehmen der Compliance im Laufe der Zeit. Deshalb ist es wichtig, Nutzen und Sinn des Hilfsmittels in den jeweiligen verschiedenen Rehabilitationsphasen detailliert zu besprechen. Wichtig erscheint auch ein möglicher schlechter „recall“ von medizinischen Informationen sein, was insbesondere im Rahmen der zunehmenden Ambulantisierung und dem Wegfall klassischer postoperativer Visiten eine Rolle spielen wird12.
Fazit für die klinische Praxis
- Postoperativ kommen in der Regel bewegliche Hartrahmenorthesen zum Einsatz.
- Hartrahmenorthesen lassen dezidierte Restriktionen des Bewegungsumfangs zu und ermöglichen teils einen schnellen Wechsel zwischen Streckschiene und Bewegungsschiene, was insbesondere nach Meniskusnähten oder knorpelchirurgischen Verfahren sinnvoll erscheint.
- Die Verwendung einer Orthese wird von Seiten des Patienten gut für wenige Wochen toleriert.
- Die Compliance hinsichtlich der Tragedauer ist teils nicht gut untersucht.
- Aus biomechanischen Gesichtspunkten erscheint die Verwendung einer Orthese nach vorderem Kreuzbandersatz (VKB-Ersatz) insbesondere über Monate postoperativ sinnvoll.
- Hauptgründe für das Abbrechen der Therapie sind Tragekomfort und Praktikabilität im Alltag.
Hinweis:
Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form unter demselben Titel in dem Booklet „Grim C, Tischer T (Hrsg.). Verletzungen und Erkrankungen des Kniegelenkes – wie helfen orthopädische Hilfsmittel?“, einer Publikation der Gesellschaft für Orthopädietechnisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) und der European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices (Eurocom e. V.).
Der Autor
PD Dr. med. Philipp Minzlaff
Sportorthopädie – Orthoclinic Agatharied
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Philipp.Minzlaff@khagatharied.de
Philipp.Minzlaff@mvzholzkirchen.de
Minzlaff P. Postoperative Hilfsmittelversorgung nach Knie-OP – wie ist die Compliance? Orthopädie Technik, 2024; 75 (1): 56–58
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
- Belastungsprofile von knochenverankerten Oberschenkelimplantaten verbunden mit modernen Prothesenpassteilen — 5. November 2024
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