Weil Ausfälle von Schlüsselspielern aber die sportlichen Ziele des Vereins gefährden, ist die medizinische Abteilung stets darum bemüht, den Profis die beste Versorgung zu ermöglichen. Markus Engelmann ist seit 2022 leitender Physiotherapeut der Kieler. Im Gespräch mit der OT-Redaktion spricht er über Prävention, Rehabilitation und die Bedeutung von orthopädietechnischen Hilfsmitteln im Spitzensport.
OT: 70 Prozent der eingesetzten Spieler in der Handballbundesliga haben sich laut VBG-Sportreport aus dem Jahr 2021 verletzt. Würden Sie aus Ihrer Beobachtung heraus diese Zahl bestätigen oder würden Sie sie korrigieren?
Markus Engelmann: Ich denke, dass 70 Prozent eine realistische Darstellung sind. Die Saison ist lang und Handball ein körperbetonter Sport, da bleiben Verletzungen nicht aus!
OT: Weiter heißt es dort, dass die Teams in der Handballbundesliga ganz unterschiedliche Präventionskonzepte haben. Tauschen Sie sich, als Mitglied des Betreuerstabs des THW Kiel, mit anderen Betreuer:innen über handballspezifische Prävention aus oder orientieren Sie sich eher an anderen Sportarten?
Engelmann: Selten besteht die Möglichkeit, mit Kollegen aus anderen Vereinen einen intensiven Austausch zu pflegen, aber wir diskutieren intern in unserem Medical Staff (Ärzte, Athletiktrainer und Physiotherapeuten, Anm. d. Red.) die bestmögliche individuelle präventive Maßnahme. Dabei fließen sicherlich auch Einflüsse aus anderen Sportarten wie Fußball, Basketball, Eishockey oder Leichtathletik ein. Letztendlich ist es aber immer eine individuelle Entscheidung!
OT: Welche Komponenten hat eine gute Verletzungsprävention für Sie?
Engelmann: Grob besteht sie aus drei Säulen. Erstens: Belastungssteuerung. Zweitens: Vertrauen. Und drittens: interdisziplinäres Arbeiten der einzelnen Gruppen. Ein guter Trainer steuert die Belastung seiner Sportler und passt das Pensum an die aktuelle Situation an. Dadurch minimiert man das Risiko einer Überlastung. Gleichzeitig ist das gegenseitige Vertrauen wichtig, dass z. B. der Kader dem medizinischen Staff und dem Trainer vertraut und auch klar kommunizieren kann, dass er müde ist oder ein Problem hat, damit dann die Belastung gesteuert werden kann. Und letztlich ist der direkte Austausch notwendig, dass wir im medizinischen Staff dem Trainer spiegeln, ob die Belastung zu hoch ist oder es ein Argument gibt, die Belastung bei einem Spieler anzupassen.
OT: Welche Rolle nehmen Orthopädietechniker:innen und Hilfsmittel in der Vorbeugung von Verletzungen im Spitzensport ein?
Engelmann: Durch die immer größer werdenden individualisierten Angebote in diesem Bereich ist es schon eine gute komplementäre Säule im Sport geworden, auf die wir gerne zurückgreifen.
OT: Welche orthopädietechnischen Hilfsmittel werden beim Handball häufig verwendet?
Engelmann: Einlagen, Kompressionssleeves für Arm, Wade und Oberschenkel und Bandagen beispielsweise für das Sprunggelenk.
OT: Wie würden Sie die Entwicklung der Verwendung von Hilfsmitteln in den vergangenen zehn Jahren beschreiben?
Engelmann: Wie oben schon erwähnt: Da es immer mehr Möglichkeiten der Individualisierung gibt, ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen, gerade im Bereich der Einlagenversorgung.
OT: Wie ist das Feedback von Spielern zu den Hilfsmitteln?
Engelmann: Der Weg zum guten Produkt ist von Spieler zu Spieler unterschiedlich, aber unsere Partner geben sich große Mühe, die Wünsche zu erfüllen. Dementsprechend ist das Feedback am Ende ein gutes!
OT: Die Kieler Handballer sind dank Liga, Pokal und internationaler Spiele viel in der Halle und im Kraftraum. Nutzen Sie aber darüber hinaus noch im Alltag Hilfsmittel wie zum Beispiel Einlagen?
Engelmann: Mehr als die Hälfte unseres Kaders benutzt Einlagen in seinen Schuhen, einen weiteren hohen Stellenwert haben Kompressionssleeves für Arm, Oberschenkel und Waden. Ebenso tragen viele Spieler zur Erholung die Recovery Compression Socks von Bauerfeind Sports.
OT: Welchen Stellenwert hat Verletzungsprävention für Sportler:innen, aber auch für Vereine?
Engelmann: Einen elementaren Stellenwert. Nur ein gesunder Spieler kann maximale Leistung bringen und dadurch erfolgreich sein, daran werden Verein und Spieler gemessen. Im Alltag ist es bei einem vollen Spielplan eine Herausforderung für Trainer, Spieler und Medical Staff, dem gerecht zu werden.
OT: Wie informieren Sie sich über die neuesten Entwicklungen im Bereich Prävention und natürlich auch Rehabilitation?
Engelmann: Über spezifische Fortbildungen im Bereich Sport oder Behandlungstechniken, aber auch über die neuen Medien oder das Internet. Dort findet man viele Studien zu dem Thema, zum Beispiel auf Pubmed.com. Aber auch durch den regelmäßigen internen Austausch mit den Kollegen im medizinischen Staff. Keiner weiß alles oder ist perfekt, da kann man viel von den Kollegen und dem Diskurs lernen und mitnehmen!
OT: Wenn sich ein Profi dann doch verletzt, dann ist der Wunsch von Verein und Spielern häufig eine schnelle Rückkehr auf die Platte. Wie können Hilfsmittel dabei helfen, dass Spieler wieder eingesetzt werden können, ohne eine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung zu riskieren?
Engelmann: Generell gibt es keine Garantie, dass eine Verletzung nicht wieder aufbricht, aber mit individuell angepassten Hilfsmitteln wie z. B. einer Schiene bei einem Bänderriss kann man die Belastung frühzeitig steigern, da die sogenannten Scherkräfte von der betroffenen Struktur genommen werden. Dadurch kann sich die Struktur besser an die Belastung anpassen, ohne zu überreizen oder die Wundheilung zu stören!
OT: Prävention und Rehabilitation sind zwei Bereiche, in denen Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Eine dritte – mögliche – ist die Leistungssteigerung. Wird im Handball schon gezielt diese Möglichkeit ausgeschöpft?
Engelmann: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Aus guter Prävention resultiert eine verbesserte Leistung. Ebenso hilft eine gute Rehabilitation den verletzten Spielern wieder auf Leistungsniveau zu kommen, welches durch gute Prävention weiter verbessert wird!
Beides zusammen ergibt dann Konstanz, welche die Leistung positiv beeinflusst!
OT: Welches Produkt, welches orthopädietechnische Hilfsmittel würden Sie sich für den Handball wünschen, welches noch nicht auf dem Markt ist bzw. welche sportartspezifische Individualisierung eines Hilfsmittels könnten Sie sich vorstellen?
Engelmann: Sobald es mir einfällt, lasse ich es euch wissen!
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
Hendrik Pekeler ist einer der bekanntesten deutschen Handballer. Der großgewachsene Kreisläufer spielte in der 1. Bundesliga unter anderem für die Spitzenteams der Rhein-Neckar Löwen und aktuell für den THW Kiel. Am 19. Mai 2022 erlitt er im Champions-League-Heimspiel gegen Paris Saint-Germain einen Achillessehnenriss am linken Fuß. Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit von Vertreter:innen aus Physiotherapie und Orthopädie-Technik konnte Pekeler die prognostizierte Ausfallzeit nicht nur einhalten, sondern sogar unterbieten. „Ich hatte schon in der Vergangenheit immer mal wieder Probleme mit der Achillessehne, diese Verletzung war aber nicht zu erwarten“, erklärte Pekeler. Nachdem die Diagnose feststand, wurde der mittlerweile 31-Jährige operiert. Nach dem Eingriff wurde der Kieler Kreisläufer zwölf Tage lang mit einer Gipsschiene immobilisiert. Anschließend erhielt die Sehne eine erste Bewegungsbelastung in einem Walker in Spitzfußstellung, der sechs Wochen später, mittlerweile in fast normaler Fußstellung, entfernt wurde. Während dieser Zeit trug Pekeler den Kompressionsstrumpf im Walker. Danach schloss sich – anders als bei Breitensportler:innen – eine engmaschige, sechsmonatige Leistungssportrehabilitation an. Dieses Regime im Profisport folgt einem bestimmten Verfahren, dessen Erfolg am Ende von der Berufsgenossenschaft überprüft wird. Nach Ablegen des Walkers wäre zum Schutz der Sehne eine leichte Absatzerhöhung im Schuh angezeigt gewesen. Pekeler unterzog sich jedoch zwischenzeitlich einer dicht gestaffelten physiotherapeutischen Behandlung mit manueller Therapie und Kälteanwendungen, so dass die Schwellung und Gewebeentzündungen, ausgelöst durch Verletzung und Operation, nahezu vollständig abklingen konnten. Ein Fersenkeil war nicht mehr erforderlich, die Trainingseinheiten konnten Schritt für Schritt beginnen. Verantwortlich für die mehrmals täglich angewandten Maßnahmen war die Physiotherapieabteilung mit dem leitenden Physiotherapeuten Markus Engelmann. „Die Sehne hat vom Tag eins nach der Operation bis zum Trainingseintritt keine Probleme bereitet. Ich war im Verlauf fast schmerzfrei“, so Pekeler. Bereits vor seiner Verletzung griff der Nationalspieler zu Kompressionsstrümpfen als Reisebegleiter und trägt abseits der Sporthalle Einlagen.
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