Gemeinsam mit seinem Kollegen, Referent Sebastian Hoebink, möchte er dafür sensibilisieren, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, und besonders Berufsanfänger:innen die Scheu nehmen, einfach mal zum Telefonhörer zu greifen, um sich von den behandelnden Ärzt:innen und Therapeut:innen genauere Informationen über die Patient:innen geben zu lassen, sich auszutauschen und mögliche Versorgungsoptionen durchzusprechen.
2022 führte das Skoliose-Team der Orthopädischen Klinik für die Universität Regensburg im Asklepios Klinikum Bad Abbach einen Kurs durch, der sich an Ärzt:innen, Orthopädietechniker:innen und Physiotherapeut:innen richtete. Es wurden Workshops zur Korsettanprobe angeboten, Patientenuntersuchungen – inklusive Schroth-Übungen – durchgeführt sowie Patientenfälle der Teilnehmenden diskutiert. „Wir kennen die richtigen Leute. Warum sollen wir so etwas nicht für Leipzig auf die Beine stellen?“, überlegte Hoebink, der 2022 die wissenschaftliche Leitung des Kurses innehatte. Die Idee nahm weiter Gestalt an, als er im vergangenen Jahr an einer Fortbildung zum Thema Schroth-Therapie in Bad Sobernheim teilnahm. Zum Korsettbau selbst, also zu den Grundlagen in der Versorgung, gebe es bundesweit ausreichend Angebote, nicht aber zur Weiterbildung in angrenzenden Fachbereichen. Die Idee war geboren, von der Umsetzung können sich die Besucher:innen im Mai dann selbst ein Bild machen. Auf der Bühne werden Medizin, Handwerk und Physiotherapie aufeinandertreffen. Berufseinsteiger:innen soll diese Kombination neue Impulse geben und Hemmschwellen zwischen den Fachbereichen abbauen. Von den Expert:innen im Publikum erhoffen sich Urban und Hoebink kritische Fragen, die Diskussionen anregen und ihnen selbst und ihrem eigenen Arbeiten den Spiegel vorhalten. „Daran wachsen wir“, sind sie überzeugt.
Am Anfang jeder Versorgung steht die Leitlinie. Und die bildet auch den Beginn des für die OTWorld konzipierten Symposiums. Anfang 2023 ist die überarbeitete S2k-Leitlinie erschienen, die allen am Versorgungsprozess Beteiligten als Wegweiser dienen soll. Davon profitieren auch Hoebink und Urban im Alltag. Zum einen bei der Versorgung selbst, und zum anderen, um sich darauf in Gesprächen mit skeptischen Patient:innen und Angehörigen beziehen zu können, Maßnahmen damit begründen und erklären zu können. Was den beiden allerdings nach wie vor fehlt: Während der Nutzen des Korsetts selbst längst nicht mehr infrage gestellt werde, würden andere Empfehlungen nach wie vor auf Erfahrungswerten basieren. Evidenz ist (noch) Mangelware. „Wir müssten die Tragezeit viel mehr tracken“, nennt Hoebink ein Beispiel. Im eigenen Betrieb wird das für Studien in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg bereits umgesetzt – auf eigene Kosten. Denn die Sensoren würden von den Krankenkassen aufgrund der Kosten kritisch gesehen, seien für einen Evidenznachweis aber unverzichtbar, berichtet Urban. „Der Tragesensor ermöglicht uns, den Therapieverlauf entscheidend zu beeinflussen“, sagt er.
Nach der Vorstellung der Leitlinie durch Prof. Dr. med. Florian Geiger, Hessing Kliniken Augsburg, geht Udo Rövenich, Leitung Physiotherapie Katharina-Schroth-Klinik Bad Sobernheim, auf die Behandlungsstandards in der Physiotherapie ein und damit insbesondere auf die weltweit anerkannte Schroth-Therapie. Wie im praktischen Versorgungsalltag folgt auch beim Symposium auf die Physio- die Korsetttherapie. Wie hängen sie zusammen? Welche positiven Wechselwirkungen ergeben sich? Das und mehr nimmt Hoebink in seinem Vortrag in den Fokus. Die meisten wollen es vermeiden, doch einige Patient:innen kommen nicht um eine Operation herum. Dr. med. Sven Nagel, Asklepios Klinik St. Georg Hamburg, zeigt im Anschluss die Grenzen der konservativen Behandlung auf. Zum Abschluss des Symposiums geht PD Dr. med. Dipl.-Ing. Florian Völlner (Gemeinschaftspraxis MedArtes) auf die Zukunft der Skolioseversorgung ein und erklärt, was es dafür braucht.
Wie die Zukunft aussehen könnte, darüber spekulieren auch Urban und Hoebink. „So wie das Korsett gebaut ist, funktioniert es“, sagt Hoebink. Darüber herrsche Einigkeit in der Branche. Baustellen sieht er dagegen an anderer Stelle: der Compliance. Wie kann man die Patient:innen dazu motivieren, das Korsett dauerhaft zu tragen? Wie kann man es ihnen leichter machen? „Das liegt in unserer Verantwortung.“ Der OTM legt Wert darauf, aufzuklären, im Gespräch wenn möglich auf Fachbegriffe zu verzichten, den Patient:innen das Gefühl zu vermitteln, nicht allein zu sein und vor allem aufzuzeigen: „Es gibt eine Lösung. Und zusammen kommen wir dorthin.“ Zudem dürfe man das Therapieziel nicht aus den Augen verlieren. „Als Physiotherapeut und Orthopädietechniker möchte man oft zu viel. Man möchte Perfektion erreichen, diskutiert und verbessert die kleinsten Unstimmigkeiten und Nuancen“, sagt Hoebink. Dabei kann ein Erfolg auch bedeuten: Die Skoliose verschlimmert sich nicht weiter. Wichtig sei es, genau das den Patient:innen zu kommunizieren, kleine Fortschritte zu loben und ihnen nicht das Gefühl zu geben, sie hätten nicht genug gemacht. Vom Begriff „Korsett“ würde sich der Orthopädietechnik-Meister am liebsten verabschieden. „Das klingt brachial, nach Einengung und Einschränkung.“ Für ihn stellt das Korsett vielmehr ein Trainingsgerät dar – und das versucht er auch seinen Patient:innen zu vermitteln.
In einigen Jahren hofft er, diesen Begriff erneut gegen einen anderen austauschen und von „Modeaccessoire“ sprechen zu können. Gemeint sind damit Korsette, die in Kleidung integriert werden. „Vielleicht reichen zum Beispiel T‑Shirts mit versteifenden Elementen aus“, mutmaßt er. Ein großer Schritt Richtung Compliance. Denn aktuell fallen Korsette auf oder werden unter weiten Pullovern von den Patient:innen versteckt – einer der Hauptgründe, das Hilfsmittel abzulehnen. „Wir werden von den starren Kunststoffen wegkommen“, ist auch Urban überzeugt. Mit Blick auf die Zukunft denkt er zudem an die weitere Erforschung der Erkrankung. Denn bislang sind die Ursachen nicht abschließend geklärt. „Wenn man weiß, wie eine Skoliose entsteht, kann man viel besser eingreifen.“
Pia Engelbrecht
Das Symposium „Skoliose“ findet am Mittwoch, 15. Mai, statt. Rund um die Versorgung von Patient:innen mit Skoliose gibt es zudem weitere Veranstaltungen innerhalb des Weltkongresses. Silke Auler (Bundesfachschule für Orthopädie-Technik) und Andreas Würsching (3DScolio) laden am Donnerstag, 16. Mai, zu einem Workshop rund um die „Leitliniengerechte Versorgung von Jugendlichen mit AIS und deren individuelle, praktische Umsetzung“ ein. „Orthesenversorgung aus dem Blickwinkel der evidenzbasierten Medizin“ betrachtet Dr. Franz Landauer (Universitätsklinik Salzburg) innerhalb des von den beiden Kongresspräsidenten Prof. Dr. med. Thomas Wirth und Dipl.-Ing. (FH) Ingo Pfefferkorn ausgerichteten Symposiums „Möglichkeiten und Grenzen der orthetischen Versorgung von Wirbelsäulendeformitäten im Wachstumsalter“ ebenfalls am 16. Mai. Die konkreten Termine und Säle werden noch bekannt gegeben.
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