„Dies ist ein Aufruf. Halten wir mit dem Inklusionsgerede mal inne: Entweder wir beginnen den Umbau der Gesellschaft aktiv selbst – oder wir können uns das alles sparen. Darum sammeln wir jetzt aus der Community Vorschläge für Barrieren, die wir gemeinsam eine nach der anderen abbauen wollen. Denn wir wollen nicht mehr auf andere warten“, schrieb der Aktivist im Januar in seinem Blog
„Viel zu oft urteilen nicht behinderte Menschen über Behinderung“, sagt Krauthausen. Viele Produkte auf dem Markt seien „der letzte Scheiß“, dies betreffe auch die Orthopädie-Technik, kritisiert er. „Da stellt sich die Frage, ob der Designer oder Techniker jemals mit Menschen mit Behinderung Kontakt hatte. Oder ist das Produkt nur gerade so gut, dass die Kasse zahlt?“ Eines der Probleme sei, dass die Person, die das Hilfsmittel benötige, nicht diejenige sei, die darüber entscheide. „Da entstehen Produkte, die hässlich sind, unbrauchbar oder unpraktisch“, lautet sein Urteil. „Ich würde gern den Entwickler meines Elektrorollstuhls mal darin fahren sehen. Scheinwerfer, die abstehen und leicht abbrechen. Räder, die an Bordsteinkanten hängenbleiben. Das ist nicht alltagstauglich.“ Überhaupt habe sich der Elektrorollstuhl in den letzten Jahren kaum grundlegend weiterentwickelt: „Inzwischen werden Elektroautos gebaut mit viel besseren Akkus, mehr Reichweite.“ Mit seinem Rollstuhl könne er 12 km/h fahren. Dies sei angeblich das Maximum. „Warum aber schafft jeder Tretroller 20 km/h? Und warum kann ich mein Smartphone mit jedem Kleinwagen verbinden – nicht aber mit meinem Rollstuhl? Warum kann ich mein Handy nicht an meinem Rollstuhl aufladen? Warum kann keine Assistenz auf dem Rollstuhl mitfahren?“
Open-Source-Hilfsmittel zum Nachbauen
Ein weiteres Manko, welches den Alltag erschwere: „Unter dem Aspekt der Sicherheit werden die Systeme für Menschen mit Behinderung so geschlossen konstruiert, dass man nur mit Spezialwerkzeug bzw. Spezialsoftware rankommt – und immer in ein Sanitätshaus fahren muss, um Anpassungen vorzunehmen“, so Krauthausen. „Jeder Mountainbiker kann sein Fahrrad selbst modifizieren, warum wird dies bei Rollstühlen nahezu unmöglich gemacht? Warum wird einem Menschen mit Behinderung nicht zugetraut zu wissen, was er oder sie braucht?“ Inzwischen gebe es Initiativen und Plattformen wie „Made for my wheelchair“ oder „careables“. Hier entwickeln Hacker, Tüftler, Designer und nicht zuletzt Menschen mit Behinderung praktische Open-Source-Lösungen. Dazu gehören die Rollstuhlbeleuchtung „Open Lights“ oder der Anhänger „Open Trailer“ als Zubehör für elektrische Rollstühle – zum Mitnehmen einer Begleitung oder auch für Einkäufe.
Blickwinkel ändern
„Die ganze Zeit wird in der Medizin und auch der Orthopädie-Technik-Branche über die Heilung des Patienten gesprochen – jemand kann wieder laufen, sitzen, am Leben teilhaben. Selten wird dagegen die Frage gestellt, wie man die Umwelt barrierefreier machen kann“, erklärt Krauthausen und fragt: „Muss die Person mit einem Exoskelett zum Laufen gebracht werden? Oder wäre nicht ein Aufzug der richtige Weg, vielen mehr Teilhabe zu ermöglichen? Ich kenne auch Menschen, die als Kinder Prothesen bekommen haben und sie wegwerfen, sobald sie erwachsen werden und selbst entscheiden können. Weil sie vielleicht mit einem Arm besser klarkommen.“ Letztlich bestimme meist die Mehrheitsgesellschaft den Blickwinkel. Zu häufig gehe es darum, einer gesellschaftlichen Norm zu entsprechen. „Dass die Person beispielsweise zwei Arme und zwei Beine hat, also mehrheitsfähig ist“, ergänzt Krauthausen. „Das Anpassungsproblem wird bei den Menschen mit Behinderung abgeladen. Ich brauche eigentlich keinen treppensteigenden Rollstuhl – sondern einen Aufzug.“ Zumal es außerdem bereits heute eine Zweiklassenmedizin gebe: „Wer bekommt denn diesen speziellen Rollstuhl überhaupt? Jemand, der einen Arbeitsunfall hatte. Wer von Geburt an eine Behinderung hat, der bekommt ihn nicht.“
Auf die Barrikaden gehen
Floskeln wie „Wir haben uns auf den Weg gemacht“, wenn es um Inklusion gehe – die stimmten einfach nicht: „Das ist ein Schutzargument, denn die Mehrheitsgesellschaft will sich nicht anpassen.“ Gemeinsam mit dem Verein Sozialhelden habe er deshalb das Projekt „#BarrierenBrechen“ ins Leben gerufen – um Barrieren einzureißen, die Menschen mit Behinderung ausschließen. „Ob durch Protest oder auf anderem Weg“.
Keynote:
„Teilhabe, Barrierefreiheit und Inklusion“
Donnerstag, 29. Oktober 2020, 10.15 Uhr, Kanal 1
Cathrin Günzel
- Handwerkszeichen in Gold für Wollseifer — 20. Februar 2023
- Programmkomitee nimmt Arbeit für OTWorld 2024 auf — 13. Februar 2023
- Austausch auf Augenhöhe — 8. Februar 2023