Orthe­se statt Roll­stuhl: Ver­sor­gung stei­gert Mobilität

Mit der Diagnose Gonarthrose und einer Verordnung für einen Rollstuhl kam sie einst ins Penzberger Sanitätshaus Erdmann herein. Verlassen hat sie es stattdessen mit zwei Orthesen.

Heu­te ist die Kun­din von Ortho­pä­die­tech­ni­ker Nico Pfaff nicht nur schmerz­frei, son­dern hat auch Mobi­li­tät zurück­ge­won­nen. Wie es zum Ver­ord­nungs­wech­sel kam und wel­che Rol­le der inter­dis­zi­pli­nä­re Aus­tausch dabei spiel­te, erläu­tert Pfaff im Gespräch mit der OT-Redaktion.

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OT: Mit wel­chen Beschwer­den kam die Pati­en­tin zu Ihnen?

Nico Pfaff: Die Pati­en­tin litt an schwe­rer Gonar­thro­se Grad 4 an bei­den Sei­ten. Die Arthro­se hat­te dadurch einen erheb­li­chen Ein­fluss auf ihren All­tag und ihre Lebens­qua­li­tät. Auf­grund von Begleit­erkran­kun­gen war eine Ope­ra­ti­on nicht durch­führ­bar und des­halb kei­ne Alter­na­ti­ve. Die behan­deln­den Ärz­te hat­ten ihr damals eine Zukunft im Roll­stuhl in Aus­sicht gestellt.

OT: Was hat sich die Pati­en­tin von einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung gewünscht?

Pfaff: An ers­ter Stel­le stand für die Pati­en­tin vor allem Schmerz­lin­de­rung, da die Arthro­se sie stark belas­te­te. Außer­dem wünsch­te sie sich eine ver­bes­ser­te Mobi­li­tät im Alltag.

OT: Der Pati­en­tin wur­de vom Arzt zunächst ein Roll­stuhl ver­ord­net. Letzt­end­lich ver­sorg­ten Sie und Ihr Team sie aber mit einer Orthe­se. Wie kam es zu die­ser Entscheidung?

Pfaff: Nach­dem wir die Kran­ken­ge­schich­te begut­ach­tet hat­ten und die Pati­en­tin bei uns im Sani­täts­haus vor­stel­lig wur­de, haben wir uns gegen das in der Ver­ord­nung aus­ge­wähl­te Hilfs­mit­tel ent­schie­den. Im Rah­men einer Test­ver­an­stal­tung der Fir­ma Össur im Sani­täts­haus bekam die Pati­en­tin die Mög­lich­keit, die Orthe­se „Unloa­der One“ aus­zu­pro­bie­ren. Das Ergeb­nis war erstaun­lich und über­traf all ihre Vor­stel­lun­gen: Sie war schmerz­frei und hat­te sogar Trä­nen in den Augen vor Glück. Sie zer­riss das Roll­stuhl­re­zept vor unse­ren Augen und orga­ni­sier­te sich statt­des­sen ein neu­es Rezept für zwei Unloa­der-One-Orthe­sen. Die­se Ent­schei­dung ver­än­der­te schlag­ar­tig ihr Leben und ermög­lich­te ihr eine bes­se­re Mobi­li­tät und Lebensqualität.

OT: Das Bei­spiel zeigt, dass es sinn­voll sein kann, eine Ver­ord­nung zu hin­ter­fra­gen. Gehen die Ein­schät­zun­gen von Ärzt:innen und Ihrem Team häu­fi­ger aus­ein­an­der? Wor­an liegt das?

Pfaff: Im bes­ten Fall agie­ren Tech­ni­ker und Medi­zi­ner im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team und stel­len einen gemein­sa­men Ver­sor­gungs­plan auf, um im direk­ten Aus­tausch die bes­te Ver­sor­gung für die Pati­en­tin oder den Pati­en­ten zu ermög­li­chen. Es kommt jedoch immer mal wie­der vor, dass die Ein­schät­zun­gen von Ärz­ten und unse­rem Team aus­ein­an­der­ge­hen. Die Grün­de dafür sind viel­fäl­tig, aber Erfah­rung in der Ver­sor­gung von Hilfs­mit­teln spielt natür­lich eine Rolle.

OT: Kön­nen sol­che Unstim­mig­kei­ten Ihrer Erfah­rung nach zu Schwie­rig­kei­ten im Ver­sor­gungs­pro­zess führen?

Pfaff: Das kann ich ganz klar mit einem „Ja“ beant­wor­ten. Wenn unse­rer Mei­nung nach die Ver­ord­nung eines Hilfs­mit­tels – wie hier im vor­lie­gen­den Fall ein Roll­stuhl statt einer Orthe­se – nicht im Sin­ne des Pati­en­ten ist, dann müs­sen wir dem Arzt die Ver­sor­gung wie­der zurück­spie­len. Da der gan­ze Pro­zess der­zeit noch ana­log abge­bil­det ist, heißt das, dass wir mit Ver­zö­ge­run­gen zu rech­nen haben, da es zu einer Neu­ver­ord­nung kom­men kann bezie­hungs­wei­se kom­men muss. Das ist natür­lich müh­sam, sorgt für Ver­druss beim Pati­en­ten und auch wir als Ver­sor­ger sind mit die­ser Büro­kra­tie natür­lich nicht glück­lich. Wir ver­brin­gen unse­re Zeit lie­ber am Pati­en­ten und gehen unse­rem erlern­ten Beruf nach, statt Papie­re zu faxen und Tele­fo­na­te im Auf­trag der Büro­kra­tie zu führen.

OT: Wie sah das im Fall Ihrer Pati­en­tin aus: Ließ sich der Arzt schnell von Ihrer Emp­feh­lung überzeugen?

Pfaff: Ja, denn wir konn­ten die posi­ti­ven Ergeb­nis­se durch die Ver­sor­gung der Orthe­se auf­zei­gen und damit ein ent­schei­den­des Argu­ment dafür lie­fern, dass der Arzt unse­rer Idee folgt.

OT: Mediziner:innen und Techniker:innen sind Expert:innen auf ihrem jewei­li­gen Fach­ge­biet. Wann sto­ßen bei­de Par­tei­en an die Gren­zen ihrer Kom­pe­tenz? Wel­che Rol­le spielt hier der gemein­sa­me Austausch?

Pfaff: Grund­sätz­lich ist der Aus­tausch zwi­schen den Berufs­grup­pen wün­schens­wert und hilft am Ende den Pati­en­ten, da sie es sind, die im Mit­tel­punkt ste­hen müs­sen. Medi­zi­ner und Tech­ni­ker sto­ßen immer dann an die Gren­zen ihrer Kom­pe­tenz, wenn es um spe­zi­fi­sche tech­ni­sche Details oder medi­zi­ni­sche Ent­schei­dun­gen geht. Das liegt einer­seits an der Aus­bil­dung der bei­den Berufs­grup­pen, ande­rer­seits an der Erfah­rung mit dem Fach­ge­biet des jeweils ande­ren. Der gemein­sa­me Aus­tausch spielt hier eine wich­ti­ge Rol­le, um die best­mög­li­che Ver­sor­gung im Sin­ne unse­rer Pati­en­ten sicherzustellen.

OT: Inwie­fern hat sich der All­tag der Pati­en­tin durch das Tra­gen der Orthe­se verändert?

Pfaff: Die Ver­sor­gungs­zie­le zu Beginn waren, dass die Pati­en­tin weni­ger Schmer­zen spürt und dass sich ihre Mobi­li­tät ver­bes­sert. Dank der Orthe­se kön­nen wir sagen, dass bei­de Zie­le erreicht wur­den. Die Orthe­se hat vie­le gute Eigen­schaf­ten, bei­spiels­wei­se lässt sie sich leicht selbst anle­gen, ist atmungs­ak­tiv und dank des unauf­fäl­li­gen Designs kann man sie auch unter der Klei­dung gut tragen.

OT: Wie sind die posi­ti­ven Effek­te zu erklären?

Pfaff: Unser Ziel war es, die Belas­tung auf die Knie zu redu­zie­ren und eine Ent­las­tung zu schaf­fen. Die Unloa­der-One-Orthe­se ver­fügt über das 3‑Punkt-Wirk­prin­zip, bei dem ein ein­zel­nes Gelenk in Kom­bi­na­ti­on mit zwei Gur­ten das betrof­fe­ne Knie­ge­lenk ent­las­tet. Dadurch wird eine Schmerz­lin­de­rung und eine ver­bes­ser­te Beweg­lich­keit ermöglicht.

OT: Stößt die Orthe­se auch an Gren­zen? Wird der Roll­stuhl für die Pati­en­tin irgend­wann die ein­zi­ge Opti­on sein?

Pfaff: Aus unse­rer Sicht war die Orthe­se die bes­te Ver­sor­gung, als die Pati­en­tin im Sani­täts­haus vor­stel­lig wur­de und eine effek­ti­ve Alter­na­ti­ve zum Roll­stuhl. Es ist mög­lich, dass der Roll­stuhl in Zukunft wie­der eine Opti­on sein könn­te, aber aktu­ell hat die Orthe­se ganz klar die Nase vorn, da die­se der Pati­en­tin eine deut­lich bes­se­re Lebens­qua­li­tät ermöglicht.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

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