Ober­flä­chen­elek­tro­den vs. implan­tier­te Elek­tro­den zur Steue­rung von Beinprothesen

J. S. Sigurdardottir, S. P. Sigurthorsson, G. Halldorsdottir, G. K. Ludviksdottir, Th. Helgason, K. Lechler, M. Oddsson, Th. Ingvarsson, K. Kristjansson
Aktuelle Beinprothesen weisen verglichen mit dem menschlichen Bein zahlreiche Einschränkungen auf. So haben diese Prothesen einen eingeschränkten Bewegungsumfang, es mangelt ihnen an aktiver Kraftunterstützung, und sie verfügen nicht über die Möglichkeit, durch Messungen zu erkennen, was der Anwender von seiner Prothese im jeweiligen Moment verlangt. Um eine direktere Verbindung zum Nervensystem des Anwenders herzustellen, werden myoelektrische Signale verwendet. Diese ermöglichen es dem Anwender, seine Prothese auf eine Weise zu steuern, die herkömmliche Prothesen nicht leisten können. So ist eine willkürliche Steuerung der Bewegung des Sprunggelenks beim Gehen nicht möglich. Diese wäre jedoch sehr vorteilhaft für den Anwender. In dieser Studie wurden zwei myoelektrische Signale für die Steuerung von Beinprothesen miteinander verglichen, die mittels Oberflächenelektroden vs. implantierten Elektroden erfasst wurden.

Es wur­de die Anwend­bar­keit und Prak­ti­ka­bi­li­tät eines myo­elek­tri­schen Steu­er­sys­tems unter­sucht. Zudem wur­de ermit­telt, dass implan­tier­te Elek­tro­den ein robus­te­res Signal lie­fern und der­zeit eine geeig­ne­te­re myo­elek­tri­sche Steue­rung bie­ten als Sys­te­me, die Ober­flä­chen­elek­tro­den verwenden.

Anzei­ge

Ein­lei­tung

Vor- und Nach­tei­le anpas­sungs­fä­hi­ger Prothesen

Mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Pro­the­sen bie­ten die fort­schritt­lichs­te Steue­rung unter den han­dels­üb­li­chen Bein­pro­the­sen. Die­se nut­zen Infor­ma­tio­nen von kine­ti­schen und kine­ma­ti­schen Sen­so­ren, um sich der Bewe­gung des Anwen­ders anzu­pas­sen, und haben kei­ne direk­te Mög­lich­keit, die Absich­ten des Anwen­ders durch Mes­sun­gen zu erken­nen. Eine mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Pro­the­se kann sich bis zu einem gewis­sen Grad auf den Anwen­der ein­stel­len, z. B. durch die Anglei­chung an ver­schie­de­ne Geh­ge­schwin­dig­kei­ten. Es hat sich gezeigt, dass die wich­tigs­ten Vor­tei­le u. a. in einer Redu­zie­rung des Stol­per­ri­si­kos lie­gen, was zu einer erhöh­ten Sicher­heit 1 führt, dar­über hin­aus einem natür­li­che­ren Gang­bild beim Hin­auf- und Hin­ab­ge­hen von Trep­pen­stu­fen und schie­fen Ebe­nen 2 3, einem gerin­ge­ren meta­bo­li­schen Ener­gie­ver­brauch 4 und einer ver­bes­ser­ten Fort­be­we­gung 5.

Die der­zei­ti­gen mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Pro­the­sen erfor­dern ein gewis­ses Trai­ning und sind nicht immer intui­tiv für die Anwen­der. Sie haben zudem über meh­re­re Ebe­nen hin­weg einen ein­ge­schränk­ten Bewe­gungs­um­fang, bie­ten eine ein­ge­schränk­te oder kei­ne akti­ve Kraft­un­ter­stüt­zung und kei­ne direk­te will­kür­li­che Steue­rung. Mit ande­ren Wor­ten wei­sen der­zei­ti­ge Pro­the­sen im Ver­gleich zur gesun­den unte­ren Extre­mi­tät zahl­rei­che Ein­schrän­kun­gen auf. Eine Mensch-Maschi­ne-Schnitt­stel­le, die sich des Gehirns bedient, kann eini­ge die­ser Ein­schrän­kun­gen über­win­den, indem sie die leis­tungs­fä­higs­te Schalt­zen­tra­le der Welt anzapft, die in der Lage ist, kom­ple­xe Bewe­gun­gen zu steu­ern und gleich­zei­tig dar­über nach­zu­den­ken, was es abends zu essen geben soll. Fort­schritt­li­che Mensch-Maschi­ne-Schnitt­stel­len ver­wen­den bio­elek­tri­sche Signa­le, um eine direk­te Ver­bin­dung zum Ner­ven­sys­tem auf­zu­bau­en und auf die­se Wei­se das welt­bes­te Steu­er­zen­trum zu nut­zen – das Gehirn 6.

Die Nut­zung elek­tri­scher Muskelsignale

Elek­tro­m­yo­gra­phi­sche Signa­le (EMG-Signa­le), die sich der elek­tri­schen Akti­vi­tät von Mus­keln bedie­nen, wer­den ver­wen­det, um den Anwen­dern von Pro­the­sen zugleich will­kür­li­che und nicht­will­kür­li­che Kon­trol­le zu ermög­li­chen. Myo­elek­tri­sche Arm- und Hand­pro­the­sen sind kom­mer­zi­ell erhält­lich. Unter­su­chun­gen mit­tels Ober­flä­chen­elek­tro­den wei­sen dar­auf hin, dass EMG-gesteu­er­te Pro­the­sen eine ver­bes­ser­te Funk­ti­on und Aus­füh­rung bie­ten und dar­über hin­aus Mus­kel­schwund und Phan­tom­schmer­zen redu­zie­ren 7 8 9 10. Dadurch, dass dem Ampu­tier­ten die direk­te Steue­rung sei­ner Pro­the­se auf eine intui­ti­ve Art ermög­licht wird, ent­wi­ckelt er ein stär­ke­res Bewusst­sein für sei­ne Pro­the­se und nimmt die­se leich­ter als Teil sei­ner selbst an. Dies soll­te den Anwen­der zudem in die Lage ver­set­zen, schnel­ler und ange­mes­se­ner in Situa­tio­nen zu reagie­ren, die durch die Pro­gram­me nicht vor­her­ge­se­hen wer­den können.

Ober­flä­chen- vs. implan­tier­te Elektroden

Trotz der viel­ver­spre­chen­den Ergeb­nis­se unter Labor­be­din­gun­gen sind kei­ne EMG-gesteu­er­ten Bein­pro­the­sen auf dem Markt. Dies ist in hohem Maße auf die mit Ober­flä­chen­elek­tro­den in Ver­bin­dung ste­hen­den Ein­schrän­kun­gen und die Her­aus­for­de­rung zurück­zu­füh­ren, eine geeig­ne­te und kom­for­ta­ble Ober­flä­chen-EMG-Auf­zeich­nungs­an­ord­nung zu errei­chen. Ober­flä­chen­elek­tro­den reagie­ren emp­find­lich auf Umwelt­ver­än­de­run­gen wie hohe Kräf­te im Schaft des Ampu­tier­ten, durch Schweiß beding­te Stö­run­gen, Ver­schie­bung der Elek­tro­den­po­si­ti­on durch Anund Aus­zie­hen des Schafts, Netz­brum­men und Bewe­gungs­ar­te­fak­te 11 12. Die­se Ein­schrän­kun­gen haben dazu geführt, dass ein umfas­sen­des Trai­ning erfor­der­lich ist und die Sys­te­me häu­fig nur wäh­rend des Sit­zens oder Still­ste­hens Anwen­dung fin­den kön­nen 13.

Die Alfred Mann Foun­da­ti­on ent­wi­ckel­te die ers­ten voll­stän­dig implan­tier­ba­ren myo­elek­tri­schen Sen­so­ren (IMES), um die inhä­ren­ten Pro­ble­me von Ober­flä­chen­elek­tro­den zu über­win­den. Die Sen­so­ren kön­nen durch einen klei­nen (5–10 mm) Ein­schnitt in einen ver­blei­ben­den Mus­kel des Stump­fes ein­ge­pflanzt wer­den und die­nen der Erfas­sung der Mus­kel­ak­ti­vi­tät 14. Sie wer­den durch eine magne­ti­sche Ver­bin­dung mit Ener­gie ver­sorgt, die auch dafür ver­wen­det wird, draht­los Infor­ma­tio­nen an die IMES zu über­mit­teln und von die­sen zu emp­fan­gen. Die Sen­so­ren kön­nen pro­blem­los vom Anwen­der durch Abschal­ten der magne­ti­schen Ver­bin­dung oder durch Aus­zie­hen des Pro­the­sen­schafts aus­ge­schal­tet wer­den. Die­se Sen­so­ren sor­gen für eine robus­te Auf­zeich­nungs­an­ord­nung, und die Umwelt­fak­to­ren, die bei Ober­flä­chen-EMGs zu Beschwer­den und Signal­stö­run­gen geführt haben, wer­den durch das Implan­tie­ren der Elek­tro­den voll­stän­dig umgangen.

Ziel die­ser Stu­die war der Ver­gleich der Erfas­sung myo­elek­tri­scher Signa­le mit­tels Ober­flä­chen­elek­tro­den vs. IMES und die Umsetz­bar­keit ihrer Ver­wen­dung für die Steue­rung von Beinprothesen.

Equip­ment und Methode

Pro­ban­den und Eingriffe

Zwei Bein­am­pu­tier­te wur­den für eine IMES-Stu­die aus­ge­wählt: ein Ober­schen­kel­am­pu­tier­ter (TF = trans­fe­mo­ral) und ein Unter­schen­kel­am­pu­tier­ter (TT = trans­ti­bi­al). Bei bei­den Ampu­tier­ten han­del­te es sich um erfah­re­ne Anwen­der mit dem Akti­vi­täts­grad K3. Fei­ne Draht­elek­tro­den wur­den ver­wen­det, um zu über­prü­fen, dass von jedem Mus­kel bei einer will­kür­lich aus­ge­lös­ten Kon­trak­ti­on ein aus­rei­chen­des myo­elek­tri­sches Signal erfasst wer­den konn­te. Zwei IMES-Sen­so­ren wur­den anschlie­ßend bei bei­den Anwen­dern implan­tiert, beim ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den in den Mus­cu­lus biceps femo­ris und den Mus­cu­lus vas­tus late­ra­lis und beim unter­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den in den Mus­cu­lus tibia­lis ante­rior und den Mus­cu­lus gas­tro­c­ne­mi­us. Jeder Ein­griff dau­er­te etwa 30 Minu­ten und wur­de unter loka­ler Anäs­the­sie und leich­ter Sedie­rung durch­ge­führt (Abb. 1). Bei­de Pro­ban­den wur­den dar­um gebe­ten, bis zwei Wochen nach der Ope­ra­ti­on Unter­arm­geh­stüt­zen anstel­le ihrer Pro­the­sen zu ver­wen­den, und es wur­de ihnen eine vier­wö­chi­ge Reha­bi­li­ta­ti­ons­zeit gewährt, bevor mit den IMES-Tests begon­nen wurde.

Das IMES-Sys­tem

Jeder Sen­sor hat einen Durch­mes­ser von etwa 2,5 mm und eine Län­ge von 16 mm, wobei die kun­den­spe­zi­fi­sche Elek­tro­nik in einem Kera­mik­zy­lin­der unter­ge­bracht ist. Jedes Zylin­der­en­de ist aus leit­fä­hi­gem Metall her­ge­stellt, das als Elek­tro­de dient (Abb. 2). Nach der Implan­ta­ti­on wur­den Rönt­gen­bil­der auf­ge­nom­men, um zu bestä­ti­gen, dass das Implan­tat an der rich­ti­gen Stel­le sitzt, ent­spre­chend der beab­sich­tig­ten Plat­zie­rung des Schafts (Abb. 3). Nach­dem die Sen­so­ren in die ver­blei­ben­den Mus­keln des Stump­fes implan­tiert wur­den, kann der im Pro­the­sen­schaft unter­ge­brach­te Spi­ral-Emp­fän­ger dazu ver­wen­det wer­den, draht­los über ein magne­ti­sches Feld Ener­gie und Infor­ma­tio­nen an die IMES zu über­mit­teln und von die­sen zu emp­fan­gen. Der Spi­ral­draht-Emp­fän­ger wird mit­tels eines Spu­len­trei­bers gesteu­ert, der das magne­ti­sche Feld regu­liert. Die IMES-Steu­er­schnitt­stel­le ver­sorgt den IMES mit Ener­gie, sorgt für die Pro­gram­mie­rung, emp­fängt Daten vom IMES und ist mit dem Mes­sa­ge Bro­ker für das bio­ni­sche Signal (BSMB = „bio­nic signal mes­sa­ge bro­ker“) ver­bun­den, der das IMES-Sys­tem und die Pro­the­sen von Össur mit­ein­an­der ver­bin­det (Abb. 4). Die IMES sind auf­grund von Sta­bi­li­täts­pro­ble­men nur in der Lage, gefil­ter­te, gleich­ge­rich­te­te und inte­grier­te Signa­le zu ver­sen­den, und die Abtast­ra­te des Sen­sors betrug 236 Abtast­wer­te pro Sekunde.

Ober­flä­chen­elek­tro­den­an­ord­nung

Es wur­den vor­aus­ge­hen­de Tests durch­ge­führt, um die pas­sen­de Ober­flä­chen­elek­tro­den­an­ord­nung zu ermit­teln. Ein Bio­si­gnal­ver­stär­ker sowie ein Auf­zeich­nungs­sys­tem von Kine ehf wur­den für die Erfas­sung des Ober­flä­chen-EMG-Signals ver­wen­det. Die­se Ver­stär­ker haben eine Abtast­fre­quenz von 1600 Hz und kön­nen draht­los EMG-Daten an einen Com­pu­ter über­mit­teln. Es zeig­te sich, dass die Pass­form des Schafts die Mus­kel­ak­ti­vi­tät des Stump­fes beein­flusst, und es war daher äußerst wich­tig, den­sel­ben Schaft für die Erfas­sung der IMES und der Ober­flä­chen-EMGs zu ver­wen­den. Die Ver­stär­ker waren zu groß, um inner­halb des IMES-Schafts ver­wen­det zu wer­den, und es wur­den daher wei­che Hydro­gel-Elek­tro­den auf der Haut ange­bracht und die Ver­bin­dungs­dräh­te pro­xi­mal über den Schaf­trand zu den auf dem Rücken des Pro­ban­den befind­li­chen Bio­si­gnal­ver­stär­kern geführt. Um die idea­le Posi­ti­on für die Elek­tro­den zu bestim­men, wur­de der Stumpf wäh­rend der Kon­trak­tio­nen abge­tas­tet und der Bereich von größ­tem Inter­es­se ermit­telt und gekenn­zeich­net. Es wur­den im Anschluss ite­ra­ti­ve Mes­sun­gen vor­ge­nom­men, um die Stel­le mit der maxi­ma­len Signal­stär­ke aus­fin­dig zu machen. An der Stel­le mit der maxi­ma­len Signal­stär­ke sowie um den Bereich der durch Liner und Schaft zu erwar­ten­den Ver­schie­bung her­um, d. h. nach pro­xi­mal, wur­den anschlie­ßend Elek­tro­den plat­ziert (Abb. 5).

Test­pha­se

Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter vari­ie­ren stär­ker zwi­schen den ein­zel­nen Pro­the­sen­an­wen­dern als zwi­schen nicht­am­pu­tier­ten Men­schen, was haupt­säch­lich auf ana­to­mi­sche Unter­schie­de zwi­schen Stümp­fen und unter­schied­li­che Geh­tech­ni­ken zurück­zu­füh­ren ist 15. Aus die­sem Grund wur­den die natür­li­chen Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter und die will­kür­lich aus­ge­lös­ten Kon­trak­tio­nen zu Beginn mit dem Rheo Knee und dem Pro­prio Foot ohne EMG-Steue­rung erfasst, um fest­zu­le­gen, wann und wie die Steue­rung umge­setzt wer­den soll.

Ober­flä­chen-EMG-Signa­le wur­den wäh­rend des Sit­zens mit und ohne den Liner und wäh­rend des Ste­hens auf einer Pro­the­se erfasst, um die Aus­wir­kun­gen der pro­the­ti­schen Schnitt­stel­le auf das Signal aus­zu­wer­ten. Der unter­schen­kel­am­pu­tier­te Anwen­der wur­de dar­über hin­aus gebe­ten, sei­ne Mus­keln beim Gehen auf ebe­ner Flä­che will­kür­lich zu kon­tra­hie­ren, um das Steu­er­si­gnal für Dor­sal- und Plant­ar­fle­xi­on zu imi­tie­ren. Das Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter wur­de dann mit den IMES und den Ober­flä­chen­elek­tro­den beim Gehen, beim Her­ab­ge­hen von Trep­pen sowie beim Hin­set­zen und Auf­ste­hen erfasst. Das Ober­flä­chen-EMG konn­te auf­grund des vom IMES-Sys­tem erzeug­ten magne­ti­schen Felds nicht erfasst wer­den, solan­ge das Sys­tem ein­ge­schal­tet war, daher wur­den die­se Mes­sun­gen nicht gleich­zei­tig vorgenommen.

Unter­schie­de zwi­schen den IMES- und den EMG-Signa­len wur­den ver­gli­chen, wobei der Fokus auf Lang­zeit­an­wen­dung und Zuver­läs­sig­keit gelegt wur­de. Signal­qua­li­tä­ten wur­den unter Ver­wen­dung von EMG-Pro­fi­len unter­sucht, wobei die mitt­le­re Ampli­tu­de und die Stan­dard­ab­wei­chung des Signals wäh­rend meh­re­rer Zyklen ver­gli­chen wur­den. Die prak­ti­schen Ein­zel­hei­ten der zwei Erfas­sungs­me­tho­den wur­den unter Berück­sich­ti­gung von Ver­bin­dungs­aus­fäl­len und Anwen­der­kom­fort bewertet.

Ergeb­nis­se

Es tra­ten wäh­rend der Ver­fah­ren kei­ne uner­wünsch­ten Ereig­nis­se auf, und die Implan­ta­te sind auch drei Jah­re nach der Implan­ta­ti­on voll­stän­dig funk­ti­ons­fä­hig. Die Sen­so­ren haben bei den Pro­ban­den kei­ner­lei Beschwer­den ver­ur­sacht, und sie konn­ten ihre Pro­the­se unein­ge­schränkt nutzen.

Die Ober­flä­chen-EMG-Auf­zeich­nun­gen von will­kür­li­chen Kon­trak­tio­nen beim Sit­zen zeig­ten ein ver­bes­ser­tes Signal-Rausch-Ver­hält­nis nach Anzie­hen des Liners. Das Signal war wäh­rend der durch die Pro­ban­den will­kür­lich im Ste­hen auf ihrer Pro­the­se aus­ge­lös­ten Kon­trak­ti­on am stärks­ten. Dies könn­te dar­auf zurück­zu­füh­ren sein, dass der zusätz­li­che Druck durch den Schaft die Elek­tro­den nahe an der Signal­quel­le gehal­ten hat und/oder die Pro­ban­den im Ste­hen eine stär­ke­re Kon­trak­ti­on her­vor­ru­fen konn­ten. Die durch bei­de Pro­ban­den will­kür­lich aus­ge­lös­ten Kon­trak­tio­nen konn­ten mit den Ober­flä­chen­elek­tro­den und den IMES in Situa­tio­nen mit und ohne Belas­tung erfasst wer­den. Die Signal­qua­li­tät der Ober­flä­chen-EMG lag jedoch unter der Qua­li­tät der auf EMG-Pro­fi­len basie­ren­den IMES-Signale.

Die mitt­le­re Ampli­tu­de der Signa­le war bei allen Belas­tungs­übun­gen (z. B. Gehen, Her­ab­ge­hen von Trep­pen sowie Auf­ste­hen und Hin­set­zen) bei bei­den Mus­keln höher und zeig­te im Ver­gleich mit dem Ober­flä­chen-EMG-Signal eine nied­ri­ge­re Varia­bi­li­tät beim IMES-Signal. Dies ist in Abbil­dung 6 dar­ge­stellt, wel­che die mitt­le­re und die Stan­dard­ab­wei­chung der IMES- und der Ober­flä­chen-EMG-Signa­le zeigt, die beim Her­ab­ge­hen einer Trep­pe auf­ge­zeich­net wur­den. Auf die­ser Abbil­dung ist zu sehen, dass die hin­te­re Ober­schen­kel­mus­ku­la­tur beim Beu­gen des Knies und vor der anschlie­ßen­den Schwung­pha­sen­ex­ten­si­on akti­viert wird. Wäh­rend des Gehens konn­te ein aus­ge­präg­tes Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter beim ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den auf­ge­zeich­net wer­den. Der ober­schen­kel­am­pu­tier­te Anwen­der hat­te jedoch Schwie­rig­kei­ten bei der Durch­füh­rung einer will­kür­li­chen Kon­trak­ti­on ein­zel­ner Mus­keln, wie das Ober­flä­chen-EMG und die IMES-Mes­sun­gen zeigten.

Ein Bei­spiel für die Prü­fung des Ober­flä­chen-EMG-Signals ist in Abbil­dung 7 zu sehen, wo der Pro­band dar­um gebe­ten wur­de, 5 Sekun­den lang zu ent­span­nen und dann sei­nen Qua­dri­zeps anzu­span­nen. Das Kon­trak­ti­ons­si­gnal des unter­such­ten Mus­kels war immer stär­ker als die Signa­le der mit­kon­tra­hie­ren­den Mus­keln, die daher bei einem Kon­troll­sche­ma mit ein­fa­chem Schwel­len­wert außer Acht gelas­sen wer­den kön­nen. Beim unter­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den lagen kei­ner­lei aus­ge­präg­te Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter vor, die beim Gehen auf ebe­ner Flä­che mit einem der bei­den Set­ups hät­ten erfasst wer­den kön­nen. Als der Pro­band jedoch dazu auf­ge­for­dert wur­de, an das Heben sei­ner Zehen wäh­rend des Gehens zu den­ken, konn­te eine deut­li­che Akti­vi­tät fest­ge­stellt werden.

Die Mes­sun­gen mit dem Ober­flä­chen-EMG dau­er­ten 6 Stun­den, wäh­rend die Auf­zeich­nungs­sit­zung mit den IMES 3 Stun­den in Anspruch nahm. Der zeit­li­che Unter­schied kam dadurch zustan­de, dass es auf­grund von Schweiß und Bewe­gungs­ar­te­fak­ten zu Ver­bin­dungs­aus­fäl­len der Ober­flä­chen­elek­tro­den kam, was zu häu­fi­ge­ren Auf­zeich­nun­gen führ­te. Die Pro­ban­den nah­men kei­ne oder nur leich­te Beschwer­den wäh­rend der Mes­sung wahr. Die Elek­tro­den und Dräh­te hin­ter­lie­ßen jedoch in bei­den Fäl­len sicht­ba­re Abdrü­cke auf der Haut der Pro­ban­den. Bei­de Pro­ban­den berich­te­ten, dass die­se Abdrü­cke für den Rest des Tages blieben.

Dis­kus­si­on

Die auf­ge­zeich­ne­ten Ober­flä­chen-EMG- und IMES-Signa­le wären bei­de bei Vor­lie­gen des rich­ti­gen Kon­troll­sche­mas poten­zi­ell für die will­kür­li­che Steue­rung von Bein­pro­the­sen geeig­net. Das aus­ge­präg­te unwill­kür­li­che Mus­kel­ak­ti­vi­täts­mus­ter des ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Anwen­ders, das bei allen Übun­gen mit den IMES-Auf­zeich­nun­gen zu sehen war, könn­te eben­falls für die Steue­rung ver­wen­det wer­den, es muss jedoch auch bei der Umset­zung einer will­kür­li­chen Steue­rung Berück­sich­ti­gung fin­den. Als dem ober­schen­kel­am­pu­tier­ten Anwen­der die direk­te Steue­rung sei­nes Fuß­ge­lenks ver­lie­hen wur­de, führ­te dies auf­grund der unwill­kür­li­chen Mus­kel­ak­ti­vi­tät bei der Vor­wärts­be­we­gung des Fußes zu einer sofor­ti­gen Dor­sal­ex­ten­si­on im Knöchelgelenk.

Zwar waren Stan­dard-Fil­ter­me­tho­den nicht immer in der Lage, das Rau­schen des Ober­flä­chen-EMG-Signals zu ent­fer­nen, doch die Merk­ma­le der Arte­fak­te und des Mus­kel­si­gnals unter­schie­den sich, wes­halb nütz­li­che Infor­ma­tio­nen und brauch­ba­re Steu­er­si­gna­le immer vom Ober­flä­chen-EMG-Signal extra­hiert wer­den konn­ten. Die­se Ergeb­nis­se wei­sen dar­auf hin, dass das Haupt­pro­blem der Ver­wen­dung myo­elek­tri­scher Signa­le für die Steue­rung von Bein­pro­the­sen nicht die Signal­qua­li­tät ist, son­dern die Gestal­tung einer kom­mer­zi­ell akzep­ta­blen pro­the­ti­schen Schnitt­stel­le, die aus­rei­chend robust und kom­for­ta­bel für den Anwen­der ist.

Die­se Stu­die beschränk­te sich auf ledig­lich zwei pro­the­ti­sche Schnitt­stel­len, eine für jeden Pro­ban­den, doch Unter­su­chun­gen und Erfah­run­gen haben gezeigt, dass die Inte­gra­ti­on eines bio­lo­gi­schen Ver­stär­kers in die pro­the­ti­sche Schnitt­stel­le zu einem kom­for­ta­ble­ren Set­up mit weni­ger Arte­fak­ten führt F13]. Der­zeit lau­fen wei­te­re For­schungs­ar­bei­ten zur Ent­wick­lung einer kom­for­ta­blen und robus­ten pro­the­ti­schen Schnitt­stel­le mit Ober­flä­chen-EMG, die zei­gen, wie viel­ver­spre­chend EMG-gesteu­er­te Bein­pro­the­sen sind 16 17 18 19 20. Die­se Stu­di­en heben dar­über hin­aus jedoch auch die bereits erwähn­ten Nach­tei­le von Ober­flä­chen­elek­tro­den her­vor, und es man­gelt ihnen an Praktikabilität.

Bei­de myo­elek­tri­schen Signa­le, IMES und das der Ober­flä­che, kön­nen für die Steue­rung ver­wen­det wer­den, vor­aus­ge­setzt, dass ein geeig­ne­tes myo­elek­tri­sches Auf­zeich­nungs­sys­tem für die Ober­flä­chen­er­fas­sung ent­wi­ckelt wird. Ober­flä­chen­si­gna­le kön­nen ergän­zend zur aktu­el­len Mikro­pro­zes­sor­steue­rung bio­ni­scher Pro­the­sen ver­wen­det werden.

Die IMES lie­fern ein robus­tes myo­elek­tri­sches Auf­zeich­nungs­sys­tem, das eine fort­lau­fen­de IMES-Erpro­bung ermög­licht. Die vor­läu­fi­gen Ergeb­nis­se die­ser Tests sind viel­ver­spre­chend, denn der Pro­band ver­fügt auf unter­schied­li­chen Ter­rains und in ver­schie­de­nen Situa­tio­nen über eine zuver­läs­si­ge direk­te und intui­ti­ve Kon­trol­le über sei­ne Prothese.

Man­che mensch­li­chen Akti­vi­tä­ten und Bewe­gun­gen kön­nen nicht allein durch Algo­rith­men und mecha­ni­sche Daten aus­ge­drückt wer­den. Durch eine Ver­bin­dung mit dem Ner­ven­sys­tem kann die pro­the­ti­sche Steue­rung durch den Anwen­der über die bestehen­den Mög­lich­kei­ten hin­aus­ge­hen. Das Ner­ven­sys­tem kann bidi­rek­tio­na­le Infor­ma­tio­nen für Sen­so­rik und Steue­rung lie­fern, indem es die Pro­the­se mit Anwen­der­in­for­ma­tio­nen ver­sorgt und dem Anwen­der Feed­back über die Pro­the­se gibt. Dies ist ein Blick in die Zukunft, aber in der Zwi­schen­zeit muss der Fokus auf die Erzeu­gung eines prak­ti­schen, robus­ten und intui­ti­ven Steu­er­sys­tems mit einer kom­for­ta­blen Schnitt­stel­le gelegt werden.

Hin­weis: Ein Video des Össur IMES-Pro­the­sen­sys­tems ist auf der Web­sei­te von Össur zu fin­den 21.

Für die Autoren:
Jona Sig­run Sigurdardottir
Ossur Ice­land
Grjot­hals 1–5
110 Reykja­vik, Island
jssigurdardottir@ossur.com

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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