Helmut Kohl befand sich gerade in seiner ersten Amtsperiode als Bundeskanzler und Heiner Geißler verantwortete das Ministerium für Gesundheit, als Norbert Stein im Sommer 1983 sein 2. Staatsexamen als Jurist ablegte und sich sogleich bei der anstehenden Stellensuche mit einem Einstellungsstopp im Öffentlichen Dienst konfrontiert sah. Schließlich entschied sich Stein gegen eine Anstellung in einer Kanzlei und 1984 für den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) als Arbeitgeber. Eine Wahl, die lange nachwirken sollte, denn der damalige Berufsnovize blieb dem Spitzenverband 36 Jahre lang treu.
Zum Abschied im Juli 2020 erinnert sich Norbert Stein zunächst an die Rahmenbedingungen ab Mitte der 1980er-Jahre: „Eigentlich befanden wir uns bis heute fortwährend in einer sogenannten Gesundheitsreform.“ Die erste vermeintliche Krise des Handwerks, die Stein in seiner neuen Funktion miterlebte, war die politische Entscheidung, dass die jährliche Preiserhöhung der Bundesprothesenliste für zwei Jahre eingefroren werden sollte. Norbert Stein schmunzelt rückblickend: „Damals kam sofort die Frage auf: Wie soll die Branche das überstehen?“ Richtig ernst wurde es dann tatsächlich Mitte der 1990er-Jahre. Unter Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer stand der Plan zur Debatte, die Versorgung von Einlagen, Bandagen und Kompressionswaren komplett aus der Kostenübernahme der Krankenkassen herauszunehmen. Durch das Engagement vom Verband unter der Präsidentschaft von Hans Udo Kersting, der Industrie und nicht zuletzt eines mit Bundesminister Seehofer befreundeten Orthopädietechniker-Meisters aus Ingolstadt konnte Schlimmstes verhindert werden. In dieser Zeit wuchs allerdings im BIV-OT die Erkenntnis, dass für die Zukunft die politische Arbeit professionalisiert werden musste. Im Zuge dessen übernahm Norbert Stein weitere Aufgaben im Verband und 1997 das Amt des Geschäftsführers.
Zeit der Wiedervereinigung
Zehn Jahre zuvor war er vor allem mit der Beratung von einzelnen Mitgliedsbetrieben beschäftigt. Die Innungen und Landesinnungen waren Mitte der 1980er Jahre bei weitem noch nicht so organisiert und spezialisiert aufgestellt wie heute, sondern oft noch von den regionalen Kreishandwerkerschaften vertreten. Spannend war für Stein insbesondere auch die Wendezeit, um die ostdeutschen Vertretungen in den Bundesinnungsverband zu integrieren. „Von 1990 bis 1992 war ich häufig in den neuen Bundesländern, in Berlin, Erfurt oder Rostock unterwegs.“ Das Reisepensum hatte mitunter auch technologische Gründe, wie Norbert Stein hervorhebt: „Es gab nur wenige Telefonleitungen in der DDR. Man konnte die Kollegen also nur schlecht erreichen.“ Ohne Faxgeräte, geschweige denn Internetanschlüssen, wurde damals noch ein Großteil der Korrespondenz über die Post abgewickelt, was stets eine gewisse Zeitspanne in Anspruch nahm.
Politische Arbeit
Zu den Kernaufgaben Steins Mitte der 1990er-Jahre gehörte auch die Professionalisierung der Fachbereiche Wirtschaftsausschuss und Berufsbildungsausschuss. Um die Jahrtausendwende galt es mehrfach die Bedeutung der Meisterpflicht und der Meisterpräsenz gegenüber politischen Interventionen zu verteidigen. „Seit Herr Kersting Präsident war, galt stets die Verbandslinie, gegenüber der Politik seriös aufzutreten und keine überzogenen Forderungen zu stellen. Diese Haltung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass man häufig den Interessen der Patienten und aber auch den Betrieben gefolgt ist“, stellt Norbert Stein heraus.
Seite an Seite mit dem Präsidium
Unter den nachfolgenden BIV-OT-Präsidenten Frank Jüttner und Klaus-Jürgen Lotz wurde folgerichtig die politische Arbeit noch weiter verstärkt. „Ich möchte betonen, dass alle Präsidenten sich die Zeit genommen haben, inhaltlich mitzugestalten. Dies gilt sicherlich so nicht für alle Verbände.“ Darüber hinaus verweist Stein noch darauf, dass bei aller Entscheidungsbefugnis stets eine offene Diskussionskultur geherrscht habe. Angesprochen auf die Frage, welches Verbandsprojekt in mehr als drei Jahrzehnten beim Bundesinnungsverband denn die meiste Zeit in Anspruch genommen hat, muss Norbert Stein nicht lange überlegen: „Das war auf jeden Fall die Neuordnung des Ausbildungs- und Meisterprüfungsberufsbildes Anfang der 2010er-Jahre. Das war eine zähe Angelegenheit, die mehr als drei Jahre gebraucht hat.“
Teamerfolg
Gespannt habe er auch stets die Entwicklung und das Wachstum des Weltkongresses hin zur Marke OTWorld verfolgt, im Zuge dessen unter anderem die Confairmed GmbH als eigene Ausgliederung des BIV-OT installiert worden ist. Parallel dazu wuchsen im Spitzenverband auch die Abteilungen Verträge und Verlag. „Zu Beginn meiner Anstellung waren im Verband rund zehn Personen hauptamtlich beschäftigt. Damals musste und konnte jeder alles machen.“ Mit dem Ausbau der Abteilungen habe mit der Zeit die Spezialisierung immer mehr zugenommen, einhergehend auch mit einer größeren Personalfluktuation. Das war und ist sicherlich auch dem Zeitgeist geschuldet. Ich habe immer gerne für den Verband und mit seinen Mitarbeitern gearbeitet.“ Zum Abschied hat er noch einen Hinweis für den Verband und seine Beschäftigten: „Nur Zusammenarbeit kann zum Erfolg führen – man ist nie Einzelkämpfer.“
Michael Blatt
„Er war doch schon immer da“ – werden viele Mitglieder aus dem Fach sagen. Norbert Stein war über Jahrzehnte die „fachlich juristische Institution“ unseres Faches in der Verbandspolitik. Er war kein Mensch, der sich den Vordergrund stellt und gerade deswegen mit vielen sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten des Berufstandes gut zusammenarbeiten konnte. In seinem Arbeitsleben hat er einige Präsidenten und Vorstände kompetent begleitet und ihnen in der Ausübung Ihres Ehrenamtes geholfen und loyal zur Seite gestanden. Im Zusammenwirken mit den Gremien des BIV-OT stand Norbert Stein für die Kontinuität des Verbandes und dessen Positionen nach innen und nach außen.
Im persönlichen Austausch, ob im Vorstand oder einer Delegiertenversammlung war Norbert Stein immer im Thema. Auf seine „juristische Art“ hat er ruhig und verlässlich seine Meinung und Einschätzung geäußert, ohne diese als Präjudiz zu setzen. Vielen Mitgliedern konnte er als Verbandsjurist auf direktem Weg helfen. Seine wesentliche Mitwirkung bei den politischen Auseinandersetzungen, z. B. der Einführung der kostensenkenden Gesetze, wird nicht vergessen werden.
Anerkannt und geschätzt darf hier deutlich gesagt werden: Norbert Stein hat sich um dieses Fach verdient gemacht, er wird nicht vergessen werden.
Hans Udo Kersting, Präsident des BIV-OT von 1996 bis 2005
Ich denke gerne zurück an meine erste Teilnahme an einer Delegiertenversammlung des BIV-OT Anfang der 1990er-Jahre unter Präsident Wilfried Knoche, in die ich als neuer Bundesbürger hineingewählt wurde. In dieser für mich neuen Umgebung fiel mir gleich auf, dass immer wenn es sich um die rechtliche Bewertung eines Vorgangs drehte, Herr Ass. Norbert Stein aufgerufen und um seine Einordnung gebeten wurde. Mit Achtung des Vorstandes und der Delegierten konnte er seine Ausführungen machen. Dieser Eindruck, dass der Verband hier einen Menschen hat, der sich immer sachlich und mit hoher Kompetenz den aufgeworfenen Fragen stellt, hat sich bei mir immer gehalten.
In den Jahren meiner aktiven Mitwirkung im Bundesinnungsverband war Herr Stein mein uneingeschränkter Partner, der mit mir und dem Vorstand den Verband durch alle Höhen und Tiefen geführt hat.
Bis heute habe ich Ihn nicht anders erlebt, als eine ausgeglichene, mit Sachverstand agierende Führungspersönlichkeit, vor der ich „den Hut ziehe“. Inzwischen ist unser Geschäftsführer Herr Ass. Stein fast zum „Urgestein“ geworden, den wir mit Hochachtung verabschieden.
Frank Jüttner, Präsident des BIV-OT von 2005 bis 2011
Nach nunmehr 36 Jahren im Dienst des BIV als Geschäftsführer, Jurist und stiller Macher tritt Norbert Stein nun seinen wohlverdienten Ruhestand an. Ich schätze ihn als absoluten Kenner der Branche, er hat wie kaum ein anderer immer nüchtern und fachlich versiert die Kommunikation mit den Innungen und Verbänden geführt und alle waren immer dankbar für seine qualifizierte Einschätzung. Damit hat Herr Stein den Weg des BIV-OT der letzten Jahrzehnte maßgeblich geprägt.
In meiner Zeit als Vize- und dann als Präsident des BIV-OT war mir Herr Stein immer eine stabile und verlässliche Stütze meiner Arbeit. Er wird gerade in der politischen Landschaft in Berlin sehr geschätzt und war ein immer ein gerne gesehener Gast bei allen Sitzungen.
Persönlich schätze ich Herrn Stein als verlässlichen Freund und bin stolz darauf ein Stück seines Weges begleitet zu haben. Ich hoffe, er bleibt noch lange gesund, um all die Hobbys und Wünsche die er hat, umzusetzen und zu genießen.
Klaus-Jürgen Lotz, Präsident des BIV-OT von 2011 bis 2020
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