Die Idee für das Portal war bereits lange in Hinterköpfen und Schubladen. Dass die Paralympics, ebenso wie die Olympischen Spiele, coronabedingt verschoben wurden, war dann die Initialzündung zur Umsetzung. Rund ein Jahr tüftelte der DBS gemeinsam mit drei Dienstleistern für Homepage, Bewegtbild und Kommunikation an dem Projekt, bis es schließlich im Februar 2021 scharfgeschaltet wurde. „Noch ist es leider viel zu häufig Zufall, dass Menschen mit Beeinträchtigungen den Weg in den Sport finden. Und dem Zufall wollen wir durch unser Angebot ein wenig auf die Sprünge helfen“, erklärt DBS-Sprecher Kevin Müller.
Nicht zuletzt deshalb ist das neue Onlineportal ein wichtiger Pfeiler in der Strategie zur sportlichen Inklusion. Rund drei Monate nach der Veröffentlichung werden hier die paralympischen Sommersportarten vorgestellt. Diese werden in der zweiten Jahreshälfte um die Wintersportarten ergänzt. Aber warum diese Einschränkung? „Natürlich wäre es unser Wunsch, eine Datenbank zu erstellen, in der aufgeführt wird, welcher Verein welches Angebot hat. Aber das ist ein wahnsinnig großes und umfangreiches Projekt“, erklärt der DBS-Sprecher. Rund 6.600 Vereine sind dem DBS angeschlossen. Unterm Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sind es etwa 90.000. „Bei dieser Menge alle an einen Tisch zu kriegen, ist nur schwer zu realisieren“, so Müller.
Das Onlineportal parasport.de ist nach dem „Index für Inklusion im und durch Sport“ sowie dem Projekt „Mehr Inklusion für Alle“ und dem 2020 veröffentlichten Handbuch Behindertensport ein weiterer Impuls, um eine Hilfestellung für mehr Teilhabe im Sport zu bieten. Durch all diese Veröffentlichungen zeigt der DBS ganz praktisch auf, wie verschiedene Sportarten von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ausgeübt werden können und welche Anpassungen oder Hilfsmittel dafür benötigt werden. Herzstücke der aktuellen Version der Seite sind ein Para-Sportarten-Finder und eine Terminsuche. So können Betroffene oder deren Familien Termine zu verschiedenen Angeboten finden. Zudem gibt es auf der Seite animierte Erklärfilme zu den paralympischen Sportarten und direkte Kontakte zu Ansprechpartner:innen in den jeweiligen Sportarten und den Landesverbänden des DBS.
Teilhabebericht löst Erdbeben aus
Jetzt geht es für den DBS in erster Instanz darum, die passenden Multiplikatoren zu finden. Sprich: Menschen, die andere Personen darauf hinweisen, dass es genau dieses Portal mit genau diesem Inhalt gibt. Denn der dritte Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen hat Mitte Mai im Verband ein kleines Erdbeben ausgelöst. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2017 und sind erschreckend. Mehr als jeder zweite Mensch mit Behinderung gab demnach an, keinen Sport zu machen. Und die Ausfälle und Rückzüge der Sportler durch das Corona-Virus sind hier noch gar nicht berücksichtigt. Aber auch von denen, die Sport machen, werden sich, so prognostiziert der DBS, 15 bis 20 Prozent zurückziehen – oder haben es schon getan.
„Diese Zahlen geben Anlass zur Sorge – und zum Handeln“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher und ergänzt: „Wenn 55 Prozent der Menschen mit Behinderung angeben, nie Sport zu treiben, dann können und dürfen wir uns nicht zurücklehnen.“ Auch die Autoren des dritten Teilhabeberichts selbst bewerten diese Entwicklung negativ: „Menschen mit Beeinträchtigungen treiben seltener Sport, ein deutlich größerer Anteil als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen geht gar keinen sportlichen Aktivitäten nach. Das ist nicht nur kritisch zu beurteilen, weil es sich hierbei um wichtige Möglichkeiten der Selbstentfaltung und der sozialen Teilhabe handelt, sondern auch, weil sportliche Aktivitäten gesundheitsfördernd sind.“
Mut und Offenheit statt Berührungsängste
Dass die Teilhabe eingeschränkt ist und wird, hat vor allem zwei Gründe: fehlende Barrierefreiheit der Sportstätten und ein mangelndes Sportangebot für Menschen mit Behinderung. Gerade im ländlichen Raum gibt es laut DBS kaum Anlaufstellen. „Besonders die Sportvereine, die sich noch nicht für Menschen mit Behinderung geöffnet haben, sind gefragt“, sagt Beucher. Er wünscht sich, dass die Barrieren abgebaut werden. Sowohl an den Sportstellen als auch in den Köpfen. „Wir wünschen uns Mut und Offenheit statt Berührungsängste und Skepsis. Ich kann die Vereinsvertreter:innen und Übungsleiter:innen nur dazu aufrufen, den ersten Schritt zu machen und Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben. Sie sind eine Bereicherung für jede Sportgruppe!“
In einer nächsten Ausbauphase sollen sich auch nicht-paralympische Sportarten auf der Seite wieder finden. Oder Sportarten, die Tradition im DBS haben – auch wenn es keine internationalen Wettkämpfe gibt. „Mit parasport.de haben wir eine Anlaufstelle geschaffen, an der man sich viele Informationen zu den einzelnen Sportarten holen kann. Und jetzt muss die Seite eigentlich nur noch genutzt werden“, sagt Müller. Aber nicht nur die Menschen mit Beeinträchtigung oder Behinderung sind Teil der Zielgruppe. „Auch Übungsleiter:innen können sich hier mit der Materie vertraut machen.“ Ebenso sind es Schulen, Familien, Ärzt:innen und weitere Akteure im Gesundheitswesen, denen laut DBS eine wichtige Rolle zuteil wird.
Erfolgreiche Para-Sportler
Aber auch Erfolgsstorys kommen nicht zu kurz. So beschreiben beispielsweise Para-Leichtathlet Niko Kappel oder Para-Judoka Nikolai Kornhass ihren Weg in den Sport. „Im Judo ist es mir möglich, mich im direkten Zweikampf mit meinem Gegenüber zu messen. Dabei entscheiden Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Ausdauer, aber vor allem auch Technik und mentale Stärke über Sieg oder Niederlage und nicht, wie gut oder ob ich überhaupt noch etwas sehe“, erklärt der 28-Jährige, der eine starke Sehbehinderung hat. Und Kappel sagt: „Durch Zufall habe ich im Nachgang von den Paralympics 2008 erfahren. Ich habe gleich die Chance gesehen, mich mit meinesgleichen zu messen. Sport, sich zu messen und der Drang danach, mit meinen Kumpels aus allem einen Wettkampf zu machen, war schon immer ein extrem wichtiger, schöner und großer Bestandteil in meinem Leben.
Das sind nur zwei von vielen Geschichten und Zitaten, die sich neben den zahlreichen Informationen auf der Seite finden lassen.
Rückläufige Entwicklung
Trotz dieses breiten Engagements steigt die Anzahl an Menschen mit Behinderung, die keinen Sport treiben, weiter. „Unser Ziel ist klar: Wir wollen, dass mehr Menschen mit Behinderung aktiv und in Bewegung sind. Sport erhöht die Lebensqualität und fördert auch die Mobilität im Alltag. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen auch durch die Corona-Pandemie mehr denn je alle an einem Strang ziehen – wir im Deutschen Behindertensportverband sowie ganz Sportdeutschland. Und letztlich sind es die Verantwortung und Verpflichtung von Politik und Gesellschaft, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur so kann die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umgesetzt und Teilhabe auch im Sport gelebt werden. Menschen mit Behinderung haben ein Recht darauf“, sagt Friedhelm Julius Beucher.
Die Corona-Pandemie verschärft aber aktuell das Problem. Ein Problem, das Menschen mit Behinderung und „Otto-Normalbürger:innen“ eint: Ihnen fehlt der Ausgleich. Ihnen fehlt das soziale Miteinander. Und ihnen fehlt der Spaß am Sport und der Bewegung in der Gemeinschaft. Und es trifft den Behindertensport laut Beucher überproportional hart. „Es ist elementar wichtig, dass Sportangebote für Menschen mit Behinderung nicht nur erhalten, sondern auch ausgebaut werden.“ Sonst werde sich die Anzahl der Menschen mit Behinderung, die sportlich aktiv sind, im vierten Teilhabebericht erneut in die falsche Richtung entwickeln. Und dann könne von Inklusion oder Teilhabe nur noch in der Theorie gesprochen werden.
Dominik Möller