Einleitung
Aufgrund verschiedener Kontraindikationen sowie einer Ablehnung von Linerversorgungen seitens etlicher Patienten sind KBM-Prothesen auch heute noch gebräuchlich 1. Ziel einer adäquaten Prothesenversorgung ist es, dem Patienten größtmöglichen Tragekomfort zu bieten. Das heißt allerdings auch, dass im Sitzen eine möglichst weitgehende Kongruenz zwischen Schaft und Stumpf vorhanden sein sollte, damit dieses Ziel auch bei abgewinkeltem Bein erreicht werden kann.
Problemstellung
Das Problem besteht darin, dass es bei einer Versorgung zwei völlig verschiedene Formen im suprakondylären Bereich im Stehen und Sitzen gibt. Diese Inkongruenz führt zwangsläufig zu einem verminderten Tragekomfort für den Patienten, da bisher überwiegend das Stehen für die Schaftform berücksichtigt wird. Suprakondylär ist im Stehen in der transversalen Ebene eher eine Dreiecksform vorhanden, die sich bei zunehmender Beugung in eine beinahe runde Form verwandelt. Verantwortlich für diese Formveränderung ist unter anderem die Bewegung des Femurkondylus auf der Tibiagelenkfläche. Ist der dafür benötigte Raum im Schaft nicht vorhanden, wird der Schaft tendenziell nach anterior verdrängt, und es kommt zu Formunverträglichkeiten zwischen Schaft und Stumpf.
Je nach Ausprägung der Muskelmasse des Patienten kann sich die Breite des Stumpfes in diesen Bereich des Prothesenschaftes und somit auch der Druck im Schaft bei einem im Sitzen rechtwinklig gebeugten Bein erheblich vergrößern. Der Patient kompensiert diese Unannehmlichkeit so, dass er im Sitzen seine Prothese so wenig wie möglich im Kniegelenk beugt.
Modifizierung des Schaftes
Angesichts dieser Problematik wurde die mediale suprakondyläre Umgreifung im anterioren Bereich so umgestaltet, dass sie sich im Beugen öffnet und genügend Raum für den M. vastus medialis zur Verfügung stellt. Durch die federnde Gestaltung der medialen Kondylenklammer (Abb. 1 u. 2) in medialer sowie lateraler Richtung ist nun eine Formanpassung zwischen Stehen einerseits (Abb. 3) sowie Sitzen andererseits (siehe Abb. 1 u. 2) im Schaft möglich. Die eigentliche Adaptation des Schaftes durch den medialen hinteren Quadranten der Kondylenfassung (Abb. 4) bleibt dabei völlig unberührt und voll funktionsfähig.
Eine ähnliche Problematik ist an der lateralen Schaftwand zu beobachten: Dort rotiert beim Gehen die suprakondyläre Umgreifung des Schaftes über den Tractus iliotibialis sowie die Biceps-femoris-Sehne und verursacht damit zwischen Stumpf und Schaft ständig gegenseitige Lageveränderungen. Oftmals treten diese bei älteren Amputierten bedingt durch Muskelatrophie sowie Fettverlust besonders ausgeprägt in Erscheinung. Der Stumpf scheuert somit an der lateralen Schaftwand. Außerdem benötigen die genannten beiden Sehnen bedingt durch ihren tiefen Ansatz im Bereich des lateralen Tibiakopfes im gebeugten Zustand einen entsprechenden Freiraum im Prothesenschaft, um ein komfortables Sitzen zu ermöglichen. Wird auch hier die laterale Schaftwand federnd gestaltet, verbessert sich spürbar der Tragekomfort für den Patienten, denn auch dieser Formveränderung kann der Schaft nun folgen (Abb. 5 u. 6). Obwohl der Prothesenschaft jetzt vorne medial und hinten lateral zonenweise freigeschnitten ist, bleibt er in der Diagonalen durch die verbliebenen zwei Quadranten medial hinten und lateral vorne in Diagonalrichtung stabil (Abb. 7) und sichert somit die Adaptation an den Stumpf.
Werden die Kräfte im Gehen berücksichtigt (Abb. 8), so besteht im Wesentlichen eine Kraft in Gehrichtung und eine Kraft in lateraler Richtung. Die daraus resultierende Kraft 2 wirkt in Richtung der Verbindungslinie der diagonal verbliebenen starren Stege der Umgreifung beim modifizierten KBM-Schaft. Sicherlich sollten diese Kräfte im Steuerungsbereich der Prothese kontrolliert werden, was allerdings bei großer Weichteildeckung, bei Kurzstümpfen sowie bei Knieinstabilitäten schwierig zu gewährleisten ist. Hierbei ist die Unterstützung der suprakondylären Fassung von Vorteil, um die auf den Stumpf wirkenden Kräfte besser zu kontrollieren. Der Innentrichter besteht aus einem partiell gepolsterten elastischen Thermoplast mit silikonähnlichen Eigenschaften. Bei der hier vorgestellten Versorgung wurden im Carboncontainer Fensterungen vorgenommen, um Muskelspiel zu gewährleisten und um eine patientenspezifische Entlastung an einer schmerzempfindlichen Stelle zu ermöglichen. Zur Kontrolle der Beweglichkeit in diesen Bereichen wurde anschließend ein glasfaserverstärktes Netz angebracht (siehe Abb. 6).
In der Praxis hat sich bestätigt, dass der Sitzkomfort durch diese Maßnahmen wesentlich erhöht ist, ohne dass – bedingt durch die diagonale suprakondyläre Fassung der Prothese am Bein – die Adaptation im Gehen negativ beeinflusst wird. Es handelt sich bei der Versorgung um einen Prototyp, der bisher an einem Patienten erfolgreich getestet wurde. Die gezeigte Versorgung wurde zur besseren Darstellung ohne Stumpfstrumpf fotografiert, wodurch es bedingt durch die somit erhöhte Adhäsion zum Schaft zu leichten Hautfalten kam.
Schlussfolgerung
Der Einsatz von Hightech-Materialien gestattet es, Eigenschaften wie starr/fest/weich/flexibel neu zu kombinieren. So wird es möglich, den Formveränderungen des Stumpfes zu folgen und diesen weniger einzuengen. Es hat sich dabei als völlig ausreichend erwiesen, gezielt nur die Kräfte abzufangen, die zur Stabilität und zur Adaptation benötigt werden. Dank der gewählten Lösung ist überdies die mögliche Schlussrotation zwischen Femur und Tibia über die Kondylenübergreifungen nicht blockiert, da der Schaft diese Bewegung in transversaler Ebene zulässt.
Je weniger der Amputierte seine Prothese in den verschiedenen Lebenslagen wahrnimmt, desto höher ist der Tragekomfort. Nach den Erfahrungen einer ersten Anprobe trägt die vorgenommene Modifikation einer KBM deutlich zur Erhöhung dieses Komforts bei.
Der Autor:
Bernd Grundmann
Fachlehrer Meisterschule für
Orthopädie-Technik
Liebherrnstraße 13
80538 München
bernd.grundmann@bsz-liebherr.muenchen.musin.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Grundmann B. Modifizierung eines KBM-Schaftes zur Verbesserung des Sitzkomforts. Orthopädie Technik, 2014; 65 (11): 28–31
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