Modi­fi­zie­rung eines KBM-Schaf­tes zur Ver­bes­se­rung des Sitzkomforts

B. Grundmann
Die Qualität eines Prothesenschaftes bemisst sich unter anderem darin, wie gut seine Passform im Sitzen einerseits und im Stehen andererseits ist. Dies gilt besonders für Unterschenkelamputierte, wenn eine Kniebeugung von ca. 90° über eine längere Dauer notwendig ist – man denke dabei nur an Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bisherige kondylenumgreifende Schaftformen berücksichtigen dieses Problem oft nur unzureichend, da es technisch schwierig ist, mit rigiden Schaftsystemen den wechselnden Stumpfformen in gestrecktem und gebeugtem Zustand zu folgen. Bezüglich dieser Problematik wurde ein KBM-Prothesenschaft im Bereich der Kondylenumgreifung federnd gestaltet, um den Formveränderungen funktioneller folgen zu können.

Ein­lei­tung

Auf­grund ver­schie­de­ner Kon­tra­in­di­ka­tio­nen sowie einer Ableh­nung von Liner­ver­sor­gun­gen sei­tens etli­cher Pati­en­ten sind KBM-Pro­the­sen auch heu­te noch gebräuch­lich 1. Ziel einer adäqua­ten Pro­the­sen­ver­sor­gung ist es, dem Pati­en­ten größt­mög­li­chen Tra­ge­kom­fort zu bie­ten. Das heißt aller­dings auch, dass im Sit­zen eine mög­lichst weit­ge­hen­de Kon­gru­enz zwi­schen Schaft und Stumpf vor­han­den sein soll­te, damit die­ses Ziel auch bei abge­win­kel­tem Bein erreicht wer­den kann.

Anzei­ge

Pro­blem­stel­lung

Das Pro­blem besteht dar­in, dass es bei einer Ver­sor­gung zwei völ­lig ver­schie­de­ne For­men im supra­kon­dy­lä­ren Bereich im Ste­hen und Sit­zen gibt. Die­se Inkon­gru­enz führt zwangs­läu­fig zu einem ver­min­der­ten Tra­ge­kom­fort für den Pati­en­ten, da bis­her über­wie­gend das Ste­hen für die Schaft­form berück­sich­tigt wird. Supra­kon­dy­lär ist im Ste­hen in der trans­ver­sa­len Ebe­ne eher eine Drei­ecks­form vor­han­den, die sich bei zuneh­men­der Beu­gung in eine bei­na­he run­de Form ver­wan­delt. Ver­ant­wort­lich für die­se Form­ver­än­de­rung ist unter ande­rem die Bewe­gung des Femur­kon­dylus auf der Tibia­gelenk­flä­che. Ist der dafür benö­tig­te Raum im Schaft nicht vor­han­den, wird der Schaft ten­den­zi­ell nach ante­rior ver­drängt, und es kommt zu For­m­un­ver­träg­lich­kei­ten zwi­schen Schaft und Stumpf.

Je nach Aus­prä­gung der Mus­kel­mas­se des Pati­en­ten kann sich die Brei­te des Stump­fes in die­sen Bereich des Pro­the­sen­schaf­tes und somit auch der Druck im Schaft bei einem im Sit­zen recht­wink­lig gebeug­ten Bein erheb­lich ver­grö­ßern. Der Pati­ent kom­pen­siert die­se Unan­nehm­lich­keit so, dass er im Sit­zen sei­ne Pro­the­se so wenig wie mög­lich im Knie­ge­lenk beugt.

Modi­fi­zie­rung des Schaftes

Ange­sichts die­ser Pro­ble­ma­tik wur­de die media­le supra­kon­dy­lä­re Umgrei­fung im ante­rio­ren Bereich so umge­stal­tet, dass sie sich im Beu­gen öff­net und genü­gend Raum für den M. vas­tus media­lis zur Ver­fü­gung stellt. Durch die federn­de Gestal­tung der media­len Kon­dylen­klam­mer (Abb. 1 u. 2) in media­ler sowie late­ra­ler Rich­tung ist nun eine Form­an­pas­sung zwi­schen Ste­hen einer­seits (Abb. 3) sowie Sit­zen ande­rer­seits (sie­he Abb. 1 u. 2) im Schaft mög­lich. Die eigent­li­che Adapt­a­ti­on des Schaf­tes durch den media­len hin­te­ren Qua­dran­ten der Kon­dylen­fas­sung (Abb. 4) bleibt dabei völ­lig unbe­rührt und voll funktionsfähig.

Eine ähn­li­che Pro­ble­ma­tik ist an der late­ra­len Schaft­wand zu beob­ach­ten: Dort rotiert beim Gehen die supra­kon­dy­lä­re Umgrei­fung des Schaf­tes über den Trac­tus ili­o­ti­bia­lis sowie die Biceps-femo­ris-Seh­ne und ver­ur­sacht damit zwi­schen Stumpf und Schaft stän­dig gegen­sei­ti­ge Lage­ver­än­de­run­gen. Oft­mals tre­ten die­se bei älte­ren Ampu­tier­ten bedingt durch Mus­kel­atro­phie sowie Fett­ver­lust beson­ders aus­ge­prägt in Erschei­nung. Der Stumpf scheu­ert somit an der late­ra­len Schaft­wand. Außer­dem benö­ti­gen die genann­ten bei­den Seh­nen bedingt durch ihren tie­fen Ansatz im Bereich des late­ra­len Tibi­a­kop­fes im gebeug­ten Zustand einen ent­spre­chen­den Frei­raum im Pro­the­sen­schaft, um ein kom­for­ta­bles Sit­zen zu ermög­li­chen. Wird auch hier die late­ra­le Schaft­wand federnd gestal­tet, ver­bes­sert sich spür­bar der Tra­ge­kom­fort für den Pati­en­ten, denn auch die­ser Form­ver­än­de­rung kann der Schaft nun fol­gen (Abb. 5 u. 6). Obwohl der Pro­the­sen­schaft jetzt vor­ne medi­al und hin­ten late­ral zonen­wei­se frei­ge­schnit­ten ist, bleibt er in der Dia­go­na­len durch die ver­blie­be­nen zwei Qua­dran­ten medi­al hin­ten und late­ral vor­ne in Dia­go­nal­rich­tung sta­bil (Abb. 7) und sichert somit die Adapt­a­ti­on an den Stumpf.

Wer­den die Kräf­te im Gehen berück­sich­tigt (Abb. 8), so besteht im Wesent­li­chen eine Kraft in Geh­rich­tung und eine Kraft in late­ra­ler Rich­tung. Die dar­aus resul­tie­ren­de Kraft 2 wirkt in Rich­tung der Ver­bin­dungs­li­nie der dia­go­nal ver­blie­be­nen star­ren Ste­ge der Umgrei­fung beim modi­fi­zier­ten KBM-Schaft. Sicher­lich soll­ten die­se Kräf­te im Steue­rungs­be­reich der Pro­the­se kon­trol­liert wer­den, was aller­dings bei gro­ßer Weich­teil­de­ckung, bei Kurz­stümp­fen sowie bei Knie­in­sta­bi­li­tä­ten schwie­rig zu gewähr­leis­ten ist. Hier­bei ist die Unter­stüt­zung der supra­kon­dy­lä­ren Fas­sung von Vor­teil, um die auf den Stumpf wir­ken­den Kräf­te bes­ser zu kon­trol­lie­ren. Der Innent­rich­ter besteht aus einem par­ti­ell gepols­ter­ten elas­ti­schen Ther­mo­plast mit sili­kon­ähn­li­chen Eigen­schaf­ten. Bei der hier vor­ge­stell­ten Ver­sor­gung wur­den im Car­bon­con­tai­ner Fens­te­run­gen vor­ge­nom­men, um Mus­kel­spiel zu gewähr­leis­ten und um eine pati­en­ten­spe­zi­fi­sche Ent­las­tung an einer schmerz­emp­find­li­chen Stel­le zu ermög­li­chen. Zur Kon­trol­le der Beweg­lich­keit in die­sen Berei­chen wur­de anschlie­ßend ein glas­fa­ser­ver­stärk­tes Netz ange­bracht (sie­he Abb. 6).

In der Pra­xis hat sich bestä­tigt, dass der Sitz­kom­fort durch die­se Maß­nah­men wesent­lich erhöht ist, ohne dass – bedingt durch die dia­go­na­le supra­kon­dy­lä­re Fas­sung der Pro­the­se am Bein – die Adapt­a­ti­on im Gehen nega­tiv beein­flusst wird. Es han­delt sich bei der Ver­sor­gung um einen Pro­to­typ, der bis­her an einem Pati­en­ten erfolg­reich getes­tet wur­de. Die gezeig­te Ver­sor­gung wur­de zur bes­se­ren Dar­stel­lung ohne Stumpf­strumpf foto­gra­fiert, wodurch es bedingt durch die somit erhöh­te Adhä­si­on zum Schaft zu leich­ten Haut­fal­ten kam.

Schluss­fol­ge­rung

Der Ein­satz von High­tech-Mate­ria­li­en gestat­tet es, Eigen­schaf­ten wie starr/fest/weich/flexibel neu zu kom­bi­nie­ren. So wird es mög­lich, den Form­ver­än­de­run­gen des Stump­fes zu fol­gen und die­sen weni­ger ein­zu­en­gen. Es hat sich dabei als völ­lig aus­rei­chend erwie­sen, gezielt nur die Kräf­te abzu­fan­gen, die zur Sta­bi­li­tät und zur Adapt­a­ti­on benö­tigt wer­den. Dank der gewähl­ten Lösung ist über­dies die mög­li­che Schluss­ro­ta­ti­on zwi­schen Femur und Tibia über die Kon­dylen­über­grei­fun­gen nicht blo­ckiert, da der Schaft die­se Bewe­gung in trans­ver­sa­ler Ebe­ne zulässt.

Je weni­ger der Ampu­tier­te sei­ne Pro­the­se in den ver­schie­de­nen Lebens­la­gen wahr­nimmt, des­to höher ist der Tra­ge­kom­fort. Nach den Erfah­run­gen einer ers­ten Anpro­be trägt die vor­ge­nom­me­ne Modi­fi­ka­ti­on einer KBM deut­lich zur Erhö­hung die­ses Kom­forts bei.

Der Autor:
Bernd Grund­mann
Fach­leh­rer Meis­ter­schu­le für
Ortho­pä­die-Tech­nik
Lieb­herrn­stra­ße 13
80538 Mün­chen
bernd.grundmann@bsz-liebherr.muenchen.musin.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Grund­mann B. Modi­fi­zie­rung eines KBM-Schaf­tes zur Ver­bes­se­rung des Sitz­kom­forts. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (11): 28–31
  1. Baum­gart­ner R, Grei­temann B. Grund­kurs Tech­ni­sche Ortho­pä­die. 2., über­ar­bei­te­te Auf­la­ge. Stutt­gart, New York: Thie­me, 2007
  2. Brinck­mann P, Fro­bin W, Leiv­seth G. Ortho­pä­di­sche Bio­me­cha­nik. Stutt­gart, New York: Thie­me, 2000
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