Einleitung
Ein Drittel aller Unfälle in Deutschland am Arbeitsplatz führt zu einer Handverletzung 1. Weltweit werden Teil-Handamputationen als die am häufigsten auftretenden arbeitsplatzbedingten Amputationen im Bereich der oberen Extremität angegeben 2. Der Verlust einer Hand ist ein einschneidendes Erlebnis, das weitreichende Folgen für die Lebenssituation hat 3. Umso wichtiger ist es, die prothetische Versorgung und die Rehabilitation so zu gestalten, dass eine Rückkehr in den Arbeitsalltag bzw. in eine angepasste Normalität gewährleistet werden kann. In den letzten Jahren wurden verschiedene multiartikulierende bzw. myoelektrische Handprothesen auf den Markt gebracht, die diese Rückkehr in den Alltag unterstützen sollen. Während die Medien in diesem Zusammenhang aber bereits von „fühlenden oder intelligenten Prothesen“ berichten, sehen die Experten dies eher zurückhaltend und gehen davon aus, dass noch einiges an Entwicklungsarbeit notwendig ist, um dieses Ziel zu erreichen 4. Aktuell können die versorgenden Orthopädietechniker gemeinsam mit den Patienten zwischen einer haptischen und einer multiartikulierenden bzw. myoelektrischen Prothese der oberen Extremität wählen. Bei der Auswahl ist es wichtig, die Anforderungen und Wünsche, die die Patienten an die Prothese haben, zu berücksichtigen 5. Besonders bei Prothesen der oberen Extremität ist die Nutzungsrate mit 42 % im Vergleich zu denen der unteren Extremität (92 %) gering 6. Wer somit die persönlichen Ziele der Betroffenen berücksichtigt, erhöht die Akzeptanz und motiviert den Anwender, mit „seiner Prothese“ zu trainieren, so die Vermutung der Autorin.
Hintergrund
Im November 2017 erlitt die Autorin einen Arbeitsunfall während ihrer Tätigkeit als Operationsschwester: Beim Entladevorgang eines Instrumentensiebes aus einem Dampfsterilisator kam es zu einem technischen Defekt am Sterilgut-Aufbereiter. Resultierend daraus erlitt sie eine massive Quetschung des linken Handgelenkes und eine thermische Überhitzung auf etwa 120 Grad über einen Zeitraum von 45 Minuten. Schwerste Verletzungen, Notoperationen und schließlich eine Amputation im BG Klinikum Duisburg waren die Folge. Ihr Ziel und damit auch ihre Motivation war es von Beginn ihrer Erkrankung an, sich und anderen Beteiligten zu zeigen, dass eine berufliche Rehabilitation auch in sehr schweren Fällen möglich ist. Durch intensives Prothesentraining gelang es ihr, nach anderthalb Jahren Rehabilitation wieder in ihren alten Beruf als OP-Schwester in der Abteilung für Hand-/Plastische Brandverletzungen im BG Klinikum in Duisburg zurückzukehren. Voraussetzung hierfür war eine prothetische Versorgung mit einer myoelektrischen Hand. Als mechatronische Konstruktion stellen myoelektrisch gesteuerte Armprothesen den Stand der Technik mit großem Entwicklungspotenzial dar. Sie überzeugen durch eine hohe Griff- und Trägerkraft und eignen sich sehr für Anwender, die hohe Ansprüche an eine Kombination aus Fein- und Grobmotorik haben. Die Erfahrung der Autorin hat sie darin bestätigt, dass selbst in Berufssparten, in denen viel Handwerk und filigrane Handmotorik gefordert ist, eine Wiedereingliederung nach Amputation der oberen Extremität mit myoelektrischer Prothesenversorgung umsetzbar ist. Damit auch andere Betroffene und an der Rehabilitation Beteiligte von ihren Erfahrungen profitieren können, entschied sie sich, das praxisorientierte Buch „Anwender-Trainingsprogramm für Vincent Evolution/Vincent Systems und andere Elektrohände“ zu verfassen.
Prinzipien der myoelektrischen Handprothese
Myoelektrische Prothesen sind Fremdkraftprothesen, die bei fast allen Amputationshöhen eingesetzt werden können. Ihre elektromechanischen Komponenten werden durch elektrische Energie bewegt und durch Muskelaktionspotenziale gesteuert. Als Energiespeicher dient ein in die Prothese integrierter Akkumulator. Myoelektrische Prothesen werden durch die Anspannung von Muskeln gesteuert. Durch Muskelkontraktionen entstehen im Körper elektrische Impulse, die an der Hautoberfläche gemessen werden. Die im Prothesenschaft befindlichen Sensoren bzw. Elektroden nehmen diese Impulse auf und geben sie an den Controller in der Prothese weiter. Dieser misst die Impulse, bewertet sie und übersetzt sie in die Maschinensprache der künstlichen Hand.
Bei einer Unterarmamputation lassen sich die weiterhin vorhandenen Muskeln, die die antagonistische Funktion der Hand bewirken, über die myoelektrische Steuerung einer Unterarmprothese sehr einfach physiologisch nutzen, um die Prothesenhand zu öffnen und zu schließen. Bei höheren Amputationen kommen analog hierzu andere Antagonisten zum Einsatz. Viele myoelektrische Prothesen überzeugen insbesondere durch ihre multiartikulierende Bauart. Diese ermöglicht es, dass bei diesen bionischen Händen einzelne Finger und der Daumen angetrieben werden können. Eine hohe Zahl von unterschiedlichen Griffen kann ohne Hilfsmittel durch entsprechende Umschaltsignale ausgewählt werden. Die speziellen Techniken der angebotenen myoelektrischen Prothesen können ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Lebensqualität bieten.
Ziel des Prothesentrainings
Ziel ist es, die Selbstständigkeit des Menschen mit Amputation zu erhöhen und das bimanuelle Arbeiten zu fördern. Nur durch ein kooperatives Zusammenspiel aller Berufsgruppen und der Betroffenen können diese eine optimale Versorgung erhalten und lernen, ihre Prothese sicher im Alltag einzusetzen. Selbstständigkeit ist insbesondere für folgende Aktivitäten des täglichen Lebens (Activities of Daily Living, ADL) zu trainieren:
- Körperpflege
- Toilette
- Kleidung
- Essen und Trinken
- Küche und Haushalt
- Schreiben/Büro
- Hobbys 7
Vorbereitende Übungen ohne Prothese
Das Training sollte bereits ohne Prothese beginnen, also unmittelbar nach der Operation. Dieses Training bildet dann die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen. Die Beschäftigung mit dem Stumpf hat Vorrang vor der Auswahl der Prothesen und Hilfsmittel. Sobald die mechanische Belastung am Stumpfende keine Schmerzen mehr auslöst und die tiefen Schichten, also Muskulatur, Nerven und Knochen, verheilt sind, wird der Stumpf zunehmend mobilisiert. Da auch der Knochen eines Stumpfes mechanisch weit weniger beansprucht wird als vor der Amputation, atrophiert neben der Muskulatur auch das Knochengewebe bis zu einem gewissen Grad, was direkt von der mechanischen Beanspruchung des Stumpfes abhängig ist. Zur Rehabilitation des Menschen mit Amputation gehört somit auch die Aufgabe, den Stumpf mechanisch zu fördern. Die überempfindliche Haut am Stumpf wird mittels durchblutungsfördernder Maßnahmen behandelt, um die mechanische Belastbarkeit der Stumpfoberfläche zu verbessern. Koordinierte Bewegungen in den alltäglichen Dingen des Lebens (ADL-Bereiche) wie z. B. Basteln, Teig- und Tonarbeiten, Musizieren und sportliche Betätigungen sind individuell auf die spezifischen Neigungen und Vorlieben des Patienten abzustimmen. Zielsetzung der vorbereitenden Übungen ist es, den Patienten auf den optimalen Gebrauch der Prothese vorzubereiten.
Prothesengebrauchstraining
Das Prothesengebrauchstraining wird in der Regel vom Orthopädietechniker durchgeführt und gehört standardmäßig zu einer Prothesenversorgung. Im Bereich der Orthopädietechnik, speziell für die Armprothetik, wurde von einem Expertenteam aus ganz Deutschland ein Qualitätsstandard für die Armprothetik erstellt. Dieser ist in einem Kompendium, das die Qualität von Armprothesen beschreibt, festgehalten und verankert 8. Um diese angestrebte Qualität sichern zu können, ist ein vorgegebener Weg, der sogenannte Rehabilitationspfad, einzuhalten. Die Einweisung in den Gebrauch der Prothese ist also ein wichtiger Baustein, den die Orthopädietechnik zu leisten hat. Das Training stellt neben der in der Klinik angebotenen Physio- und Ergotherapie eine begleitende Hilfestellung dar, um den Patienten auf seinem Rehabilitationspfad weiter ganzheitlich zu stärken und aufzurichten.
Das Training beinhaltet in erster Linie folgende Punkte:
- Der Prothesennutzer soll mit der Technik seiner Prothese vertraut gemacht werden.
- Er soll erkennen, welche Gebrauchsvorteile seine Prothese bietet und wie er diese nutzen kann.
- Alle Sensoren und Funktionen der Prothese sollen dabei erläutert und geübt werden.
- Es sollen Erklärungen und Aufzeichnungen der Triggerung erfolgen, mit welcher der Patient die einzelnen Funktionen in seiner Prothese aufrufen oder umschalten kann.
Nachdem die Wahl der Prothese getroffen, die Kostenübernahme der Prothese organisiert, die Prothese angepasst, die Wundheilung abgeschlossen und das Tragen eines Liners möglich ist, beginnt das Training mit der myoelektrischen Prothese. Dieses bildet die Grundlage für alle weiteren therapeutischen Maßnahmen.
Vertrauen in die Prothese aufbauen
Das Ausbildungsprogramm beginnt mit dem selbstständigen An- und Ausziehen der Prothese. Das Ziel ist erreicht, wenn dies so selbstverständlich gelingt wie das An- und Ausziehen der Kleidung 9. Ein einwandfreier Sitz des Stumpfes im Schaft sowie der Bandagen am Körper ist Voraussetzung für jede weitere Maßnahme. Im nächsten Schritt gilt es, Vertrauen in die Prothese aufzubauen. Der Mensch mit Amputation muss erleben, wie zuverlässig seine Prothese hält, auch wenn sie Stößen ausgesetzt oder daran gerüttelt und gezogen wird. Anschließend heißt es, die Grenzen der Prothese auszuloten. Bei Habitus‑, Finger- und Teilhandprothesen ist dies schnell erreicht; bei myoelektrischen Prothesen mit Ein- oder Mehrkanalsteuerung ist ein Testen weitaus diffiziler. Bei allen Prothesentypen geht es aber zunächst um das Erforschen, Kennenlernen und Beherrschen der funktionalen und sensorischen Eigenschaften. Bei mehreren Funktionen sind diese einzeln nacheinander zu erarbeiten und erst anschließend miteinander zu verbinden.
Lernen, richtige Signale zu geben
Bei myoelektrischen Prothesen sind die sensorischen Rückinformationen von Anfang an zu ertasten und zu erleben. Stellt das An- und Ausziehen der Prothese kein Problem mehr dar, geht es nun darum, dass der Träger der Prothese lernt, die richtigen Signale zu geben, ohne an dieser Stelle bereits einen besonderen „Nutzen“ aus der Prothese zu ziehen.
Hantieren mit Objekten
Sobald der Prothesenträger die Bewegungen mit Objekten theoretisch beherrscht und ansteuern kann, wird der Fokus im nächsten Schritt auf das Hantieren mit Objekten gelegt. In dieser Phase geht es um das sichere Halten, Greifen und Loslassen von Objekten in unterschiedlichen Ebenen, Formen, Oberflächenbeschaffenheiten und Widerständen unter Auswahl und Einschätzung der sichersten und zuverlässigsten Griffkraft, Geschwindigkeit und präziser Öffnungsweite in jeglicher Situation.
Beispiele für das ADL-Training
Küchentraining/Haushaltsführung
Bei den Übungen sind die Amputationsseite, die Frage, ob Links- oder Rechtshänder, Rotationsmöglichkeiten und die Handgelenksoptionen zu berücksichtigen. Ist die dominante Seite des Patienten betroffen, kann man durchaus erreichen, dass diese bei Finger- und Teilhandamputation wieder wie zuvor eingesetzt werden kann. Bei vollständigem Verlust der Hand oder des Ellenbogens stellt sich die Lage gänzlich anders dar: Eine Umstellung auf die nichtdominante Seite ist dann häufig unumgänglich.
Je nachdem, für welche Prothese sich der Patient entscheidet, gilt es, den individuell besten Essensgriff zu ermitteln und notwendige küchentechnische Hilfsmittel auszuwählen. Grundsätzlich ist jedoch zu beachten: Beim Essen führt die gesunde Hand den Löffel oder die Gabel zum Mund. Das Messer, das dabei in der Prothese gehalten wird, dient als Gegenhalt. Beim Zerschneiden harter Lebensmittel ist es insbesondere in den Anfangszeiten der Übungen eine große Hilfe, Verriegelungsfunktionen, die viele Prothesensysteme anbieten, zu nutzen.
In öffentlichen Lokalen werden oft stumpfe Messer und Gabeln angeboten. Um Frustrationen vorzubeugen, empfiehlt es sich daher immer, ein eigenes scharfes Messer bzw. eine scharfe Gabel bei sich zu tragen und bei Bedarf einzusetzen (Abb. 1).
Greifübungen/Kontrolle von Drücken
Das Training aktiver Funktionen steht bei diesen Übungen anfänglich im Vordergrund. Es beinhaltet ein sicheres Öffnen und Schließen, geübt mittels Bällen, Schaumstoffen und Kunststoffen in verschiedenen Festigkeiten, Formen und Größen. Das Beherrschen nur einer Funktion wie Öffnen/Schließen ist recht schnell erlernbar. Weit schwieriger ist die Handhabung einer Prothese mit mehreren Funktionen, etwa beim Verlust des Ellenbogens oder beim Fehlen beider Hände. In diesen Fällen muss der Mensch mit Amputation lernen, beide Funktionen bzw. beide Prothesenteile unabhängig voneinander einzusetzen, um durch koordinierte Bewegungen sein Ziel zu erreichen. Deshalb werden die Übungen zunächst mit abgestütztem Ellenbogen durchgeführt. Es folgen Bewegungen mit angehobenem Ellenbogen, dann im Stehen, in Bewegung, in verschiedenen Achsen bzw. Ebenen, körpernah, körperfern, mit Überkreuzung der Körpermitte und in verschiedenen Höhen. Schnelle und langsamere Beuge- und Streckbewegungen wechseln ab; die Prothesenhand hält immer sperrigere und schwerere Gegenstände. Neben der Beachtung des externen Gewichtes gehört auch die Positionierung der Hand zur Aufgabe, sodass die zugedachte Funktion am besten zu verrichten ist. Diese Übungen sollten stehend vor einem Spiegel durchgeführt werden, damit Therapeut und Patient die Körperhaltung und die Bewegungen beobachten können. Der Mensch mit Amputation gewöhnt sich dann gar nicht erst daran, ständig auf seine Prothese zu schauen. Das Trainingstempo ist individuell anzupassen; Pausen und Lockerungsübungen müssen eingelegt werden, denn gerade in der Anfangsphase erfordern diese Übungen ein hohes Maß an Konzentration. Mit zunehmender Sicherheit geht es dann darum, die aktiven Prothesenfunktionen immer schneller, koordinierter und automatischer auszuführen. Die Zielsetzung dabei ist, die beidhändige Geschicklichkeit und damit das Zusammenspiel beider Hände bzw. Arme zu trainieren (Abb. 2).
Hobbys
Insbesondere im Sport- und im Musikbereich stehen den Betroffenen eigens konstruierte technische Hilfen zur Verfügung. Sie sind in ihren Funktionalitäten bei Weitem nicht so vielschichtig und durchdacht wie im Bereich der unteren Extremitäten, können aber neben dem Spaßfaktor zu mehr Selbstwertgefühl verhelfen, egal ob in Behindertensportgruppen oder gar mittels der Teilnahme an paralympischen Wettbewerben. Es gehört zur Rehabilitation, die Hobbys der Patienten zu kennen und ihnen eine Teilhabe daran wieder zu ermöglichen. Für die Ausübung von Aktivitäten in den Bereichen Sport, Handwerk, Garten und Heimarbeit ist nicht jede Prothese einsetzbar. Bei der Auswahl einer weiteren Prothese muss daher der Bedarf an Fein- und Grobmotorik, Griff- und Tragkraft, Verriegelungsmechanismen sowie Kompatibilität von zusätzlichen Greifern und Aufsätzen mitberücksichtigt werden (Abb. 3).
Ankleiden/Körperhygiene
Zu einer reibungslosen Alltagsbewältigung gehört die persönliche Selbstfürsorge. Das Leben – nicht zuletzt das Intimleben – wieder in Eigenregie organisieren zu können, vermittelt Selbstsicherheit, Akzeptanz und Freude im Umgang mit sich selbst, Freunden und Partnern. Ein Maximum an Unabhängigkeit von Drittpersonen zu erreichen, ist ein wichtiger Pfeiler auf dem Weg zur Rehabilitation. Unumstritten ist, so die Ansicht der Autorin, dass der beste Ratgeber ein selbst von einer Amputation Betroffener ist. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungswerte kann er gezielte Ersatzbewegungen mit und ohne Prothese vermitteln. Er kann am besten beurteilen, ob es sinnvoll ist, das gesamte Badezimmer umzubauen, oder ob dem Menschen mit Amputation nicht eher damit geholfen ist, auf kleine selbst erprobte Kniffe beim Waschen, Frisieren, beim Toilettengang oder beim Anziehen zurückzugreifen. Das Auskommen mit möglichst wenigen Hilfsmitteln wirkt sich positiv auf die Psyche und die Motivation aus (Abb. 4).
Repetitives Üben
Durch repetitive Übungen wird der Prothesenträger dazu angeleitet, die Funktionen seiner Prothese immer wieder aufzurufen und zu wechseln, um diese Steuerung zu verinnerlichen. Es werden gezielte Situationen provoziert, in denen der Prothesenträger selbstständig entscheiden soll, welche Funktion seiner Prothese (ggf. auch welcher Griff seiner Prothesenhand) zur Lösung der gestellten Aufgabe am hilfreichsten ist. Dabei wird von abstrakten Übungssituationen ausgehend mehr und mehr auch auf Beispiele aus dem Alltag zurückgegriffen. Diese Übungen müssen so ausdauernd trainiert und wiederholt werden, bis die Steuerung der Prothese verinnerlicht ist und damit intuitiv abläuft. In der Ergotherapie werden folgende Maßnahmen umgesetzt:
- Übungen, die zur Integration der Prothese ins Körperschema passen,
- Übungen, die zur Integration der Prothese in Tätigkeiten der ADL-Bereiche führen, sowie
- Übungen und Anleitungen zum bimanuellen Agieren des Prothesenträgers.
Auf spielerische, sportliche und praxisbezogene Weise werden manuelle und myoelektrische Funktionen der Prothese benutzt, um den Patienten Wege zu mehr Mobilität aufzuzeigen.
Beruf
Das Erlernen und Ausüben eines Berufes stellt eine einzigartige Herausorderung auf dem Weg zur sozialen Rehabilitation dar. Die Rückkehr ins Berufsleben erleichtert die soziale Interaktion. Der Mensch findet wieder seinen Platz in der Gesellschaft, der es ihm ermöglicht, wieder seinen erlernten Beruf auszuüben und sich somit auch wieder ein Einkommen zu erwerben 10. Dabei profitieren die Betroffenen oftmals von den vielfältigen Handgelenksoptionen und einem in die Prothese integrierten Vibrationssignal, insbesondere im feinmotorischen Bereich (Abb. 5).
Interdisziplinärer Austausch
Das Prothesengebrauchstraining wird häufig vom Orthopädietechniker geleistet, der auch mit dem Bau der Prothese beauftragt ist. Es kann sich aber auch als vorteilhaft erweisen, wenn ein Nicht-Techniker dieses Training absolviert, insbesondere, wenn dieser sogar selbst Träger einer Armprothese ist. Allerdings muss in dieser Trainingsphase die Nähe zur Werkstatt sichergestellt sein. Ein Prothesengebrauchstraining durch einen selbst Betroffenen wirkt aus der Erfahrung der Autorin heraus oftmals weitaus motivierender auf den Patienten als durch einen Ergotherapeuten oder Orthopädietechniker. Durch gute Kommunikation können aber beide, Prothesengebrauchstrainer und Orthopädietechniker, wertvolle Anteile zum Prothesengebrauchstraining beitragen. Auch das Feedback aus der Ergotherapie kann dem Orthopädietechniker frühzeitig dabei helfen, herauszufinden, welche technischen Veränderungen, Steuerungsparameter und Triggerungen noch verändert und individuell an den jeweiligen Patienten angepasst werden müssen, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Sowohl ein erfolgreiches Prothesengebrauchstraining als auch ein ADL-Training können gemeinsam nur durch höchstmögliche Patientenmotivation sowie regen Austausch innerhalb des Rehabilitationsteams erreicht werden.
Fazit
Nach einigen Monaten intensiver medizinisch-rehabilitativer Maßnahmen in der Klinik und prothetischer Versorgung durch den Orthopädietechniker hat das Rehabilitationsteam seine primäre Aufgabe erfüllt. Der Patient ist nun im täglichen Alltags- und Berufsleben selbst gefordert, die Grenzen seiner Prothese auszuloten und sich immer wieder selbst neu zu motivieren. Kurze Zeit später wird er aber bemerken, dass die wichtigste Aufgabe der Prothesenbeherrschung nicht nur im Verständnis der Prothesenfunktionen besteht: Die größten Herausforderungen, sowohl im Alltag als auch im Berufsleben, bestehen darin, den jeweils besten zur Verfügung stehenden Griff den entsprechenden Situationen zuordnen zu können. Erst dann kann von einer Automatisierung der Bewegungsabläufe und einem optimalen Gebrauch der Prothese die Rede sein. Werden sich die Patienten dieser Situation bewusst und erkennen, dass dieser Schritt nicht mehr engmaschig begleitet wird, fallen sie oft in ein großes Motivationsloch.
Die Autorin hat sich aufgrund ihrer eigenen Situation ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und selbst alle Höhen und Tiefen durchlaufen. Der Rückblick auf ihren persönlichen Rehabilitationsweg hat ihr gezeigt, dass der Übergang von einer stationären Reha-Maßnahme in die selbstständige Alltagsbewältigung und Rückkehr in die Berufstätigkeit stets eine große Versorgungslücke aufweist. Sie sieht die Einbeziehung eines Peers in die Rehabilitation als einen denkbaren Lösungsweg an. Das Peer-Prinzip basiert auf der Unterstützung und emanzipatorischen Beratung durch einen ebenfalls Betroffenen, der sich an den individuellen Bedürfnissen und Erfordernissen des jeweils Ratsuchenden orientiert. Der Peer hilft nicht nur dabei, die psychosoziale Situation der Anwender mit einzubeziehen, sondern auch die persönlichen Kompetenzen so anzupassen, dass es nicht zur Überforderung oder Fremdbestimmung kommt. Die Zielsetzung besteht in einer posttraumatischen Unterstützung, um das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu stärken. Der Anwender soll motiviert werden, seine Belange selbst wahrzunehmen. Es sollen ihm möglichst früh Perspektiven und Wege dazu aufgezeigt werden.
Ein weiterer Lösungsansatz könnte in der Anpassung des Prothesengebrauchstrainings über den Zeitpunkt der stationären Rehabilitation und der Prothesenfertigung hinaus bestehen. Erforderliche Trainingseinheiten sollten sich in diesem Falle auch stark an den individuellen Ansprüchen der Anwender orientieren und nicht dogmatisch einem bestehenden Standard folgen. Nur ein motivierter Patient, dessen individuelle Wünsche und Ansprüche an die Funktionalität berücksichtigt werden, akzeptiert seine neue Lebenssituation und findet zurück in die Arbeitswelt.
Die Autorin:
Britta Meinecke-Allekotte
Krengelstr. 34 c
46539 Dinslaken
b‑meinecke@t‑online.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Meinecke-Allekotte B. Mit einer myoelektrischen Handprothese zurück ins Leben – Prothesengebrauchstraining als Teil des interdisziplinären Rehabilitationspfads. Orthopädie Technik, 2021; 72 (2): 38–43
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024
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- Greitemann B, Brückner L, Schäfer M, Baumgartner R. Amputation und Prothesenversorgung. Indikationsstellung – operative Technik – Nachbehandlung – Funktionstraining. 4., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart, New York: Thieme Verlag, 2016