30 Jahre Erfahrung als Unternehmer und Meister seien ein guter Zeitpunkt, um die eigene Arbeit und die Entwicklung der Branche Revue passieren zu lassen, wie er im Gespräch mit der OT-Redaktion erklärt.
OT: Was war Ihre Motivation für die Selbstständigkeit?
Matthias Harmuth: Vor 30 Jahren nahm ich die Chance wahr, mich als frischgebackener Orthopädietechniker-Meister fachlich „austoben“ zu können. Neue Materialien, Technologien und Bauteile gaben mir die Möglichkeit, in der Selbstständigkeit frei und selbstbestimmt meinen Beruf auszuüben. Dies war und ist noch heute die Grundeinstellung zu meiner beruflichen Tätigkeit.
OT: Worauf haben Sie in Ihrem Unternehmen den größten Wert gelegt, was war Ihnen wichtig?
Harmuth: Das verdiente Geld wurde investiert in Maschinen, Personal und Fortbildung. Als kleine Personengesellschaft kann ich schnell und unbürokratisch Entscheidungen treffen und umsetzen – wohl wissend, dass jegliches Risiko allein bei meiner Person liegt. Gesellschafterbeschlüsse, langfristige Planungen und Ähnliches sind dazu nicht notwendig. Ich persönlich habe nie den Anspruch oder den Wunsch gehabt, großartig neue Märkte und Produktgruppen zu erschließen. Schon 1995 habe ich entschieden, das Handwerk und den Handel örtlich zu trennen und das Sanitätshaus in eine nahe gelegene Einkaufspassage zu verlegen. Auch hier kam mir der Vorteil des Kleinunternehmers zu Hilfe, denn meine Frau als Physiotherapeutin war die perfekte Fachfrau, um das Sanitätshaus zu leiten. So konnte ich mich auf die Orthopädie-Technik konzentrieren.
OT: Sie haben Ihren Fokus auf die Prothesen- und Orthesenversorgung. Was schätzen Sie daran besonders?
Harmuth: Mein Vater wurde mit 19 Jahren im Krieg verwundet und unter anderem oberschenkelamputiert. Für mich als Kind war er sowohl mental als auch physisch immer ein vollwertiger Mann, der als Friseurmeister den ganzen Tag im Salon Selbigen gestanden hat. Irgendwann begriff ich, was dieses Holzbein – und ein Solches war es – für „Wunder“ bewirken kann. Nach einem Schnuppertag in einer OT-Werkstatt war ich fasziniert von dieser Arbeit. Dazu kommt noch die Vielzahl der Technologien und Materialien. Die fantastische Kombination aus solidem Handwerk und sozialer Tätigkeit ist mein Ding!
OT: Wie wirken sich Richtlinien und Dokumentationspflichten auf Ihren Arbeitsalltag aus?
Harmuth: Mit den Jahren zogen so einige gewaltige Veränderungen auch in unsere Branche. Mit der Einführung des PCs und der digitalen Vernetzung gibt es ungeheure Erleichterungen. Kostenvoranschläge, Abrechnungen, Bestellungen etc. gehen fixer von der Hand. Die Vorteile sind in diesem Bereich nicht zu unterschätzen. Doch mit dem Einzug der Neuen Medien stieg der Anteil der teils unsinnigen, unnötigen und unmöglichen Bürokratie. Qualitätsmanagement (QM), Präqualifizierung (PQ), Medical Device Regulation (MDR), Arbeits-Umweltschutz-Richtlinien blockieren für den Kleinunternehmer die Zeit, um sich – was eigentlich Voraussetzung für die Berufsausübung ist – mit den fachlichen Herausforderungen und Entwicklungen zu befassen. Hier sind große Unternehmen im Vorteil. Deren notwendiger Verwaltungsapparat kann den Fachmann von diesen zusätzlichen Aufgaben befreien. Als Kleinunternehmer jedoch muss ich zusätzlich „Lebens“-Zeit und familiäre Ressourcen anzapfen, um dies „nebenbei“ zu bewältigen.
OT: Was schätzen Sie an Ihrer Tätigkeit als Leiter einer OT-Werkstatt und eines Sanitätshauses?
Harmuth: Was mir immer noch große Freude am Beruf macht, sind meine Mitarbeiter:innen. Ohne diese Gemeinschaft hätte ich so manche berufliche wie private Krise nicht meistern können. Sie alle leben meine oben genannte Philosophie. Orthopädie-Technik macht Spaß! Wieso? Wenn wir weiterhin die Patient:innen optimal – nicht betriebswirtschaftlich maximal – versorgen, uns auf das konzentrieren was wir wirklich können und nicht die Eier legende Wollmilchsau spielen, dann macht das Nischendasein Spaß! Zeit- und kostenintensive Platzhirsch-Kämpfe sind da nicht nötig. Die Patient:innen/Kund:innen spüren diese Lust am Job. Sie danken es mit Treue und Mundpropaganda.
OT: Welche Weichenstellung könnte kleinere Häuser zukünftig besser unterstützen?
Harmuth: Was ich mir wünsche für die Zukunft? Nun den tatsächlichen Abbau der Bürokratie! Einfach mal den Leuten wieder Fachverstand und logisches Denken zumuten!!! Wir sind nämlich erwachsen! Dann bedarf es nur ein Viertel der bisherigen Formulare, Verordnungen und Richtlinien.
Die Fragen stellte Ruth Justen.
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