Selbst­be­stimmt in der Nische

Matthias Harmuth nutzte 1991 den Umbruch nach der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 und übernahm die bereits 1911 gegründete Firma Orthopädie-Technik & Sanitätshaus Seidel. Heute leitet der Orthopädietechniker-Meister die Geschicke einer Orthopädie-Technik-Werkstatt in Cottbus sowie von zwei Sanitätshäusern in Cottbus und Forst (Lausitz).

30 Jah­re Erfah­rung als Unter­neh­mer und Meis­ter sei­en ein guter Zeit­punkt, um die eige­ne Arbeit und die Ent­wick­lung der Bran­che Revue pas­sie­ren zu las­sen, wie er im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on erklärt.

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OT: Was war Ihre Moti­va­ti­on für die Selbstständigkeit?

Mat­thi­as Har­muth: Vor 30 Jah­ren nahm ich die Chan­ce wahr, mich als frisch­ge­ba­cke­ner Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter fach­lich „aus­to­ben“ zu kön­nen. Neue Mate­ria­li­en, Tech­no­lo­gien und Bau­tei­le gaben mir die Mög­lich­keit, in der Selbst­stän­dig­keit frei und selbst­be­stimmt mei­nen Beruf aus­zu­üben. Dies war und ist noch heu­te die Grund­ein­stel­lung zu mei­ner beruf­li­chen Tätigkeit.

OT: Wor­auf haben Sie in Ihrem Unter­neh­men den größ­ten Wert gelegt, was war Ihnen wichtig?

Har­muth: Das ver­dien­te Geld wur­de inves­tiert in Maschi­nen, Per­so­nal und Fort­bil­dung. Als klei­ne Per­so­nen­ge­sell­schaft kann ich schnell und unbü­ro­kra­tisch Ent­schei­dun­gen tref­fen und umset­zen – wohl wis­send, dass jeg­li­ches Risi­ko allein bei mei­ner Per­son liegt. Gesell­schaf­ter­be­schlüs­se, lang­fris­ti­ge Pla­nun­gen und Ähn­li­ches sind dazu nicht not­wen­dig. Ich per­sön­lich habe nie den Anspruch oder den Wunsch gehabt, groß­ar­tig neue Märk­te und Pro­dukt­grup­pen zu erschlie­ßen. Schon 1995 habe ich ent­schie­den, das Hand­werk und den Han­del ört­lich zu tren­nen und das Sani­täts­haus in eine nahe gele­ge­ne Ein­kaufs­pas­sa­ge zu ver­le­gen. Auch hier kam mir der Vor­teil des Klein­un­ter­neh­mers zu Hil­fe, denn mei­ne Frau als Phy­sio­the­ra­peu­tin war die per­fek­te Fach­frau, um das Sani­täts­haus zu lei­ten. So konn­te ich mich auf die Ortho­pä­die-Tech­nik konzentrieren.

OT: Sie haben Ihren Fokus auf die Pro­the­sen- und Orthe­sen­ver­sor­gung. Was schät­zen Sie dar­an besonders?

Har­muth: Mein Vater wur­de mit 19 Jah­ren im Krieg ver­wun­det und unter ande­rem ober­schen­kel­am­pu­tiert. Für mich als Kind war er sowohl men­tal als auch phy­sisch immer ein voll­wer­ti­ger Mann, der als Fri­seur­meis­ter den gan­zen Tag im Salon Sel­bi­gen gestan­den hat. Irgend­wann begriff ich, was die­ses Holz­bein – und ein Sol­ches war es – für „Wun­der“ bewir­ken kann. Nach einem Schnup­per­tag in einer OT-Werk­statt war ich fas­zi­niert von die­ser Arbeit. Dazu kommt noch die Viel­zahl der Tech­no­lo­gien und Mate­ria­li­en. Die fan­tas­ti­sche Kom­bi­na­ti­on aus soli­dem Hand­werk und sozia­ler Tätig­keit ist mein Ding!

OT: Wie wir­ken sich Richt­li­ni­en und Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten auf Ihren Arbeits­all­tag aus?

Har­muth: Mit den Jah­ren zogen so eini­ge gewal­ti­ge Ver­än­de­run­gen auch in unse­re Bran­che. Mit der Ein­füh­rung des PCs und der digi­ta­len Ver­net­zung gibt es unge­heu­re Erleich­te­run­gen. Kos­ten­vor­anschlä­ge, Abrech­nun­gen, Bestel­lun­gen etc. gehen fixer von der Hand. Die Vor­tei­le sind in die­sem Bereich nicht zu unter­schät­zen. Doch mit dem Ein­zug der Neu­en Medi­en stieg der Anteil der teils unsin­ni­gen, unnö­ti­gen und unmög­li­chen Büro­kra­tie. Qua­li­täts­ma­nage­ment (QM), Prä­qua­li­fi­zie­rung (PQ), Medi­cal Device Regu­la­ti­on (MDR), Arbeits-Umwelt­schutz-Richt­li­ni­en blo­ckie­ren für den Klein­un­ter­neh­mer die Zeit, um sich – was eigent­lich Vor­aus­set­zung für die Berufs­aus­übung ist – mit den fach­li­chen Her­aus­for­de­run­gen und Ent­wick­lun­gen zu befas­sen. Hier sind gro­ße Unter­neh­men im Vor­teil. Deren not­wen­di­ger Ver­wal­tungs­ap­pa­rat kann den Fach­mann von die­sen zusätz­li­chen Auf­ga­ben befrei­en. Als Klein­un­ter­neh­mer jedoch muss ich zusätz­lich „Lebens“-Zeit und fami­liä­re Res­sour­cen anzap­fen, um dies „neben­bei“ zu bewältigen.

OT: Was schät­zen Sie an Ihrer Tätig­keit als Lei­ter einer OT-Werk­statt und eines Sanitätshauses?

Har­muth: Was mir immer noch gro­ße Freu­de am Beruf macht, sind mei­ne Mitarbeiter:innen. Ohne die­se Gemein­schaft hät­te ich so man­che beruf­li­che wie pri­va­te Kri­se nicht meis­tern kön­nen. Sie alle leben mei­ne oben genann­te Phi­lo­so­phie. Ortho­pä­die-Tech­nik macht Spaß! Wie­so? Wenn wir wei­ter­hin die Patient:innen opti­mal – nicht betriebs­wirt­schaft­lich maxi­mal – ver­sor­gen, uns auf das kon­zen­trie­ren was wir wirk­lich kön­nen und nicht die Eier legen­de Woll­milch­sau spie­len, dann macht das Nischen­da­sein Spaß! Zeit- und kos­ten­in­ten­si­ve Platz­hirsch-Kämp­fe sind da nicht nötig. Die Patient:innen/Kund:innen spü­ren die­se Lust am Job. Sie dan­ken es mit Treue und Mundpropaganda.

OT: Wel­che Wei­chen­stel­lung könn­te klei­ne­re Häu­ser zukünf­tig bes­ser unterstützen?

Har­muth: Was ich mir wün­sche für die Zukunft? Nun den tat­säch­li­chen Abbau der Büro­kra­tie! Ein­fach mal den Leu­ten wie­der Fach­ver­stand und logi­sches Den­ken zumu­ten!!! Wir sind näm­lich erwach­sen! Dann bedarf es nur ein Vier­tel der bis­he­ri­gen For­mu­la­re, Ver­ord­nun­gen und Richtlinien.

Die Fra­gen stell­te Ruth Justen.

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