Lym­pho­lo­gi­sches Online-Sym­po­si­um bewegt die Teilnehmer

Zu 100 Prozent virtuell fand am 5. September 2020 das 9. Berliner Lymphsymposium statt. Neben aktuellen Forschungsergebnissen standen auch klinische Fragestellungen im Mittelpunkt. Möglichkeiten der plastischen Chirurgie bei Lymphödemerkrankungen, aktuelle Studienergebnisse neuer Kompressionsvarianten sowie „Live“-Patientenversorgungen rundeten das Programm ab. Alle Vorträge stehen darüber hinaus im Anschluss den Teilnehmern zusätzlich in der Mediathek zur Verfügung.

Vor Ort in Ber­lin führ­te die wis­sen­schaft­li­che Lei­te­rin des Sym­po­si­ums Dr. med. Anett Reiß­hau­er,  Lei­tung Arbeits­be­reich Phy­si­ka­li­sche Medi­zin und Reha­bi­li­ta­ti­on an der Cha­ri­té-Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ber­lin, durch die Pro­gramm­punk­te. Die Refe­ren­ten wur­den ent­we­der per Video­schal­tung ein­ge­bun­den oder, wenn sie vor Ort in Ber­lin waren, refe­rier­ten sie direkt von Podi­um aus. Per Chat konn­ten die Zuschau­er Fra­gen stel­len. In den Pau­sen stell­te eine Ärz­tin ent­stau­en­de Übun­gen vor, lud eine die­se aus­zu­pro­bie­ren. Die­se Übun­gen kön­nen bei Pati­en­ten mit Lymph­ödem der obe­ren und der unte­ren Extre­mi­tät ange­wen­det wer­den. Ins­ge­samt 100 Zuschau­er natio­nal und 80 inter­na­tio­nal folg­ten dem „ers­ten“ Online-Sym­po­si­um. Ein Resü­mee gibt die wis­sen­schaft­li­che Lei­te­rin des Sym­po­si­ums Dr. med. Anett Reiß­hau­er im Inter­view mit der OT.

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OT: Wie ist Ihr Fazit? War die Ent­schei­dung „nur online“ rück­bli­ckend richtig?

Dr. med. Anett Reiß­hau­er: Im ers­ten Moment waren wir alle betrübt, weil wir die Online-Vari­an­te wäh­len muss­ten. Kei­ne Prä­senz­ver­an­stal­tung, kei­ne Gesprä­che unter­ein­an­der, so unse­re dama­li­ge Befürch­tung. Aber am Ende unse­res Sym­po­si­ums waren wir begeis­tert. Drei Simul­tan­über­set­zer mach­ten es mög­lich, dass wir in 19 Län­der über­tra­gen wur­den. Das wäre ohne die vir­tu­el­le Umset­zung in der Form nicht mög­lich gewe­sen. Par­al­lel konn­ten im Chat unmit­tel­bar die Fra­gen aller Teil­neh­mer aus In- und Aus­land beant­wor­tet wer­den. Das hat uns auch von allen Sei­ten viel Lob ein­ge­bracht. Die Online-Vari­an­te hat uns ein neu­es Tor und vie­le Chan­cen eröff­net, die wir für unse­re zukünf­ti­gen Sym­po­si­en auf jeden Fall berück­sich­ti­gen werden.

OT: Span­nend waren ins­be­son­de­re die Vor­trä­ge aus dem Bereich „Neu­es aus der For­schung“: Hier wur­den Stu­di­en zum The­ma „Medi­zi­nisch-adap­ti­ve Kom­pres­si­ons­sys­te­me (MAK) vs. Flachstrick-Kom­pres­si­ons­strumpf nach Maß“ vor­ge­stellt. Wel­ches sind die wich­tigs­ten Ergebnisse?

Reiß­hau­er: Die Quint­essenz die­ser Stu­die lau­tet mei­ner Mei­nung nach, dass die MAK, ohne dass sie nach­jus­tiert wer­den muss, einem maß­an­ge­fer­tig­ten Flachstrick­kom­pres­si­ons­trumpf nicht unter­le­gen ist — weder in Bezug auf die Volu­men­ef­fek­te noch auf den Druck. Beim Druck waren die MAK sogar ten­den­zi­ell bei die­ser Stu­die sta­bi­ler. Auf­grund die­ser Ergeb­nis­se sehe ich die MAK als gute Ergän­zung für spe­zi­el­le Anfor­de­run­gen an: Bei­spiels­wei­se, wenn die Pati­en­ten offe­ne Wun­den am Bein haben oder eine Ban­da­gie­rung gera­de nicht mög­lich ist oder wenn am Wochen­en­de bei der Ver­sor­gung eine schnel­le Ersatz­lö­sung gefun­den wer­den muss. Auch in Pfle­ge­hei­men kann ich mir den Nut­zen der MAK gut vor­stel­len. Zum Bei­spiel, wenn im Ein­zel­fall von­sei­ten der Ange­hö­ri­gen oder dem Pfle­ge­per­so­nal kei­ne Anzieh­hil­fe geleis­tet wer­den kann. Natür­lich ist die Ver­sor­gung am Fuß mit MAK immer pro­ble­ma­tisch, da die MAK-Ver­sor­gung etwas unför­mig ist und die Pati­en­ten damit schlecht in Schu­he pas­sen. Des­halb ist für mich auch klar: Die MAK kann den Flachstrick-Kom­pres­si­ons­strumpf nach Maß nicht erset­zen, aber sie schließt im Bedarfs­fall eine Lücke, die gleich­wer­tig ist. Sie kann eine wich­ti­ge ergän­zen­de Ver­sor­gung sein.

OT: Des Wei­te­ren haben Sie ers­te Stu­di­en­ergeb­nis­se zum The­ma „Kom­pres­si­ons­the­ra­pie mit inno­va­ti­vem, teils vor­kon­fek­tio­nier­tem Pols­ter­ma­te­ri­al“ vor­ge­stellt. Wie sind da die ers­ten Tendenzen?

Reiß­hau­er: Pols­ter­ma­te­ri­al ist in bei der KPE I ja unum­gäng­lich. Sie dient der Druck­ni­vel­lie­rung und zum Haut­schutz, aber die übli­chen Mate­ria­li­en ver­ur­sa­chen auch viel Müll. In unse­rer Stu­die wur­de gezeigt, dass die­ses neue, inno­va­ti­ve Pols­ter­ma­te­ri­al in sei­ner Wir­kung – also bei der Volu­men- und Umfangs­re­duk­ti­on sowie bei der Abnah­me des Span­nungs­ge­fühls–   dem übli­chen Pols­ter­ma­te­ri­al nicht unter­le­gen ist. Dar­über hin­aus zeigt es ein­deu­ti­ge Vor­tei­le: Es ist wasch­bar und wie­der­ver­wert­bar. Die Pati­en­ten, die an unse­rer Stu­die teil­ge­nom­men haben, kom­men noch heu­te zu den Nach­un­ter­su­chun­gen mit ihrem gewa­sche­nen Mate­ri­al. Das gibt sowohl ihnen als auch uns Behand­lern ein gutes, umwelt­freund­li­ches Gefühl.

Schu­lungs­kon­zept für Medizinstudenten

OT: Stu­di­en zei­gen: Inter­pro­fes­sio­na­li­tät ver­bes­sert das the­ra­peu­ti­sche Ergeb­nis. So ist auch der Dia­gno­se Lymph­ödem davon aus­zu­ge­hen. Unter Ihrer Lei­tung wur­de ein neu­es Schu­lungs­kon­zept für Medi­zin­stu­die­ren­den, bezo­gen auf die Dia­gno­se Lymph­ödem, ent­wi­ckelt. Was sind die Pfei­ler die­ser Schulung?

Reiß­hau­er: Seit Jah­ren bie­ten wir Wahl­pflicht­mo­du­le im Bereich Lymph­ödem und Wun­de an. Nun haben wir dies um das Modul „Kom­pres­si­ons­ver­sor­gung bei Lymph­ödem“ noch­mals ergänzt. Dabei ist es unser Ziel, dass die Stu­die­ren­den sich nicht nur Kli­nik und Dia­gnos­tik der Lymph­öde­m­er­kran­kun­gen und deren The­ra­pie­bau­stei­nen aus­ein­an­der­set­zen, son­dern dass sie im Rah­men der Selbst­er­fah­rung erle­ben, was es für die Pati­en­ten bedeu­tet am Arm oder Bein ein Lymph­ödem zu haben. Um die Funk­ti­ons­de­fi­zi­te selbst zu erfah­ren, set­zen wir Ödem-Simu­la­to­ren kom­bi­niert mit Gewichts­man­schet­ten ein.

OT: Was erhof­fen Sie sich von dem Konzept?

Reiß­hau­er: Damit die The­ra­pien erfolg­reich sind, muss das gan­ze Team, also der Arzt, die Pfle­ge­kraft, die Phy­sio­the­ra­pie, die Sani­täts­haus­fach­an­ge­stell­ten usw. gut zusam­men­ar­bei­ten. Das Schu­lungs­kon­zept hilft den Stu­die­ren­den, die Pati­en­ten bes­ser zu ver­ste­hen. Das ist so wich­tig und kann auf jede der betei­lig­ten Berufs­grup­pe über­tra­gen werden.

Die Fra­gen stell­te Ire­ne Mechsner. 

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