Kin­der­or­tho­pä­die und Neu­ro­or­tho­pä­die verstehen

2024 haben Walter Michael Strobl, Martina Hübner, Franz Landauer und Claudia Abel ein Buch zur Kinderorthopädie und Neuroorthopädie veröffentlicht. Prof. Frank Braatz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, hat sich das Werk angesehen und in der folgenden Rezension bewertet.

Mit „Kin­der­or­tho­pä­die und Neu­ro­or­tho­pä­die ver­ste­hen – Algo­rith­men zur Dia­gnos­tik und Behand­lung“ legen W. Strobl, M. Hüb­ner, F. Land­au­er und C. Abel ein kom­pak­tes Nach­schla­ge­werk vor, das einen umfas­sen­den Zugang zu einem viel­ge­stal­ti­gen und anspruchs­vol­len Fach­ge­biet ver­spricht. Das Buch, berei­chert durch ein Vor­wort von Prof. Dr. Rein­hold Brun­ner, ist als Kitteltaschenbuch kon­zi­piert und rich­tet sich damit gezielt an den kli­nisch-prak­ti­schen All­tag. Das erfah­re­ne Autoren­team bringt nicht nur lang­jäh­ri­ge prak­ti­sche Exper­ti­se in der Kin­der­or­tho­pä­die ein, son­dern hebt ins­be­son­de­re den Wert der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit her­vor. Die­ses Ver­ständ­nis zieht sich als roter Faden durch das gesam­te Werk. Die Ver­net­zung zwi­schen Medi­zin, tech­ni­scher Ortho­pä­die, Phy­sio­the­ra­pie und wei­te­rer rele­van­ter Dis­zi­pli­nen wird nicht nur erwähnt, son­dern aktiv in Behand­lungs­emp­feh­lun­gen ver­knüpft. Dies ist zwei­fel­los ein gro­ßes Plus des Buches, zumal inter­dis­zi­pli­nä­res Han­deln in der Ver­sor­gung von Kin­dern mit kom­ple­xen Ein­schrän­kun­gen uner­läss­lich ist. Her­vor­zu­he­ben ist auch die expli­zi­te Berück­sich­ti­gung sel­te­ner und weni­ger häu­fig auf­tre­ten­der Krank­heits­bil­der. Die Autorin­nen und Autoren fas­sen dazu in prä­gnan­ter Wei­se die zen­tra­len Fak­ten zusam­men, gehen auf dia­gnos­ti­sche Beson­der­hei­ten ein und benen­nen essen­zi­el­le The­ra­pie­kri­te­ri­en. Ins­be­son­de­re jun­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, für die ein schnel­ler Zugang zu bewähr­ten Struk­tu­ren hilf­reich ist, pro­fi­tie­ren von die­sen kom­pak­ten Über­sich­ten. An die­ser Stel­le wäre jedoch eine noch stär­ke­re Ver­tie­fung ein­zel­ner sel­te­ner Dia­gno­sen durch­aus wün­schens­wert, was den Lesern die Mög­lich­keit bie­ten wür­de, die­se anspruchs­vol­len Fäl­le fun­dier­ter ein­zu­ord­nen. Die Sys­te­ma­tik des Buches setzt auf eine farb­ko­dier­te Glie­de­rung, bei der sowohl Sym­pto­me als auch Dia­gno­sen, the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men, Hilfs­mit­tel und Interventionen/Operationen unter­schied­li­chen Far­ben zuge­ord­net sind.

Nach einer kur­zen Ein­ar­bei­tungs­pha­se bie­tet die­ses Sys­tem tat­säch­lich einen sehr raschen Zugriff auf rele­van­te Infor­ma­tio­nen. Gera­de für den kli­ni­schen All­tag, in dem Zeit ein knap­pes Gut ist, stellt dies eine will­kom­me­ne Erleich­te­rung dar. Gleich­zei­tig ver­langt die nicht immer intui­ti­ve Glie­de­rung vom Nut­zer jedoch die Bereit­schaft, sich mit der Logik des Buches ver­traut zu machen. Inhalt­lich wer­den in den ein­zel­nen Unter­ka­pi­teln die wesent­lichs­ten Fak­ten und aktu­el­len Leit­li­ni­en zusam­men­ge­fasst. Die Dar­stel­lung ver­schie­de­ner ortho­pä­di­scher Ein­la­gen – von aus­glei­chen­den über bet­ten­de bis zu kor­ri­gie­ren­den und durch Sti­mu­la­ti­on wir­ken­den Ein­la­gen – illus­triert bei­spiel­haft die Detail­tie­fe, mit der das Autoren­team ein­zel­ne Ver­sor­gungs­be­rei­che beleuchtet.

Posi­ti­ve Erwäh­nung ver­dient außer­dem die kon­se­quen­te Ver­knüp­fung mit aktu­el­len S2-Leit­li­ni­en, wie bei­spiels­wei­se zur Behand­lung des kind­li­chen Knick-Senkfußes.Ein beson­ders gelun­ge­nes Bei­spiel für Pra­xis­nä­he und Über­sicht­lich­keit fin­det sich in Abbil­dung 4.3, die den Hilfs­mit­tel­be­darf bei Kin­dern mit neu­ro­mo­to­ri­schen Erkran­kun­gen in Abhän­gig­keit vom GMFCS-Level dar­stellt. Die lang­jäh­rig beob­ach­te­ten Zusam­men­hän­ge sind auf einer Sei­te nach­voll­zieh­bar visua­li­siert und bie­ten gera­de weni­ger erfah­re­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen eine fun­dier­te Basis, um den Hilfs­mit­tel­be­darf ziel­ge­rich­tet im kli­ni­schen All­tag zu beurteilen.

Das Werk emp­fiehlt sich expli­zit nicht nur für Ärz­tin­nen und Ärz­te in Kli­nik und Pra­xis, son­dern auch für Phy­sio­the­ra­peu­tin­nen und Phy­sio­the­ra­peu­ten, SPZ-Teams sowie Mit­ar­bei­ten­de in Sani­täts­häu­sern. Beson­ders wert­voll sind die zahl­rei­chen Hin­wei­se auf vertiefende Lite­ra­tur, wei­ter­füh­ren­de Lehr­bü­cher und aktu­el­le Stu­di­en. Die umfang­rei­che, nach Kapi­teln geglie­der­te Lite­ra­tur­lis­te hebt sich trotz ihres Umfangs wohl­tu­end von ver­gleich­ba­ren Titeln ab und schafft einen robus­ten Aus­gangs­punkt für wei­ter­ge­hen­de wis­sen­schaft­li­che Recherche.Kritisch anzu­mer­ken bleibt den­noch, dass die Fül­le der The­men natur­ge­mäß Gren­zen in der Tie­fe setzt. Ein­zel­ne, kom­ple­xe­re Fra­ge­stel­lun­gen kön­nen daher nur ange­ris­sen wer­den. Für Spe­zia­lis­tin­nen und Spe­zia­lis­ten und sehr erfah­re­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen könn­te daher mit­un­ter ein stär­ke­rer Fokus auf neue­re evi­denz­ba­sier­te Ent­wick­lun­gen und dif­fe­ren­zier­te Kon­tro­ver­sen noch gewinn­brin­gen­der sein. Ein wei­te­res Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al besteht im Aus­bau von digi­ta­len Ergän­zun­gen oder inter­ak­ti­ven Mate­ria­li­en, die gera­de in der moder­nen Leh­re und kli­ni­schen Fort­bil­dung zuneh­mend an Bedeu­tung gewin­nen. Nicht zuletzt ist die kon­se­quen­te Ein­hal­tung wis­sen­schaft­li­cher Stan­dards im Werk löb­lich. Die Autorin­nen und Autoren legen Wert auf Trans­pa­renz, zitie­ren rele­van­te Leit­li­ni­en und för­dern damit eine evi­denz­ba­sier­te Ent­schei­dungs­fin­dung. Der höf­li­che und respekt­vol­le Ton gegen­über ande­ren Pro­fes­sio­nen macht das Buch zudem zu einer inklu­si­ven Res­sour­ce für alle, die im mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Kon­text tätig sind.

„Kin­der­or­tho­pä­die und Neu­ro­or­tho­pä­die ver­ste­hen“ über­zeugt als pra­xis­na­hes Kom­pen­di­um, das die Vor­tei­le mul­ti­pro­fes­sio­nel­ler Zusam­men­ar­beit ein­drucks­voll vor­lebt; es bie­tet einen schnel­len Zugang zu wich­ti­gen The­men und bleibt den­noch wis­sen­schaft­lich sau­ber gear­bei­tet. Die Struk­tur for­dert anfangs etwas Ein­ar­bei­tung, belohnt dies jedoch mit einer beein­dru­cken­den Über­sicht­lich­keit im Arbeits­all­tag. Für Stu­die­ren­de, Berufs­an­fän­ger und alle Prak­ti­ker, die sich im Bereich der Kin­der- und Neu­ro­or­tho­pä­die wei­ter­bil­den möch­ten, ist das Werk unein­ge­schränkt zu emp­feh­len. Ins­ge­samt ein berei­chern­des Buch, das die inter­dis­zi­pli­nä­re Ver­sor­gung von Kin­dern und Jugend­li­chen evi­denz­ba­siert unter­stützt – dabei aber auch Raum für die Wei­ter­ent­wick­lung der eige­nen fach­li­chen Per­spek­ti­ven lässt.

Prof. Dr. med. Frank Braatz

W. Strobl, M. Hübner,F. Landauer, C. Abel Kinderorthopädie und Neuroorthopädie verstehen mmt impuls media 320 Seiten, kart. ISBN 978-3-911285-00-1 auch als E-Book
W. Strobl, M. Hüb­ner, F. Land­au­er, C. Abel Kin­der­or­tho­pä­die und Neu­ro­or­tho­pä­die ver­ste­hen mmt impuls media 320 Sei­ten, kart. ISBN 978–3‑911285–00‑1 auch als E‑Book

 

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