Intra­in­di­vi­du­el­le Ver­gleichs­un­ter­su­chung ver­schie­de­ner Fuß­pass­tei­le an unter­schen­kel­am­pu­tier­ten Probanden

M. Hildebrandt
Die individuelle Auswahl des geeigneten Prothesenfußes aus den 148 verfügbaren Modellen erfolgt typischerweise nicht nach objektiven Kriterien. Verfügbar sind allenfalls grobe Anhaltspunkte (max. Patientengewicht, Aktivitätsklasse, Amputationshöhe), wie sie die Passteilhersteller angeben. Zur objektiven Beschreibung funktioneller Prothesenfußeigenschaften fehlt es an einer standardisierten Methodik. An vier einseitig unterschenkelamputierten Probanden wurden im Rahmen einer Pilotstudie drei unterschiedliche Prothesenfüße (1D10, 1D35, Vari-Flex) im intraindividuellen Vergleich mittels einer modifizierten Auswertung ganganalytischer Daten (Roll-over-Shape-Verfahren) untersucht. Mit dieser Methode wird die Verformung des Prothesenfußes unter dynamischer Last beim Abrollvorgang registriert. Die unterschiedliche Charakteristik der Prothesenfüße lässt sich so objektiv darstellen; die Ergebnisse weisen eine gute Übereinstimmung mit den subjektiven Wahrnehmungen der Prothesenträger auf.

Ein­lei­tung

Die Fra­ge, nach wel­chen Kri­te­ri­en die Aus­wahl aus ver­schie­de­nen Pro­the­sen­fuß­pass­tei­len bei der Ver­sor­gung getrof­fen wird, ist viel­schich­tig. Sie ist aus der jewei­li­gen Sicht der betei­lig­ten Kun­den, Ärz­te, Tech­ni­ker, Her­stel­ler und Kos­ten­trä­ger von unter­schied­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, Ziel­set­zun­gen und Ein­griffs­mög­lich­kei­ten geprägt. Her­stel­ler­fir­men bie­ten Klas­si­fi­ka­ti­ons­sche­ma­ta wie Akti­vi­täts­klas­sen­ein­tei­lun­gen, Belas­tungs­gren­zen und Ampu­ta­ti­ons­hö­hen an. Für die SGB-V-Kran­ken­kas­sen gel­ten wirt­schaft­li­che Inter­es­sen einer not­wen­di­gen, aus­rei­chen­den und zweck­mä­ßi­gen Versorgung.

Anzei­ge

Nach Fest­stel­lung der Kli­ni­schen Prüf­stel­le für ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel der Kli­nik für Tech­ni­sche Ortho­pä­die am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Müns­ter hält der deut­sche Markt 148 Model­le indus­tri­ell gefer­tig­ter Fuß­pass­tei­le zur Aus­wahl bereit 1. Die damit vor­han­de­ne Viel­fäl­tig­keit der Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le und feh­len­de stan­dar­di­sier­te Aus­wahl­me­tho­den machen die indi­vi­du­el­le Aus­wahl des geeig­ne­ten Pro­the­sen­fu­ßes schwie­rig. In der Pra­xis ent­schei­dend sind meist sub­jek­ti­ve Erfah­run­gen und finan­zi­el­le Möglichkeiten.

Grund­la­gen

Pro­the­sen­fü­ße unter­tei­len sich grund­sätz­lich in akti­ve und pas­si­ve, wobei pas­si­ve wei­ter unter­teilt wer­den in (Abb. 1) 2:

gelenk­lo­se

  • SACH (Solid Ank­le Cushion(ed) Heel),
  • SAFE (Solid Ank­le Fle­xi­ble Endoskeleton);

gelen­ki­ge

  • Gelenk­fü­ße, die min­des­tens über ein mecha­ni­sches Gelenk verfügen.

Nach Blu­men­tritt, Fitzlaff und Heim muss jeder Pro­the­sen­fuß all­ge­mein fol­gen­de bio­me­cha­ni­sche Funk­tio­nen erfül­len 3 4:

  • Auf­nah­me des Körpergewichtes,
  • Wie­der­her­stel­lung der Unterstützungsfläche,
  • Kraft­über­tra­gung zwi­schen Boden und Körper,
  • Momen­ten­er­zeu­gung für die Fortbewegung,
  • Stoß­dämp­fung beim Fersenauftritt,
  • kos­me­ti­scher Ersatz.

Über die unter­schied­li­chen Kraft­ein­wir­kun­gen auf den Pro­the­sen­fuß in der Stand­pha­se, einer Pha­se des Gang­zy­klus 5, kommt es zur rever­si­blen Ver­for­mung an Fersen‑, Mit­tel- und Vor­fuß. Dar­aus erge­ben sich meh­re­re Mög­lich­kei­ten. In der Pha­se der Last­über­nah­me wird das Kör­per­ge­wicht auf den Pro­the­sen­fuß über­tra­gen. Die Wahl der Hebel­län­ge und die Här­te der Fer­sen­ma­te­ria­li­en ent­schei­den hier­bei über die Höhe der Stoß­mi­ni­mie­rung, der wir­ken­den Dreh­mo­men­te und idea­ler­wei­se über eine kon­trol­lier­te Plant­ar­fle­xi­ons­be­we­gung. In der mitt­le­ren Stand­pha­se sorgt der Pro­the­sen­fuß für die not­wen­di­ge Sta­bi­li­sie­rung der Kör­pers. Am Ende der mitt­le­ren und ter­mi­na­len Stand­pha­se mit Über­gang zur Vor­schwung-Pha­se wan­dert der Kör­per­schwer­punkt zurück auf die kon­tra­la­te­ra­le Sei­te. Die Kon­struk­ti­on der Vor­fuß­ma­te­ria­li­en und der mecha­ni­schen Gelenk­kon­struk­tio­nen beein­flusst dabei die Län­ge des Schrit­tes sowie die Vor­wärts­dy­na­mik der Schwung­pha­sen­ein­lei­tung 6 7 8 9 10 11 12 13.

Seit den 1980er Jah­ren schrei­tet die Ent­wick­lung von Pro­the­sen­fuß­pass­tei­len durch neue Mate­ri­al­for­schungs­er­geb­nis­se ste­tig vor­an. Die Imple­men­tie­rung von Koh­le­fa­ser­ver­bund­stof­fen in der Ortho­pä­die-Tech­nik schafft kon­struk­tiv neue Mög­lich­kei­ten, Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le dyna­mi­scher, leis­tungs­fä­hi­ger und leich­ter zu gestal­ten. Für den sta­ti­schen Auf­bau von Unter­schen­kel­pro­the­sen mit pas­si­ven Pro­the­sen­fü­ßen wur­de durch Blu­men­tritt et al. 1999 eine gene­rel­le Metho­de (Ori­en­tie­rung des Pro­the­sen­fu­ßes im Raum) ent­wi­ckelt, um eine „phy­sio­lo­gi­sche” Abrol­lung und Belas­tung für Unter­schen­kel­am­pu­tier­te zu gewähr­leis­ten 14 15 16. Poste­ma et al. zeig­ten, dass die Dor­sal­ex­ten­si­ons­stel­lung des Fußes die Gleich­ge­wichts­kon­troll­me­cha­nis­men der Ampu­tier­ten beein­flusst 17 18. Cor­tes ver­such­te, den Wen­de­punkt von der Dor­sal­ex­ten­si­on zur Plant­ar­fle­xi­on ver­schie­de­nen Pro­the­sen­fü­ßen zuzu­ord­nen 19.

Ande­re Wis­sen­schaft­ler unter­such­ten die ener­gie­rück­ge­ben­den Eigen­schaf­ten ver­schie­de­ner Pro­the­sen­fuß­ty­pen. Sie konn­ten dar­stel­len, dass eine Ener­gie­rück­ga­be zu Beginn der Stand­pha­se und in der Vor­schwung­pha­se statt­fin­det. Die Höhe der Ener­gie­rück­ga­be hängt aber von der Fle­xi­bi­li­tät der gewähl­ten Pro­the­sen­fuß­ma­te­ria­li­en und von indi­vi­du­el­len Gang­mus­tern ab 20 21 22 23. Eine Aus­wer­tung der Ergeb­nis­se frü­he­rer Stu­di­en durch Riet­man et al. (2002) zeig­te, dass es durch­aus Unter­su­chun­gen bezüg­lich der Adap­ti­ons­stra­te­gien des Kör­pers, des Ein­flus­ses ver­schie­de­ner Pro­the­sen­fü­ße, des Ein­flus­ses des Gewich­tes auf das Geh­ver­hal­ten und des Ener­gie­ver­brauchs gibt 24. Die­se Ergeb­nis­se wer­den jedoch sel­ten für pra­xis­be­zo­ge­ne Ent­schei­dun­gen durch Ärz­te und Hand­wer­ker genutzt 25. Daher ist eine stan­dar­di­sier­te Metho­dik zur Über­tra­gung wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se in die hand­werk­li­che Pra­xis drin­gend erforderlich.

Fra­ge­stel­lung

Die in die­ser Pilot­stu­die ange­wand­te instru­men­tel­le Gang­ana­ly­se in Kom­bi­na­ti­on mit dem erwei­ter­ten Roll-over-Shape-Ver­fah­ren (ROS) soll im Fol­gen­den ana­ly­siert wer­den und mit den sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mun­gen von Pro­ban­den bezüg­lich des Abroll­ver­hal­tens unter­schied­li­cher Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le ver­gli­chen wer­den. Dies kann ers­te Anhalts­punk­te für eine mög­li­che objek­ti­vier­te Mes­sung bei der Ein­stel­lung von Unter­schen­kel­pro­the­sen liefern.

Die vor­lie­gen­de Stu­die ver­steht sich als Ein­stieg in die kom­ple­xe Pro­ble­ma­tik, Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le zu ana­ly­sie­ren, um eine kli­ni­sche, wis­sen­schaft­li­che und indus­trie­un­ab­hän­gi­ge Funk­ti­ons­be­schrei­bung zu erarbeiten.

Mate­ri­al und Methode

Das Stu­di­en­de­sign basiert auf dem Ver­gleich von vier ein­sei­tig unter­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den mit drei bau­lich unter­schied­li­chen gelenk­lo­sen Pro­the­sen­fuß­pass­tei­len (Abb. 1), die unab­hän­gig von der Pro­ban­den­ver­sor­gung aus­ge­wählt wur­den. Ein­schluss­kri­te­ri­en waren eine unein­ge­schränk­te Geh­fä­hig­keit ohne die Not­wen­dig­keit zusätz­li­cher Hilfs­mit­tel, kei­ne Stumpf­pro­ble­me in den letz­ten sechs Mona­ten, kei­ne Beein­träch­ti­gun­gen im Rumpf und an der kon­tra­la­te­ra­len Bein­sei­te. Dar­über hin­aus muss­ten die Pro­the­sen­trä­ger kogni­tiv fähig sein, sich an unter­schied­li­che Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le zu adap­tie­ren. Die für die­se Stu­die gewon­ne­nen Pro­ban­den ℗ gehör­ten alle der AK3 an und waren zwi­schen 38 und 67 Jah­re alt. Die Ampu­ta­ti­ons­dau­er lag zwi­schen 3 und 46 Jah­ren, die Stumpf­län­gen betru­gen zwi­schen 8 und 24 cm, und das jewei­li­ge Kör­per­ge­wicht betrug 92 kg (P1), 118 kg (P2), 100 kg (P3) und 72 kg (P4).

Die aus­ge­wähl­ten Pro­the­sen­fuß­ty­pen (Abb. 2) bestan­den aus einem SACH-Fuß mit Holz­kern (1D10 der Fir­ma Otto­bock), einem SAFE-Fuß mit einer ein­ge­schäum­ten Car­bon­fe­der­kom­po­nen­te (1D35 der Fir­ma Otto­bock) und einem SAFE-Fuß mit frei­lie­gen­den Car­bon­fe­der­kom­po­nen­ten (Vari-Flex mit EVO der Fir­ma Össur Europe).

Aus­ge­wer­tet wur­den die Mess­da­ten der Ergeb­nis­se des Prüf­auf­tra­ges 12 der Kli­ni­schen Prüf­stel­le für ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel. Dabei wer­den die anthro­po­me­tri­schen Daten und die ärzt­li­che Ein­gangs­un­ter­su­chung gemäß einem stan­dar­di­sier­ten Prüf­pro­to­koll durch einen Fach­arzt für Ortho­pä­die erho­ben. Die ortho­pä­die­tech­ni­sche Befund­er­he­bung wur­de durch einen Ortho­pä­die-Tech­ni­ker­meis­ter gewähr­leis­tet. Das Mess­pro­to­koll beinhal­te­te kli­nisch-bio­me­cha­ni­sche Mes­sun­gen mit einem VICON-Kist­ler-Mess­sys­tem (V460 VICON-Kame­ras, Kist­ler-Kraft­mess­plat­ten Typ 9286AA) und einem dar­an anschlie­ßen­den Fra­ge­bo­gen für das jewei­li­ge Fuß­pass­teil im Schulnotensystem.

Für die Daten­ana­ly­se wur­de das ROS-Ver­fah­ren von Han­sen (sie­he Infor­ma­ti­ons­kas­ten) ver­wen­det und auf die gesam­te Stand­pha­se erwei­tert, das heißt vom Fer­sen­auf­tritt bis zur Zehen­ab­lö­sung (Abb. 3) 26. Beim ROS-Ver­fah­ren wird der Bezugs­punkt der Betrach­tung ver­än­dert, und zwar vom glo­ba­len (orts­fes­ten) in ein loka­les (kör­per­fes­tes) Koor­di­na­ten­sys­tem. Die jewei­li­ge Lage des Cen­ter of Pres­su­re (COP) wird auf das neue (kör­per­fes­te) Koor­di­na­ten­sys­tem umge­rech­net (Abb. 4). Bei der Mes­sung muss dazu ein Refe­renz­kör­per 27 an der Pro­the­se ange­bracht sein. An die­sem Refe­renz­kör­per (Abb. 5) befin­den sich drei Mar­ker – ortho­go­nal posi­tio­niert –, mit denen das loka­le Koor­di­na­ten­sys­tem defi­niert wird.

Der Mess­win­kel muss in den drei Haupt­ebe­nen jus­tiert wer­den (Abb. 5 u. 6). Der Ver­lauf des COP von der Fer­se zur Fuß­spit­ze kann so auf den Fuß sel­ber (lokal) bezo­gen und nicht nur im Raum (glo­bal) beschrie­ben werden.

Zur Jus­tie­rung des ROS-Refe­renz­kör­pers wur­de das L.A.S.A.R.-Posture ver­wen­det. Das neue Bezugs­sys­tem ermög­licht es, die Ver­for­mun­gen des Pro­the­sen­fu­ßes unter der Abroll­be­las­tung objek­tiv zu beschreiben.

Ande­re Mess­ver­fah­ren, mit denen man Pro­the­sen­fü­ße in der Abroll­be­las­tung unter­sucht, mes­sen auf­tre­ten­de Kräf­te oder Form­ver­än­de­run­gen bestimm­ter Punk­te am Pro­the­sen­fuß. Mit dem erwei­ter­ten ROS-Mess­ver­fah­ren wird dage­gen die belas­tungs­ab­hän­gi­ge Ver­for­mung am jewei­li­gen Last­tra­ge­punkt erfasst, der unter dem Fuß durch­läuft. Die­se Kenn­li­nie spie­gelt cha­rak­te­ris­ti­sche Eigen­schaf­ten ver­schie­de­ner Pro­the­sen­fü­ße wider.

Für eine ver­bes­ser­te Dar­stel­lung wur­de die­ser ROS-Ver­lauf um den ver­ti­ka­len Abstand des Bezugs­punkts im Zwei­bein­stand höhen­ver­scho­ben. Um Aus­sa­gen über die Adap­ti­ons­zei­ten der gewähl­ten Pro­the­sen­fü­ße zu erzie­len, wur­den bei Pro­band 1 Dop­pel­mes­sun­gen durch­ge­führt. Die­se fan­den nach einer zwei­stün­di­gen Adap­ti­ons­zeit sowie nach einer fünf­tä­gi­gen Tra­ge­zeit statt. Die Ergeb­nis­se zeig­ten nach mehr­tä­gi­ger Anwen­dung nur gering­fü­gi­ge Unter­schie­de. Die Hüft- und Knie­win­kel ver­lie­fen ten­den­zi­ell sym­me­tri­scher, die Stan­dard­ab­wei­chun­gen wur­den gering­fü­gig klei­ner. Auf­grund die­ser Erkennt­nis­se wur­de bei allen wei­te­ren Unter­su­chun­gen eine Adap­ti­ons­zeit von 2 Stun­den als aus­rei­chend ange­nom­men 28.

Ergeb­nis­se

Die Erwar­tun­gen der Pro­ban­den an ihren Pro­the­sen­fuß bezüg­lich Funk­ti­on und Design waren sehr unter­schied­lich. Sie erwar­te­ten von einem Pro­the­sen­fuß im Hin­blick auf sei­ne Funk­ti­on, dass er sich dem Boden gut anpasst, ein gerin­ges Gewicht besitzt und eine gute Abrol­lung bie­tet. Das Design soll­te ein natür­li­ches Aus­se­hen gewährleisten.

Die Aus­wer­tung der sub­jek­ti­ven Bewer­tun­gen der ver­schie­de­nen Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le ergab, dass die Pro­ban­den 2 und 4 sich ein­deu­tig für den Vari-Flex-Fuß ent­schie­den (Tab. 1). Bei den Pro­ban­den 1 und 3 lagen die sub­jek­ti­ven Ein­schät­zun­gen der ver­schie­de­nen Pro­the­sen­fü­ße sehr dicht bei­ein­an­der. Pro­band 1 favo­ri­sier­te den 1D10 durch das leich­te Über­rol­len über den Vor­fuß, Pro­band 3 sah gerin­ge Vor­tei­le beim Vari-Flex.

Die Ergeb­nis­se der instru­men­tel­len Gang­un­ter­su­chung zeig­ten bei den Pro­ban­den 2, 3 und 4 die größ­te Kon­gru­enz zur erhal­te­nen Sei­te mit dem Vari-Flex, bei Pro­band 1 war dies­be­züg­lich der 1D10 am bes­ten. Bei den kine­ma­ti­schen Ergeb­nis­sen waren die Resul­ta­te mit dem Vari-Flex bei den Pro­ban­den 1 und 2 bes­ser gegen­über 1D10 und 1D35 (Tab. 2). Vor allem bei der selbst gewähl­ten Geh­ge­schwin­dig­keit erhöh­ten sich die Wer­te um mehr als 5 %. Bei den Pro­ban­den 3 und 4 wur­den nur gering­fü­gi­ge Unter­schie­de in Bezug auf Geh­ge­schwin­dig­keit und Schritt­län­ge deut­lich, Pro­band 3 zeig­te leich­te Vor­tei­le mit dem 1D10, Pro­band 4 mit dem 1D35.

Bei der qua­li­ta­ti­ven Betrach­tung der mitt­le­ren ROS-Ver­läu­fe des 1D10 (Abb. 7) zeig­ten sich deut­li­che inter­in­di­vi­du­el­le Unter­schie­de in der Belas­tungs­über­nah­me und zu Beginn der mitt­le­ren Stand­pha­se, die sich ab der Hälf­te der Stand­pha­se wie­der angli­chen. Die­se Abwei­chun­gen tra­ten auch intra­in­di­vi­du­ell auf und zeig­ten hohe Stan­dard­ab­wei­chun­gen von bis zu 8,5 mm in der ers­ten Pha­se der Stand­pha­se. Die Fer­sen­ma­te­ria­li­en des 1D10 wur­den bis zu 13 mm unter­schied­lich stark ver­formt. Die Anglei­chung der Ver­for­mungs­un­ter­schie­de fand in der Mit­te der mitt­le­ren Stand­pha­se statt. Die Abroll­län­gen über den Vor­fuß­be­reich bis zum Fer­sen­auf­tritt der kon­tra­la­te­ra­len Bein­sei­te waren zwi­schen den Pro­ban­den unter­schied­lich: Pro­band 1 been­de­te den Abroll­vor­gang nach 143 mm Abroll­stre­cke, Pro­band 2 nach 138 mm, Pro­band 3 nach 133 mm; Pro­band 4 roll­te mit einer Abroll­län­ge von 148 mm am wei­tes­ten über den Vor­fuß ab. In der bipe­da­len Stand­pha­se stie­gen die Stan­dard­ab­wei­chun­gen der Pro­ban­den 1 und 2 auf maxi­mal 4,5 mm.

Die mitt­le­ren ROS-Ver­läu­fe des 1D35 (Abb. 8) zeig­ten homo­ge­ne und relia­ble Form­ver­än­de­run­gen bis zur ter­mi­na­len Stand­pha­se. Ab dem Ende der ter­mi­na­len Stand­pha­se und Vor-Schwung­pha­se ver­läuft der Kraft­an­griffs­punkt aus­schließ­lich im Vor­fuß­be­reich; dort nah­men die Unter­schie­de signi­fi­kant zu. Das führt dazu, dass die Pro­ban­den 2 und 4 einen grö­ße­ren Hebel­arm zur Ver­for­mung des Vor­fuß­be­rei­ches benö­ti­gen, um die Abrol­lung ein­zu­lei­ten. Die Abroll­län­gen bei die­sen Pro­ban­den lagen bei 156 mm der Abroll­stre­cke; die Pro­ban­den 1 und 3 been­de­ten den Schritt schon bei 131 mm. Ab einer Abroll­län­ge von 175 mm stie­gen die intra­in­di­vi­du­el­len Stan­dard­ab­wei­chun­gen stark an – bis zu einem Maxi­mum von 10 mm. Nur Pro­band 2 konn­te gut repro­du­zier­ba­re Abroll­vor­gän­ge erzie­len. Des­sen Stan­dard­ab­wei­chun­gen lagen über die gesam­te Stand­pha­se unter 2 mm.

Die mitt­le­ren ROS-Ver­läu­fe des Vari-Flex-Pro­the­sen­fu­ßes (Abb. 9) ver­hiel­ten sich zwei­ge­teilt. Über einen Groß­teil der Stand­pha­se erreich­ten Pro­band 1 und 2 fast iden­ti­sche Abroll­ver­än­de­run­gen, obwohl die Pro­banden­ge­wichts­un­ter­schie­de über 20 kg betru­gen. Die Pro­ban­den 3 und 4 erziel­ten unter­schied­li­che Mate­ri­al­ver­for­mun­gen zu Beginn der Stand­pha­se, die sich in der mon­o­pe­da­len Stand­pha­se iden­tisch angli­chen. Alle Pro­ban­den zeig­ten sehr relia­ble Abroll­ver­hal­ten über meh­re­re Ein­zel­mess­durch­läu­fe. Nur bei den Pro­ban­den 1 und 3 stie­gen die Stan­dard­ab­wei­chun­gen zum spä­ten Ende der Stand­pha­se leicht an – auf maxi­mal 5,4 mm; bei Pro­band 4 kam es zu Beginn der Belas­tungs­über­nah­me zu einer Streu­ung von 4,1 mm.

Bei der Betrach­tung, wie lan­ge die Pro­ban­den mit dem Vari-Flex-Fuß über den Vor­fuß abrol­len, wur­den bei 3 von 4 Pro­ban­den ähn­li­che Abroll­län­gen fest­ge­stellt. Pro­band 1 schloss die mon­o­pe­da­le Stand­pha­se nach einem Abroll­weg von 163 mm ab, Pro­band 2 nach 176 mm und Pro­band 4 nach 170 mm. Pro­band 3 ver­blieb am längs­ten auf dem Pro­the­sen­fuß. Er erreich­te eine Abroll­stre­cke von 193 mm. In der bipe­da­len Stand­pha­se ver­hiel­ten sich die ROS-Ver­läu­fe indi­vi­du­ell. Die Pro­ban­den 3 und 4 ver­such­ten weit über den Vor­fuß abzu­rol­len, die ande­ren bei­den Pro­ban­den bra­chen den Abroll­vor­gang nach Been­di­gung der mon­o­pe­da­len Stand­pha­se ab.

Dis­kus­si­on

Die Ana­ly­se von Pro­the­sen­fuß­pass­tei­len ist viel­schich­tig und beinhal­tet die Aus­ein­an­der­set­zung mit indi­vi­du­el­len Ein­fluss­grö­ßen, die jeder ein­zel­ne Ampu­tier­te mit sich bringt. Ein­heit­li­che, pra­xis­re­le­van­te und indus­trie­un­ab­hän­gi­ge Ver­sor­gungs­kri­te­ri­en sind daher nur schwer zu erar­bei­ten. Die bio­me­cha­ni­sche Ana­ly­se zeig­te, dass die sub­jek­ti­ve Bewer­tung ver­schie­de­ner Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le nicht immer mit deren objek­ti­ven Daten über­ein­stimmt oder dass die kla­ren objek­ti­ven Ver­bes­se­run­gen nicht glei­cher­ma­ßen von den Anwen­dern emp­fun­den wer­den. Das ange­wand­te Roll-over-Shape-Ver­fah­ren bie­tet die Mög­lich­keit, die sub­jek­tiv wahr­ge­nom­me­nen Abroll­un­ter­schie­de sicht­bar zu machen. Die Pro­ban­den die­ser Stu­die beschrie­ben das Abroll­ver­hal­ten des 1D10 als „zwei­bu­cke­lig” oder als „Dop­pel­schlag”. Dies spie­gel­te sich in zwei Ver­än­de­run­gen der Abroll­ra­di­en bei 25 mm und bei 125 mm der Abroll­stre­cke wider. Die Begrün­dung fin­det sich in der unter­schied­li­chen Mate­ri­al­zu­sam­men­set­zung zwi­schen dem wei­chen Fer­sen- und Vor­fuß­be­reich im Ver­hält­nis zum rigi­den Mit­tel­fuß­be­reich. Die Betrach­tun­gen des effek­ti­ven Hebel­ar­mes, der die Schritt­wei­te bis zum Auf­set­zen der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te beein­flusst, zeig­ten, dass die­ser gegen­über dem 1D35 und dem Vari-Flex-Pro­the­sen­fuß mit durch­schnitt­lich 140 mm Abroll­stre­cke ver­kürzt war. Trotz die­ser kur­zen Schritt­län­ge roll­ten alle Pro­ban­den sehr weit über den Vor­fuß ab. Sub­jek­tiv beschrie­ben zwei Pro­ban­den die­se Ver­for­mung als „wei­che” Abrollung.

Die­se Abroll­mög­lich­keit eröff­net Ampu­tier­ten mit einer gerin­ge­ren Mobi­li­tät die Mög­lich­keit, grö­ße­re Hüf­tex­ten­si­ons­win­kel zu errei­chen. Unter­su­chun­gen von Bon­net zu einem ähn­lich kon­stru­ier­ten Fuß (Gery-Fuß) bestä­ti­gen die­se Erkennt­nis­se 29. Die ROS-Ver­läu­fe zeig­ten wei­ter­hin, dass glei­che Ver­for­mun­gen in der Abroll­geo­me­trie mit dem 1D10 unab­hän­gig von Geh­ge­schwin­dig­keit und Kör­per­ge­wicht auf­tra­ten. Auch die­se Ergeb­nis­se kön­nen durch Unter­su­chun­gen von A. H. Han­son bestä­tigt wer­den 30 31. Bei der Ana­ly­se der ROS-Ver­läu­fe mit dem 1D35 zeig­te sich eine gute Relia­bi­li­tät unab­hän­gig von Kör­per­ge­wicht und Geh­ge­schwin­dig­keit bis zur Vor­schwung-Pha­se im zwei­ten bipe­da­len Stand­pha­sen­an­teil. In die­sem Stand­pha­sen­ab­schnitt wird aus­schließ­lich der Zehen­an­teil ver­formt. Da die Car­bon­fa­ser­stär­ke des 1D35 nicht indi­vi­du­ell vom Gewicht des Unter­schen­kel­am­pu­tier­ten abhängt und die Car­bon­fa­ser­län­ge pro­por­tio­nal zur Fuß­län­ge kon­stru­iert wird, reagie­ren die Pro­ban­den unter­schied­lich auf die Wider­stands­kräf­te im Vor­fuß­be­reich. Zwei Pro­ban­den been­de­ten den Abroll­vor­gang, die ande­ren zwei ver­such­ten über die ver­blie­be­ne Rück­stell­kraft wei­ter abzu­rol­len. Nur Pro­band 4 war in der Lage, die­se Abroll­ver­än­de­rung sub­jek­tiv zu beschrei­ben. Das zeigt, dass die­ses Ver­fah­ren in der Lage ist, sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mun­gen zu objek­ti­vie­ren und dar­über hin­aus nicht immer emp­fun­de­ne Abrol­län­de­run­gen mess­bar zu machen.

Auf­fäl­lig beim 1D35 sind die Ver­for­mun­gen im Fer­sen­be­reich. Dort wur­de eine ROS-Höhe von durch­schnitt­lich 20 mm erreicht, die im Schnitt 3 mm höher als beim 1D10 aus­fiel, obwohl die Fer­sen­ma­te­ria­li­en wei­cher erscheinen.

Die mitt­le­ren ROS-Ver­läu­fe mit dem Vari-Flex-Pro­the­sen­fuß zeig­ten inter­in­di­vi­du­ell unter­schied­li­ches Ver­for­mungs­ver­hal­ten bei intra­in­di­vi­du­ell sehr gerin­ger Varia­bi­li­tät. Pro­band 3 erziel­te die gerings­te Ver­for­mung zu Beginn und die höchs­te Defor­ma­ti­on am Ende der Stand­pha­se. Nach der Ana­ly­se des ROS müss­te die Här­te der gewähl­ten Fer­sen­car­bon­fe­der ver­än­dert wer­den, um die­sem Pro­ban­den einen wei­che­ren Fer­sen­auf­tritt zu ermög­li­chen. Die­se Beob­ach­tung kor­re­liert jedoch nicht mit der Aus­sa­ge des Probanden.

Die Ergeb­nis­se des ROS-Ver­laufs in der Mit­te der mitt­le­ren Stand­pha­se zeig­ten im Ver­gleich zu den ande­ren Pro­the­sen­fuß­pass­tei­len je zwei gleich­blei­ben­de Abroll­ra­di­en, die mit dem Kör­per­ge­wicht der Pro­ban­den kor­re­lie­ren, obwohl die Car­bon­fa­ser­stär­ken nach der Akti­vi­täts­klas­se und dem Kör­per­ge­wicht des Pro­ban­den aus­ge­wählt wur­den. Alle Pro­ban­den erziel­ten jedoch mit dem Vari-Flex-Fuß den längs­ten effek­ti­ven Hebel­arm mit im Durch­schnitt 175,5 mm Abroll­län­ge, bevor sie die mon­o­pe­da­le Stand­pha­se been­de­ten. Somit kön­nen Zusam­men­hän­ge zwi­schen der Län­ge der Car­bon­fe­der und dem effek­ti­ven Hebel­arm ermit­telt werden.

Schluss­fol­ge­run­gen

Die­se Pilot­stu­die an vier unter­schen­kel­am­pu­tier­ten Pro­ban­den ver­such­te mit­hil­fe der instru­men­tel­len Gang­ana­ly­se und dem erwei­ter­ten Roll-over-Shape-Ver­fah­ren die sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mun­gen im Abroll­ver­hal­ten ver­schie­de­ner Pro­the­sen­fuß­pass­tei­le zu objek­ti­vie­ren. Das ROS-Ver­fah­ren hat sich als geeig­net erwie­sen, objek­tiv die Ver­for­mun­gen eines Pro­the­sen­fuß­pass­tei­les unter der tat­säch­li­chen (in vivo) Belas­tung auf­zu­zeich­nen. Dadurch konn­ten auch von sen­si­blen Pro­the­sen­trä­gern erfühl­te Abroll­ei­gen­schaf­ten objek­tiv nach­voll­zo­gen wer­den. Die Genau­ig­keit des ROS-Ver­fah­rens ist dabei der kli­ni­schen Beob­ach­tung über­le­gen. Die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se rei­chen aller­dings noch nicht aus, um gene­rel­le Aus­sa­gen über die indi­vi­du­el­le Aus­wahl eines geeig­ne­ten Pro­the­sen­fu­ßes zu tref­fen. Dazu bedarf es wei­te­rer Mes­sun­gen mit einer grö­ße­ren Probandenanzahl.

Der Autor:
Mar­kus Hildebrandt
Kli­ni­sche Prüf­stel­le für Ortho­pä­di­sche Hilfsmittel
Albert-Schweit­zer-Cam­pus 1
48149 Müns­ter
markushildebrandt@gmail.com

Begut­ach­te­ter Artikel/reviewed paper

Zita­ti­on
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Erklä­rung des Roll-over-Shape-Verfahrens

Das Roll-over-Shape-Ver­fah­ren (ROS), ent­wi­ckelt von A. H. Han­sen (2002), ist von ihm defi­niert als repro­du­zier­ba­re Abroll­geo­me­trie, die mit­hil­fe der Koor­di­na­ten­trans­for­ma­ti­on den Kraft­an­griffs­punkt­ver­lauf (COP) auf ein kör­per­fes­tes Koor­di­na­ten­sys­tem bezieht und vom ipsi­la­te­ra­len bis zum kon­tra­la­te­ra­len Fer­sen­kon­takt beschrie­ben wird 32. Über das ROS-Ver­fah­ren ist es mög­lich, qua­li­ta­tiv eine Form­ge­stal­tung zu beschrei­ben. Zur Ver­an­schau­li­chung kön­nen bekann­te Geo­me­trie­for­men wie zum Bei­spiel ein Fahr­rad­rei­fen mit Ven­til ver­wen­det wer­den. Bei der seit­li­chen Betrach­tung eines fah­ren­den Rad­fah­rers bewegt sich das Ven­til auf und ab (Abb. 2a). Schaut man jedoch von der Fahr­rad­na­be auf das Ven­til, kreist es um die Nabe und spie­gelt die Abroll­geo­me­trie (ein Kreis) wider.

In Bezug auf eine Unter­su­chung von Pro­the­sen­fü­ßen heißt dies, dass die von außen auf den Pro­the­sen­fuß bezo­ge­ne Betrach­tung zu einem fixen Punkt in Höhe des Mal­leo­lus late­ra­lis der erhal­te­nen Sei­te wech­selt. Über den ROS kön­nen somit die unter­schied­li­chen Ver­for­mun­gen der Pro­the­sen­fuß­ma­te­ria­li­en dar­ge­stellt wer­den 33 34 35 36.

 

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