Zwei Handgriffe gehören fest zu Jana Crämers Alltag: der zum Handy und der zur Kompressionshose. Am liebsten schlüpft sie in die in knalligem Magenta. In vielen ihrer Outfits spielt die Farbe eine Rolle. Man könnte meinen, Pink ist für sie das neue Schwarz. Und wer weiß, vielleicht etabliert sich das ja demnächst?! Instagram, Tik Tok, Youtube – Jana Crämer treibt sich querbeet auf Social Media herum, lässt ihre Community an ihrem Alltag teilhaben und löst damit auch schon mal (ungewollt) einen Trend aus. Beige, eng und nur etwas für alte Leute? Fehlanzeige! Teilweise möchten sogar Follower, die gar keine Kompressionshose benötigen, das „It-Piece“ tragen. Eine Entwicklung, die so von der 42-Jährigen zwar nicht geplant war, aber zeigt, wie Hilfsmittel sich im Laufe der Jahre verändern und wie Influencer diese Bewegung in der Welt verbreiten können.
Jahrelang hieß es, sie sei fett, solle einfach abnehmen. Die Diagnose „Lipödem“ erhielt Crämer erst viel später. Was für viele andere Betroffene ein Schock ist, setzte für sie eine Reise zu sich selbst, zu einem anderen Körperbild in Gang. Heute hat sie ihren Frieden mit der Erkrankung gemacht, versteckt sich nicht länger. Im Gegenteil: Sie zeigt sich und ihren Körper ganz offen und ehrlich. „Man sollte sich nur für einen scheiß Charakter schämen, aber nicht für seinen Körper und schon gar nicht für eine Krankheit“, betont sie. Wie sie aussieht, was sie trägt und wie ihr Kompression den Alltag erleichtert, teilt sie on- und offline mit ihren Fans. Auch zu ihrer „Sani-Fee“ nimmt Crämer ihre Community immer mal wieder mit, lässt sie so ins Sanitätshaus blicken und gibt ihr Tipps und Tricks mit an die Hand. „Julia war so lieb und herzlich, hat mir alles genau erklärt und mir mit viel Humor die Angst genommen“, erinnert sich Crämer an ihren ersten Besuch. Ebenso möchte sie ihre Bekanntheit nutzen, um mit Vorurteilen aufzuräumen. „Ja, meine Kompression rutschte anfangs auch“, berichtet sie. Aber nicht, weil Kompression das grundsätzlich tut oder falsch gemessen wurde, sondern weil sie nicht wusste, dass es für eine gute Haftung wichtig ist, sich einzucremen. Ebenfalls die Angst, auf die Toilette zu gehen, will sie nehmen. „Macht es euch so leicht wie möglich und zieht Handschuhe an“, rät sie. Einfache Gartenhandschuhe tun bereits ihren Job. Während sie ihre Kompression gern ohne Hose drüber trägt, falle das anderen oft schwer. Dabei kommt diese optisch einer Leggings doch sehr nah: eng, blickdicht, erhältlich in vielen Farben und Mustern. Bei anderen ist genau das mehr als angekommen. Eine Frau wendete sich an sie in der Hoffnung, ihrer Tochter einen Wunsch erfüllen zu können und auch so eine tolle Hose zu bekommen. Die brauchte allerdings gar keine Kompression, sondern sah die Hose als Style-Element.
Echt unterwegs in einer Fake-Welt
Auch Crämer selbst hatte anfangs Vorbehalte. Allein das Wort „Druck“ löste bei ihr Schnappatmung aus. „Wenn schon die Berührung der Beine schmerzhaft ist, was macht dann kontinuierlicher Druck?“, dachte sie. Schnell wurde sie eines Besseren belehrt. Heute geht Jana Crämer nicht mehr ohne Kompression aus dem Haus – und das gerne und mit Stolz. Die Schmerzen sind verschwunden, Treppenstufen keine Herausforderung mehr. „Es ärgert mich, wenn ich höre, dass die Buxe bei einigen nur im Schrank liegt. Ja, es fällt am Anfang schwer. Aber es lohnt sich“, sagt sie. Für sie ist Social Media ein Weg, diese Erfahrung zu teilen, durch den Austausch voneinander zu lernen und zu mehr Selbstfürsorge zu inspirieren. Vorurteile fußten oft auf einer Informationslücke. Crämer tappte selbst in die Falle, als sie „Lipödem“ googelte und ihr direkt die schlimmsten Horrorszenarien ausgespuckt wurden. Was ist echt und was nicht? Was ist die Regel, was die Ausnahme? „Wer das nicht unterscheiden kann, bekommt einen Schock.“ Umso wichtiger ist es ihr, auf ihren Kanälen die Realität zu zeigen. Aber wie echt ist Jana Crämer tatsächlich auf Instagram und Co.? „Zu echt“, stolpert es lachend aus ihr heraus. Sie springe auch mal halbnackt durchs Internet, der Bauch bis zu den Oberschenkeln hängend. Verstecken will und muss sie nichts. Sie beschreibt sich als ehrlich, informativ, sehr fröhlich und lebensbejahend. „Klassische Produktwerbung gibt eine Info. Das, was ich mache, wird eher als eine Empfehlung einer guten Freundin verstanden“, sagt Crämer. Eine Freundin, die ein warmes Gefühl gebe, einen auf der eigenen Reise begleite.
Von Zahlen lässt die Autorin nicht ihr Leben bestimmen – weder auf der Waage noch auf Social Media. Die Reichweite sinkt? Egal. „Ich bin nicht dazu da, den Algorithmus zu pleasen.“ Sie misst ihren Erfolg vielmehr an den Nachrichten, die sie täglich erhält. Ob Fragen zum Thema Kompression oder einfach nur ein Dankeschön – „Wenn ich sowas erhalte, war es ein geiler Tag.“

Inhalte sollen Bedürfnisse wecken
Wer seinen Social-Media-Kanal erfolgreich betreiben will, muss ihrer Meinung nach nicht zwingend auf eine Kooperation mit Influencern setzen. Ein bekanntes Gesicht ins Spiel zu bringen, mache das vielleicht einfacher, letztlich gebe aber guter Content den Ausschlag. Die Inhalte müssen eine Nische bedienen, einen Mehrwert bieten und das Bedürfnis wecken, zu klicken und zu teilen. Wer doch auf eine Kooperation setzen will, dem rät die 42-Jährige, sich vorab gut über potenzielle Kandidaten zu informieren. Passt der Content und passt der Mensch zu meinen Produkten und Botschaften, die ich transportieren möchte? Wer davon überzeugt ist, kann die Beiträge an ein paar Kollegen oder Freunde schicken, mit der Frage: Wie wirkt die Person auf euch und was macht der Content mit euch? Nach dem ersten Eindruck verdichtet sich das Bild über direkte Mail-Kommunikation. Allein darauf würde Crämer aber nicht setzen. „Du kaufst den Menschen mit seiner Wirkung ein“, betont sie und rät deswegen zu einem (virtuellen) Treffen.
Passen muss es ebenso für die andere Seite: Identifiziert sich das potenzielle Werbegesicht mit dem Produkt? „Influencer werden manchmal dafür bezahlt, eine Meinung zu einem Produkt zu haben. Ein guter Influencer hat aber eine Meinung zu einem Produkt und wird dafür bezahlt, diese zu sagen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Lieb’ erst das Produkt und mach’ dann Werbung dafür – nicht andersherum“, rät Crämer. Bei ihrer Kooperation mit dem Medizinproduktehersteller Medi verhielt es sich genau so. Schon lange bevor die Anfrage aus Bayreuth kam, war sie Fan von den Produkten. Dass sie sich aber auch in Kompressionshosen anderer Marken präsentieren dürfte, hat das Vertrauen in die Zusammenarbeit zusätzlich gestärkt.
In der Fake-Welt „Social Media“ authentisch zu bleiben, fiel Crämer nie schwer. Sie hatte Angebote, die sehr gut bezahlt worden wären, doch auf persönlicher Ebene wäre ihr der Preis zu hoch gewesen. „Geld darf nie über Ehrlichkeit stehen“, findet sie und ist überzeugt, dass jede Maske so oder so irgendwann fällt.
Genau deswegen findet sie es wichtig, niemanden vor eine Kamera zu stellen, der das nicht möchte. Wenn ein Betrieb Social Media als Verkaufstool nutzen möchte, reiche es nicht aus, eine Person mit ein paar Stunden dafür abzustellen. „Das ist ein Fulltime-Job“, weiß Crämer und appelliert an alle Firmen, in einen Social-Media-Manager zu investieren. Und das kann ihrer Meinung nach langfristig sogar in anderen Bereichen zur personellen Verstärkung führen: Irgendwann reiche es diesem Mitarbeiter nicht mehr, täglich ausschließlich Reels zu drehen und Storys zu posten. Er wolle sich weiterbilden und in anderer Weise im Unternehmen tätig werden. Der nächste Stopp liegt nahe: Ausbildung zum Sanitätshausfachangestellten oder Orthopädietechniker. „Überall mangelt es an Mitarbeitern. Man muss umdenken, neue Wege gehen“, betont Crämer. Auch sie selbst konnte durch die Einblicke ins Sanitätshaus, die sie regelmäßig gewährt, Menschen für einen Einstieg in den Beruf begeistern. Das macht deutlich: Man kann nicht nur für ein Produkt influencen.
Welche Kompression trägt Jana Crämer wohl morgen? Wird es nach Magenta vielleicht Lichtblau, Rostrot oder Flieder? Das entscheidet sie nach Lust und Laune. Eines steht aber zumindest fest: „Nie mehr ohne Po-Forming und Kniefunktionszone.“
Pia Engelbrecht
Jana Crämer ist Musikmanagerin, Autorin und Influencerin. Bekannt wurde sie durch ihren offenen Umgang mit Themen wie Essstörungen, Bodyshaming und Selbstakzeptanz. In ihrem Debütroman „Das Mädchen aus der 1. Reihe“ beschreibt sie ihre Erfahrungen als ehemals stark übergewichtige Frau, die ihr Leben durch eine extreme Gewichtsabnahme komplett veränderte. Gemeinsam mit dem Musiker Batomae tourt sie seit 2016 durch Schulen, um junge Menschen für Themen wie Mobbing und Selbstliebe zu sensibilisieren. Zudem teilt sie ihre Reise hin zu mehr Selbstbewusstsein in ihrem Podcast sowie auf Instagram, Tik Tok und Youtube. Crämer hat Multiple Sklerose und wurde mit Lipödem diagnostiziert.
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