Ausgehandelt haben den Kontrakt die AOK Plus für Sachsen und Thüringen sowie der Fachverband für Orthopädie- und Rehabilitations-Technik, Sanitäts- und medizinischer Fachhandel Sachsen und Thüringen e. V.
Die Vereinbarungen über Versorgungen im Bereich Beinprothetik – gemäß Produktgruppe (PG) 24 (Prothesen) im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes – gelten seit dem 15. November 2018. Für alle anderen Segmente ist der Vertrag bereits am 1. Juli 2018 in Kraft getreten. Mit Ausnahme der PG 24 endet der Vertrag im Jahr 2020, für die PG 24 läuft er vier Jahre bis 2022.
Trotz höherer Ausgaben für die Hilfsmittelversorgung seitens der Krankenkassen gibt es auf beiden Seiten des Verhandlungstisches nur zufriedene Gesichter: Der Vertrag soll den Leistungserbringern ein wirtschaftlicheres Auskommen, ihren Angestellten höhere Löhne und den Versicherten eine zeitgemäße Vor-Ort-Versorgung auf dem Stand der Technik sichern.
Im jeweiligen Interview erläutern mit Albin Mayer (Fachverband) und Ludwig Gautsch (AOK Plus) die beteiligten Vertreter, welche positiven Aspekte der Vertrag mit sich bringt.
Mehr Geld für die Leistungserbringer
Für Albin Mayer stärkt der neue Vertrag das Handwerk nachhaltig. Der stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes für Orthopädie- und Rehabilitations-Technik, Sanitäts- und medizinischer Fachhandel Sachsen und Thüringen e. V. verdeutlicht im Gespräch die Vorteile aus Sicht der Leistungserbringer.
OT: Sie haben den neuen Vertrag mit der AOK Plus über die Versorgung mit Hilfsmitteln für die Region Sachsen und Thüringen ausgehandelt. Bedeutet diese Vereinbarung mehr Geld in den Kassen der Leistungserbringer?
Albin Mayer: Ja, die AOK Plus bezahlt mehr. So wurden zum Beispiel die Stundenverrechnungssätze in der Beinprothetik ebenso wie die für individuelle und konfektionierte Orthetik erhöht. Durch den Vertrag gibt es aber in allen Bereichen höhere Vergütungen – auch die Bürokratie wurde durch die übersichtlichere Struktur etwas „eingedampft“. Dies erleichtert die Arbeit beim Erstellen und Prüfen des Kostenvoranschlags. Zudem können die Unternehmen mehr Hilfsmittel als bisher direkt per Rezept abrechnen. Somit entfällt der Kostenvoranschlag, und eine zeitnahe Sofortversorgung ist garantiert. Mit diesem Vertrag hat sich die AOK Plus klar im Sinne des Handwerks positioniert. Er ist ein deutlicher Schritt nach vorn zu mehr Wirtschaftlichkeit für die Betriebe.
OT: In welchen Produktgruppen werden die Steigerungen besonders sichtbar?
Mayer: Vor allem in der Beinprothetik, also in Produktgruppe 24 (Prothesen) im Hilfsmittelverzeichnis. Da waren wir bislang noch lange nicht auf dem Stand des von der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV) herausgegebenen neuen „Qualitätsstandards im Bereich Prothetik der unteren Extremität“. Nach gut einem Jahr Verhandlungen haben wir jetzt aber sehr gute Ergebnisse erzielt, die der Vertrag festschreibt: Zum einen wird wie beim Qualitätsstandard auf die einzelnen Versorgungsebenen von Fuß bis Hüfte fokussiert und damit eine einheitliche Struktur geschaffen; zum anderen wurden die Preise deutlich erhöht und dem Niveau einer modernen Versorgung angepasst. Der Stundenverrechnungssatz steigt dabei in drei Stufen – ab dem 15. November 2018 zunächst auf 58 Euro, in der letzten Stufe ab 2021 liegt er bei 61,50 Euro. Mit jeder Stufe erhöhen sich die Vertragspreise. Im Ergebnis gibt dies alles den Betrieben Planungssicherheit und Mut für Innovationen sowie Investitionen – auch in ihr Personal.
OT: Auf welche Leistungen wird der neue Vertrag außerdem durchschlagen?
Mayer: Für bestimmte Leistungen wie zum Beispiel den Einbau von Unterdrucksystemen, Schnellkupplungen oder auch das BOA-Verschlusssystem wurde der Mehraufwand bislang nicht vergütet. Dies ändert sich jetzt. Die Versicherten der AOK Plus in Sachsen und Thüringen erhalten ab sofort außerdem viel einfacher Sonderkosmetiken und ‑beschichtungen. Dafür waren vorher aufwendige Einzelfallprüfungen nötig. Das kommt den Patienten zugute, die eine höherwertige und zugleich optisch ansprechendere Versorgung erhalten.
Des Weiteren wurde der degressive und progressive Aufschlag bei Pass-Struktur- und Funktionsteilen durch einen prozentualen Aufschlag ersetzt. Für Ersatzteile gilt ein etwas höherer prozentualer Aufschlag, um den Lagerhaltungskosten gerecht zu werden. Die Reparaturliste in der PG 24 wurde komplett überarbeitet und um etliche Positionen erweitert. Die Vergütungen für Interimsprothesen wurden ebenfalls erweitert und deutlich angehoben, um die amputierten Menschen so schnell wie möglich zu mobilisieren. Und dies sind nur einige Beispiele. Insgesamt bildet der Vertrag den aktuellen Stand der Technik ab – und das auf eine für die Leistungserbringer wirtschaftliche Weise. Nicht zuletzt verringert der neu strukturierte Patientenerhebungsbogen den bürokratischen Aufwand um etwa 30 Prozent.
Faire Verhandlungen
OT: Wie hart waren die Verhandlungen?
Mayer: Sie waren vor allem fair. Wir haben ein sehr partnerschaftliches Verhältnis zum Verhandlerteam der AOK Plus, das von gegenseitigem Verständnis und Achtung geprägt ist. Selbstverständlich sind Verhandlungen immer anstrengend und teilweise auch mal härter. Die AOK Plus war über unser Angebot natürlich nicht erfreut und hat ein Gegenangebot erstellt – dieses wiederum hat uns nicht so gut gefallen. So ist das Verhandlungsgeschäft. Man spricht darüber, erklärt und kommt gemeinsam zu einer Einigung. Sollten bei der Umsetzung des Vertrages Schwierigkeiten auftreten, sprechen wir darüber und versuchen diese Themen gut zu lösen. Das ist im Übrigen seit vielen Jahren so Brauch und eine Selbstverständlichkeit.
OT: Welche Signalwirkung kann die aktuelle Einigung in der Branche entfalten?
Mayer: Der Vertrag hat eine hohe Signalwirkung in der AOK-Landschaft – gerade in Hessen und Rheinland-Pfalz oder bei der AOK Baden-Württemberg, die solche Standards bislang nicht anbieten. Die AOK Plus für Sachsen und Thüringen zeigt mit ihrer Unterschrift deutlich, dass sie das Handwerk schätzt und ihren Versicherten eine wohnortnahe, hochwertige und individuelle Versorgung nach dem aktuellen Stand der Technik angedeihen lässt. Aber auch auf andere Krankenkassen, mit denen Verhandlungen anstehen wie beispielsweise mit der Techniker Krankenkasse und der Barmer, wird dieser Vertragsabschluss hoffentlich ausstrahlen.
OT: Die Diskussion um Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich tobt nach wie vor. Wie bewerten Sie den Vertrag vor diesem Hintergrund?
Mayer: Generell bin ich kein Freund von Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich. Sie bereiten den Menschen, die ein Handicap haben, viele Sorgen und Probleme. Wenn zum Beispiel ein Rollator per Paket an eine hochbetagte Person versendet wird: Wer baut ihn zusammen und stellt ihn auf die entsprechende Körpergröße ein? Wo bleibt die notwendige Einweisung? Reparaturen sind ebenfalls schwierig, weil Ortsnähe nicht gegeben ist. Ausschreibungen sind das völlig falsche Instrument in unserem Bereich. Die AOK Plus setzt dagegen auf Verhandlungen – das ist ein vernünftiger Weg.
Generell bin ich der Auffassung, dass bei Vertragsverhandlungen beide Parteien eine sachliche und fachliche Diskussion führen müssen, um eine gute Versorgung zu garantieren. Denn der Mensch, der unsere Hilfe benötigt, steht im Mittelpunkt. Bei Fehlern oder Irritationen sollte man den Dialog suchen und diese beseitigen – ein faires Verhalten, das die AOK Plus seit vielen Jahren zeigt. Dafür bin ich dankbar.
Ideen des OT-Handwerks aufgegriffen
Ludwig Gautsch, Leiter des Bereichs „Vertragsmanagement Hilfsmittel“ bei der AOK Plus – Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen, sieht die Versorgungsqualität durch den neuen Vertrag gesichert. Im Interview spricht er über die Vorteile aus Krankenkassensicht.
OT: Was kennzeichnet diesen Vertrag aus Ihrer Sicht im Besonderen?
Ludwig Gautsch: Besonderheiten beinhaltet unser neuer Vertrag wohl nicht. Denn wir sehen es als unsere regelhafte Aufgabe an, Verträge zu schließen, die für die Versicherten der AOK Plus flächendeckend eine hohe Versorgungsqualität nach den aktuellen Regeln der Technik sicherstellen – und die gleichzeitig auf ein wirtschaftliches Handeln aller am Vertrag Beteiligten abzielen. Vielleicht sieht es der eine oder andere als Besonderheit an, dass wir bei der Struktur der Leistungsbeschreibung die Ideen des OT-Handwerks aufgegriffen haben. Gemeinsam wurden Neuregelungen mit einem hohen Maß an Transparenz und guter Handhabung für die Bearbeitung der oft komplexen Leistungsanträge geschaffen. Darüber hinaus wissen wir aus unseren Erfahrungen in der vertragspartnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Fachverband Sachsen und Thüringen, dass wir im Fall von Fehlentwicklungen oder ‑anreizen jederzeit miteinander über gegebenenfalls notwendige Korrekturen sprechen können. Wir hoffen natürlich, dass dies nicht nötig sein wird und dass sich auch der neue Vertrag in der Praxis gut bewährt.
OT: Sehen Sie mit diesem Vertrag das OT-Handwerk gestärkt?
Gautsch: Zweifelsohne sehen wir das OT-Handwerk durch unseren Vertrag in Sachsen und Thüringen gestärkt. Dies ist von uns genau so gewollt. Es soll dem Ziel dienen, unseren Versicherten in jedem Fall eine qualitätsgerechte und moderne Versorgung zu garantieren.
OT: Mit dem Vertrag ist eine Preis- bzw. Kostensteigerung seitens der AOK Plus verbunden, gerade auch bei der Produktgruppe 24 (Prothesen) im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes. Trotzdem sehen Sie ihn positiv?
Gautsch: Ja, es ist richtig, dass die Vergütung der handwerklichen Leistungen einen deutlichen Schub erhalten hat. Zusammen mit den in aller Regel auch teureren Entwicklungen der Industrie wird das natürlich zu einer spürbaren Kostensteigerung im Versorgungssegment der Beinprothesen führen. Neben den positiven Auswirkungen auf die moderne Versorgung erwarten wir allerdings im Gegenzug, dass die Beschäftigten im OT-Handwerk, die vielen engagierten Orthopädie-Technikerinnen und ‑Techniker und ebenso die fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung der OT-Betriebe, von der Anhebung des Vergütungsniveaus gehaltstechnisch profitieren werden. Viele dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja bei der AOK Plus versichert und geben dann einen Teil ihrer Lohnsteigerung in Form des Krankenversicherungsbeitrags an die Solidargemeinschaft zurück. So schließt sich letztlich der Kreis.
Bürokratie abbauen
OT: Laut Vertrag werden jetzt Sonderkosmetiken bzw. ‑beschichtungen in die Vergütung einbezogen. Welche Vorteile bringt dies den Versicherten aus Ihrer Sicht?
Gautsch: Sonderkosmetiken bzw. ‑beschichtungen wurden im Einzelfall bei Bedarf auch vor dem neuen Vertragsabschluss von der AOK Plus übernommen. Allerdings war für die Verständigung auf einen angemessenen Preis in diesen Fällen immer eine aufwendige Kommunikation zwischen OT-Betrieb und AOK Plus nötig. Die neue vertragliche Vereinbarung soll diesen Prozess vereinfachen und etwas abkürzen.
OT: Baut der neue Vertrag Bürokratie ab, werden die Abrechnungen übersichtlicher und damit transparenter?
Gautsch: Es ist unser Anliegen, mit diesem Vertrag das Erstellen der Kostenvoranschläge zu vereinfachen und die Grundlage für eine übersichtliche und transparente Gestaltung zu schaffen. Sofern die Kostenvoranschläge vertragskonform erstellt sind und die Abrechnungen entsprechend der Datenaustausch-Richtlinie übermittelt werden, wirkt sich dies natürlich positiv auf das Genehmigungs- und Abrechnungsverfahren aus. Davon profitieren letztlich auch die OT-Betriebe.
OT: Wie bewerten Sie den Vertrag insgesamt hinsichtlich der derzeitigen Situation in der Branche – Stichworte Ausschreibungen und Open-House-Verträge?
Gautsch: Wir sehen das Wohl unserer Versichertengemeinschaft im Mittelpunkt unseres Handelns. Gelingt es, mit Vertragsabschlüssen eine qualitativ hochwertige Versorgung wie hier über einen langen Zeitraum festzuschreiben – immerhin über vier Jahre hinweg – und dabei gleichzeitig die Interessen der Branche in angemessener Weise zu berücksichtigen, stärkt das nach unserem Verständnis die vertrauensvolle vertragspartnerschaftliche Zusammenarbeit. Dies genießt für uns immer absoluten Vorrang. Fairness ist dabei oberstes Gebot. Eine qualitativ hochwertige und moderne Versorgung sehen wir am besten geregelt im Ergebnis einer langfristig entwickelten, stabilen Vertragspartnerschaft – hier zu den regionalen Handwerksbetrieben. So finden unsere Versicherten für ihre Versorgung immer einen kompetenten
Leistungserbringer vor Ort.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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