Geleb­te Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät beim ISPO-Kongress

Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover war Anfang Mai Schauplatz des Kongresses des deutschen Ablegers der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO).

Die moder­nen Räum­lich­kei­ten des Nie­der­säch­si­schen Zen­trums für Bio­me­di­zin­tech­nik und Implan­tat­for­schung und Ent­wick­lung (NIFE) boten den über 140 Teil­neh­men­den einen wür­di­gen Rah­men, denn das Kon­gress­pro­gramm hat­te vie­le Vor­trä­ge, die am Puls der Zeit der Tech­ni­schen Ortho­pä­die in Deutsch­land und dar­über hin­aus waren und die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen des Fachs Rech­nung tru­gen. Die Dop­pel­spit­ze aus Frank Bra­atz, Pri­va­te Hoch­schu­le Göt­tin­gen und Vor­sit­zen­der der Ver­ei­ni­gung Tech­ni­sche Ortho­pä­die (VTO), und Gast­ge­be­rin Jen­ni­fer Ernst, Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le Han­no­ver, hat­ten als wis­sen­schaft­li­che Lei­tung des Kon­gres­ses groß­ar­ti­ge Arbeit abge­lie­fert und nam­haf­te Referent:innen gela­den. Tat­kräf­tig unter­stützt wur­de das Duo dabei von Dani­el Heit­zmann, der, wie Jen­ni­fer Ernst in ihrer Abschluss­re­de fest­hielt, immer ansprech­bar war und viel Zeit und Arbeit für den Erfolg der Ver­an­stal­tung inves­tiert hat. „Dei­ne bes­se­re Hälf­te wird dich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten nicht so häu­fig zu Gesicht bekom­men haben“, bemerk­te Ernst mit Blick auf Heit­zmann. Für das Gelin­gen der Ver­an­stal­tung waren aber natür­lich noch vie­le wei­te­re Per­so­nen im Ein­satz, die einen tech­nisch rei­bungs­lo­sen und feh­ler­frei­en Auf­tritt garantierten.

Mei­len­stein der Pro­the­tik Revue pas­sie­ren lassen

High­light der Ver­an­stal­tung war die Key­note-Lesung von Dr. Rickard Brå­ne­mark im Rah­men der Abend­ver­an­stal­tung am ers­ten Kon­gress­tag. Auf eine sehr unter­halt­sa­me wie infor­ma­ti­ve Wei­se nahm Brå­ne­mark sei­ne Zuhörer:innen mit auf eine Rei­se durch die ver­gan­ge­nen drei Jahr­zehn­te und die Ent­wick­lung der Osseo­in­te­gra­ti­on. Von den ers­ten Ver­su­chen, die Brå­ne­marks Vater Per-Ing­var unter­nahm und den Begriff der Osseo­in­te­gra­ti­on präg­te, zu den aktu­el­len Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten wur­den den Gäs­ten im Alten Rat­haus Han­no­ver die Ent­wick­lung die­ser Ver­sor­gungs­art gezeigt. Rickard Brå­ne­mark, der mitt­ler­wei­le an der ame­ri­ka­ni­schen Eli­te­uni­ver­si­tät Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy (MIT) forscht und lehrt, zog für mehr als eine hal­be Stun­de sei­ne Zuhö­rer­schaft in den Bann und hol­te mit sei­nem von Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät gepräg­ten Vor­trag Mediziner:innen und Techniker:innen glei­cher­ma­ßen ab.

Ein über­zeu­gen­des Programm

„Ein Chir­urg allein kann das nicht“, lau­te­te das Fazit von Dr. med. Horst H. Asch­off, der in sei­nem Kon­gress­bei­trag auf sei­ne Erfah­run­gen in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren Osseo­in­te­gra­ti­on ein­ging. An alter Wir­kungs­stät­te sprach Asch­off über die ver­schie­de­nen Sys­te­me zur Osseo­in­te­gra­ti­on und wie sie sich aus sei­ner Sicht unter­schei­den. Er berich­te­te über die Erfah­run­gen mit ein­zel­nen Kom­po­nen­ten. Wich­tig war ihm zu beto­nen, dass die Ver­sor­gung nur im Team funk­tio­nie­ren kann, um den Patient:innen einen guten Behand­lungs­er­folg ange­dei­hen zu las­sen. Ins­ge­samt hat Dr. Asch­off bis zu Kon­gress­be­ginn 244 Patient:innen mit Osseo­in­te­gra­ti­on ver­sorgt. Für sei­nen Bei­trag und die Wei­ter­ga­be der gro­ßen Erfah­rung wur­de Asch­off mit dem längs­ten Applaus des Audi­to­ri­ums bedacht.

Der Fokus bei vie­len Vor­trä­gen lag auf der osseo­in­te­gra­ti­ven Ver­sor­gung. So berich­te­te bei­spiels­wei­se OTM Micha­el Schä­fer von den Erfah­run­gen von Osseo­in­te­gra­ti­on bei Fin­gern und Dau­men sowie Simo­ne Pau­lyn von der phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Arbeit bei der prä­ope­ra­ti­ven Phase.

Ein inter­es­san­ter Bei­trag fern­ab der „klas­si­schen“ Ver­sor­gung kam von Dr. Melis­sa Beirau vom BG Kli­ni­kum Unfall­kran­ken­haus Ber­lin. Sie berich­te­te vom Kon­zept des Peer Coun­seling. „Den Begriff Peer Coun­seling habe ich mir nicht aus­ge­dacht und ich fin­de ihn auch nicht unbe­dingt gut. Ich bevor­zu­ge ‚das beson­de­re Gespräch‘ als Bezeich­nung“, erklär­te Beirau zu Beginn ihres Vor­trags klar, dass der eng­li­sche Begriff nicht gut genug wider­gibt, was die Arbeit aus­macht. Doch was ist Peer Coun­seling? Es geht dabei dar­um, dass Betrof­fe­ne von Men­schen bera­ten wer­den, die das­sel­be durch­lebt haben. Dadurch ent­steht ein Aus­tausch auf Augen­hö­he, von dem alle Sei­ten pro­fi­tie­ren. „Auch der behan­deln­de Arzt wird durch die Ein­be­zie­hung als kom­pe­ten­ter ein­ge­stuft, weil er aus Pati­en­ten­sicht auf deren Bedürf­nis­se ein­geht“, führt Beirau aus. In Deutsch­land gibt es zum Bei­spiel das Pro­jekt „Peers im Kran­ken­haus“, in des­sen Rah­men geschul­te Peers auf Betrof­fe­ne treffen.

Neben dem hoch­wer­ti­gen Kon­gress­pro­gramm war der Aus­tausch unter Kolleg:innen über Berufs­gren­zen hin­weg ein wich­ti­ger Bestand­teil des ISPO-Kon­gres­ses 2023. Egal ob in den Pau­sen oder bei der Abend­ver­an­stal­tung, Gesprächs­be­darf gab es viel. Dabei wur­den neu­es­te Erkennt­nis­se eben­so geteilt wie berufs­spe­zi­fi­sche Details, die dem Gegen­über die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit in der Zukunft erleich­tern wird.

Hei­ko Cordes

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