Frü­her The­ra­pie­be­ginn für bes­se­re Heilungschancen

Bei Morbus Blount (bzw. Tibia vara Blount), benannt nach dem US-amerikanischen Orthopäden Walter Putnam Blount (1900-1992), handelt es sich um eine Deformation des Unterschenkelknochens. Ursache ist eine Störung in der Wachstumsfuge auf der Innenseite des Schienbeins. Die Außenseite wächst dabei schneller und das Knie steht deshalb in einer O-Bein-Stellung.

Eine früh­zei­ti­ge kon­ser­va­ti­ve Ver­sor­gung der betrof­fe­nen Kin­der sichert bei der Blount-Krank­heit den The­ra­pie­er­folg, betont Ortho­pä­die­tech­nik-Mecha­ni­ker-Meis­ter und Ban­da­gis­ten-Meis­ter Burk­hard Pütt­mann im Inter­view. Der Geschäfts­füh­rer der Sani­täts­haus Pütt­mann GmbH in Essen hat spe­zi­el­le Orthe­sen für die Behand­lung im frü­hen Sta­di­um entwickelt.

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OT: In Zusam­men­ar­beit mit dem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Essen haben Sie eine kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie für Kin­der mit der Blount-Krank­heit auf den Weg gebracht. Wann begann die­se Zusam­men­ar­beit – und seit wann wird das Ver­fah­ren eingesetzt?

Burk­hard Pütt­mann: Mit der Orthe­sen-Ver­sor­gung haben wir vor 15 Jah­ren begon­nen. Zuvor wur­den dort vor­nehm­lich Kin­der vor­ge­stellt, die ope­riert wer­den muss­ten, weil sie für eine kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie schon zu alt waren. Im Lau­fe der Zeit haben wir die Orthe­sen wei­ter redu­zie­ren kön­nen, damit sie für die Kin­der mög­lichst wenig Beein­träch­ti­gung darstellen.

OT: Wel­che Anfor­de­run­gen erfül­len die dafür ent­wi­ckel­ten Orthesen?

Pütt­mann: Die indi­vi­du­ell ange­fer­tig­ten Orthe­sen ver¬hindern, dass aus einem frü­hen O‑Bein über­haupt ein Blount ent­steht. Im All­ge­mei­nen ver­sor­gen wir die Kin­der mit Tages­schie­nen, die unter Belas­tung getra­gen wer­den kön­nen. Weil bei die­sem Krank­heits­bild nicht nur eine Ver­bie­gung in ein O vor­liegt, son­dern eben­falls eine Innen­ro­ta­ti­on zu kor­ri­gie­ren ist, müs­sen die Orthe­sen sehr rigi­de sein. Nach unse­ren Erfah­run­gen las­sen sich mit der Car­bon­fa­ser­tech­nik schnell gute Ergeb­nis­se errei­chen. Wir haben die Orthe­sen so kon­stru­iert, dass sie ent­spre­chend des Wachs­tums der Kin­der ver­län­gert wer­den können.

OT: Wur­de die­se Erkran­kung nicht zuvor auch schon mit­tels Orthe­sen behandelt?

Pütt­mann: Ja, aber meist post­ope­ra­tiv. Ein ech­ter Blount kann nur durch eine Ope­ra­ti­on the­ra­piert wer­den. Nach­dem wir die­ses Krank­heits­bild immer häu­fi­ger gese­hen haben, sind wir zur recht­zei­ti­gen Orthe­sen-The­ra­pie und damit zur Ver­mei­dung des Mor­bus Blount übergegangen.

OT: Ab wel­chem Alter beginnt bei Ihnen die Behand­lung mit den spe­zi­el­len Orthesen?

Pütt­mann: Etwa ab einem Alter von 18 bis 24 Mona­ten. Denn wir haben bis­lang kein aus­ge­präg­tes Blount-Syn­drom bei Kin­dern unter zwei Jah­ren gese­hen. Also kann man bis zu die­sem Alter die Ent­wick­lung einer Tibia vara beob­ach­ten und bei einer fort­schrei­ten­den Ver­schlech­te­rung schließ­lich mit der Orthe­sen-Ver­sor­gung beginnen.

OT: Wie ist der typi­sche Ver­lauf einer Therapie?

Pütt­mann: Wir begin­nen zunächst mög­lichst mit einer leich­ten Kor­rek­tur. Damit wol­len wir Druck­stel­len ver­mei­den, aber vor allem die Belas­tung für die Kin­der mög­lichst gering hal­ten. Das erhöht die Akzep­tanz für die Schie­nen bei den Kin­dern. Außer­dem ver­bes­sert sich durch die Orthe­sen das Gang­bild und die durch das O‑Bein ver­ur­sach­te Insta­bi­li­tät wird kom­pen­siert. Dies erleich­tert den Kin­dern ihr All­tag, das spü­ren sie auch. Je nach Aus­gangs­la­ge müs­sen­die Orthe­sen dann über 9 bis 24 Mona­te getra­gen werden.

OT: Wel­che Erfah­run­gen haben die von Ihnen betreu­ten Fami­li­en der erkrank­ten Kin­der gemacht?

Pütt­mann: Sehr gute. Wenn sie früh genug von uns ver¬sorgt wur­den, konn­ten wir bis­her immer eine ech­te Blount- Erkran­kung ver­hin­dern. Lei­der haben man­che Kin­der einen län­ge­ren Lei­dens­weg hin­ter sich, bevor sie zu uns kom­men. Kli­ni­ken schla­gen oft eine ope­ra­ti­ve The­ra­pie mit soge­nann­ten Blount-Klam­mern auf der ande­ren Sei­te der Tibia vor, was in mei­nen Augen das Wachs­tum kom­plett stört oder ver­hin­dert, aber nicht zu einer vernünfti¬gen Kor­rek­tur­ent­las­tung der betrof­fe­nen Sei­te führt.

OT: War­um ist eine frü­he The­ra­pie so wichtig?

Pütt­mann: Wenn die media­le Wachs­tums­fu­ge des Schien¬beins erst ein­mal zer­stört ist, wird aus einer asymptomati¬schen Tibia vara des Klein­kinds die Blount-Krank­heit, die zu einem dau­er­haf­ten o‑förmigen Wachs­tum der Schien­bei­ne führt. Ist die­ses Krank­heits­bild ein­mal aus­ge­prägt, ist es nur schwer zu the­ra­pie­ren. Es benö­tigt vie­le Operati¬onen und führt häu­fig trotz­dem nicht zu einem zufrie­den­stel­len­den Ergeb­nis. Durch eine rechts­zei­ti­ge Orthesenver¬sorgung wird das vermieden.

OT: Was geschieht, wenn gar nicht behan­delt wird?

Pütt­mann: Dann dro­hen Knie­de­for­mi­tä­ten und schwe­re Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen. Die Kin­der bekom­men ein voll­stän­dig insta­bi­les Knie­ge­lenk. Aus dem Frie­dens­dorf Ober­hau­sen bekom­men wir oft Bil­der von unbe­han­del­ten Kin­dern aus Afri­ka. Sie haben im Alter von etwa sie­ben Jah­ren eine O‑Bein-Defor­mi­tät von knapp 90 Grad und kön­nen nur noch unter Geh­stüt­zen lau­fen. Die wei­te­re The­ra­pie besteht aus vie­len Ope­ra­tio­nen mit Wachs­tums­brem­sung des gesam­ten Unter­schen­kels und spä­ter Verlän¬gerung der Extre­mi­tät. Trotz die­ses Auf­wands wer­den die Kin­der nie ein ver­nünf­ti­ges Tibia-Pla­teau ent­wi­ckeln und die Prä­ar­thro­se ist schon da.

OT: Lässt sich die wei­te­re Aus­prä­gung eines Mor­bus Blount mit einer frü­hen kon­ser­va­ti­ver The­ra­pie immer ver­hin­dern – bzw. die Blount-Krank­heit dadurch heilen?

Pütt­mann: Nach wie vor stellt das Krank­heits­bild Tibia vara Blount eine ortho­pä­die­tech­ni­sche Her­aus­for­de­rung dar. Doch bei recht­zei­ti­gem, frü­hem The­ra­pie­be­ginn beträgt der The­ra­pie­er­folg bei uns 100 Pro­zent. Selbst extre­me Ver­bie­gun­gen kön­nen wie­der aus­wach­sen, wie die Rönt­gen­bil­der bewei­sen. Für die betrof­fe­nen Kin­der selbst ist die Behand­lung zudem kei­ne gro­ße Belas­tung. Man muss die Kin­der ledig­lich früh genug behandeln.

OT: Wie vie­le Kin­der haben Sie bis­lang in Ihrem Sani­täts­haus behandelt?

Pütt­mann: Weit über 100.

OT: Gibt es Stu­di­en, die mit Ihren Orthe­sen durch­ge­führt wur­den – und wel­che Ergeb­nis­se wur­den erzielt?

Pütt­mann: Bis­her wur­den kei­ne Stu­di­en zu die­ser Ver­sor­gung durch­ge­führt. Die Ergeb­nis­se, die wir bis­her erzielt haben, sind aber ein­deu­tig: Alle Kin­der, die wir behan­delt haben, bevor es zu einem ech­ten Blount kam, wur­den voll­stän­dig ausgeheilt.

Die Fra­gen stell­te Cath­rin Günzel.

Michael Blatt
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