Dr. Hyosang Lee, Leiter der Cyber-Valley-Forschungsgruppe zu intelligenten taktilen Systemen am Institut für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik der Universität Stuttgart, ist an diesem Projekt maßgeblich beteiligt und verrät im Gespräch mit der OT-Redaktion die Hintergründe.
OT: Warum braucht ein Roboter eine „Haut“, die dem Menschen nachempfunden ist?
Dr. Hyosang Lee: Es gibt derzeit keine künstliche Roboterhaut, die besser funktioniert als die menschliche Haut. Der sensorische Mechanismus der menschlichen Haut ist ein sehr gutes Beispiel für die Kombination von Sinnesorganen und taktiler Wahrnehmung. Wir haben daher versucht, diesen Mechanismus in unserer Forschung nachzuahmen.
OT: Welche Technologie steckt hinter der Entwicklung?
Lee: Es gibt nicht die eine Technologie, die alle Bereiche abdeckt, sondern es stecken viele Technologien dahinter, wie zum Beispiel die Herstellung von piezoresistiven Materialien, akustische Rekonstruktion, Elektrotechnik, Simulationsmodelle und Algorithmen für maschinelles Lernen. Diese Technologien werden miteinander kombiniert, um schlussendlich eine taktile Haut zu erzeugen.
OT: Es gibt Forscher:innen, die bereits versucht haben, eine große taktile Haut zu erstellen, indem sie viele Sensorelemente verwendet haben, die jeweils für einen Bereich zuständig sind. Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz davon?
Lee: Unser Ansatz nutzt Berechnungen, um die Komplexität des Hardware-Designs zu reduzieren, was die Integration der taktilen Haut auf Systemebene erleichtert. Dieser Ansatz ähnelt dem menschlichen Mechanismus der taktilen Wahrnehmung, bei dem die kognitive Ebene genutzt wird, um taktile Hyperakuität zu erreichen.
OT: Woraus besteht die Haut?
Lee: Die Haut besteht außen aus einem Silikonkautschuk und im Inneren aus Hydrogel. Die äußere Silikongummischicht schützt die innere Hydrogelschicht vor dem Austrocknen, so dass die Hydrogelschicht weiterhin als Sensorschicht fungieren kann.
Wie fühlt die Haut?
OT: Welche Berührungen können wahrgenommen werden und wie kommen sie beim Menschen an?
Lee: Die Sensoren in unserer Haut nehmen Vibrationen und tiefen statischen Druck wahr, wie es auch einige menschliche Mechanorezeptoren tun. Es sei darauf hingewiesen, dass die menschliche Haut mehr Rezeptoren hat, die eine viel feinere und vielfältigere Wahrnehmung von Berührungen ermöglichen. Wir haben uns in unserer Arbeit darauf konzentriert, grundlegende Empfindungen für einfache, aber wichtige Berührungsszenarien nachzuahmen.
OT: Inwiefern sind die Forschungsergebnisse für die Orthopädie-Technik interessant?
Lee: Eine taktile Haut kann die Funktion von Prothesen erheblich verbessern, da sie der Prothese Kontaktinformationen liefern kann. Außerdem ist die von uns entwickelte taktile Haut aufgrund von Elastomeren und Hydrogel ähnlich weich wie menschliche Haut.
OT: Wie könnte die künstliche Haut das Leben von Menschen mit Prothesen verändern?
Lee: Das Vorhandensein eines taktilen Gefühls wird es Menschen mit Prothesen ermöglichen, im täglichen Leben richtig mit Körperkontakt umzugehen, z. B. bei der Handhabung von Gegenständen, bei berührungsbezogenen Gesten usw.
OT: Bei kleineren Verletzungen schließt sich die Wunde bei menschlicher Haut meist von selbst. Wie verhält es sich bei Ihrer Entwicklung?
Lee: Die Tasthaut wächst noch nicht von selbst nach. Da die taktile Haut aus Silikonelastomer und Hydrogel besteht, ist es aber relativ einfach, die Beschädigung mit zusätzlichen Materialien zu reparieren. Diese einfach umzusetzende Pflege ist wichtig, um die Tauglichkeit in der Praxis zu gewährleisten.
OT: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen den Forschungsteams aus Deutschland, den USA und Korea bei diesem Projekt?
Lee: Ich habe in Korea über weiche taktile Häute promoviert. Anschließend habe ich in Deutschland weiter an diesem Thema gearbeitet und mich mit Nachwuchswissenschaftlern und dem Projektleiter in Korea ausgetauscht. An diesem speziellen Projekt ist ein Experte für Hydrogele aus den USA beteiligt. Ich möchte erwähnen, dass viele andere Forscher am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und am Korea Advanced Institute of Science and Technol-
ogy an verschiedenen Projekten zu diesem taktilen Haut-ansatz gearbeitet haben.
Marktreife fehlt (noch)
OT: Ist das Produkt bereits marktfähig?
Lee: Dieses Projekt hat gezeigt, dass der vorgeschlagene Ansatz die funktionalen Aspekte erfüllen kann. Allerdings gibt es noch viele praktische Probleme bei der Anwendung auf dem Markt. Wir arbeiten noch an der Lösung der praktischen Probleme.
OT: Könnte das Produkt auch auf dem gesamten Körper Anwendung finden?
Lee: Wir haben dieses Projekt mit dem Ziel entwickelt, den gesamten Körper abzudecken. Theoretisch ist es möglich, den gesamten Körper eines Roboters zu bedecken.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Dr. Hyosang Lee ist aktuell Leiter der Cyber-Valley-Forschungsgruppe zu intelligenten taktilen Systemen am Institut für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik der Universität Stuttgart. Zuvor war er in einem Post-Doc-Programm in der Abteilung Haptische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart unter der Leitung von Dr. Katherine J. Kuchenbecker tätig. Er promovierte 2017 am Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) im Bereich Maschinenbau.
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