Die Anwendung und zunehmende Integration von Exoskelettsystemen in der klinischen und ambulanten Rehabilitation ist unbestritten. Die sich aktuell entwickelnde Verwendung dieser Systeme in präventive, im Arbeitskontext zu betrachtende Abläufe ist hingegen neu. Dieser Artikel versucht einen Überblick über die am Markt erhältlichen Exoskelettsysteme in den benannten Kontextsituationen zu geben und diese entsprechend der Zuordnung für klinische, außerklinische und arbeitskritische Prozesse zu beleuchten.
Update Exoskelett
Das Thema Bionik, die Übertragung und Anwendung von Phänomen der Natur auf die Technik, ist in vielen Bereichen mehr als aktuell: Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem bionische Wissenschaft und Forschung keine Anwendung finden. Auch Exoskelettsysteme stammen ursprünglich aus der Natur. Der Begriff Exoskelett findet vor dem Hintergrund der grundlegenden Eigenschaften Anwendung in der Lösung technischer Probleme bei der Unterstützung bzw. Steigerung menschlicher Bewegungen und Kräfte. Ein „technisches Exoskelett“ ist ein anziehbares und sich somit außerhalb des Körpers befindliches, passives oder aktives Assistenzsystem zur Führung und Unterstützung von Extremitäten und/oder der Rumpffunktionen. Primär wurden Exoskelette für den militärischen Bereich entwickelt und konstruiert, um Soldaten zu befähigen schwere Lasten über lange Strecken und in unwegsamen Gelände, zu transportieren.
Ziele der Anwendung dieser Systeme sind:
- eine Unterstützung von vorhandenen normalen Körperfunktionen unter primär präventiven Gesichtspunkten
- die Unterstützung und Förderung verlorengegangener Funktionen im Rahmen rehabilitativer Prozesse und die unterstützende bzw. ausgleichende Funktion assistiver/integrativer Prozesse (Abb. 1)
Die aktuellen Anwendungsgebiete und Zielrichtungen sind somit:
- die vorhandenen Körperfunktionen in Kraft und Transportkapazität zu unterstützen und zu verbessern → assistiv
- eingeschränkte oder fehlende Körperbewegungen und Körperhaltungen zu ermöglichen und zu unterstützen (Anwendung in der Therapie von körperlichen Beeinträchtigungen) → rehabilitativ
- Schutz der vorhandenen Körperbewegungen und Körperhaltungen→präventiv
Aus diesen Funktionen ergeben sich die Einsatzbereiche von Exoskelettsystemen:
1. assistiv/ integrativ
- in der Produktion
- beim Militär
2. rehabilitativ
- in der Medizin
3. präventiv
- in der Industrie in Produktion und Logistik
Der Einsatz dieser unterstützenden Geräte und damit die Gewinnung von Erfahrungen zur Bewertung ihres Nutzens befinden sich erst in einem frühen Stadium der wissenschaftlichen Forschung. Die Aussagekraft für die Anwendung dieser Systeme im Bereich der Prävention, Rehabilitation oder zum Ausgleich von Fähigkeitsstörungen (Behinderungsausgleich) ist noch limitiert.
Aktive und passive Exoskelettsysteme
Die am Markt erhältlichen und zugelassenen Exoskelettsysteme (Tab. 1) lassen sich in aktive Exoskelette und passive Exoskelette unterscheiden. Aktive Exoskelette besitzen eine aktive mechanische Unterstützung mittels Sensoren und elektrischer oder pneumatischer Antriebe. Sie benötigen dazu eine Energieversorgung und können modular aufgebaut und erweitert werden. Ein Beispiel für ein aktives präventives Exoskelett ist das „Stuttgart–Exo–Jacket“ vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) für Arbeiten in der Montage, Logistik und Produktion. Für den aktiven, rehabilitativen Bereich ist das „Ekso GT“ der Firma Ekso Bionics zur Rehabilitation neurologischer Gangstörungen zu nennen. Aufgrund der hohen Komplexität im Kontext arbeitskritischer Anforderungen und der oft noch ausbaufähigen Adaptionsfähigkeit der Systeme ist der Einsatz aktiver Exoskelettsysteme in der Industrie aktuell noch nicht sehr etabliert.
Bei passiven Exoskeletten erfolgt die Unterstützung rein mechanisch, zum Beispiel über Federsysteme, die die Energie bei bestimmten Körperbewegungen aufnehmen und als Hilfe wieder abgeben. Sie benötigen dafür keine Energieversorgung und unterstützen in der Regel nur einzelne Körperregionen. Ein Beispiel für ein passives präventives Exoskelett ist das Modell „Laevo V2.5“ der niederländischen Firma Laevo. Dabei handelt es sich um eine körpergetragene (Rücken-)Stütze mit Federsystem, die bei Arbeiten in vorgebeugter Stellung und beim Heben von Lasten unterstützt. Ein passives, rehabilitatives Exoskelett sind zum Beispiel die CDS-Schienen (CDS = Continiuous Dynamic System) der Firma Albrecht, die für eine sanfte, dynamische Redression bei Gelenkfehlstellungen bzw. Kontrakturen verschiedenster Ursachen sorgen.
Insgesamt sind passive Exoskelette aufgrund der fehlenden elektrischen oder pneumatischen Antriebstechnik leichter und preiswerter als aktive Exoskelettsysteme. Dadurch scheint aktuell die Bereitschaft der Unternehmen (sowohl industriell als auch medizinisch) deutlich größer zu sein, passive Systeme hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit und Benutzerfreundlichkeit zu testen, bzw. zur Anwendung zu bringen.
Assistiver/integrativer Einsatz von Exoskeletten
Assistive Exoskelettsysteme (Tab. 2) sind überall dort sinnvoll, wo schwere Lasten manuell bewegt werden oder Tätigkeiten in Zwangshaltungen durchgeführt werden. In der Industrie können sie überall dort zum Einsatz kommen, wo menschliche Arbeit nicht sinnvoll durch Vollautomatisierung oder Robotik-Systeme ersetzt werden kann, technische Hilfsmittel wie Gabelstapler, Kran, Vakuumheber etc. nicht eingesetzt werden können oder Arbeiten in Zwangspositionen durchgeführt werden müssen 1.
Ein weiteres Aufgabengebiet befindet sich gerade in der Entwicklung und Erprobung. In der Nachsorge Verunfallter oder erkrankter Patienten eröffnet sich ein weiterer neuer Anwendungsbereich für Exoskelettsysteme – eine assistive Unterstützung und Anwendung im häuslichen Bereich zur Unterstützung und Förderung der Selbstständigkeit, Erhaltung bereits erreichter und Förderung weiter zu verbessernder Funktionen. Dies ermöglicht den Patienten eine Integration sowohl in ihr häusliches, als auch in ihr soziales Umfeld mit Erweiterung ihrer Selbstständigkeit und Selbstbestimmung.
Das führt zu einer Vergrößerung der Partizipation bzw. Teilhabe am Leben. Inzwischen gibt es ein erstes zugelassenes Exoskelettsystem für diesen Bereich: Das „Rewalk 6.0“ der Firma ReWalk. Ursprünglich für den Einsatz in der Rehabilitation querschnittgelähmter Patienten verwendet, ist es für den privaten Gebrauch im häuslichen Umfeld weiterentwickelt worden. 2018 wurde es aufgrund seiner Funktionen zum ganzheitlichen Einsatz in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen. Es ist somit nicht nur in diesem Bereich assistiv einsetzbar, sondern auch erstattungsfähig bei den Kostenträgern. Ein weiterer Schauplatz für den Einsatz assistiver Exoskelettsysteme ist die Geriatrie. Ältere Menschen könnten mit einem sogenannten „Kraftanzug“ (erster Prototyp: „Superflex“ der Firma SRI International) ihre Mobilität und Unabhängigkeit zurückgewinnen und somit die Lebensqualität erhöhen. Derlei Systeme befinden sich aber noch in der Entwicklung.
Rehabilitativer Einsatz von Exoskeletten
Nach Verletzungen oder Erkrankungen des muskuloskelettalen oder des neurologischen Systems werden Exoskelette zunehmend zur Wiedererlangung, Unterstützung und Förderung verlorengegangener Funktionen und zur Vermeidung von Folgekomplikationen im rehabilitativen Bereich eingesetzt (Abb. 2). Bei diesen Exoskelettsysteme handelt es sich um aktive, robotergestützte, mechanische Assistenzsysteme. Sie können sowohl eine verlorengegangene Bewegung ersetzen als sie auch neu stimulieren und/oder unterstützen. Speziell in der Rehabilitation von Menschen mit Rückenmarkverletzungen werden inzwischen erfolgreich verschiedene Exoskelettsysteme zur Gangrehabilitation eingesetzt 2 3. In der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten werden zunehmend Arm-/Handsysteme zur Wiedererlangung der Arm- und/oder Handfunktion eingesetzt. Aktuell gibt es ca. 45 medizinisch angewandte exoskelettale Lokomotionsmodelle für den rehabilitativen Einsatz 4.
Die Systeme zur Gangrehabilitation werden momentan primär als dynamisches Gehtrainingsgerät angewendet. Sie ermöglichen Patienten mit Schwächung oder Lähmung der Beine, ein Stehen und Gehen auf ebenen Flächen und partiell beim Treppeneinsatz. Die Unterscheidung der jeweiligen am Markt etablierten Systeme erfolgt durch:
- Art der Ansteuerung der Motoren
- Einsatzbereich (Groundwalking vs. Laufband)
- Einstellparameter
- Nutzungszeitraum
- Aufbaumaße
- generierter Bewegungsablauf
Die am Markt erhältlichen und zugelassenen Exoskelettsysteme etablieren sich zunehmend im therapeutischen Behandlungsprozess (Tab. 2), allerdings ist nur über die Kenntnis der patientenbezogenen Befunddaten und der technischen Parameter der Systeme eine in sich schlüssige und lückenlose Indikationsstellung für eine sinnhafte Therapie zu erreichen. In unserem eigenen klinischen Setting (akut, rehabilitativ, ambulant) wurden folgende Exoskelettsysteme angewendet und getestet:
- Ekso GT™, Fa. Ekso Bionics vormals Fa. Berkeley (Richmond, CA, USA)
- Indego®, Fa. Parker Hannifin Corporation (Macedonia, OH, USA)
- HAL® (Hybrid Assistive Limb) – Lower Limb Model, Fa. Cyberdyne Inc (Tsukuba, Präfektur Ibaraki, Japan)
- ReWalk™ Personal 6.0, ReWalk Robotics Ltd. (Jokne’am, Israel)
- Free Walk, Fa. Free Bionics Taiwan Inc. (Hsinchu, Taiwan)
- REX, Fa. REX BIONICS LTD, Auckland; New Zealand
Hilfsmittelkriterien
Aktuell können Hersteller von Exoskelettsystemen eine Aufnahme in die Produktgruppe 23, „Orthesen/Schienen“ des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V beantragen. Das Hilfsmittelverzeichnis ist allerdings keine Positivliste, sondern hat eine Ordnungs- und Orientierungsfunktion für die Krankenkassen und soll ihnen versorgungsrelevante Informationen über Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Es hängt also weiterhin von den individuellen Umständen des Einzelfalls ab, ob Krankenkassen die Kosten für das neue Hilfsmittel übernehmen.
Die Hersteller der Systeme müssen des Weiteren eine Aufnahme in das Hilfsmittel-/ Pflegemittelverzeichnis beantragen. Für das System müssen seine Funktionstauglichkeit, seine Sicherheit, seine Qualität, und sein medizinischer und pflegerischer Nutzen nachgewiesen werden. Ob ein Anspruch auf Versorgung mit einem Exoskelettsystem vorliegt, hängt von den individuellen Verhältnissen und Fähigkeiten des Patienten ab und wird von den Kostenträgern unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes im Einzelfall geprüft 5.
Präventiver Einsatz von Exoskeletten
Die Idee für den präventiven Einsatz von Exoskelettsystemen ist noch relativ jung. An vielen Arbeitsplätzen müssen Beschäftigte oft schwere Lasten tragen oder Tätigkeiten wiederholt monoton oder in ungünstigen Körperhaltungen ausführen. Daraus können berufsbedingte Erkrankungen des muskuloskelettalen Bewegungssystems sowie körperliche und psychosoziale Beeinträchtigungen entstehen, die erhebliche Kosten verursachen. Vor diesem Hintergrund sind zunehmend Unternehmen und Sozialversicherungsträger daran interessiert, ihre Arbeitnehmer bzw. Versicherten zu entlasten, zu unterstützen und vor einer Gefährdung zu schützen. Unabhängig von einer aktiven oder passiven Bauweise 1 eröffnen Exoskelette für die Beschäftigten eine Möglichkeit, die Sicherheit und Gesundheit bei ihrer Tätigkeit zu verbessern. Der Einsatz mechanischer Assistenzsysteme unterstützt eine ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen und kann Rücken‑, Schulter- oder Extremitätenschäden vermeiden. In einigen großen industriellen Unternehmen werden bereits Exoskelettsysteme im Arbeitsalltag erfolgreich getestet und eingesetzt (Abb. 3). Volkswagen forscht bspw. seit 2012 an dem Thema und ist Treiber für die zielgerichtete Entwicklung der Ergonomie-Strategie mit Exoskeletten.
Fazit
Exoskelettsysteme gibt es aktuell im rehabilitativen, präventiven und inzwischen auch assistiv im häuslichen Bereich. Diese Anwendungsbereiche unterscheiden nicht primär hinsichtlich in der Funktionsweise der genannten Systeme, sondern vielmehr im jeweiligen Kontext der Anwendungen und dezidierten Anwendungsbereiche. Man muss somit zukünftig von zwei großen Säulen in der Betrachtung von Exoskeletten ausgehen: einerseits die im medizinischen Kontext angesiedelte rehabilitative und erhaltende Verwendung (klinisch/ambulant/privat), andererseits eine frühzeitig zu initiierende präventive Verwendung (Tab.3).
Industrieunternehmen stehen angesichts der demografischen Entwicklungen vor besonderen Herausforderungen. Denn steigende Lebenserwartung und Geburtenrückgang führen zu einer alternden Belegschaft und zu einem Mangel an Arbeitskräften. Daraus resultiert ein erhöhter Bedarf an technischen Lösungen, die es Menschen ermöglichen, ihrem Berufsalltag langfristig gesundheitsschonend nachzugehen.
Für die Autoren:
Dr. Daniel Kuhn Therapiegesamtleiter
BG Klinikum Bergmannstrost Halle gGmbH
Merseburger Straße 165, 06112 Halle (Saale)
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- Exoskeleton Report LLC. Exoskeletons Catalog – Medical. https://exoskeletonreport.com/product-category/exoskeleton-catalog/medical (Zugriff am 27.02.2019)
- Grasmücke, D, Schildhauer TA, Meindl RC, Aach M. Exoskelette in der Behandlung und Versorgung Querschnittgelähmter. DGUV Forum; Wiesbaden: Universum Verlag, 2018
- Kuhn D, und Freyberg-Hanl B. Exoskelett: Therapiesystem oder Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Trauma und Berufskrankheit, 2018; 20(4), 254–259
- Aach M, Meindl, RC, Geßmann J, Schildhauer TA., Citak M, und Cruciger, O Exoskelette in der Rehabilitation Querschnittgelähmter. Der Unfallchirurg, 2015; 118 (2), 130–137
- Schick R. Einsatz von Exoskeletten an gewerblichen Arbeitsplätzen. DGUV Forum. Wiesbaden: Universum Verlag; 2018