„Bereits dieses erste Ergebnis zeigt, wie dringend wir ein interdisziplinäres Exoprothesenregister – eine standardisierte Dokumentation – benötigen, um die Qualität und Nachhaltigkeit unser aller Arbeit wissenschaftlich überprüfbar zu machen“, betonte der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, technische Orthopädie und Rettungsmedizin, in seinem Impuls-Statement. „Register sind eine wesentliche Methode der Versorgungsforschung. Gleichzeitig stellen Amputierte eine Gruppe dar, die selten oder nie durch klinische Studien abgebildet wird“, so Grünther auf Nachfrage der OT-Redaktion weiter.
Keine zusätzliche Arbeit für Sanitätshäuser
Seit Jahren fordern Experten der Technischen Orthopädie (TO) die Einführung eines zentralen Registers in Deutschland für mehr Evidenz in der Orthopädie-Technik. Zumal die fortgeschrittene Digitalisierung der Branche den Aufbau und die Auswertung einer Datenbank begünstigen. „Allerdings benötigen wir dafür einheitliche Erhebungsbögen, weil nur so die Zahlen vergleichbar sind“, meint Dr. Ralf-Achim Grünther. Für das Pilotprojekt haben sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe zum Pilotprojekt ExoPRD, zu der unter anderem Merkur Alimusaj, Leitung Technische Orthopädie am Universitätsklinikum Heidelberg, und Prof. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde, gehören, gemeinsam mit dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT), Axel Sigmund, und der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Hilfsmittelforschung (DGIHV), Prof. Wolfram Mittelmeier, auf einen Erhebungsbogen mit 50 Fragen geeinigt. „Von Anfang an war klar, es darf keine zusätzliche Dokumentationsarbeit auf die Sanitätshäuser zukommen“, betont Grünther im Gespräch.
Gemeinsame Auswertung von DGOU und DGIHV
Die Eingabe der eingehenden Daten, immerhin 785 Patientendaten liegen der Klinik seit Beginn des Pilotprojektes bereits vor, erfolgt in ein zentrales Register der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). An der Auswertung sind neben der DGOU auch die DGIHV und der BIV-OT beteiligt. Ihr gemeinsames langfristiges Ziel ist es, für amputierende Kliniken, Ärzte, Sanitätshäuser und Orthopädietechniker sowie Kostenträger eine einheitliche Transparenz der Versorgung zu schaffen und parallel die Anforderung der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) zu erfüllen.
Vorbild Endoprothesenregister
Dazu sei man in regelmäßigem Gedankenaustausch mit Dr. Andreas Hey, der als Geschäftsführer des EPRD Deutsches Endoprothesenregister über reichhaltige Erfahrungen im Auf- und Ausbau eines Registers habe. Das im Jahr 2012 aufgesetzte Endoprothesenregister hat mit Stand April 2020 über 1,4 Millionen Implantationen von Hüft- und Knietotalendprothesen erfasst. Nach Angaben des EPRD wird im kommenden Jahr das Implantatregister Deutschland (IRD) starten. Ab da soll die Teilnahme für die behandelnden Kliniken nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Wobei sich schon jetzt viele Kliniken am Register beteiligten, wie Dr. Andreas Hey zum Weltkongress erklärte. Das liege auchdaran, dass die Kliniken zwei Mal im Jahr eine Auswertung ihrer Klinikdaten zur Verbesserung ihrer Arbeit erhalten.
Diesen Effekt wünscht sich auch Dr. Grünther. „Leider stoßen wir bisher bei der Rekrutierung von Sanitätshäusern für unser Pilotprojekt auf geringes Interesse.“ Dabei sei doch das wesentliche gemeinsame Ziel aller an der Versorgung Beteiligter: Wie zufrieden ist der Nutzer mit der jeweiligen Versorgung?
„Ein Exoprothesenregister Deutschland, also die systematische Erhebung behandlungsrelevanter und festgelegter Daten sowie deren wissenschaftliche Auswertung, stärke mittels medizinischer Evidenz in der Behandlung Amputierter alle Disziplinen der Technischen Orthopädie“, erklärt der Oberarzt. Medizinische Evidenz sei auch ein zentrales Element bei der Umsetzung der MDR, deren Übergangsfrist zum 26. Mai 2021 enden soll. Zudem erleichtert die bundesweite Vereinheitlichung von Dokumentationsstrukturen die Arbeit von Sanitätshäusern.
Breite Unterstützung
Übrigens: Unterstützung für seine Forderung nach einem Exoprothesenregister Deutschland erhielt Dr. Grünther in der Podiumsdiskussion von allen weiteren Teilnehmern der Runde: Merkur Alimusaj, Prof. Bernhard Greitemann, Dr. Andreas Hey, Dieter Jüptner, Bundesverband für Menschen mit Arm- und Beinamputation e.V. (BMAB), Prof. Wolfram Mittelmeier, Direktor der Orthopädischen Klinik und Poliklinik Rostock, sowie Alf Reuter, Präsident des BIV-OT. Bleibt abzuwarten, ob die Diskussionsrunde zur OTWorld.connect die Geburtsstunde einer interdisziplinären Partnerschaft zugunsten eines deutschlandweiten Exoprothesenregisters war.
Im ersten Quartal 2022 rechnet Dr. Grünther mit den Ergebnissen des Siegener Pilotprojektes und hofft, damit einen bedeutenden Schritt weiter zu sein im Aufbau eines deutschlandweiten Registers.
Von Ruth Justen
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