Astro­naut kommt zur OTWorld

Der Wendepunkt im Leben von John McFall ist auf das Jahr 2000 datiert. Der damals 19-Jährige verunfallte mit seinem Motorrad und sein rechtes Bein oberhalb des Knies wurde infolgedessen amputiert.

Doch statt Selbst­mit­leid oder Jam­mern schöpf­te der Bri­te Kraft aus der Situa­ti­on – auch dank moder­ner Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung. Nur drei Jah­re nach sei­nem Unfall stieg er ins Lauf­trai­ning ein. Bei sei­nem ers­ten inter­na­tio­na­len Wett­kampf, den Euro­pa­meis­ter­schaf­ten des Inter­na­tio­na­len Para­lym­pi­schen Komi­tees (IPC) in Finn­land, hol­te er 2005 Bron­ze im 200-Meter-Lauf. Dem folg­ten zahl­rei­che Medail­len­ge­win­ne, dar­un­ter Sil­ber für sei­ne per­sön­li­che Best­zeit über 100 Meter von 12,70 Sekun­den beim Inter­na­tio­na­len Bay­er-Leicht­ath­le­tik-Wett­be­werb in Lever­ku­sen 2006. Zwei Welt­meis­ter­ti­tel hol­te er 2007 bei der World-Wheel­chair-and-Ampu­tee-Sports-Fede­ra­ti­on über 100 Meter und 200 Meter. 2008 trat er zudem für Groß­bri­tan­ni­en bei den Para­lym­pics in Peking in der Klas­se der Läu­fer mit Ampu­ta­tio­nen ober­halb des Knies an und brach­te für sei­ne Leis­tun­gen über 100 Meter Bron­ze mit nach Hause.

Auch beruf­lich ist John McFall durch­ge­star­tet: Sei­nem Sport­stu­di­um schloss er noch ein Medi­zin­stu­di­um an. Von 2014 bis 2016 arbei­te­te er als Foun­da­ti­on Doc­tor im bri­ti­schen Natio­nal Health Ser­vice in ver­schie­de­nen medi­zi­ni­schen und chir­ur­gi­schen Fach­be­rei­chen in Süd­ost-Wales. Danach absol­vier­te er bis 2018 eine chir­ur­gi­sche Grund­aus­bil­dung in All­ge­mein­chir­ur­gie, Uro­lo­gie sowie Trau­ma­to­lo­gie und Ortho­pä­die. Im Jahr 2018 sicher­te er sich einen Platz im natio­na­len Trau­ma- und Ortho­pä­die-Fach­arzt­aus­bil­dungs­pro­gramm des Ver­ei­nig­ten König­reichs und ist heu­te Fach­arzt für Trau­ma­to­lo­gie und Orthopädie.

Nächs­tes Ziel: Die Erobe­rung des Weltraums

Dass er ger­ne außer­ge­wöhn­li­che Rei­sen unter­nimmt und dass es kaum Gren­zen gibt, was er mit sei­ner Pro­the­se errei­chen kann, bewies McFall 2008: Nach den Para­lym­pi­schen Spie­len in Peking mach­te er sich zu Fuß auf den Heim­weg ins Ver­ei­nig­te König­reich. Nach den nächs­ten Zie­len gefragt, sag­te er damals, er wol­le irgend­wann die Saha­ra durch­que­ren, den Atlan­tik mit dem Ruder­boot über­que­ren und eine Lizenz für den frei­en Fall erwer­ben. Seit Kur­zem steht die Raum­fahrt auf McFalls To-do-Lis­te: Im Novem­ber 2022 wur­de er als Mit­glied der Astro­nau­ten­re­ser­ve der Euro­päi­schen Welt­raum­or­ga­ni­sa­ti­on (ESA) aus­ge­wählt, um an der Mach­bar­keits­stu­die „Fly!“ teil­zu­neh­men. Damit will die ESA Hin­der­nis­se für Astronaut:innen mit kör­per­li­chen Ein­schrän­kun­gen in der Raum­fahrt ver­ste­hen und über­win­den. Das Ziel die­ser Stu­die ist es, sich auf McFalls viel­fäl­ti­ges Fach­wis­sen zu stüt­zen, um Mög­lich­kei­ten zu erfor­schen, wie Men­schen mit kör­per­li­chen Behin­de­run­gen – ins­be­son­de­re mit einer Ampu­ta­ti­on der unte­ren Glied­ma­ßen – als voll inte­grier­te Mit­glie­der einer Astro­nau­ten­crew wäh­rend einer Lang­zeit­mis­si­on zur Inter­na­tio­na­len Raum­sta­ti­on (ISS) auf­ge­nom­men wer­den kön­nen. Mit der Aus­schrei­bung hat die ESA aner­kannt, dass es Men­schen geben könn­te, die geis­tig und men­tal für den Job qua­li­fi­ziert sind, aber bis­her aus medi­zi­ni­schen Grün­den nicht aus­ge­wählt wor­den wären. Für die Erfor­schung des Welt­raums durch den Men­schen bringt der mitt­ler­wei­le 43-Jäh­ri­ge nicht nur den wis­sen­schaft­li­chen und medi­zi­ni­schen Hin­ter­grund sowie kör­per­li­che Fit­ness mit. Er eröff­net der ESA ganz neue Per­spek­ti­ven und konn­te gera­de als Mensch mit einer kör­per­li­chen Beein­träch­ti­gung schon sehr vie­le Hin­der­nis­se überwinden.

Außer­ge­wöhn­li­che Belas­tun­gen für Mensch und Prothese

Damit stellt sich John McFall nun gänz­lich neu­en Her­aus­for­de­run­gen: ein Über­le­bens­trai­ning auf der Ost­see, die Anpro­be eines Raum­an­zugs, der Ein- und Aus­stieg in eine Raum­kap­sel, Zen­tri­fu­gen-Trai­ning. Gemein­sam mit dem Her­stel­ler Otto­bock unter­zieht die ESA aktu­ell die Pro­the­sen­tech­nik inten­si­ven Tests. Und in einem ZEIT-Inter­view danach gefragt, ob sein Han­di­cap im All nicht sogar ein Vor­teil wäre, ant­wor­tet McFall: „Im Welt­raum ist jeder behin­dert. Jeder Mensch muss mit die­ser Umge­bung erst mal klarkommen.“
Auf sei­nen Motor­rad­un­fall ange­spro­chen, sag­te er zudem, es sei „in gewis­ser Wei­se das Bes­te gewe­sen, was mir je pas­siert ist. Er hat mir einen Fokus gege­ben, einen Antrieb, jeder Tag ist eine neue Her­aus­for­de­rung. (…) Ich hat­te immer eine Lis­te von Zie­len und Wün­schen, die sich nach mei­nem Unfall nicht geän­dert haben – sie haben nur die Rich­tung gewech­selt. Der Ver­lust mei­nes Beins hat mein Leben ver­än­dert, aber er hat nicht ver­än­dert, wer ich bin.“ Zur Eröff­nung der OTWorld 2024 spricht John McFall am Diens­tag, 14. Mai 2024, über sei­ne „Mis­si­on Possible“.

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