Einleitung
Laut Statistischem Bundesamt war Brustkrebs im Jahr 2012 die häufigste Einzeldiagnose bei Krebserkrankungen von Frauen 1 2. Je nach patientenspezifischem Krankheitsbild und persönlicher Entscheidung kommt neben einer Bestrahlung, einer medikamentösen Therapie oder einer brusterhaltenden Operation eine operative Entfernung der Brust als relevante Behandlungsmöglichkeit in Frage. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts lag die Zahl der Rekonstruktionsoperationen nach einer Mastektomie bei nur 20 bis 30 % 3. Mit einer Brustprothese bzw. Brust-Epithese kann der Eindruck einer ästhetisch schönen Brust ohne eine weitere Operation unter Vermeidung möglicher Nebenwirkungen eines chirurgischen Eingriffs (Lymphödeme des Armes, Sensibilitätsstörungen, Schmerzen an der Brustwand, Bewegungseinschränkungen) erreicht werden.
In der Richtlinie 93/42/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte sind Klassifizierungsregeln basierend auf der Verletzbarkeit des menschlichen Körpers und unter Berücksichtigung potenzieller Risiken im Zusammenhang mit der technischen Auslegung der Produkte und ihrer Herstellung definiert. Brustimplantate sind in Europa der Risikoklasse III zugeordnet. Sie müssen höchsten Sicherheitsanforderungen genügen und erfordern eine Kontrolle durch eine benannte Stelle.
Bei Brustprothesen handelt es sich um Medizinprodukte der Risikoklasse I. Da das Risiko und der Grad der Verletzbarkeit durch Produkte der Klasse I gering sind, kann das Konformitätsbewertungsverfahren unter der alleinigen Verantwortung des Herstellers erfolgen. Für Brustimplantate der Risikoklasse III ist nach EN ISO 14607 „Nichtaktive chirurgische Implantate – Mammaimplantate – Besondere Anforderungen” die Ermüdungsbeständigkeit des Implantats zu bestimmen. Für Brustprothesen existiert ein solch objektives Prüfverfahren bisher nicht.
Eine realitätsnahe Prüfung der Ermüdungsbeständigkeit erfordert die Berücksichtigung alltäglicher Bewegungen und Belastungen, denen Brustprothesen ausgesetzt sind. Dabei ist die Bewegung der Brust in der Literatur ausreichend beschrieben. Scurr et al. 4 5 zeigen, dass sich die Brust während des Gehens und Laufens, unabhängig von der Bewegung des Rumpfes, in einer Schmetterlingsform bewegt. Dabei geht die Bewegung bei einer Laufgeschwindigkeit über 8 km/h zu 50 % auf eine vertikale und je zu 25 % auf eine anterio-posteriore sowie eine medio-laterale Komponente zurück. Quantitative Messergebnisse von White et al. 6 zeigen ebenso eine Aufteilung der Auslenkung der Brust in verschiedene Richtungen bei Bewegung, wobei auch hier die vertikale die größte Komponente darstellt. Die Auslenkung der Brustwarze steigt mit Zunahme der Brustgröße, dem Aktivitätsgrad sowie mit der Abnahme der Bruststützung, gegeben durch die Form des Büstenhalters 6 7 8 9 10. Im Gegensatz zur Kinematik sind in der Literatur jedoch kaum Daten zu finden, die die Belastung von Brustprothesen während alltäglicher Bewegungsmuster und sportlicher Aktivitäten beschreiben.
Während im ersten Teil dieser Studie die Umsetzbarkeit der Ermüdungsprüfung für Brustimplantate nach EN ISO 14607 auf Brustprothesen untersucht wurde, war das Ziel im zweiten Teil die Ermittlung realistischer Lastkollektive, die die Weiterentwicklung einer Testmethode zur mechanischen Ermüdungsbeständigkeit von Brustprothesen ermöglichen.
Material und Methode
Ermüdungstest in Anlehnung an EN ISO 14607
Um Aussagen über eine sicher zu gewährleistende Lebensdauer der Prothesen sowie einen qualitativen und quantitativen Vergleich unterschiedlicher Prothesen zu ermöglichen, wurde zunächst eine Prüfung der Ermüdungsbeständigkeit in Anlehnung an EN ISO 14607 durchgeführt. Abbildung 1 zeigt den Prüfaufbau, in welchem vier Prothesen durch eine Andruckkraft fixiert und mit einer oszillierenden Bewegung (Frequenz der Kreisbewegung f = 2,3 Hz) der Druckstempel verformt werden. Der Antrieb erfolgt durch einen Industrieroboter RV20-16, ROBOTstar V–PCX (Fa. Reis GmbH & Co. KG, Obernburg am Main). Durch die Andruckkraft und unterliegende Kunststoffmatten wird sichergestellt, dass die Implantate in ihrer Lage unter den Druckstempeln verbleiben und die erforderlichen Scherkräfte auftreten. Der Druckstempel wird vor Versuchsbeginn auf 50 % der Projektionshöhe der Prothesen eingestellt. Als maximale Zyklenanzahl wurden eine Mio. Lastwechsel festgelegt. Für die Versuchsreihe wurden n = 12 Brustprothesen verschiedener Hersteller (Amoena, Trulife, Anita und ABC) getestet.
Weiterentwicklung der Testmethode – Ermittlung realistischer Lastkollektive
Zur Ermittlung realistischer Lastkollektive wurden Druckverteilungsmessungen zwischen Brustkorb und Prothese sowie Beschleunigungsmessungen an der Prothese mit zwei Prothesenträgerinnen (A: 55 Jahre, Größe 90D; B: 72 Jahre, Größe 75B) während unterschiedlicher alltäglicher und sportlicher Aktivitäten durchgeführt. Folgende Bewegungsabläufe wurden gewählt:
- Bewegungen auf einem Crosstrainer
- Joggen auf einem Laufband
- Simulation von Liege- und Schlafbewegungen auf einer Bodenmatte
- Armdrücken an einer Pectoralis-Maschine
- Springen mit seitlicher Unterarmbewegung („Seilspringen” ohne Seil)
Die Probandinnen führten die Übungen in Anlehnung an den Alltag bezüglich Tempo und Können entsprechend dem eigenen Wohlbefinden durch.
Beschleunigungsmessung
Zur Messung der Beschleunigung des Brustgewebes kamen digitale 3‑Achsen-Beschleunigungssensoren SMB380 (Fa. Bosch Sensortec GmbH, Reutlingen) zum Einsatz. Die Sensoren wurden auf einer Platine verlötet und mit Kunstharz umgossen (Größe: 10 mm × 15 mm × 3 mm). Die Aufzeichnung der Beschleunigungsdaten erfolgte fortlaufend bei 40 Hz. Bewertet wurde die absolute Größe der Beschleunigung, d. h. die Wurzel aus der Summe der drei quadrierten Komponenten des Beschleunigungsvektors. Abbildung 2 veranschaulicht die Lokalisation der drei Beschleunigungssensoren.
Druckverteilungsmessung
Die Messung und Darstellung der Druckdaten erfolgte mit dem Druckmesssystem pliance® prosthesis (Fa. Novel GmbH, München). Zwei Sensormatten mit 6 × 15 sowie 3 × 15 Sensoren (Einzelsensorfläche 1 cm²) zeichneten dazu die auftretenden Drücke mit einer Frequenz von 50 Hz auf. Die Positionen der Drucksensoren zwischen Haut und Prothese bzw. BH-Tasche stellt Abbildung 3 dar.
Ergebnisse
Ermüdungstest in Anlehnung an EN ISO 14607
Unmittelbar nach Versuchsende, d. h. nach einer Million eingeleiteter Lastwechsel, wurde bei allen getesteten Prothesen eine erhöhte Weichheit im Bereich des Druckstempels beobachtet (Abb. 4). Nach einer Erholungsphase von wenigen Minuten bildete sich diese Deformation zurück, und die getesteten Prothesen nahmen wieder nahezu ihre Ausgangsform an. Die Veränderung des Weichegrades zeigte auch das Einknicken der Testprothesen nach Versuchsende (Abb. 5a). Ein Ablösen der PU-Hüllfolie vom Füllsilikon konnte lediglich am Randbereich der Druckstempel festgestellt werden (Abb. 5b).
Weiterentwicklung der Testmethode – Ermittlung realistischer Lastkollektive
Beschleunigungsmessung
Während der definierten alltäglichen und sportlichen Aktivitäten traten Beschleunigungen von ‑0,99 g (freier Fall) bis +2,43 g (Aufwärtsbeschleunigung, d. h. Rückstoß der Prothese, beispielsweise durch die Landung nach einem Sprung) auf. Der Maximalwert zeigte sich bei Bewegungsablauf (e) („Seilspringen”) der Probandin A (Abb. 6). Der Maximalwert entspricht dabei einer positiven Beschleunigung von 23,86 m/s², mit g als Gravitationskonstante von 9,81 m/s².
Die aus den Beschleunigungen (Abb. 7) berechneten Maximalkräfte auf die ca. 630 Gramm schwere Prothese betragen somit –6,12 N bis +15,02 N bzw. 0 N (im freien Fall), +6,18 N (im ruhigen Stand durch die Last des Prothesengewichts) bis +21,2 N (bei Landung nach dem Sprung, Prothesengewicht plus Aufwärtsbeschleunigung).
Druckverteilungsmessung
Abbildung 8 stellt den Maximal- sowie den mittleren Druck über die Versuchsdauer mit vier Phasen mit erhöhter Aktivität dar. Typische Drücke für die Bewegung auf dem Crosstrainer (a), auf dem Laufband (b), auf der Bodenmatte © sowie an der Pectoralis-Maschine und das „Seilspringen” (d) wurden bei etwa 0,5 N/cm2 gemessen. Der absolute Maximalwert wurde im Bewegungsabschnitt © für die Übungen auf der Bodenmatte beobachtet. Die Drucksensoren lieferten absolute Maximaldrücke bezüglich eines Sensors von 0,99 N/cm2 (Probandin A) und 0,85 N/cm2 (Probandin B). Die Maxima der Druckwerte bezüglich eines Sensors liegen hier bei beiden Frauen im Bereich der Achsel (Abb. 9).
Diskussion
Nach Prüfung der Ermüdungsbeständigkeit der Brustprothesen in Anlehnung an EN ISO 14607 zeigen sich Ablösungen der Folie in den Randbereichen der Druckstempel, Andeutungen einer beginnenden Zerstörung der Silikonmatrix des Füllmaterials (makroskopisch erkennbar als Schattierungen) und Bläschenbildung. Diese Versagensmuster sind nicht mit den von den Herstellern in der Realität beobachteten und beschriebenen Versagensmustern, z. B. deutliches Ablösen der Hülle von der Silikonmatrix über große Flächen oder ein verändertes, verwaschenes Erscheinungsbild, vergleichbar. Daher sollen die gewählten Bewegungen und Belastungen der Ermüdungsprüfung von Brustprothesen in Anlehnung an EN ISO 14607 überprüft und verbessert werden. Durch die Ermittlung realistischer Lastkollektive soll eine Optimierung der Testmethode über die Ermüdungsbeständigkeit von Brustprothesen erreicht werden. Die Größenordnung der generierten Beschleunigungswerte im Bereich von –0,99 g (freier Fall) bis +2,43 g stimmt mit vorangegangenen Studien überein 6 7 10 11 12. Die berechneten Kräfte stimmen mit den Ergebnissen von McGhee et al. 7 überein. Jedoch berechnen Haake und Scurr 13 aus Auslenkung und Schwingfrequenz der Brust niedrigere Kräfte.
Die Prothese belastende Scherkräfte und Scherbewegungen könnten im Prinzip aus Unterschieden der gemessenen Beschleunigung an Prothese und Brustkorb (Jugulum) berechnet werden. Allerdings sind diese differenziellen Beschleunigungen und Verschiebungen zu klein und damit fehlerbehaftet im Vergleich zur absoluten Größe der gemessenen Beschleunigung. Die Maxima der Messwerte weisen aber darauf hin, dass bei großer vertikaler Oberkörperbewegung auch die größten Relativ-Beschleunigungswerte entstehen. Der Nachweis eines konkreten Zusammenhangs kann an dieser Stelle jedoch noch nicht erfolgen.
Nach den Ergebnissen der Druckmessung treten die größten Drücke mit bis zu 0,99 N/cm2 im Bereich der Achsel auf. Aufgrund von Armbewegungen, somit Druck und Reibung auf die entsprechenden Sensoren, entsteht vermutlich eine zusätzliche Biegung der Sensorfolie, die sich aufgrund des inneren Aufbaus der Drucksensoren als geringe, aber nicht ganz zu vernachlässigende Signaländerung in den Messdaten abbildet, zumal die Drucksensoren in dieser Studie nur im unteren Teil ihres Druckmessbereichs belastet wurden. Als repräsentative Druckwerte für alltägliche und sportliche Bewegungen sind daher etwa 0,50 N/cm2 zu wählen.
Schlussfolgerungen
Die Übertragbarkeit der Ermüdungsprüfung für Brustimplantate nach EN ISO 14607 auf externe Brustprothesen konnte mit den resultierenden Versagensmustern aus dem mechanischen Dauerbelastungstest, die von bekannten Abnutzungsschäden der Prothesen im Alltag abweichen, nicht belegt werden. Für die Weiterentwicklung der Testmethode zur mechanischen Ermüdungsbeständigkeit von Brustprothesen wurden daher experimentell an Probandinnen Beschleunigungen und Druckverteilungen ermittelt. In Abbildung 10 ist eine Modifikation der ursprünglichen Testmethode zu sehen, die die Schadensfälle aus der Alltagsanwendung und die Messergebnisse des Experiments mit den Probandinnen berücksichtigt. Im gekennzeichneten Bereich der Prothesenrückseite sind vermehrt größere Druckbelastungen aufgetreten. Die Positionierung des Silikonstempels sollte demnach etwa im Mittelpunkt M dieses Bereichs liegen.
Um die Güte der modifizierten Testmethode zu zeigen, gilt es nun in weiteren Studien, deren Objektivität, Reliabilität und Validität nachzuweisen.
Für die Autoren:
Dr. Stefan Lehner
TU München – Lehrstuhl für Ergonomie
Botzmannstraße 15, 85747 Garching
lehner@tum.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Lehner S, Binder S, Mitternacht J, Senner V. Entwicklung einer Testmethode der Ermüdungsbeständigkeit von Brustprothesen. Orthopädie Technik, 2014; 65 (11): 46–50
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