Druck­mess­strumpf zur Prä­ven­ti­on und The­ra­pie­un­ter­stüt­zung bei dia­be­ti­schen Fußulzera

I. Leher 1, C. Fleischmann 1, B. Brunner 2, G. Betz 3, H. Bilgin4, Y. Saglam4, D. Uhl2, T. Shinkar 2, S. Sesselmann 1
In Deutschland leben rund 8 Millionen Typ-2-Diabetiker [Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE (Hrsg.). Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2021. Mainz: Kirchheim, 2020]. Die Zahl der unerkannten Diabetes-Fälle wird auf mindestens 2 Millionen geschätzt [ebd.]. Prognosen zufolge wird die Zahl der Typ-2-Diabetiker bis 2040 auf etwa 11,5 Millionen ansteigen [ebd]. Zu den Folge- und Begleiterkrankungen des Diabetes zählt unter anderem das diabetische Fußsyndrom. In der Regel tragen mehrere Risikofaktoren, wie Mikrotraumata, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit und/oder eine diabetische periphere Polyneuropathie zur Entwicklung des diabetischen Fußsyndroms bei [Bakker K. Practical guidelines on the management and prevention of the diabetic foot 2011. Diabetes/metabolism research and reviews, 2012; 28 (1): 225-231]. Je nach Schweregrad treten Fußdeformitäten, Ulzera oder Nekrosen von Teilen oder gar des gesamten Fußes auf. Amputationen sind dann unvermeidlich. Der Charcot-Fuß gilt als eine besonders schwere Variante des diabetischen Fußsyndroms mit zahlreichen kumulierten akuten und chronischen Veränderungen des Fußes insgesamt [Mittlmeier T, Klaue K, Haar P. Charcot-Fuss. Eine Standortbestimmung und Perspektiven. Der Unfallchirurg, 2008; 111 (4): 218-231. Poll, L, Chantelau, E. Charcot-Fuss: Auf die frühe Diagnose kommt es an. Deutsches Ärzteblatt, 2010; 107 (7): 272-274].

Ein­lei­tung

Mul­ti­dis­zi­pli­nä­re The­ra­pie- und Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men sol­len das Risi­ko von Ampu­ta­tio­nen und die Ent­ste­hung von Fußul­zera im Zusam­men­hang mit dem dia­be­ti­schen Fuß­syn­drom redu­zie­ren. Risi­ken wie eine ver­än­der­te Bio­me­cha­nik, erhöh­te Druck­wer­te im Fuß­be­reich und eine unzu­rei­chen­de Blut­zu­cker­ein­stel­lung müs­sen früh­zei­tig erkannt und behan­delt wer­den 1. Auf die­se Wei­se kön­nen lang­wie­ri­ge Hei­lungs­pro­zes­se von Fuß­ge­schwü­ren von bis zu ca. 14 Wochen und wei­te­re The­ra­pie­kos­ten ver­mie­den wer­den 2.

Die plantaren Fuß­druck­wer­te kön­nen anhand von In-Schuh-Mess­sys­te­men und Druck­mess­plat­ten bestimmt wer­den. Die Pedo­ba­ro­gra­phie mit einer Druck­mess­plat­te zeich­net sich durch eine gute Orts­auf­lö­sung aus 3. Druck­mess­plat­ten sind jedoch kos­ten­in­ten­siv und wenig fle­xi­bel in der Ein­setz­bar­keit. In-Schuh-Mess­sys­te­me kön­nen in der natür­li­chen Umge­bung des Pati­en­ten ein­ge­setzt wer­den und bie­ten eine grö­ße­re Daten­ba­sis für die Bewer­tung der Druck­be­las­tung. Die medi­zi­ni­sche Über­wa­chung der Fuß­soh­len­druck­wer­te erfolgt in der Regel nur inter­mit­tie­rend mit grö­ße­ren Abstän­den im Rah­men von Vorsorgeuntersuchungen.

Um wei­te­re mul­ti­dis­zi­pli­nä­re Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät von Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom zu ermög­li­chen, wur­den in jün­ge­rer Ver­gan­gen­heit intel­li­gen­te Druck­mess­so­cken ent­wi­ckelt 4. Die­se sind für einen kon­ti­nu­ier­li­chen Ein­satz im All­tag kon­zi­piert, um Druck­spit­zen bei Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens zu erken­nen und ent­spre­chen­de Gegen­maß­nah­men ein­lei­ten zu kön­nen. Die Socken wur­den mit punk­tu­el­len Sen­so­ren rund um den Fuß aus­ge­stat­tet, die kei­ne flä­chen­de­cken­de Druck­mes­sung zulas­sen. Auf­grund hoher zu erwar­ten­der Kos­ten für eine Seri­en­pro­duk­ti­on wur­de die Wei­ter­ent­wick­lung die­ser Druck­mess­so­cken ein­ge­stellt. Ein aktu­el­les For­schungs­pro­jekt greift die­se Her­aus­for­de­run­gen wie­der auf. Stan­dar­di­sier­te Fer­ti­gungs­pro­zess­schrit­te sol­len die Pro­duk­ti­ons­kos­ten sen­ken. Dar­über hin­aus wird eine flä­chi­ge Druck­mes­sung über den gesam­ten Fuß­be­reich ange­strebt, um z. B. bei der Son­der­form des dia­be­ti­schen Fuß­syn­droms, dem Char­cot-Fuß, auch indi­vi­du­el­le Risi­ko­be­rei­che für Fußul­zera außer­halb der Fuß­soh­le zu iden­ti­fi­zie­ren. Außer­dem wer­den ande­re Druck­mess­prin­zi­pi­en (bei­spiels­wei­se resis­ti­ve Sys­te­me) ein­ge­setzt, um deren Poten­zi­al im Ein­satz bei intel­li­gen­ten Tex­ti­li­en ein­ge­hen­der zu erfor­schen. Der Sta­tus des Pro­jekts Pres­su­re­Track wird im Fol­gen­den vorgestellt.

Mate­ri­al und Methode

Auf­bau der PressureTrack-Socke

Die Pres­su­re­Track-Socke (Abb. 1) wird aus einer nach­hal­tig her­ge­stell­ten Lyo­cell-Garn­mi­schung (SMOOLS) im Flachstrick­ver­fah­ren gefer­tigt, die für Dia­be­ti­ker beson­ders wich­ti­ge Eigen­schaf­ten wie Ther­mo­re­gu­la­ti­on und anti­bak­te­ri­el­le Wir­kung hat. Zur kon­ti­nu­ier­li­chen Druck­mes­sung wer­den dielek­tri­sche Elas­to­mer-Sen­so­ren ver­wen­det. Die Sen­so­ren bestehen aus dehn­ba­ren Elas­to­mer-Foli­en aus haut­ver­träg­li­chem Sili­kon mit abwech­selnd iso­lie­ren­den und leit­fä­hi­gen Ein­zel­schich­ten 4. Bei Druck­be­las­tung erhöht sich die elek­tri­sche Kapa­zi­tät die­ser wei­chen Sen­so­ren. Die Kapa­zi­tät eines Plat­ten­kon­den­sa­tors hängt von des­sen Flä­che und dem Abstand zwi­schen den bei­den Plat­ten ab. Durch eine Kraft­ein­wir­kung auf den Sen­sor ändern sich bei­de Para­me­ter und damit auch der Kapa­zi­täts­wert. Die­se Kapa­zi­täts­wer­te wer­den anschlie­ßend in einen äqui­va­len­ten Span­nungs­wert umge­wan­delt, um die Druck­än­de­run­gen quan­ti­fi­zier­bar zu machen. Die aktu­ell 16 groß­flä­chi­gen Sen­so­ren sind mit dem Tex­til elas­tisch ver­klebt und über den gesam­ten Fuß­be­reich ver­teilt. Die Kabel­füh­rung erfolgt inner­halb gestrick­ter Kabel­schäch­te und erlaubt eine hohe Elas­ti­zi­tät beim An- oder Aus­zie­hen der PressureTrack-Socke.

Die von der Pres­su­re­Track-Socke gene­rier­ten Daten wer­den nach der Ver­ar­bei­tung in einem Mikro­con­trol­ler über eine draht­lo­se Ver­bin­dung zur Visua­li­sie­rung an eine App gesen­det (Abb. 2). In der App wer­den die erhöh­ten Druck­wer­te bestimm­ten Zonen am Fuß gra­phisch zugeordnet.

Ver­suchs­auf­bau

Zunächst wird das sta­ti­sche Ver­hal­ten des dielek­tri­schen Elas­to­mer-Sen­sors unter­sucht. Bei die­sem Ver­such wird der zwi­schen zwei Stoff­schich­ten plat­zier­te Sen­sor mit einer Flä­che von 25 x 60 mm² in einem Prüf­stand mit einer inkre­men­tell auf bis zu 70 N erhöh­ten Kraft belas­tet. Nach Errei­chen der vor­de­fi­nier­ten Maxi­mal­kraft wird der Sen­sor wie­der inkre­men­tell ent­las­tet. Zur Prä­zi­si­ons­be­stim­mung wird die­ser Ver­such drei­mal wie­der­holt. Wäh­rend der Kraft­ein­wir­kung wird die Kapa­zi­tät des Sen­sors gemes­sen, um die Abhän­gig­keit der Kapa­zi­tät von den durch­ge­führ­ten Druck­än­de­run­gen zu quantifizieren.

Ergeb­nis­se

Die Kapa­zi­täts­än­de­rung bei einer Druck­än­de­rung von 1 N/cm² liegt bei 5 pF (Abb. 3). Der Abstand zwi­schen der Be- und Ent­las­tungs­kur­ve (Hys­te­re­se) liegt im mitt­le­ren Druck­be­reich bei 5 pF pro N/cm². Die Grund­ka­pa­zi­tät beträgt ohne Belas­tung 65 pF.

Fazit

Das Aus­maß der Hys­te­re­se wird vom elas­ti­schen Ver­hal­ten des umge­ben­den Tex­tils beein­flusst und hat Aus­wir­kun­gen auf die Inter­pre­tier­bar­keit der Mess­ergeb­nis­se. Tests mit ver­schie­de­nen Mate­ria­li­en wie z. B. Sili­kon als Zwi­schen­schicht sind im wei­te­ren Pro­jekt­ver­lauf not­wen­dig, um die idea­len Mate­ri­al­kom­bi­na­tio­nen zur Her­stel­lung des Strump­fes zu eruieren.

Um das Sen­sor­ver­hal­ten bei dyna­mi­schen Druck­än­de­run­gen zu bestim­men, wird der fer­ti­ge Pro­to­typ bei ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (Gehen und Lau­fen) getes­tet. Das Sen­sor­ver­hal­ten soll­te auch für höhe­re Drü­cke quan­ti­fi­ziert wer­den, da der Druck bei Pati­en­ten mit dia­be­ti­schen Fuß­ge­schwü­ren bis zu 100 N/cm² betra­gen kann 5 6 7 8.

In einem wei­te­ren Schritt wird die Tes­tung der Pres­su­re­Track-Socke an gesun­den Frei­wil­li­gen erfol­gen. Dadurch sol­len die mög­li­chen Wech­sel­wir­kun­gen mit dem mensch­li­chen Kör­per wie z. B. Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät und Tra­ge­ver­hal­ten sowie die Usa­bi­li­ty des Sys­tems unter­sucht werden.

Die kon­ti­nu­ier­li­che Druck­mes­sung könn­te die Behand­lung von Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom zukünf­tig deut­lich vor­an­brin­gen, da die Drü­cke im Bereich der Füße kon­ti­nu­ier­lich bei allen Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens auf­ge­zeich­net wer­den. Die dadurch erreich­ba­re Prä­ven­ti­on von Fußul­zera wür­de die Lebens­qua­li­tät erheb­lich ver­bes­sern. Um die­ses Ziel finan­zier­bar zu machen, wird bei der Ent­wick­lung gezielt auf eine Reduk­ti­on der Her­stel­lungs­kos­ten der Pres­su­re­Track-Socke geach­tet, um jedem Pati­en­ten mit dia­be­ti­schem Fuß­syn­drom den Zugang zu einer ver­bes­ser­ten Gesund­heits­ver­sor­gung zu ermöglichen.

Für die Autoren:
Iri­na Leher
Ost­baye­ri­sche Tech­ni­sche Hoch­schu­le Amberg-Weiden 
Het­zen­rich­ter Weg 15
92637 Wei­den

1 Insti­tut für Medi­zin­tech­nik, Ost­baye­ri­sche Tech­ni­sche Hoch­schu­le Amberg-Weiden
2 Fraun­ho­fer-Insti­tut für Sili­cat­for­schung ISC
3 Strick Zella GmbH & Co. KG
4 ABECO Indus­trie Com­pu­ter GmbH

Zita­ti­on
Leher I, Fleisch­mann C, Brun­ner B, Betz G, Bil­gin H, Sag­lam Y, Uhl D, Shin­kar T, Ses­sel­mann S. Druck­mess­strumpf zur Prä­ven­ti­on und The­ra­pie­un­ter­stüt­zung bei dia­be­ti­schen Fußul­zera. Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (4): 50–52
  1. May­field J et al. Pre­ven­ti­ve foot care in dia­be­tes. Dia­be­tes Care, 2004; 27 (1): 63–64
  2. Apel­q­vist J. Der dia­be­ti­sche Fuß. In: Debus ES, Gross-Fen­gels W (Hrsg.). Ope­ra­ti­ve und inter­ven­tio­nel­le Gefäß­me­di­zin. Ber­lin, Hei­del­berg, 2012, 913–926
  3. Frit­sch C, Hasl­beck M. Dia­gnos­tik und The­ra­pie des dia­be­ti­schen Fuß­syn­droms. Was leis­tet die Pedo­gra­phie? MWM – Fort­schrit­te der Medi­zin, 2004; 146 (26): 51–54
  4. Brun­ner B, Zieg­ler J, Hagen­guth V. Tex­til­ma­te­ri­al mit ein­ge­ar­bei­te­ten Elas­to­mer­sen­so­ren: Patent­schrift vom 31.03.2015
  5. Chat­win K et al. The role of foot pres­su­re mea­su­re­ment in the pre­dic­tion and pre­ven­ti­on of dia­be­tic foot ulce­ra­ti­on – A com­pre­hen­si­ve review. Diabetes/metabolism rese­arch and reviews, 2020; 36 (4): e3258
  6. Fer­nan­do M et al. Plant­ar pres­su­res are hig­her in cases with dia­be­tic foot ulcers com­pared to con­trols despi­te a lon­ger stance pha­se dura­ti­on. BMC Endo­cri­ne Dis­or­ders, 2016; 16 (1): 51 
  7. Lavery L et al. Prac­ti­cal cri­te­ria for scree­ning pati­ents at high risk for dia­be­tic foot ulce­ra­ti­on. Archi­ves of inter­nal medi­ci­ne, 1998; 158 (2): 157–162
  8. Waaij­man R et al. Risk fac­tors for plant­ar foot ulcer recur­rence in neu­ro­pa­thic dia­be­tic pati­ents. Dia­be­tes Care, 2014; 37 (6): 1697–1705
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