190 Jah­re Fami­li­en­un­ter­neh­men Hellwig

Vom chirurgischen Instrumentenmacher und Bandagisten zum Orthopädietechniker-Mechaniker. Von der Werkstatt für chirurgische Werkzeuge zum Sanitätshaus mit sieben Standorten und einem breiten Portfolio. Die Orthopädie-Technik F. Hellwig GbR mit Sitz in Halle blickt auf 190 Jahre Unternehmensgeschichte zurück, ununterbrochen geleitet von der Familie. Der Familienbetrieb hat sich zu einem ganzheitlichen Versorger in den Bereichen Orthopädie-Technik und -Schuhtechnik sowie Stoma- und Inkontinenzversorgung entwickelt. Außerdem hat er das komplette Sanitätshausportfolio im Angebot.

Den Grund­stein für die Fir­ma leg­te der chir­ur­gi­sche Instru­men­ten­ma­cher und Ban­da­gist Fried­rich Hell­wig im Jahr 1831 in Hal­le an der Saa­le. In einer Anzei­ge im August 1831 warb er für sein Unter­neh­men: „In- und aus­wär­ti­gen Aerz­ten und Chir­ur­gen zei­ge ich erge­benst an, daß ich mich als chir­ur­gi­scher Instru­men­ten­ma­cher und Ban­da­gist all­hier eta­bliert habe; und indem ich die Ver­si­che­rung gebe: stets nur das gewis­sen­haf­te und treu­es­te hin­sicht­lich der Aus­füh­rung nach Anga­be, so wie ganz beson­ders für die Güte sorg­sam zu arbei­ten, die Prei­se fest und mög­lichst bil­lig zu stel­len ver­spre­che, schmeich­le ich mit der Hoff­nung, von Deren güti­gem Zutrau­en bal­digst und recht viel beehrt zu werden.“

Anzei­ge

Ins­ge­samt 42 Jah­re lenk­te Fried­rich Hell­wig die Geschi­cke des Unter­neh­mens durch beweg­te Zei­ten. Zum einen wuchs die Bevöl­ke­rung in Hal­le stark an. Zum ande­ren ent­wi­ckel­ten sich in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts die ers­ten Struk­tu­ren für eine moder­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in der Stadt. So grün­de­te der Arzt Peter David Kru­ken­berg (1787–1865) die ers­te „ambu­lan­to­ri­sche“ Kli­nik in Hal­le und sorg­te als Pro­fes­sor und Direk­tor der Uni­ver­si­täts­kli­nik für den Neu­bau der Medi­zi­ni­schen Kli­nik Hal­le. Die­se wur­de 1840 als Mus­ter eines moder­nen Kran­ken­hau­ses eröff­net, wie es in den Anna­len der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg heißt.

Aus­dau­er zeig­te auch die zwei­te Gene­ra­ti­on: Der chir­ur­gi­sche Instru­men­ten­ma­cher und Ban­da­gist Fritz Hell­wig stand der Fir­ma 33 Jah­re lang von 1873 bis 1906 vor. Auf­trieb erhielt die Fir­ma Hell­wig erneut durch das Wir­ken eines Arz­tes – des Chir­ur­gen Richard von Volk­mann (1830–1889) – und den Neu­bau wei­te­rer Kli­nik­ein­rich­tun­gen in Hal­le. Richard von Volk­mann arbei­te­te als Chir­urg sowohl im Krieg Preu­ßens gegen Öster­reich (1866) als auch im Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg (1870–71). 1867 über­trug ihm die Uni­ver­si­täts­lei­tung das Ordi­na­ri­at für Chir­ur­gie und die Lei­tung der chir­ur­gi­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik. Er erlang­te Berühmt­heit für sei­ne neu­en Metho­den zur Resek­ti­on der Gelen­ke, zur Ope­ra­ti­on kom­pli­zier­ter Brü­che sowie zur Chir­ur­gie und Ortho­pä­die der Wir­bel­säu­le und der Extre­mi­tä­ten, wie die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg betont.

Mit Sor­ti­ments­er­wei­te­rung zur Erre­gung öffent­li­chen Ärgernisses

Die ers­ten Jahr­zehn­te des 20. Jahr­hun­derts stan­den für Hell­wig im Zei­chen der Geschäfts­er­wei­te­rung. Paul Hell­wig, eben­falls chir­ur­gi­scher Instru­men­ten­ma­cher und Ban­da­gist, sorg­te ein Jahr nach der Über­nah­me der Geschäfts­lei­tung 1907 für eine auf­se­hen­er­re­gen­de Ange­bots­er­wei­te­rung: Er plat­zier­te eine Schach­tel Kon­do­me im Schau­fens­ter und wur­de dafür wegen „Erre­gung öffent­li­chen Ärger­nis­ses“ ver­ur­teilt. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, das Unter­neh­men wei­ter in die Moder­ne zu füh­ren und die Sor­ti­men­te ste­tig zu erwei­tern. Unter sei­ner Lei­tung wur­de im Jahr 1910 das Geschäfts- und Wohn­haus in der Bar­fü­ßer­stra­ße errich­tet, das der Fir­ma bis heu­te als Sitz dient. 1936 über­gab er den Staf­fel­stab dann an sei­nen Sohn Fritz Hellwig.

Dem Chir­ur­gie-Mecha­ni­ker kam die Auf­ga­be zu, das Unter­neh­men durch die Jah­re des Zwei­ten Welt­krie­ges und der ers­ten DDR-Jahr­zehn­te zu füh­ren. Im Fokus stand das Bewah­ren des Fami­li­en­be­trie­bes, dem nach der Grün­dung der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik 1949 die Ver­staat­li­chung droh­te. Zusätz­lich rich­te­te er in den 60er-Jah­ren eine Sani­täts­haus­fi­lia­le mit Werk­statt in Bit­ter­feld ein. Selbst zur gro­ßen Ent­eig­nungs­wel­le 1971 und 1972 blieb die Fir­ma im Familienbesitz.

Ent­ste­hung des moder­nen Sanitätshauses

Einen beson­de­ren Spa­gat leg­te die fünf­te Gene­ra­ti­on hin: Als 1974 der Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter Volk­mar und die Leh­re­rin sowie Büro­kauf­frau Mar­ti­na Hell­wig die Geschäfts­lei­tung über­nah­men, muss­ten sie die Man­gel­wirt­schaft ver­wal­ten. Es fehl­te nicht an Rezep­ten für Hilfs­mit­tel wie Schuh­ein­la­gen, aber an Kapa­zi­tä­ten, da nur eine begrenz­te Anzahl von Ver­sor­gun­gen im Monat gefer­tigt wer­den durf­ten. 15 Jah­re spä­ter begann mit der Fried­li­chen Revo­lu­ti­on im Herbst 1989 der gro­ße poli­ti­sche und damit auch wirt­schaft­li­che Umbruch. Von der Werk­statt mit Laden­ge­schäft bau­ten die Ehe­leu­te die Fir­ma zu einem moder­nen Sani­täts­haus mit Schwer­punkt Pro­the­tik um. Wei­te­re Bera­tungs- und Ver­kaufs­räu­me an den Stand­or­ten in Hal­le und Wol­fen ent­stan­den, eben­so neue Werk­statt­räu­me und Produktionsmöglichkeiten.

Bereits bevor mit Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­te­rin Mela­nie Hell­wig und ihrem Mann, dem Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter Sil­vio Sema­de­ni, die sechs­te Gene­ra­ti­on die Geschäfts­lei­tung 2013 offi­zi­ell über­nahm, gestal­te­ten die bei­den die Fir­men­ent­wick­lung mit. So bau­te die Fir­ma mit ihrer Unter­stüt­zung die Berei­che Kin­der­or­tho­pä­die und Orthe­tik aus. Heu­te ist das Unter­neh­men mit 45 Mitarbeiter:innen an sie­ben Stand­or­ten breit auf­ge­stellt: Für die Schwer­punk­te Pro­the­tik, Kin­der­or­tho­pä­die und Orthe­tik ist das Ort­ho­team zustän­dig. Das Ange­bot des Sani­teams reicht von Ban­da­gen über die Brust­pro­the­tik und Kom­pres­si­ons­the­ra­pie bis zur Wäsche. Ein Care­team sorgt für Sto­ma- und Inkon­ti­nenz­ver­sor­gung sowie ente­r­ale Ernäh­rung. Das Team der Schuh­tech­nik küm­mert sich um ortho­pä­di­sche Maß­schu­he, Ein­la­gen, Mess­tech­nik sowie Sen­so­mo­to­rik und Pro­prio­zep­ti­on. Ergänzt wird das Port­fo­lio durch die Fir­ma Reha Team Hal­le unter der Lei­tung von Mela­nie Hell­wigs Bru­der, dem Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter Mari­us Hellwig.

Ers­te Wei­chen für die Zukunft hat die Fami­lie bereits gestellt: Vor zwei Jah­ren eröff­ne­te das Unter­neh­men auf 2.000 qm eine neue Zen­tral­werk­statt in Hal­le mit Anpro­be­be­rei­chen inklu­si­ve inte­grier­ter Gangstre­cken, Schrä­gen, Trep­pen sowie Schu­lungs- und Lager­räu­me. Dies ermög­li­che eine moder­ne ganz­heit­li­che Ver­sor­gung der Patient:innen, wie Geschäfts­füh­rer Sil­vio Sema­de­ni im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on betont. Der­zeit arbei­tet das Unter­neh­men an der Inte­gra­ti­on einer digi­ta­len Fer­ti­gungs­stre­cke in die Werk­statt. „Damit sind zwar hohe Inves­ti­tio­nen ver­bun­den, aber wir kön­nen wahr­schein­lich ab Herbst die­ses Jah­res in eini­gen Berei­chen indi­vi­du­el­ler ver­sor­gen. Der­zeit ist aller­dings die kon­ven­tio­nel­le Ver­sor­gung in den meis­ten Fäl­len die wirt­schaft­li­che­re Alter­na­ti­ve“, erklärt Semadeni.

Kri­sen in jeder Generation

Selbst mit Blick auf die Fol­gen der Coro­na-Pan­de­mie ist es Sema­de­ni nicht ban­ge um die Zukunft. Als sys­tem­re­le­van­ter Betrieb sei­en sie im Ver­gleich zu ande­ren Bran­chen recht gut weg­ge­kom­men. Die Vor­gän­ger­ge­ne­ra­tio­nen hät­ten mit den Welt­krie­gen, dem Drit­ten Reich und der doch recht schwie­ri­gen DDR-Zeit ganz ande­re Kri­sen bewäl­ti­gen müs­sen. „Jede Kri­se stärkt ein Fami­li­en­un­ter­neh­men“, meint der Geschäfts­füh­rer. „Und wir sind, trotz Wachs­tum, ein Fami­li­en­un­ter­neh­men mit dem direk­ten Kon­takt zu den Kund:innen.“

Ob die Fir­ma auch in der sieb­ten Gene­ra­ti­on im Fami­li­en­be­sitz blei­be, sei noch offen. Ers­tens sei­en die Kin­der der heu­ti­gen Gesell­schaf­ter noch zu klein, zwei­tens wür­den sie kei­ner­lei Ein­fluss auf die Berufs­wahl der Kin­der aus­üben wollen.

 

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