Den Grundstein für die Firma legte der chirurgische Instrumentenmacher und Bandagist Friedrich Hellwig im Jahr 1831 in Halle an der Saale. In einer Anzeige im August 1831 warb er für sein Unternehmen: „In- und auswärtigen Aerzten und Chirurgen zeige ich ergebenst an, daß ich mich als chirurgischer Instrumentenmacher und Bandagist allhier etabliert habe; und indem ich die Versicherung gebe: stets nur das gewissenhafte und treueste hinsichtlich der Ausführung nach Angabe, so wie ganz besonders für die Güte sorgsam zu arbeiten, die Preise fest und möglichst billig zu stellen verspreche, schmeichle ich mit der Hoffnung, von Deren gütigem Zutrauen baldigst und recht viel beehrt zu werden.“
Insgesamt 42 Jahre lenkte Friedrich Hellwig die Geschicke des Unternehmens durch bewegte Zeiten. Zum einen wuchs die Bevölkerung in Halle stark an. Zum anderen entwickelten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Strukturen für eine moderne medizinische Versorgung in der Stadt. So gründete der Arzt Peter David Krukenberg (1787–1865) die erste „ambulantorische“ Klinik in Halle und sorgte als Professor und Direktor der Universitätsklinik für den Neubau der Medizinischen Klinik Halle. Diese wurde 1840 als Muster eines modernen Krankenhauses eröffnet, wie es in den Annalen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg heißt.
Ausdauer zeigte auch die zweite Generation: Der chirurgische Instrumentenmacher und Bandagist Fritz Hellwig stand der Firma 33 Jahre lang von 1873 bis 1906 vor. Auftrieb erhielt die Firma Hellwig erneut durch das Wirken eines Arztes – des Chirurgen Richard von Volkmann (1830–1889) – und den Neubau weiterer Klinikeinrichtungen in Halle. Richard von Volkmann arbeitete als Chirurg sowohl im Krieg Preußens gegen Österreich (1866) als auch im Deutsch-Französischen Krieg (1870–71). 1867 übertrug ihm die Universitätsleitung das Ordinariat für Chirurgie und die Leitung der chirurgischen Universitätsklinik. Er erlangte Berühmtheit für seine neuen Methoden zur Resektion der Gelenke, zur Operation komplizierter Brüche sowie zur Chirurgie und Orthopädie der Wirbelsäule und der Extremitäten, wie die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg betont.
Mit Sortimentserweiterung zur Erregung öffentlichen Ärgernisses
Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts standen für Hellwig im Zeichen der Geschäftserweiterung. Paul Hellwig, ebenfalls chirurgischer Instrumentenmacher und Bandagist, sorgte ein Jahr nach der Übernahme der Geschäftsleitung 1907 für eine aufsehenerregende Angebotserweiterung: Er platzierte eine Schachtel Kondome im Schaufenster und wurde dafür wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verurteilt. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, das Unternehmen weiter in die Moderne zu führen und die Sortimente stetig zu erweitern. Unter seiner Leitung wurde im Jahr 1910 das Geschäfts- und Wohnhaus in der Barfüßerstraße errichtet, das der Firma bis heute als Sitz dient. 1936 übergab er den Staffelstab dann an seinen Sohn Fritz Hellwig.
Dem Chirurgie-Mechaniker kam die Aufgabe zu, das Unternehmen durch die Jahre des Zweiten Weltkrieges und der ersten DDR-Jahrzehnte zu führen. Im Fokus stand das Bewahren des Familienbetriebes, dem nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 die Verstaatlichung drohte. Zusätzlich richtete er in den 60er-Jahren eine Sanitätshausfiliale mit Werkstatt in Bitterfeld ein. Selbst zur großen Enteignungswelle 1971 und 1972 blieb die Firma im Familienbesitz.
Entstehung des modernen Sanitätshauses
Einen besonderen Spagat legte die fünfte Generation hin: Als 1974 der Orthopädietechniker-Meister Volkmar und die Lehrerin sowie Bürokauffrau Martina Hellwig die Geschäftsleitung übernahmen, mussten sie die Mangelwirtschaft verwalten. Es fehlte nicht an Rezepten für Hilfsmittel wie Schuheinlagen, aber an Kapazitäten, da nur eine begrenzte Anzahl von Versorgungen im Monat gefertigt werden durften. 15 Jahre später begann mit der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 der große politische und damit auch wirtschaftliche Umbruch. Von der Werkstatt mit Ladengeschäft bauten die Eheleute die Firma zu einem modernen Sanitätshaus mit Schwerpunkt Prothetik um. Weitere Beratungs- und Verkaufsräume an den Standorten in Halle und Wolfen entstanden, ebenso neue Werkstatträume und Produktionsmöglichkeiten.
Bereits bevor mit Orthopädietechniker-Meisterin Melanie Hellwig und ihrem Mann, dem Orthopädietechniker-Meister Silvio Semadeni, die sechste Generation die Geschäftsleitung 2013 offiziell übernahm, gestalteten die beiden die Firmenentwicklung mit. So baute die Firma mit ihrer Unterstützung die Bereiche Kinderorthopädie und Orthetik aus. Heute ist das Unternehmen mit 45 Mitarbeiter:innen an sieben Standorten breit aufgestellt: Für die Schwerpunkte Prothetik, Kinderorthopädie und Orthetik ist das Orthoteam zuständig. Das Angebot des Saniteams reicht von Bandagen über die Brustprothetik und Kompressionstherapie bis zur Wäsche. Ein Careteam sorgt für Stoma- und Inkontinenzversorgung sowie enterale Ernährung. Das Team der Schuhtechnik kümmert sich um orthopädische Maßschuhe, Einlagen, Messtechnik sowie Sensomotorik und Propriozeption. Ergänzt wird das Portfolio durch die Firma Reha Team Halle unter der Leitung von Melanie Hellwigs Bruder, dem Orthopädietechnik-Meister Marius Hellwig.
Erste Weichen für die Zukunft hat die Familie bereits gestellt: Vor zwei Jahren eröffnete das Unternehmen auf 2.000 qm eine neue Zentralwerkstatt in Halle mit Anprobebereichen inklusive integrierter Gangstrecken, Schrägen, Treppen sowie Schulungs- und Lagerräume. Dies ermögliche eine moderne ganzheitliche Versorgung der Patient:innen, wie Geschäftsführer Silvio Semadeni im Gespräch mit der OT-Redaktion betont. Derzeit arbeitet das Unternehmen an der Integration einer digitalen Fertigungsstrecke in die Werkstatt. „Damit sind zwar hohe Investitionen verbunden, aber wir können wahrscheinlich ab Herbst dieses Jahres in einigen Bereichen individueller versorgen. Derzeit ist allerdings die konventionelle Versorgung in den meisten Fällen die wirtschaftlichere Alternative“, erklärt Semadeni.
Krisen in jeder Generation
Selbst mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie ist es Semadeni nicht bange um die Zukunft. Als systemrelevanter Betrieb seien sie im Vergleich zu anderen Branchen recht gut weggekommen. Die Vorgängergenerationen hätten mit den Weltkriegen, dem Dritten Reich und der doch recht schwierigen DDR-Zeit ganz andere Krisen bewältigen müssen. „Jede Krise stärkt ein Familienunternehmen“, meint der Geschäftsführer. „Und wir sind, trotz Wachstum, ein Familienunternehmen mit dem direkten Kontakt zu den Kund:innen.“
Ob die Firma auch in der siebten Generation im Familienbesitz bleibe, sei noch offen. Erstens seien die Kinder der heutigen Gesellschafter noch zu klein, zweitens würden sie keinerlei Einfluss auf die Berufswahl der Kinder ausüben wollen.
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