„Wir haben wenige Sportarten, die wir noch nicht versorgt haben“, betont Heiko Hecht, Geschäftsbereichsleiter Unternehmensentwicklung und ‑Kommunikation im Unternehmen. Sein Kollege Björn Schmidt, Stellvertretender Bereichsleiter der Knieorthesen-Technik, klärt sogleich über den Vorteil der Anprobe unter eingangs genannten Bedingungen auf. „Ein Athlet will wissen, ob eine Orthese ihn bei der Ausübung seines Sports nicht zu sehr einschränkt. Wenn er sich mit der Orthese nicht wohlfühlt, zieht er sie nicht an.“ Es kann passieren, dass eine Knieorthese in der Beugebewegung zu sehr stört, ein Schuh oder Handschuh sich womöglich nicht mehr schließen lässt. „Dank langjähriger Erfahrung wissen wir, worauf es in der jeweiligen Sportart ankommt und können dies bei der Fertigung berücksichtigen“, so Schmidt. Nach seinen Eindrücken sind Sportler:innen in den meisten Fällen ein dankbares Patientenklientel, da sie die Unterstützung von Techniker:innen und Hilfsmittel zu schätzen wüssten, um nach einer Verletzung gut geschützt wieder ihr Hobby bzw. ihren Beruf ausüben zu können.
Profikarriere mit Kopforthese
Bei Damian Roßbach war die Fortsetzung seiner Karriere als Profifußballer maßgeblich von der Hilfsmittelversorgung beeinflusst. Nach einem vor fünf Jahren im Training erlittenen Schädelbasisbruch musste dem heutigen Zweitligakicker von Hansa Rostock ein Implantat eingesetzt und dessen Schutz mittels eines Helms sichergestellt werden. Mit dieser Ausgangslage begaben sich Björn Schmidt und sein Team an die Arbeit. Die aus Kohlefaser gegossene Innenschale wurde mit einem schlagabsorbierenden Schaum verstärkt, wobei es in der Region des Implantats zu keiner direkten Berührung von Kopf und Helm kommen durfte. „Damian war es zudem wichtig, dass sich der Helm leicht anziehen lässt und über eine gute Belüftung verfügt und den Regularien entspricht“, zählt Schmidt die weiteren Kriterien bei der Anfertigung auf. Nach einem Praxistest im Training waren nur kleine Schleifarbeiten notwendig. Bis heute bestreitet Roßbach kein Training und kein Spiel ohne den Helm und geht dabei auch wieder ins Kopfballspiel. „Das geht nur mit absolutem Vertrauen“, freut sich Schmidt.
Zusätzlich zum unmittelbaren Kontakt mit den Athlet:innen haben es die Techniker:innen von Ortema in der Versorgung von Profisportler:innen noch mit zahlreichen Begleitpersonen zu tun. Neben dem interdisziplinären Team mit Ärzt:innen und Therapeut:innen nehmen Vereine und Spielerberater:innen Einfluss auf die Versorgung. Während Clubs oft auf eine schnelle Rückkehr ihrer Leistungsträger:innen hinarbeiten, mahnen persönliche Berater:innen mit Blick auf die Karriere ihres Schützlings häufig zur Geduld „Wenn es hier zu Konflikten im Umfeld des Patienten kommt, halten wir uns raus. Wir entscheiden nicht, ob der Patient orthetisch versorgt wird und wann er seine Aktivität wieder aufnehmen kann. Das muss in letzter Konsequenz der Arzt gemeinsam mit dem Patienten entscheiden“, sagt Heiko Hecht, wenngleich er mit seiner Expertise auch nicht hinterm Berg hält: „Es gibt Verletzungen, z. B. am Knorpel, da macht es keinen Sinn, früher als möglich wieder einzusteigen. Und das besprechen wir dann auch mit dem Arzt und mit dem Sportler.“ Für Heiko Hecht steht aus gutem Grund das persönliche Verhältnis zu den Patient:innen an erster Stelle: „Ohne das Vertrauen des Sportlers funktioniert die Versorgung nicht.“
Protektion als Prävention
Fühlen sich die Patient:innen gut versorgt, hat dies auf verschiedenen Ebenen positive Auswirkungen. „Manchmal tragen Sportler ihre Orthese länger als medizinisch notwendig, weil sie damit ein gutes Gefühl haben“, so Hecht. In einigen Sportarten, darunter Ski Alpin, Eishockey und Motorsport, ziehen Athlet:innen verstärkt die Nutzung einer Protektion zur Prävention in Betracht. Ortema wiederum profitiert von den persönlichen Netzwerken der Sportler:innen, die nach einer erfolgreichen Genesung ihren Kolleg:innen eine Versorgung beim Unternehmen in Markgröningen empfehlen. Im Breitensportsegment sowie in der Arthroseversorgung agiert die Firma darüber hinaus auch als Dienstleister, wenn für Patient:innen eine längere Anfahrt nicht in Frage kommt. „Wir fertigen Orthesen für das Knie‑, Schulter- oder Ellenbogengelenk nach einem von Partnerbetrieben durchgeführten Scan. Diese bekommen von uns dann eine zur Anprobe fertige Orthese geliefert“, so Björn Schmidt.
Wo Heiko Hecht definitiv noch Optimierungsbedarf ausmacht, ist in der Zusammenarbeit mit den Ärzt:innen: „Im interdisziplinären Team musst du dich als Techniker erstmal hintenanstellen.“ Eine Wahrnehmung, die Björn Schmidt bestätigt: „Die konservative Versorgung mit Hilfsmitteln kommt vielfach noch zu kurz. Vermutlich auch, da die Möglichkeiten nicht immer bekannt sind.“ Um diesen Zustand zu verbessern, sucht Ortema bei Ärztekongressen den intensiven Austausch mit den Mediziner:innen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir auf den Kongressen für Ärzte und Ärztinnen immer wieder interessant sind, gerade weil wir im Sport keine Standardversorger sind“, so Hecht. Wie Interdisziplinarität funktionieren kann, zeigt die Zusammenarbeit mit der Orthopädischen Klinik in Markgröningen, deren 100-prozentige Tochtergesellschaft die Ortema GmbH ist. Hier arbeiten Mediziner:innen, Techniker:innen und Therapeut:innen unter anderem beim „Return-to-sport“-Konzept zusammen, in dessen Rahmen der Gesundheitszustand und Genesungsfortschritt der Patient:innen alle drei Monate mittels Testverfahren überprüft werden können.
Fitness und Athletik begünstigen Genesungsprozess
Unter Profisportler:innen genießt die Hilfsmittelversorgung immer mehr Zuspruch, wenngleich es auch hier Unterschiede gibt, wie Björn Schmidt ausführt: „Die Akzeptanz einer orthetischen Versorgung ist in Körperkontaktsportarten wie American Football oder im Eishockey, wo es ständig kracht, weit verbreitet.“ Im Fußball ist das Tragen von Gesichtsmasken und Handorthesen insbesondere nach Frakturen akzeptiert, im Kniebereich dagegen die Ausnahme. Grundsätzlich ist es so, dass der Heilungsprozess bei Profiathlet:innen oft dank der physischen Voraussetzungen, einer professionellen und intensiven Rehabilitation sowie auch des Ehrgeizes der Rekonvaleszent:innen schneller Fortschritte macht als bei Alltagspatient:innen. „Sportler haben einen besonderen Biss und gehen grundsätzlich an ihre Grenzen“, so Schmidt.
In Kreisen der sogenannten Risikosportarten spielt der Sicherheitsaspekt auch eine große Rolle. Das verpflichtende Tragen von Helmen ist z. B. im Radrennsport seit einigen Jahren festgeschrieben. Immer mehr Skiregionen lassen selbst Hobbyfahrer:innen nur noch mit Kopfprotektion auf die Piste. Im Motocross gehört eine Rücken- und Brustprotektion mittlerweile zum Standard. Kommt es hier, wo Stürze an der Tagesordnung sind, dennoch zu Verletzungen, müssen die anschließend angefertigten Hilfsmittel „praxistauglich“ mit der Anforderung angefertigt werden, dass sie hohen Belastungen standhalten. „Titan oder Kohlefaser sind klassische Materialien, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben. Aber das war ein Lernprozess“, so Björn Schmidt, der anfügt, dass 3D-gedruckte Komponenten bei Ortema bis dato nur in Teilbereichen zum Einsatz kämen: „Bei Handorthesen ist der 3D-Druck bereits verbreitet. Bei Knieorthesen sind wir noch in der Erprobungsphase mit Sportlern, bevor sie bei Alltagsversorgungen eine tragende Rolle spielen werden.“
Spezielle Versorgung nach Plexusparese
Bereits erfolgreich versorgt werden dagegen Menschen mit Plexusparese infolge eines Motorrad- oder Fahrradunfalls. Die Orthese, bei der gedruckte Komponenten verbaut werden, ermöglicht den Betroffenen, sich wieder auf ihrem Zweirad fortbewegen zu können. „Das System ist mit einem Dämpfer ausgestattet und wird am Lenker fixiert. Je nach Schweregrad der Verletzung werden Hand, Ellenbogen und teilweise auch die Schulter stabilisiert“, berichtet Björn Schmidt. „MTB-Fahrer können auf die Trails zurückkehren und ein Motorradfahrer ist mit dem System sogar bis zum Nordkap gefahren. Das sind sehr dankbare Geschichten.“
Michael Blatt
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