Auf WM-Pre­mie­re folgt Erfül­lung vom Paralympics-Traum

Anna Schaffelhuber war 2014 bei den Paralympischen Winterspielen in Sotchi mit fünf Goldmedaillen die überragende Athletin der Wettkämpfe. Während gerade in Deutschland diese Erfolge im medialen Fokus standen, feierte eine neue Schneesportart ihre Premiere: Para-Snowboard. Zunächst ohne deutsche Beteiligung, denn erst nach den Winterspielen in Pyeongchang 2018 formierte sich eine offizielle deutsche Nationalmannschaft. Erster Bundestrainer – und auch noch heute im Amt – wurde André Stötzer. Der in der Schweiz lebende und arbeitende Orthopädietechniker ist als gelernter Snowboard-Trainer mit viel „Schneeerfahrung“ ein Glücksfall für seine Athleten, versteht er doch das Zusammenspiel von Material, Versorgung und Sport.

Aber nicht nur von der 20-jäh­ri­gen Erfah­rung auf dem Snow­board pro­fi­tie­ren sei­ne Parasport­ler. Stöt­zer ist auch so etwas wie der „Geburts­hel­fer“ der Natio­nal­mann­schaft. Bereits 2017 war ein Teil sei­ner Snow­boar­der unter deut­scher Flag­ge bei inter­na­tio­na­len Wett­kämp­fen am Start. „Zu die­sem Zeit­punkt fehl­te ihnen aber noch der Ver­bands­sta­tus“, erklärt Stöt­zer. Dies änder­te sich nach der Kon­takt­auf­nah­me mit dem Deut­schen Behin­der­ten­sport­ver­band (DBS). Stöt­zer enga­gier­te sich für die Auf­nah­me in den Ver­band und die Schaf­fung eines eige­nen Kaders – mit Erfolg. Drei Fah­rer wer­den 2022 in Peking erst­mals die schwarz-rot-gol­de­nen Far­ben auf höchs­tem sport­li­chen Niveau tragen.

Pro­fes­sio­na­li­sie­rung in klei­nen Schritten

Der Weg dahin war aller­dings nicht ein­fach. Durch feh­len­de Sportler:innen, Struk­tu­ren und Spon­so­ren muss­ten vie­le Din­ge neu eta­bliert und nach Lösun­gen für klei­ne und gro­ße Pro­ble­me gesucht wer­den, für die ande­re Natio­nen bereits die Ant­wor­ten gefun­den haben.

„Unge­fähr eine Stun­de am Tag – viel­leicht auch ein biss­chen mehr – ver­wen­de ich für admi­nis­tra­ti­ve Auf­ga­ben als Bun­des­trai­ner. Hin­zu kommt die Zeit für Wett­kämp­fe und Trai­ning, wenn wir auf den Bret­tern ste­hen“, gibt Stöt­zer einen Ein­blick in sein aktu­el­les zeit­li­ches Enga­ge­ment als Bun­des­trai­ner, das er neben Beruf und Fami­lie koor­di­nie­ren muss. Ähn­lich sieht es bei sei­nen Kader-Ath­le­ten aus. Auch sie haben nor­ma­le Beru­fe und Fami­li­en und müs­sen neben­her für ihr Hob­by trai­nie­ren. „Manch­mal lei­der nicht so sehr, wie ich es mir wün­schen wür­de, aber ich kann es ver­ste­hen, dass man als Ama­teur manch­mal sagt: ‚Dann eben mor­gen!‘. Das gehört dazu“, hat Stöt­zer Ver­ständ­nis, dass sei­ne Win­ter­sport­ler die eine oder ande­re Trai­nings­ein­heit – die sie in Eigen­re­gie betrei­ben – auf Grund des Pri­vat- bzw. Berufs­le­bens auch ein­mal aus­fal­len las­sen. Im inter­na­tio­na­len Ver­gleich sind die deut­schen Fah­rer nicht abso­lu­te Spit­ze. Dort tum­meln sich – je nach Dis­zi­plin – vor allem euro­päi­sche und asia­ti­sche Fahrer:innen. Der Unter­schied dabei ist vor allem, dass die­se Top­ath­le­ten häu­fig nicht nur pro­fes­sio­nel­le Bedin­gun­gen vor­fin­den, son­dern auch selbst Pro­fis sind, die für ihre Leis­tun­gen auf dem Snow­board bezahlt werden.

Davon ist der Para-Snow­board in Deutsch­land aber noch ent­fernt. Auch wenn in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die ers­ten Schrit­te für eine Pro­fes­sio­na­li­sie­rung statt­ge­fun­den haben. „Mit Strei­fen­e­der haben wir einen Haupt­spon­sor für uns gewin­nen kön­nen, der wirk­lich ‚Gold‘ wert ist“, sagt Stöt­zer. „Uns wird schnell und unbü­ro­kra­tisch von Sei­ten des Spon­sors gehol­fen, was uns die eine oder ande­re Sor­ge nimmt.“ Auch die Zusam­men­ar­beit mit Snow­board Ger­ma­ny e. V., dem zustän­di­gen Fach­ver­band für den Snow­board­sport in Deutsch­land, klappt sehr gut. Mit Ivan Osha­rov ist bei­spiels­wei­se ein Event-Inklu­si­ons-Mana­ger im Ver­band beschäftigt.

Neue Snowboarder:innen gesucht

Gro­ße Sor­gen berei­tet Stöt­zer aber die Nach­wuchs­ar­beit. „Wir haben aktu­ell drei Fah­rer. Alle sind mehr oder weni­ger frisch­ge­ba­cke­ne Fami­li­en­vä­ter und berufs­tä­tig. Sie ste­hen – vor­sich­tig aus­ge­drückt – eher am Ende ihrer sport­li­chen Wett­kampf­kar­rie­re“, erklärt der Bun­des­trai­ner. Ihm fehlt es ein­fach an geeig­ne­ten und gewill­ten Snowboarder:innen, die im orga­ni­sier­ten Wett­kampf­sport aktiv sein wol­len. Als Vor­aus­set­zung nennt der Bun­des­trai­ner kla­re Kri­te­ri­en: „Wer dabei sein will, der muss grund­sätz­lich bereit sein für Schnee­trai­ning in den Alpen. Es wür­de für uns kei­nen Sinn erge­ben, in irgend­wel­che Ski-Hal­len oder so zu gehen. Die Alpen bie­ten für unse­ren Sport die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen. Da muss dann jeder selbst abschät­zen, wie viel Auf­wand er bereit ist zu inves­tie­ren“, so Stöt­zer. Dar­über hin­aus müs­se natür­lich die Bereit­schaft für ein Fit­ness­trai­ning daheim sowie die Teil­nah­me an Wett­kämp­fen gege­ben sein, nennt der Chef­trai­ner der deut­schen Snow­boar­der wei­te­re Leis­tungs­kri­te­ri­en. Neben Stöt­zer fun­giert Tobi­as Wer­ner als „Co-Trai­ner“ bei den Para-Snow­boar­dern. Auch Wer­ner ist Ortho­pä­die­tech­ni­ker und als Ver­sor­ger von zwei der drei Ath­le­ten küm­mert er sich vor allem um die tech­ni­sche Ver­sor­gung der Sportler:innen.

„Im Hob­by­be­reich, da reicht oft­mals eine All­tags­ver­sor­gung, um auf das Brett zu stei­gen“, erklärt Stöt­zer. Die Ein­stiegs­hür­de in den Sport ist damit also ver­hält­nis­mä­ßig gering. Bei Ampu­ta­tio­nen ober­halb des Knie­ge­lenks sei ein „Sport-Knie“ unab­läs­sig, so der Bun­des­trai­ner. Je mehr leis­tungs­ori­en­tier­ter gedacht und trai­niert wird, des­to mehr rückt auch die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung in den Vor­der­grund. Des­we­gen wur­den vom Ver­band nun extra Sport­pro­the­sen ange­schafft, die die Sportler:innen zur Ver­fü­gung gestellt bekom­men. Gera­de jun­gen Athlet:innen, die bis­her kei­ne Erfah­run­gen mit sol­chen spe­zi­el­len Sport­ver­sor­gun­gen gemacht haben, soll ein ers­tes Aus­pro­bie­ren ermög­licht werden.

Vor­freu­de auf Peking

Mit der Qua­li­fi­ka­ti­on für die Para­lym­pi­schen Win­ter­spie­le in Peking, vom 4. bis 13. März, haben sich die deut­schen Sport­ler einen Traum erfüllt. Als Gene­ral­pro­be für die­sen Wett­kampf dien­ten die ers­ten Para-Schnee­s­port-Welt­meis­ter­schaf­ten im nor­we­gi­schen Lil­le­ham­mer. „Ich bin zufrie­den und zie­he auch von unse­rer ers­ten WM ein posi­ti­ves Resü­mee“, sag­te der deut­sche Chef­trai­ner André Stöt­zer anschlie­ßend. Chris­ti­an Schmiedt hat­te sich im Dual Ban­ked Sla­lom der Klas­se LL1 (Lower Limp 1) mit Platz sie­ben und im Snow­board Cross mit Rang zwölf zwei Mal für den Final­tag qua­li­fi­ziert und schei­ter­te dort – jeweils auf­grund eines Stur­zes – im Vier­tel­fi­na­le. Mat­thi­as Kel­ler und Manu­el Ness kamen bei­de nicht über die Qua­li­fi­ka­ti­ons­läu­fe hinaus.

Im Team-Wett­be­werb im Snow­board Cross zeig­ten Kel­ler und Schmiedt mit Platz zehn noch mal gute Leis­tun­gen. „Es war für uns alle ein gro­ßer Erfah­rungs­ge­winn in Rich­tung Para­lym­pics“, sag­te Stöt­zer: „Alle Natio­nen außer Chi­na waren dabei, des­halb wis­sen wir nun bes­ser, wo wir ste­hen und wor­an wir genau arbei­ten müs­sen, um in Peking noch bes­ser ablie­fern zu können.“

Kei­ne Dauerlösung

Per­spek­ti­visch hofft Stöt­zer auf einen wei­te­ren Auf­schwung des Para-Snow­board-Sports mit einer ein­her­ge­hen­den Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. So wären Stütz­punk­te für ein gemein­sa­mes Trai­ning von Athlet:innen eben­so wich­tig wie haupt­amt­li­che Trai­ner. „Trotz mei­ner Erfah­run­gen auf dem Snow­board sind auch irgend­wo Gren­zen erreicht. Irgend­wann kann ich den Jungs nichts Neu­es mehr zei­gen. Da müs­sen dann ande­re Trai­ner die Arbeit fort­füh­ren und auf ein neu­es Niveau heben“, gibt Stöt­zer einen Aus­blick und ord­net damit auch sei­ne eige­ne Arbeit ein.

Wenn Sie selbst Snowboarder:in sind oder jeman­den ver­sor­gen, der gern auf dem gro­ßen Brett den schnee­be­deck­ten Berg her­un­ter­fährt, dann mel­den Sie sich bei Ivan Osha­rov von Snow­board Ger­ma­ny per E‑Mail an osharov@snbger.com. Dort erfah­ren Sie alles, was Sie zum Para-Snow­board wis­sen müs­sen und bekom­men bei Inter­es­se für die Para-Snow­board-Natio­nal­mann­schaft auch einen Kon­takt vermittelt. 
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