Aber nicht nur von der 20-jährigen Erfahrung auf dem Snowboard profitieren seine Parasportler. Stötzer ist auch so etwas wie der „Geburtshelfer“ der Nationalmannschaft. Bereits 2017 war ein Teil seiner Snowboarder unter deutscher Flagge bei internationalen Wettkämpfen am Start. „Zu diesem Zeitpunkt fehlte ihnen aber noch der Verbandsstatus“, erklärt Stötzer. Dies änderte sich nach der Kontaktaufnahme mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS). Stötzer engagierte sich für die Aufnahme in den Verband und die Schaffung eines eigenen Kaders – mit Erfolg. Drei Fahrer werden 2022 in Peking erstmals die schwarz-rot-goldenen Farben auf höchstem sportlichen Niveau tragen.
Professionalisierung in kleinen Schritten
Der Weg dahin war allerdings nicht einfach. Durch fehlende Sportler:innen, Strukturen und Sponsoren mussten viele Dinge neu etabliert und nach Lösungen für kleine und große Probleme gesucht werden, für die andere Nationen bereits die Antworten gefunden haben.
„Ungefähr eine Stunde am Tag – vielleicht auch ein bisschen mehr – verwende ich für administrative Aufgaben als Bundestrainer. Hinzu kommt die Zeit für Wettkämpfe und Training, wenn wir auf den Brettern stehen“, gibt Stötzer einen Einblick in sein aktuelles zeitliches Engagement als Bundestrainer, das er neben Beruf und Familie koordinieren muss. Ähnlich sieht es bei seinen Kader-Athleten aus. Auch sie haben normale Berufe und Familien und müssen nebenher für ihr Hobby trainieren. „Manchmal leider nicht so sehr, wie ich es mir wünschen würde, aber ich kann es verstehen, dass man als Amateur manchmal sagt: ‚Dann eben morgen!‘. Das gehört dazu“, hat Stötzer Verständnis, dass seine Wintersportler die eine oder andere Trainingseinheit – die sie in Eigenregie betreiben – auf Grund des Privat- bzw. Berufslebens auch einmal ausfallen lassen. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Fahrer nicht absolute Spitze. Dort tummeln sich – je nach Disziplin – vor allem europäische und asiatische Fahrer:innen. Der Unterschied dabei ist vor allem, dass diese Topathleten häufig nicht nur professionelle Bedingungen vorfinden, sondern auch selbst Profis sind, die für ihre Leistungen auf dem Snowboard bezahlt werden.
Davon ist der Para-Snowboard in Deutschland aber noch entfernt. Auch wenn in den vergangenen Jahren die ersten Schritte für eine Professionalisierung stattgefunden haben. „Mit Streifeneder haben wir einen Hauptsponsor für uns gewinnen können, der wirklich ‚Gold‘ wert ist“, sagt Stötzer. „Uns wird schnell und unbürokratisch von Seiten des Sponsors geholfen, was uns die eine oder andere Sorge nimmt.“ Auch die Zusammenarbeit mit Snowboard Germany e. V., dem zuständigen Fachverband für den Snowboardsport in Deutschland, klappt sehr gut. Mit Ivan Osharov ist beispielsweise ein Event-Inklusions-Manager im Verband beschäftigt.
Neue Snowboarder:innen gesucht
Große Sorgen bereitet Stötzer aber die Nachwuchsarbeit. „Wir haben aktuell drei Fahrer. Alle sind mehr oder weniger frischgebackene Familienväter und berufstätig. Sie stehen – vorsichtig ausgedrückt – eher am Ende ihrer sportlichen Wettkampfkarriere“, erklärt der Bundestrainer. Ihm fehlt es einfach an geeigneten und gewillten Snowboarder:innen, die im organisierten Wettkampfsport aktiv sein wollen. Als Voraussetzung nennt der Bundestrainer klare Kriterien: „Wer dabei sein will, der muss grundsätzlich bereit sein für Schneetraining in den Alpen. Es würde für uns keinen Sinn ergeben, in irgendwelche Ski-Hallen oder so zu gehen. Die Alpen bieten für unseren Sport die besten Voraussetzungen. Da muss dann jeder selbst abschätzen, wie viel Aufwand er bereit ist zu investieren“, so Stötzer. Darüber hinaus müsse natürlich die Bereitschaft für ein Fitnesstraining daheim sowie die Teilnahme an Wettkämpfen gegeben sein, nennt der Cheftrainer der deutschen Snowboarder weitere Leistungskriterien. Neben Stötzer fungiert Tobias Werner als „Co-Trainer“ bei den Para-Snowboardern. Auch Werner ist Orthopädietechniker und als Versorger von zwei der drei Athleten kümmert er sich vor allem um die technische Versorgung der Sportler:innen.
„Im Hobbybereich, da reicht oftmals eine Alltagsversorgung, um auf das Brett zu steigen“, erklärt Stötzer. Die Einstiegshürde in den Sport ist damit also verhältnismäßig gering. Bei Amputationen oberhalb des Kniegelenks sei ein „Sport-Knie“ unablässig, so der Bundestrainer. Je mehr leistungsorientierter gedacht und trainiert wird, desto mehr rückt auch die orthopädietechnische Versorgung in den Vordergrund. Deswegen wurden vom Verband nun extra Sportprothesen angeschafft, die die Sportler:innen zur Verfügung gestellt bekommen. Gerade jungen Athlet:innen, die bisher keine Erfahrungen mit solchen speziellen Sportversorgungen gemacht haben, soll ein erstes Ausprobieren ermöglicht werden.
Vorfreude auf Peking
Mit der Qualifikation für die Paralympischen Winterspiele in Peking, vom 4. bis 13. März, haben sich die deutschen Sportler einen Traum erfüllt. Als Generalprobe für diesen Wettkampf dienten die ersten Para-Schneesport-Weltmeisterschaften im norwegischen Lillehammer. „Ich bin zufrieden und ziehe auch von unserer ersten WM ein positives Resümee“, sagte der deutsche Cheftrainer André Stötzer anschließend. Christian Schmiedt hatte sich im Dual Banked Slalom der Klasse LL1 (Lower Limp 1) mit Platz sieben und im Snowboard Cross mit Rang zwölf zwei Mal für den Finaltag qualifiziert und scheiterte dort – jeweils aufgrund eines Sturzes – im Viertelfinale. Matthias Keller und Manuel Ness kamen beide nicht über die Qualifikationsläufe hinaus.
Im Team-Wettbewerb im Snowboard Cross zeigten Keller und Schmiedt mit Platz zehn noch mal gute Leistungen. „Es war für uns alle ein großer Erfahrungsgewinn in Richtung Paralympics“, sagte Stötzer: „Alle Nationen außer China waren dabei, deshalb wissen wir nun besser, wo wir stehen und woran wir genau arbeiten müssen, um in Peking noch besser abliefern zu können.“
Keine Dauerlösung
Perspektivisch hofft Stötzer auf einen weiteren Aufschwung des Para-Snowboard-Sports mit einer einhergehenden Professionalisierung. So wären Stützpunkte für ein gemeinsames Training von Athlet:innen ebenso wichtig wie hauptamtliche Trainer. „Trotz meiner Erfahrungen auf dem Snowboard sind auch irgendwo Grenzen erreicht. Irgendwann kann ich den Jungs nichts Neues mehr zeigen. Da müssen dann andere Trainer die Arbeit fortführen und auf ein neues Niveau heben“, gibt Stötzer einen Ausblick und ordnet damit auch seine eigene Arbeit ein.
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