Der Weg der DiGA in die Versorgung

Seit Mitte Mai 2020 können Hersteller einen Antrag zur Aufnahme einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) – besser bekannt als „App auf Rezept“ – in das Verzeichnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) stellen.

Dar­in gelis­tet ist auch Reflex, eine Anwen­dung, die der Hilfs­mit­tel­her­stel­ler Spor­la­s­tic spe­zi­ell für Men­schen mit Gonar­thro­se ent­wi­ckelt hat. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on ver­ra­ten Dr. Timo Schmeltz­pfen­ning, Lei­tung For­schung und Ent­wick­lung und Pro­ku­rist, Caro­lin Sche­rer, Busi­ness Deve­lo­p­ment Mana­ge­rin, und Tors­ten Schwei­zer, Lei­tung Mar­ke­ting und Pro­ku­rist, wie der Weg bis zur Auf­nah­me ins Ver­zeich­nis ablief, wel­che Hür­den es dabei zu neh­men galt und war­um die DiGA grund­sätz­lich noch nicht in der Ver­sor­gung ange­kom­men ist.

Anzei­ge

OT: Wie sind Sie auf das The­ma der Digi­ta­len Gesund­heits­an­wen­dun­gen auf­merk­sam geworden?

Tors­ten Schwei­zer: Wir haben uns bei der Spor­la­s­tic GmbH schon mit dem The­ma befasst, lan­ge bevor die DiGA durch den dama­li­gen Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn im Rah­men des Digi­ta­le-Ver­sor­gung-Geset­zes (DVG) ins Leben geru­fen wur­de. Wir ver­fol­gen schon seit Jahr­zehn­ten einen ganz­heit­li­chen Behand­lungs­an­satz, der auch phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Übun­gen berück­sich­tigt, und woll­ten die­sen Ansatz digi­ta­li­sie­ren. Für die Indi­ka­ti­on Gonar­thro­se haben wir uns ent­schie­den, da die Leit­li­nie die Sport- und Bewe­gungs­the­ra­pie und deren Erfolgs­kon­trol­le ganz klar vor­sieht und es eine sehr gute Stu­di­en­la­ge hier­zu gibt. Unse­re Hypo­the­se war es, durch ange­lei­te­te und kon­trol­lier­te Sport- und Bewe­gungs­the­ra­pie die Beschwer­den durch Gonar­thro­se zu lin­dern, dadurch eine TEP-Ope­ra­ti­on zu ver­schie­ben oder zu ver­hin­dern und somit den  Kos­ten­trä­gern einen Nut­zen bie­ten zu kön­nen. Als Herr Spahn dann die DiGA in die Ver­sor­gungs­rea­li­tät gebracht hat, waren wir schon parat.

OT: Was kann Reflex leisten?

Caro­lin Sche­rer: Die Anwen­dung bie­tet ein Trai­nings­pro­gramm, wel­ches auf die Bedürf­nis­se und Zie­le von Pati­en­ten mit Gonar­thro­se abge­stimmt ist. Mit­tels Bewe­gungs­sen­so­ren ist Reflex in der Lage, kla­re Anwei­sun­gen und Live-Feed­back über kor­rek­te und inkor­rek­te Aus­füh­rung der Übung zu geben, sowohl akus­tisch als auch visu­ell. Die Übun­gen set­zen sich aus Mobilisations‑, Gleichgewichts‑, Kräf­ti­gungs- und Deh­nungs­übun­gen zusammen.

OT: Seit dem 29. Sep­tem­ber 2022 ist Reflex im DiGA-Ver­zeich­nis gelis­tet. Beschrei­ben Sie bit­te kurz den Weg von der Antrag­stel­lung bis zur Aufnahme.

Dr. Timo Schmeltz­pfen­ning: Wie schon erwähnt, haben wir uns schon vor der Geburt der DiGA mit dem The­ma beschäf­tigt und waren auch schon in einer RCT-Stu­die (ran­do­mi­sier­te kon­trol­lier­te Stu­die, Anm. d. Red.) mit der Sport­me­di­zin der Uni­ver­si­tät Tübin­gen, um die Wirk­sam­keit des App- und Sen­so­rik-gestütz­ten Trai­nings­pro­gramms zur Behand­lung der Gonar­thro­se zu unter­su­chen. Nach dem ers­ten Bera­tungs­ge­spräch mit dem Bfarm war uns klar, dass die Zulas­sung kein Kin­der­spiel – aber mach­bar – ist. Kern des Ver­fah­rens sind die Prü­fung der  Her­stel­ler­an­ga­ben zu den gefor­der­ten Pro­duk­tei­gen­schaf­ten – vom Daten­schutz bis zur Benut­zer­freund­lich­keit – sowie die Prü­fung eines durch den Her­stel­ler vor­zu­le­gen­den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wei­ses für die mit der DiGA rea­li­sier­ba­ren posi­ti­ven Ver­sor­gungs­ef­fek­te. Da wir die ers­te DiGA mit Sen­so­rik im Bereich Mus­kel, Kno­chen und Gelen­ke bie­ten, waren wir natür­lich bis zur letz­ten Minu­te gespannt, ob wir wirk­lich auf­ge­nom­men werden.

OT: Das Ver­fah­ren zur Auf­nah­me ins DiGA-Ver­zeich­nis ist als zügi­ger „Fast-Track“ kon­zi­piert: Wie bewer­ten Sie die­sen Ansatz?

Schwei­zer: Grund­sätz­lich bewer­ten wir das DiGA-Fast-Track-Ver­fah­ren als sehr gut. Wir sind froh, dass es ein solch klar struk­tu­rier­tes und gere­gel­tes Ver­fah­ren gibt, um Inno­va­tio­nen in die Erstat­tung zu bekom­men. Es ist schon zu Beginn klar, was im Rah­men des Ver­fah­rens gefor­dert wird und wel­cher Nut­zen­nach­weis zu erbrin­gen ist.

Gesund­heits­da­ten schützen

OT: Für eine Auf­nah­me ins DiGA-Ver­zeich­nis des Bfarm müs­sen hohe Anfor­de­run­gen an  Daten­schutz, Infor­ma­ti­ons­si­cher­heit und Inter­ope­ra­bi­li­tät erfüllt wer­den. Stell­ten die­se Anfor­de­run­gen gro­ße Hür­den für Sie dar?

Sche­rer: Die Anfor­de­run­gen sind wirk­lich hoch. Das hat aber auch einen guten Grund, denn wir haben es mit per­so­nen­be­zo­ge­nen Gesund­heits­da­ten zu tun, die es zu schüt­zen gilt. Die Anfor­de­run­gen sind klar for­mu­liert und kön­nen des­we­gen auch gut erfüllt werden.

OT: Vor­aus­set­zung für die Auf­nah­me ist auch ein Nach­weis über posi­ti­ve Ver­sor­gungs­ef­fek­te. Die­sen konn­ten Sie bis­lang noch nicht hin­rei­chend erbrin­gen. Reflex wur­de des­we­gen zunächst nur vor­läu­fig – bis zum 28. Sep­tem­ber 2023 – auf­ge­nom­men. Wer­den Sie den erfor­der­li­chen Nach­weis inner­halb die­ser Frist durch wei­te­re wis­sen­schaft­li­che Erhe­bun­gen und Ana­ly­sen erbrin­gen können?

Schmeltz­pfen­ning: Das ist so nicht rich­tig. Wir haben uns bewusst dazu ent­schie­den, erst eine Auf­nah­me auf Erpro­bung anzu­stre­ben, obwohl wir schon einen Nach­weis über posi­ti­ve Ver­sor­gungs­ef­fek­te erbrin­gen konn­ten. Die RCT­Stu­die zeigt bei Pati­en­ten mit fort­ge­schrit­te­ner Gonar­thro­se rele­van­te und sta­tis­tisch signi­fi­kan­te Behand­lungs­ef­fek­te in Bezug auf Schmerz­re­duk­ti­on und wei­te­re arthro­se­spe­zi­fi­sche Beschwer­den. Im Rah­men der OTWorld 2022 wur­den sogar die Ergeb­nis­se vor­ge­stellt. Aktu­ell läuft eine wei­te­re RCT-Stu­die, die wir für die dau­er­haf­te Auf­nah­me ver­wen­den werden.

OT: Haben Sie mit Blick auf Ihre Erfah­run­gen Tipps für ande­re Her­stel­ler, die eine Auf­nah­me anstreben?

Sche­rer: Wir kön­nen jedem nur raten, die Chan­ce von Bera­tungs­ge­sprä­chen mit dem Bfarm wahrzunehmen.

Stren­ge Zulassungsbedingungen

OT: Bis­lang sind ins­ge­samt nur 48 DiGA gelis­tet, vie­le davon auch nur vor­läu­fig. Liegt das am man­geln­den Inter­es­se der Anbieter?

Schmeltz­pfen­ning: Ich glau­be, man kann nicht von einem man­geln­den Inter­es­se spre­chen. Ich den­ke, es liegt eher an den stren­gen Zulas­sungs­be­din­gun­gen und auch dem damit ver­bun­de­nen finan­zi­el­len Auf­wand, der man­ches Start-up vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen stellt.

OT: Die Kri­tik des GKV-Spit­zen­ver­ban­des lau­tet, dass mit durch­schnitt­lich 10.000 Ver­sor­gun­gen im Monat die DiGA nicht in der Ver­sor­gung ange­kom­men sei. Wie sehen Sie das? War­um ist die DiGA noch so unpo­pu­lär bei den Mediziner:innen?

Schwei­zer: Ich kann mir gut vor­stel­len, dass man­che Medi­zi­ner noch mit dem Nut­zen der DiGA hadern. „Wo ist denn der Unter­schied zwi­schen DiGA-The­ra­pie­übun­gen und You­tube- Vide­os?“, höre ich immer wie­der. Bei Reflex sehen die Medi­zi­ner dann klar den Vor­teil in der Sen­so­rik. Dadurch kann die DiGA die Übun­gen nicht nur vor­ma­chen, son­dern auch kon­trol­lie­ren und kor­ri­gie­ren. Ich den­ke, dass die DiGA ein­fach noch nicht bei allen Medi­zi­nern ange­kom­men ist. Wir müs­sen den Medi­zi­nern den Nut­zen, den sie und ihre Pati­en­ten durch DiGA bekom­men, aufzeigen.

OT: Wie lau­tet Ihr ers­tes Fazit? Hat sich der Auf­wand im Hin­blick auf die Ver­ord­nungs­an­zahl von Reflex gelohnt?

Sche­rer: Wir sind mit der Ent­wick­lung zufrie­den. Wich­ti­ger als die Ver­ord­nungs­zah­len ist uns aber die Ein­be­zie­hung unse­rer Fach­han­dels­part­ner. Der Ortho­pä­die- und Sani­täts­fach­han­del ist im ori­gi­nä­ren DiGA-Ver­ord­nungs­und Abga­be­pro­zess nicht vor­ge­se­hen. Wir bei der Sporlastic
GmbH sind über­zeugt, dass die eta­blier­ten Leis­tungs­er­brin­ger­struk­tu­ren aber einen ent­schei­den­den Mehr­wert für die Pati­en­ten lie­fern kön­nen, und haben uns Model­le über­legt, wie wir gemein­sam mit inno­va­ti­ven Leis­tungs­er­brin­gern die Ver­sor­gung noch bes­ser machen können.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

 

Tei­len Sie die­sen Inhalt