Dem ging ein entsprechender Beschluss der Mitgliederversammlung der Landesinnung voraus. Fast flächendeckend haben die Mitgliedsbetriebe ihre Einzelverträge nach § 127 SGB V in den Kernbereichen der Orthopädie-Technik mit diesen Krankenkassen aufgelöst. Bei der Versorgung der Versicherten gilt seit dem 1. Juni eine Übergangslösung. Bodo Schrödel, Landesinnungsmeister und Vorsitzender des Fachverbandes erklärt, wie es dazu kam, wie es nun weitergeht – und warum nicht alle Firmen mitgezogen haben.
OT: Landesweite Vertragskündigungen sind ein außergewöhnlich harter Schnitt. Was ging dieser Eskalation voraus?
Bodo Schrödel: Drei Jahre lang haben wir vergeblich versucht, mit LKK und Knappschaft vernünftige Verträge zu verhandeln sowie die Preise den wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechend anzupassen. Unsere Ziele waren ein Rahmenvertrag sowie eine Preisvereinbarung zu den einzelnen Produktgruppen. Doch LKK und Knappschaft schoben sich gegenseitig die Schuld am Scheitern der Verhandlungen zu – und schickten den Betrieben währenddessen Einzelverträge mit der Bitte, diese zu unterschreiben, weil sie sonst nicht an der Versorgung teilnehmen könnten. Viele Betriebe waren unter Zugzwang, gerade in Regionen mit vielen LKK- bzw. Knappschaftsversicherten. Das Fass war damit übergelaufen. Auf der Jahreshauptversammlung haben wir beschlossen bei dieser Taktik nicht mehr mitzuspielen.
OT: Wie liefen die Kündigungen ab?
Schrödel: Wir haben viel Überzeugungsarbeit geleistet. Letztlich war aber der Mehrheit klar: Wir sitzen alle in einem Boot. Ohne flächendeckende Kündigungen haben alle Nachteile. Da es keinen Rahmenvertrag gab, musste jedes Mitglied seinen Vertrag einzeln kündigen. Um den Überblick zu behalten, wurden die Kündigungen an die Innung geschickt und von uns weitergeleitet. 98 Prozent der Mitgliedsbetriebe haben mitgezogen.
OT: Welche Produktgruppen sind betroffen?
Schrödel: Bandagen, Kompression, Orthesen und Prothesen – also PG 05 (Bandagen), PG 17 (Kompressionstherapie), PG 23 (Orthesen), PG 24 (Beinprothesen) und PG 38 (Armprothesen).
OT: Wie war die Reaktion der Krankenkassenvertreter?
Schrödel: Jetzt geht es vorwärts. Plötzlich wurde alles in Bewegung gesetzt, um einen gemeinsamen Termin zu finden und Vertragsverhandlungen zu beginnen. Am 5. Juni hatten wir unseren ersten Verhandlungstermin mit dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT), der Landesinnung und der Knappschaft. Weitere Termine sind schon festgelegt. Als Landesinnung haben wir uns den Preisvorstellungen des BIV-OT angeschlossen. Ein Rahmenvertrag für Bayern ist das Nahziel. Unser Hauptziel aber ist ein Vertrag des BIV-OT, der für ganz Deutschland gilt. Und dafür sieht es gar nicht schlecht aus.
OT: Welche Vorteile hätte der angestrebte neue Vertrag für die Versicherten und für die Betriebe?
Schrödel: Die Versicherten bekommen eine schnellere, weil flächendeckende Versorgung. Unsere Mitgliedsbetriebe können auskömmlicher und wirtschaftlicher arbeiten.
OT: Wann soll der neue Vertrag unterschrieben werden?
Schrödel: Bis Ende Juli erwarte ich eine finale Entscheidung für einen bundesweiten Vertrag in den genannten Produktgruppen. Damit wären ein bundeseinheitliches Entgelt gewährleistet sowie eine wirtschaftliche Versorgung entsprechend des BIV-OT-Kalkulationshandbuchs.
OT: Wie läuft in der Zwischenzeit die Versorgung der betroffenen Versicherten?
Schrödel: Aufgrund des Drucks durch die Kündigungen haben wir seit dem 1. Juni eine Übergangsvereinbarung. Das ist deutschlandweit einmalig! Grundlage dafür ist der bereits mit dem BIV-OT abgeschlossene Rahmenvertrag von Oktober 2018. Die Vergütung in der vertragslosen Übergangsphase entspricht dem Preisniveau, das von der Landesinnung Bayern und dem Fachverband mit der AOK Bayern ausgehandelt wurde. Konfektionierte Versorgungen unter 250 Euro sind genehmigungsfrei, alles andere läuft über Kostenvoranschlag. Was wir derzeit in unseren Verhandlungen bundesweit anstreben, liegt leicht über den vertraglichen Konditionen mit der AOK Bayern.
OT: Macht sich der gegenwärtige Zustand für die Versicherten bemerkbar?
Schrödel: Die Versicherten bemerken nichts von den Kündigungen. Im Gegenteil, sie können jetzt von jedem Betrieb versorgt werden. Zuvor mussten sie sich von der LKK teilweise auf Vertragsunternehmen umlenken lassen.
OT: Nicht alle Mitgliedsbetriebe haben ihre Verträge gekündigt…
Schrödel: Ja, zwölf Betriebe haben nicht mitgezogen. Sie dachten vielleicht, so zu Platzhirschen bei der Versorgung zu werden und einen Wettbewerbsvorsprung zu erhalten. Für diese Firmen ist aber das Gegenteil eingetreten: Sie müssen erst einmal nach den alten Verträgen weitermachen – und alle anderen versorgen nach der besseren Übergangsvereinbarung. Die Krankenkassen dürfen die Versicherten nicht umlenken.
OT: Aber diese Firmen könnten doch der Übergangsvereinbarung ebenfalls beitreten?
Schrödel: Sie müssen ihren Einzelvertragvertrag jedoch erst kündigen und dabei Fristen einhalten. Bis dahin haben wir als Innung vielleicht schon einen neuen Vertrag, dem unsere Mitglieder beitreten können.
OT: Die konzertierte Kündigung scheint erfolgreich zu sein. Wollen Sie nun in anderen Bereichen die Muskeln gegenüber den Krankenkassen in gleicher Weise spielen lassen?
Schrödel: Wir haben bewiesen, dass wir an einem Strang ziehen. Jetzt möchten wir zuerst die aktuellen Verhandlungen abschließen. Danach wollen wir aber auch bei den Reha-Verträgen mit den Krankenkassen ins Gespräch kommen. Wir hoffen dabei ohne das Druckmittel Kündigung auszukommen.
Die Fragen stellte Cathrin Günzel.
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