Osseo­in­te­gra­ti­on: Sto­ma-Infek­tio­nen vorbeugen

Das Stoma ist die Achillesferse eines transkutanen osseointegrierten Prothesensystems (TOPS), sagt Dr. med. Alexander Ranker von der Medizinischen Hochschule Hannover im Gespräch mit der OT-Redaktion. Der Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin hat im Arbeitskreis Rehabilitation der Arbeitsgemeinschaft (AG) TOPS an einer Broschüre mit Tipps für die tägliche Stoma-Pflege mitgearbeitet, die beim Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputationen e. V. (BMAB) erschienen ist. Aktuell entwickelt der Arbeitskreis eine Reha-Leitlinie nach TOPS-Versorgung.

OT: Seit wann gibt es die AG TOPS und wor­in besteht ihr Ziel?

Anzei­ge

Alex­an­der Ran­ker: Im Dezem­ber 2019 fand auf Initia­ti­ve von Dr. med. Horst Asch­off ein ers­tes Tref­fen der natio­na­len AG TOPS in Han­no­ver statt. Dar­an haben unfall­chir­ur­gisch, ortho­pä­disch und plas­tisch täti­ge Kolleg:innen aus der Chir­ur­gie, Rehabilitationsmediziner:innen sowie Orthopädietechniker:innen, Physiotherapeut:innen und Biomechaniker:innen teil­ge­nom­men. Kon­sens war, dass wir nur inter­dis­zi­pli­när in enger Abspra­che im Team ein Sys­tem ent­wi­ckeln kön­nen, das wis­sen­schaft­lich eva­lu­iert ist und somit einer umfas­sen­den Reha­bi­li­ta­ti­on von Patient:innen mit TOPS gerecht wird. Dabei ste­hen der jewei­li­ge Pati­ent bzw. die Pati­en­tin, die Wie­der­her­stel­lung der Funk­ti­ons­fä­hig­keit im All­tag und die damit ein­her­ge­hen­de Lebens­qua­li­tät im Mit­tel­punkt. Die AG TOPS tauscht sich dazu in regel­mä­ßi­gen Mee­tings aus. So lei­ten Prof. Dr. med. Bern­hard Grei­temann und ich das Team Reha­bi­li­ta­ti­on, für das wir ver­schie­de­ne Zie­le defi­niert haben – unter ande­rem unter dem Stich­wort „Edu­ka­ti­on“ das The­ma Stoma-Management.

OT: War­um ist gera­de das Sto­ma-Manage­ment bedeutsam?

Ran­ker: Weil wir wis­sen, dass das Sto­ma letzt­lich die Achil­les­fer­se der TOPS ist. Ein gesun­des Sto­ma stellt eine zufrie­den­stel­len­de Lang­zeit­re­ha­bi­li­ta­ti­on mit TOPS sicher. Des­halb ist es wich­tig, Ent­zün­dun­gen und Infek­tio­nen mög­lichst zu ver­mei­den bzw. Reiz­zu­stän­de zu erken­nen und früh­zei­tig von Expert:innen abklä­ren zu lassen.

OT: Ent­stand aus die­sen Über­le­gun­gen her­aus die Idee zur Bro­schü­re über Sto­ma-Pfle­ge für Patient:innen, die mit TOPS ver­sorgt sind?

Ran­ker: Ja, denn die meis­ten TOPS-Patient:innen haben kei­ne Erfah­run­gen mit Sto­ma und Sto­ma-Pfle­ge. Des­halb haben wir eine Bro­schü­re mit den wich­tigs­ten Inhal­ten zur TOPS-Pfle­ge ent­wor­fen. Wir sind uns sicher, dass dies für die Patient:innen eine sinn­vol­le Hil­fe­stel­lung ist, um bei Ver­än­de­run­gen am Sto­ma ent­schei­den zu kön­nen, ob man abwar­tet oder lie­ber doch ärzt­li­chen Rat ein­holt. Die meis­ten Sto­ma-Infek­tio­nen sind ober­fläch­lich, kön­nen sehr gut und ein­fach mit ora­len Anti­bio­ti­ka behan­delt werden.

OT: Wie häu­fig tre­ten Sto­ma-Infek­tio­nen tat­säch­lich auf?

Ran­ker: Ich bin Fach­arzt für Phy­si­ka­li­sche und Reha­bi­li­ta­ti­ve Medi­zin (PRM) und auch berufs­po­li­tisch aktiv. Im Gespräch mit mei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen habe ich fest­ge­stellt, dass in der Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin häu­fig noch die Mei­nung ver­tre­ten wird, dass ein per­ma­nent geöff­ne­tes Sto­ma – also letzt­lich die ärzt­lich her­ge­stell­te Eröff­nung und damit das Feh­len der natür­li­chen Erre­ger-bar­rie­re „Haut“ – kein Kon­zept sein kann, das lan­ge gut geht. Vie­le den­ken nach wie vor, dass mas­si­ve Ent­zün­dun­gen nur eine Fra­ge der Zeit sei­en. Die inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur aber zeigt das nicht – ganz im Gegen­teil. Infek­tio­nen tre­ten deut­lich sel­te­ner auf als erwar­tet. Trotz­dem haben wir in einer retro­spek­ti­ven Aus­wer­tung aller Pro­the­sen zwi­schen 2010 und 2016 im Hin­blick auf Kom­pli­ka­tio­nen fest­ge­stellt, dass von allen medi­zi­ni­schen Kom­pli­ka­tio­nen die Sto­ma-Infek­tio­nen die häu­figs­ten waren (Unter­su­chung erschie­nen in „Die Reha­bi­li­ta­ti­on“). Vie­le davon sind aller­dings Grad-I- bis Grad-II-Infek­tio­nen, also die erwähn­ten ober­fläch­li­chen Infek­tio­nen, die sich sehr gut mit Anti­bio­ti­ka-Tablet­ten the­ra­pie­ren las­sen – sofern man recht­zei­tig beginnt. Denn eine mas­si­ve Sto­ma-Infek­ti­on ist eine gefürch­te­te Kom­pli­ka­ti­on. Sie kann auf­stei­gen und den Kno­chen infi­zie­ren. Außer­dem könn­te sie eine Sep­sis ver­ur­sa­chen. Des­sen muss man sich bewusst sein und gegensteuern.

OT: Wor­auf soll­ten die mit einem TOPS ver­sorg­ten Patient:innen in die­sem Zusam­men­hang beson­ders achten?

Ran­ker: Alle TOPS-Träger:innen soll­ten sich mit der Infek­ti­ons­the­ma­tik unbe­dingt aus­ein­an­der­set­zen und wis­sen, was gut und was eher gefähr­lich ist für ein sol­ches Sys­tem. Genau­so wie Schaftträger:innen ihre Pro­the­se und kniff­li­ge Stel­len ken­nen soll­ten, muss man sein Sto­ma gut ken­nen. Es ist letzt­lich ein Teil die­ses spe­zi­el­len Pro­the­sen­sys­tems. Das bedeu­tet, dass das Sto­ma regel­mä­ßig inspi­ziert bzw. auf Ver­än­de­run­gen über­prüft sowie früh­zei­tig reagiert wird, wenn es nötig ist. Ande­rer­seits darf man nicht in per­ma­nen­te Angst ver­fal­len und sich – über­spitzt aus­ge­drückt – bei jeder Klei­nig­keit sor­gen, dass man gleich eine Sep­sis hat. Des­halb soll­te man Warn­si­gna­le ken­nen, die auch in unse­rer Bro­schü­re beschrie­ben wer­den, und ansons­ten kei­ne über­trie­be­nen Ängs­te haben. Denn es hat sich über Jahr­zehn­te gezeigt, dass die­ses Ver­fah­ren sicher ist. Die Bro­schü­re gibt beim Umgang mit dem Sto­ma die nöti­ge Sicher­heit und ist eine Hil­fe zur Selbst­hil­fe. Wir spre­chen damit die Selbst­ver­ant­wor­tung der Träger:innen einer Endo-Exo-Pro­the­se an, die sich schließ­lich aktiv für ein sol­ches Sys­tem ent­schie­den haben. Wir ver­deut­li­chen, dass die Patient:innen für den Erfolg der eige­nen Reha­bi­li­ta­ti­on mit­ver­ant­wort­lich sind.

OT: Wer hat die Bro­schü­re letzt­lich auf den Weg gebracht?

Ran­ker: Ich war begeis­tert von der gro­ßen Hil­fe durch Det­lef Son­nen­berg vom BMAB, das möch­te ich aus­drück­lich beto­nen. Hät­te er die Umset­zung nicht in die Hand genom­men und signa­li­siert „das ist eine gute Idee, das machen wir!“, wäre es nicht dazu gekom­men. Ich habe dann den Ent­wurf erstellt, den Prof. Grei­temann über­ar­bei­tet hat. Dr. Asch­off brach­te sei­ne Erfah­rung eben­falls ein und stell­te Bild­ma­te­ri­al zur Ver­fü­gung. Herr Son­nen­berg und sein Team haben die Bro­schü­re gestal­tet und in ein moder­nes Design gebracht.

Fra­gen der Betrof­fe­nen beantworten

OT: Wo ist die Bro­schü­re erhältlich?

Ran­ker: Obwohl TOPS bereits seit den 1990er-Jah­ren in Deutsch­land implan­tiert wer­den, ist die Zahl der TOPS-Träger:innen nach wie vor über­schau­bar. Des­halb wur­de die über den BMAB ver­wirk­lich­te Druck­aus­ga­be auf eine Auf­la­ge von eini­gen tau­send Stück begrenzt. Ich wün­sche mir, dass jede ortho­pä­die­tech­ni­sche Werk­statt mit TOPS-Erfah­rung sowie jede Pati­en­tin, jeder Pati­ent in Deutsch­land mit die­ser Implan­ta­ti­on die Bro­schü­re erhält. Die gedruck­ten Exem­pla­re sind haupt­säch­lich in der Kli­nik für Unfall­chir­ur­gie in der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver ver­füg­bar. Ortho­pä­die­tech­nik-Betrie­be kön­nen mich ger­ne anschrei­ben (ranker.alexander@mh-hannover.de) und ich ver­su­che, die gewünsch­ten Exem­pla­re zu beschaffen.

OT: War­um soll­ten Orthopädietechniker:innen das Heft­chen im Hau­se haben?

Ran­ker: Ich kann mir vor­stel­len, dass die Implan­ta­ti­on eines TOPS ein sehr bedeu­ten­des Ereig­nis im Leben eines Men­schen mit Majo­ram­pu­ta­ti­on der unte­ren Extre­mi­tät ist. Da fal­len den Patient:innen akut vie­le Fra­gen noch gar nicht ein, die sie ihren Ärzt:innen viel­leicht stel­len möch­ten, oder man ver­gisst vor Auf­re­gung vie­les wie­der. Die Bro­schü­re ist immer griff­be­reit und in ihr sind vie­le Infor­ma­tio­nen ent­hal­ten, die Fra­gen der Betrof­fe­nen beant­wor­ten, einen Über­blick und Sicher­heit geben kön­nen. Kon­takt­mög­lich­kei­ten sind eben­falls dar­in zu fin­den. Ortho­pä­die­tech­ni­sche Betrie­be als Anlauf­stel­len für die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung kön­nen mit­hil­fe der Bro­schü­re also wert­vol­le Unter­stüt­zung leisten.

Reha-Leit­li­nie und FAQ zu TOPS in Arbeit

OT: Wel­che Vor­ha­ben gehen die AG TOPS bzw. das Team Reha­bi­li­ta­ti­on zur­zeit an, was ist für die Zukunft geplant?

Ran­ker: Wir haben eine Men­ge vor! Geplant ist zum Bei­spiel eine Leit­li­nie zur Reha­bi­li­ta­ti­on nach der Ver­sor­gung mit TOPS, an der wir gera­de arbei­ten. Mit Blick auf das The­ma Sto­ma-Pfle­ge und Sto­ma-Manage­ment läuft der­zeit eine Stu­die in Koope­ra­ti­on mit dem Labor für Bio­me­cha­nik der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver. Dabei soll gemes­sen wer­den, wie das Sto­ma und der Sto­ma-Kanal bei all­täg­li­chen Bewe­gun­gen reagie­ren, wie sie sich bewe­gen. Denn Bewe­gung ist immer mit Rei­bung ver­bun­den – und Rei­bung kann Reiz­zu­stän­de erzeu­gen, die wir an die­sen Stel­len mög­lichst ver­mei­den möch­ten. Ich bin schon sehr gespannt auf die Ergeb­nis­se. Eben­so wol­len wir eine Home­page erstel­len mit häu­fig gestell­ten Fra­gen (FAQ) zu TOPS und die­se mit einem natio­na­len Kon­sens auf Exper­ten­ni­veau beant­wor­ten. Dort ist eine eige­ne Sek­ti­on „Sto­ma“ geplant mit Bil­dern und viel­leicht Vide­os zur Stoma-Pflege.

Die Fra­gen stell­te Cath­rin Günzel.

 

Bro­schü­re zur täg­li­chen Stoma-Pflege
Die zwölf­sei­ti­ge Bro­schü­re „Sto­ma-Pfle­ge: Tipps für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit trans­ku­ta­nen osseo­in­te­grier­ten Pro­the­sen­sys­te­men (TOPS)“ gibt ein­fach umzu­set­zen­de, umfang­reich illus­trier­te Hin­wei­se für die täg­li­che Pfle­ge des Sto­mas bei einer Endo-Exo-Ver­sor­gung der unte­ren Extre­mi­tät – also der Haut­öff­nung, durch die das im Kno­chen ver­an­ker­te Endo­mo­dul bzw. Metall- implan­tat des TOPS nach außen (exo) tritt. In vier Kapi­teln wird über die Pfle­ge und Schutz des Sto­mas, die Beschaf­fen­heit des regel­mä­ßig abge­son­der­ten Wund­was­sers (Sekret), Ver­än­de­run­gen des äuße­ren Erschei­nungs­bilds des Sto­mas sowie Schmer­zen am Sto­ma infor­miert. Bei­spiel­fo­tos zei­gen sowohl gesun­de Sto­ma­ta als auch Hin­wei­se auf Reiz­zu­stän­de. Damit wer­den TOPS-Träger:innen auf Warn­zei­chen hin­ge­wie­sen, die auf eine Ent­zün­dung oder Infek­ti­on hin­deu­ten. An der durch den Arbeits­kreis Reha­bi­li­ta­ti­on der Arbeits­ge­mein­schaft TOPS unter Feder­füh­rung von Dr. med. Alex­an­der Ran­ker erstell­ten Bro­schü­re haben Prof. Dr. med. Bern­hard Grei­temann, Dr. med. Horst Hein­rich Asch­off sowie Det­lef Son­nen­berg mit­ge­wirkt. Das Heft wur­de vom BMAB veröffentlicht. 
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