Aus­bil­dung wird für Abiturient:innen immer attraktiver

Ein Grund für den Fachkräftemangel ist die Akademisierung, heißt es oft. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung spricht eine andere Sprache. Laut „Monitor Ausbildungschancen 2023“ entscheiden sich immer mehr Abiturient:innen für eine Ausbildung. Zugleich verschlechtern sich aber die Ausbildungschancen von Schüler:innen mit Hauptschulabschluss. „Nicht die Akademisierung ist das Problem des Ausbildungssystems, sondern die mangelnde Integration von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung“, lautet die Schlussfolgerung.

Im „Moni­tor Aus­bil­dungs­chan­cen 2023“ wird der Fra­ge nach­ge­gan­gen, wie sich die Über­gangs­chan­cen von jun­gen Men­schen in die ver­schie­de­nen Berei­che des beruf­li­chen Bil­dungs­sys­tems in Abhän­gig­keit der jewei­li­gen Schul­ab­schlüs­se ent­wi­ckelt haben. Dies hat das For­schungs­in­sti­tut für Bil­dungs- und Sozi­al­öko­no­mie (Fibs) im Auf­trag der Ber­tels­mann Stif­tung unter­sucht. Grund­la­ge für die Stu­die sind u. a. Daten aus der Aus­bil­dungs­sta­tis­tik des Bun­des­in­sti­tuts für Berufs­bil­dung (Bibb), der Bun­des­agen­tur für Arbeit, des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts sowie des Sta­tis­ti­schen Amts der Euro­päi­schen Uni­on (Euro­stat).

Die Ergeb­nis­se der Stu­die zei­gen: Eine wach­sen­de Zahl von Abiturient:innen ent­schei­det sich für eine Berufs­aus­bil­dung. In den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren ist der Anteil derer, die mit Abitur eine dua­le oder schu­li­sche Aus­bil­dung begin­nen, von 35 Pro­zent im Jahr 2011 auf 47,4 Pro­zent im Jahr 2021 gestie­gen. Zuwachs ver­zeich­net beson­ders die dua­le Berufs­aus­bil­dung. „Von einer man­geln­den Attrak­ti­vi­tät der Berufs­aus­bil­dung für Abiturient:innen kann kei­ne Rede sein“, sagt Die­ter Doh­men, Direk­tor des For­schungs­in­sti­tuts für Bil­dungs- und Sozi­al­öko­no­mie (Fibs) und Autor der Stu­die. „Und auch nicht davon, dass sich Abiturient:innen zu wenig für beruf­li­che Aus­bil­dun­gen inter­es­sie­ren würden.“

Chan­cen für Hauptschüler:innen sinken

Im Gegen­satz dazu sin­ken jedoch die Chan­cen auf einen Aus­bil­dungs­platz für Jugend­li­che mit nied­ri­ger Schul­bil­dung. Laut der Stu­die lie­gen die Ursa­chen dafür unter ande­rem in stei­gen­den Qua­li­fi­ka­ti­ons­an­for­de­run­gen auf dem Aus­bil­dungs­markt und in regio­na­len Ungleich­ge­wich­ten. Zudem habe die Coro­na-Pan­de­mie den Berufs­ein­stieg auf­grund feh­len­der Prak­ti­ka und Ori­en­tie­rungs­mög­lich­kei­ten erschwert. Die Stu­die zeigt: Nicht nur die Zahl der Hauptschulabsolvent:innen ins­ge­samt sinkt, son­dern auch der Anteil der­je­ni­gen, die in Aus­bil­dung über­ge­hen. Zwi­schen 2011 und 2021 hat sich der Anteil der Jugend­li­chen, die mit einem Haupt­schul­ab­schluss die Berufs­aus­bil­dung begin­nen, um ein Fünf­tel ver­rin­gert. „Für Jugend­li­che mit nied­ri­ger Schul­bil­dung, für die eine Aus­bil­dung ja die zen­tra­le nach­schu­li­sche Bil­dungs­op­ti­on dar­stellt, ver­schlech­tern sich die Über­gangs­chan­cen zuneh­mend. Und dies ist kei­ne vor­über­ge­hen­de oder durch Coro­na beding­te Ent­wick­lung, son­dern ein lang­jäh­ri­ger Trend“, bedau­ert Cle­mens Wie­land, Seni­or Expert, Ber­tels­mann Stiftung.

Zudem gibt es immer mehr Jugend­li­che, die sich weder in Aus­bil­dung noch in der Schu­le oder in Arbeit befin­den. 2021 wur­den in der Grup­pe der 15- bis 24-Jäh­ri­gen 630.000 Per­so­nen zu den Nee­ts (not in employ­ment, edu­ca­ti­on or trai­ning) gezählt, im Jahr 2019 waren es noch 492.000. „Die Ent­wick­lung ist dra­ma­tisch“, sagt Doh­men. „Viel zu vie­le Jugend­li­che gehen auf dem Aus­bil­dungs­markt leer aus oder fal­len ganz aus dem Sys­tem. Wir müs­sen die Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit des Aus­bil­dungs­sys­tems wie­der deut­lich erhöhen.“

Aus­bil­dungs­ga­ran­tie gefordert

Die Zahl der abge­schlos­se­nen Aus­bil­dungs­ver­trä­ge ist in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren gesun­ken: 2021 wur­den mit 706.000 rund 77.000 Aus­bil­dungs­ver­trä­ge weni­ger unter­zeich­net als noch 2011. Das ent­spricht einem Rück­gang von knapp zehn Pro­zent. Dies sei auf sin­ken­de Zah­len bei den dua­len Aus­bil­dungs­ver­hält­nis­sen (Rück­gang um 158.000) bei einem gleich­zei­tig leich­ten Anstieg bei den schu­li­schen Aus­bil­dun­gen (Anstieg um 20.000) zurückzuführen.

„Es muss alles dafür getan wer­den, um ins­be­son­de­re mehr Jugend­li­che mit nied­ri­ger Schul­bil­dung in Aus­bil­dung zu brin­gen. Ein Mit­tel dazu ist die Umset­zung einer Aus­bil­dungs­ga­ran­tie, die nicht regio­nal ein­ge­grenzt sein darf und jedem Jugend­li­chen eine Aus­bil­dungs­chan­ce gewährt“, schluss­fol­gert die Ber­tels­mann Stif­tung aus den Ergeb­nis­sen. Im Koali­ti­ons­ver­trag hat­te die Bun­des­re­gie­rung ange­kün­digt, eine sol­che Aus­bil­dungs­ga­ran­tie ein­zu­füh­ren. Der aktu­el­le Geset­zes­ent­wurf greift laut Wie­land jedoch deut­lich zu kurz. „Wir brau­chen eine Aus­bil­dungs­ga­ran­tie, die wirk­lich jedem jun­gen Men­schen eine Aus­bil­dungs­chan­ce gibt und die auch indi­vi­du­el­le Beglei­tung und Unter­stüt­zung beinhal­tet, um den Abschluss zu erreichen.“

Die gesam­te Stu­die kann kos­ten­los auf der Web­site der Ber­tels­mann Stif­tung her­un­ter­ge­la­den werden.

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