Im Gespräch mit der OT-Redaktion berichtet Ignatios Fotiou, Geschäftsführer von Tobea und Mitentwickler von Seatrac, warum das längst überfällig war, wie das System funktioniert und warum Barrierefreiheit an Land nicht aufhört.
OT: Nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen darf es keine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung geben. Der Zugang zu Strand und Meer ist selten barrierefrei. Wie kann Ihre Erfindung das ändern?
Ignatios Fotiou: Mit der Thematik wurden wir erstmalig im Jahr 2009 konfrontiert, als Gerasimos Fessian (Gründer von Seatrac, Anm. d. Red.), der Mobilitätsprobleme hat, uns um Hilfe bat. Er wohnt in der Nähe vom Meer und Schwimmen gehört zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Er wiederholte immer wieder, dass er es leid war, sich herumtragen zu lassen, besonders dann, wenn er im Meer schwimmen wollte. Die Frage war, ob wir ein Gerät entwickeln könnten, um dieses Problem zu lösen. Zurück im Büro dachte ich, wir suchen einfach in Google, tragen mögliche Lösungen zusammen, passen eine davon an unseren örtlichen Strand an und helfen damit auch unserer Gemeinde. Ich war überrascht, dass es eine solche Lösung nicht gab, und in diesem Moment wurde mir erst richtig klar, dass jede Person mit Mobilitätsproblemen ins Meer getragen oder begleitet werden muss. Das war der Startschuss für unser Projekt. Das hat meine Leidenschaft für das Ingenieurwesen dahingehend verändert, dass ich Technik für die Beseitigung von Zugänglichkeitsproblemen und Barrieren einsetzen wollte.
Als ich die Lücken im Bereich der Barrierefreiheit erkannte, löste das etwas in mir aus: Ich könnte Menschen helfen, indem ich unerfüllte Bedürfnisse erfülle. Mein persönlicher Antrieb besteht darin, Produkte zu entwickeln, die hilfsbedürftige Gruppen in der Gesellschaft unterstützen. Als ich sah, wie ältere Menschen, Schwangere und an Multiple Sklerose (MS) Erkrankte Seatrac benutzten, wurde mir klar, dass ich dieses System möglichst allen Menschen zugänglich machen wollte. Die Freude in ihren Gesichtern und das spontane Gemeinschaftsgefühl haben mich dazu bewegt, Dinge schätzen zu lernen, die ich für selbstverständlich gehalten hatte.
OT: Aus welchen Komponenten besteht das System und wie funktioniert es?
Fotiou: Es besteht im Wesentlichen aus einem festen Schienenmechanismus, in dem ein beweglicher Stuhl in das Wasser hinein- und herausgefahren werden kann. Das Gerät kann mit einer RF-Fernbedienung (RF=Radio Frequency; sie braucht nicht auf das zu steuernde Gerät zu zeigen, die Kommunikation wird durch Hindernisse wie Möbel, Personen oder Wände kaum beeinträchtigt, Anm. d. Red.) bedient werden, so dass keine besondere Schulung erforderlich ist. Seatrac nutzt eine Smart Computing Unit. Per Telemetrie ermöglicht sie eine Fernwartung und Störungsprognosen. Wir verwenden Computer Vision mit künstlicher Intelligenz, um Menschen mit Behinderungen Live-Bilder vom Strand zu liefern. Für Menschen mit Behinderungen ist es wichtig, die Meeresbedingungen im Voraus zu kennen, da sie beispielsweise mit Wellengang nicht umgehen können.
Ein Reiseziel für alle
OT: Benötigen die Nutzer:innen externe Hilfe?
Fotiou: Die Benutzung ist einfach, der Einstieg in den Stuhl ist eine übliche Bewegung, die die Betroffenen häufig machen. Es ist wie das Umsetzen vom Rollstuhl auf ein Bett oder umgekehrt. Für Querschnittsgelähmte ist es ggf. einfacher, aber im Grunde hängt es von der Kondition des Schwimmers ab. Schwimmer oder Seatracer, wie wir sie nennen, sind Menschen mit Mobilitätsproblemen, ältere Menschen, schwangere Frauen und Menschen mit MS.
OT: Welches Feedback geben die Nutzer:innen?
Fotiou: Als alles im Jahr 2009 begann, glaubte niemand, dass wir ein solches Gerät überhaupt entwickeln können. Harte Arbeit, kontinuierliche Verbesserungen, Fokusgruppen mit Behindertenverbänden und das Erkennen und Erfüllen der Bedürfnisse haben zu dem geführt, was wir heute sehen. Menschen mit Mobilitätsproblemen vertrauen uns, wir haben sie davon überzeugt, ihr Haus zu verlassen und selbst schwimmen zu gehen. Seactrac ist eine Erfahrung, wir haben unsere Website www.seatrac.gr/en/ geschaffen, um jedem, der barrierefreie Strände besuchen möchte, kostenlos Informationen zur Verfügung zu stellen. Mehr als 40.000 Nutzer im Jahr 2022, an 194 Stränden. Die griechischen Regierungsorganisationen fangen an zu begreifen, dass Griechenland ein Reiseziel für alle sein kann.
OT: Gibt es etwas, das man noch verbessern kann?
Fotiou: Es gibt immer etwas zu verbessern, und so werden auch die neuen Updates durchgeführt. Der erste Seatrac hatte keine eingebaute Dusche, jetzt hat er eine, denn Rollstuhlfahrer wollen nicht, dass ihr Rollstuhl nass oder beschädigt wird.
OT: Vor welchen Herausforderungen stehen Menschen mit Behinderungen am Strand und am Meer? Was braucht es sonst noch für einen barrierefreien Strandurlaub?
Fotiou: Wir haben die Kette der Barrierefreiheit eingeführt. Von dem Moment an, an dem Menschen mit Mobilitätseinschränkungen den Strand erreichen, brauchen sie einen Parkplatz, einen Gehweg, eine barrierefreie Umkleidekabine, ein WC und Schatten, um den Strand zu genießen. Aber wir brauchen auch mehr barrierefreie Unterkünfte, Restaurants und Plätze.
OT: Wie steht es allgemein um die Barrierefreiheit in beliebten Urlaubsorten?
Fotiou: In Griechenland haben wir einige barrierefreie Urlaubsorte, aber mit dem Erfolg von Seactrac müssen jetzt weitere dazukommen. Unsere Kundendienstnummer und unsere E‑Mail werden mit Anfragen nach Hotels in der Nähe der Seatrac-Strände geradezu bombardiert. Auf unseren Social-Media-Plattformen und auf unserer Website gibt es viele Fragen und Anfragen von Menschen aus der ganzen Welt.
Mobiles System
OT: Es gibt bereits in Griechenland, Italien, Zypern und Lettland Installationen. Ist das Ziel eine weltweite Expansion?
Fotiou: Jeden Tag fügen wir der Karte mehr Seatracs hinzu, indem wir die 194, die wir letztes Jahr hatten, erneut installieren, und wir fügen weitere hinzu, wenn neue Strände Seatracs haben. Momentan stehen wir bei 199. Diesen Sommer werden wir fast 220 Strände ausstatten.
OT: In Deutschland schwankt der Wasserstand an der Nordsee durch Ebbe und Flut stark. Kann das System hier trotzdem installiert werden? Ist es mobil?
Fotiou: Ja! Unser neuer Seatrac Mover, den wir dieses Jahr auf den Markt bringen, ist die beste Lösung für die deutsche Nordsee. Er ist ideal für Gezeitenstrände, da er tagsüber bewegt werden kann, um die richtige Tiefe zu erreichen, damit die Badegäste das Meer genießen können. Wir werden auf der Rehacare in Düsseldorf vertreten sein, um das Produkt dem deutschen und europäischen Markt vorzustellen.
OT: Das Meer gilt als zu schützender Lebensraum. Stellt die Anlage einen Eingriff in die Umwelt dar?
Fotiou: Seatrac ist umweltfreundlich, da es erneuerbare Energie nutzt und recycelt werden kann. Ein Solarmodul wird zum Aufladen einer Batterie verwendet, die alle elektrischen Komponenten mit der für ihren Betrieb erforderlichen Energie versorgt. Dieser Ansatz macht Seatrac zu einer vollständig autonomen Anlage, die für ihren Betrieb nicht von einem Stromnetz abhängig ist, und eliminiert gleichzeitig strombedingte Gefahren.
OT: Planen Sie weitere Projekte oder Produkte, um das Leben von Menschen mit Behinderungen zu erleichtern?
Fotiou: Das Herz von Tobea ist Forschung und Entwicklung. Unsere Mission ist es, die Welt barrierefreier zu gestalten.
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
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