Aus­wir­kun­gen des Brexits auf das Handwerk

Der 1. Januar 2021 markiert einen historischen Wendepunkt in der Geschichte der Europäischen Union. Erstmals ist mit Großbritannien ein Nationalstaat aus dem europäischen Länderverbund ausgetreten. Mit dem Ende der Übergangsphase zum Jahreswechsel sind die Briten nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion. Was sind die Folgen für das Handwerk?

Micha­el Röss­ler, Stell­ver­tre­ten­der Lei­ter von Hand­werk Inter­na­tio­nal Baden-Würt­tem­berg und dort für den Bereich der Außen­wirt­schafts­be­ra­tung zustän­dig, erklärt die wich­tigs­ten Fak­ten.

OT: Herr Röss­ler, der Brexit ist voll­zo­gen, jedoch konn­ten sich die Ver­hand­lungs­füh­rer der Euro­päi­schen Uni­on und des Ver­ei­nig­ten König­reichs (VK) qua­si in letz­ter Minu­te auf ein gemein­sa­mes Abkom­men eini­gen, wel­ches die Han­dels­be­din­gun­gen zwi­schen der EU und dem VK regelt. Was sind die maß­geb­li­chen Eck­pfei­ler die­ser Einigung?

Micha­el Röss­ler: Mit der Eini­gung konn­te ein har­ter Brexit abge­wen­det wer­den. Auf im Ver­ei­nig­ten König­reich täti­ge Betrie­be kom­men jedoch den­noch zusätz­li­che Her­aus­for­de­run­gen zu. Für Lie­fe­run­gen gilt jetzt ein Frei­han­dels­ab­kom­men, d. h. für EU-Waren fal­len meist kei­ne Zöl­le an. Die Ware muss aber den­noch durch den Zoll mit allen damit not­wen­di­gen Anmel­dun­gen. Die Betrie­be müs­sen sich zudem mit den jetzt gel­ten­den Ursprungs­re­geln und ver­lang­ten Ursprungs­nach­wei­sen beschäf­tig­ten, da das Frei­han­dels­ab­kom­men z. B. nicht für aus Nicht-EU-Län­dern zuge­kauf­te Waren gilt. Auch bei der Mit­ar­bei­ter­ent­sen­dung wird es schwie­ri­ger. Zwar gibt es bei Geschäfts­rei­sen bis zu 90 Tagen in einem 6‑Monatszeitraum kei­ne Visa­pflicht. Für Arbei­ten, die im Ver­ei­nig­ten König­reich durch­ge­führt wer­den und mit kei­ner eige­nen Waren­lie­fe­rung ver­bun­den sind, ist in Zukunft aber ein Visum erfor­der­lich. Die Abgren­zung zwi­schen bei­den Ver­fah­ren ist in vie­len Berei­chen noch nicht klar.

Es fal­len höhe­re Kos­ten an

OT: Wie bewer­ten Sie die­se Rege­lun­gen aus Sicht des Handwerks?

Röss­ler: Das Abkom­men ist aus Hand­werks­sicht sicher bes­ser als ein har­ter Brexit ohne Ver­ein­ba­rung. Für Betrie­be, die bereits in Nicht-EU-Län­der (wie z. B. die Schweiz) lie­fern, sind die zusätz­li­chen büro­kra­ti­schen Hür­den sicher zu bewäl­ti­gen. Es fal­len aber höhe­re Kos­ten an, die am Markt erst durch­ge­setzt wer­den müs­sen. Für Hand­werks­be­trie­be, die Mit­ar­bei­ter ent­sen­den wol­len oder die bis­her kei­ne Erfah­run­gen mit dem Zoll haben, sind die Rege­lun­gen jedoch eine Her­aus­for­de­rung. Das kann dazu füh­ren, dass eini­ge Geschäf­te nicht zustan­de kom­men. Bei vie­len Punk­ten muss sicher auch noch abge­war­tet wer­den, wie die neu­en Rege­lun­gen in der Pra­xis kon­kret umge­setzt werden.

OT: Was müs­sen Betrie­be in Zukunft im wirt­schaft­li­chen Aus­tausch mit dem Ver­ei­nig­ten König­reich beachten?

Röss­ler: Bei Lie­fe­run­gen muss die Ware durch den Zoll. Ent­sen­dun­gen sind nur noch ein­ge­schränkt ohne Visum mög­lich. Bei der Pro­dukt­zer­ti­fi­zie­rung gibt es eben­falls kei­ne auto­ma­ti­sche Aner­ken­nung der EU-Stan­dards mehr. Betrie­be soll­ten sich daher früh­zei­tig dar­über infor­mie­ren, wel­che Ände­run­gen für sie rele­vant sind, wel­che zusätz­li­chen Kos­ten ent­ste­hen und ob bestimm­te Dienst­leis­tun­gen nicht mehr oder nur noch mit sehr gro­ßem Auf­wand mög­lich sind. Die dar­aus ent­ste­hen­den Kos­ten und der zusätz­li­che Auf­wand soll­ten den Betrie­ben bekannt sein, bevor sie ihre Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen in Groß­bri­tan­ni­en anbie­ten. Wenn der so zustan­de kom­men­de Preis für Kun­den akzep­tiert wird, kön­nen auch Hand­werks­be­trie­be in Zukunft erfolg­reich im Ver­ei­nig­ten König­reich tätig sein, wie das ja auch in ande­ren Nicht-EU-Län­dern bis­her bereits mög­lich ist.

Gute Per­spek­ti­ven durch das Abkommen

OT: Wel­che Fol­gen hat der Brexit für den euro­päi­schen Binnenmarkt?

Röss­ler: Das Ver­ei­nig­te König­reich ist nach wie vor ein inter­es­san­ter und dyna­mi­scher Markt. Daher ist es grund­sätz­lich zu bedau­ern, dass Groß­bri­tan­ni­en nicht mehr zum Bin­nen­markt gehört. Das Abkom­men gibt aber zumin­dest gute Per­spek­ti­ven, dass die engen Wirt­schafts­be­zie­hun­gen trotz eini­ger neu­er Hür­den wei­ter­ge­führt wer­den kön­nen. Wie gut das gelingt, hängt sicher auch von der wei­te­ren wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ent­wick­lung im Ver­ei­nig­ten König­reich in den nächs­ten Jah­ren ab. Vie­le wich­ti­ge Details sind auch mit dem mit hei­ßer Nadel gestrick­ten Abkom­men noch unklar. Vie­les kann für Hand­werks­be­trie­be nega­tiv oder posi­tiv wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den. Die lang­fris­ti­ge Ent­wick­lung mit ande­ren Nicht-EU-Staa­ten wie der Schweiz zei­gen aber, dass letzt­lich die gegen­sei­ti­gen Wirt­schafts­in­ter­es­sen doch eher zu einer wei­te­ren Annä­he­rung füh­ren könn­ten, die auch Hand­werks­be­trie­ben gute Geschäfts­chan­cen eröffnet.

OT: Wie sieht es mit der Aner­ken­nung der beruf­li­chen Aus­bil­dungs­ab­schlüs­se aus? Was erwar­tet Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer, die in Groß­bri­tan­ni­en arbei­ten wollen?

Röss­ler: Aus­bil­dungs­ab­schlüs­se sind lei­der nicht Teil des Abkom­mens. Groß­bri­tan­ni­en wird sich bei Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mern zudem ten­den­zi­ell die Per­so­nen mit Beru­fen her­aus­su­chen, die in Groß­bri­tan­ni­en zu den Man­gel­be­ru­fen gehö­ren. Ob eine Arbeits­auf­nah­me in Groß­bri­tan­ni­en mög­lich ist, wird daher sehr stark von der Ent­wick­lung des Arbeits­markts in Groß­bri­tan­ni­en abhän­gen. Einen Rechts­an­spruch, dort arbei­ten zu kön­nen, gibt es nun lei­der nicht mehr.

OT: Wo kön­nen sich Hand­werks­be­trie­be zukünf­tig über die wei­te­ren Ent­wick­lun­gen der Bezie­hun­gen zwi­schen der EU und Groß­bri­tan­ni­en informieren?

Röss­ler: In allen Bun­des­län­dern gibt es ent­spre­chen­de Bera­tungs­an­ge­bo­te der Hand­werks­or­ga­ni­sa­tio­nen, wie wir das in Baden-Würt­tem­berg bei Hand­werk Inter­na­tio­nal anbie­ten. Unse­re Bera­ter sind gut ver­netzt und ken­nen auch die ande­ren rele­van­ten Bera­tungs­an­ge­bo­te, die bei spe­zi­el­len Fra­gen weiterhelfen.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

Tei­len Sie die­sen Inhalt