Die Revo­lu­ti­on aus dem Drucker

Vom ersten SLA-Drucker bis zu Hightech-Systemen für Serienfertigung: Der 3D-Druck hat sich in vier Jahrzehnten rasant entwickelt. Neue Materialien, höhere Präzision und nachhaltige Verfahren machen ihn heute zu einem festen Bestandteil industrieller und medizinischer Produktion.

Wer ein­mal durch die Mes­se­hal­len der Formnext in Frank­furt geht, der spürt: Addi­ti­ve Fer­ti­gung – das ist etwas für Gegen­wart und Zukunft. Viel­leicht kei­ne indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on 2.0, wie die Künst­li­che Intel­li­genz (KI) die Indus­trie, Dienst­leis­tun­gen und Ver­wal­tung nach­hal­tig ver­än­dert, aber mit Sicher­heit ein neu­er Hori­zont in Sachen maschi­nel­ler Fer­ti­gung. Und die Ent­wick­lung der betei­lig­ten Hard- und Soft­ware nimmt von Monat zu Monat Geschwin­dig­keit auf. Aber steckt der 3D-Druck wirk­lich noch in den Kin­der­schu­hen? Die Ant­wort dar­auf lau­tet nein.

Hull ist Geburts­hel­fer des heu­ti­gen 3D-Drucks

Bereits vor unge­fähr vier Jahr­zehn­ten ent­wi­ckel­te und paten­tier­te der ame­ri­ka­ni­sche Phy­si­ker Chuck Hull den ers­ten 3D-Dru­cker. Zur schicht­wei­sen Fer­ti­gung drei­di­men­sio­na­ler Objek­te wur­den räum­li­che Daten in digi­ta­ler Form an einen Extru­der geschickt. Ein Extru­der ist eine Maschi­ne, die fes­te oder dick­flüs­si­ge Mate­ria­li­en wie Kunst­stoff, Gum­mi oder sogar Lebens­mit­tel unter hohem Druck und hoher Tem­pe­ra­tur durch eine form­ge­ben­de Düse presst. Bei Hull beruh­te das Druck­ver­fah­ren auf sei­nem Patent für die Aus­här­tung licht­emp­find­li­cher Poly­me­re durch UV-Strah­lung, Hin­zu­fü­gen von Par­ti­keln, che­mi­schen Reak­tio­nen oder Laser­strah­len. Unter dem Namen „SLA‑1“ erlang­te der ers­te 3D-Dru­cker die Markt­rei­fe und kam 1987 in den Verkauf.

Par­al­lel ent­wi­ckel­te Scott Crump 1989 das Fused Depo­si­ti­on Mode­ling (FDM), bei dem geschmol­ze­ner Kunst­stoff durch eine beheiz­te Düse extru­diert wird. Sein Unter­neh­men Stra­ta­sys setz­te auf ABS-Kunst­stoff – das glei­che Mate­ri­al, aus dem Lego-Stei­ne bestehen. Plötz­lich konn­ten nicht nur licht­emp­find­li­che Har­ze, son­dern auch ther­mo­plas­ti­sche Kunst­stof­fe ver­ar­bei­tet werden.

Ein Kas­sen­schla­ger wur­de die Tech­no­lo­gie nicht, da trotz des Poten­ti­als für bei­spiels­wei­se den schicht­wei­sen Auf­bau von kom­ple­xen Werk­stü­cken, die Indus­trie noch nicht so weit war und auch der Ein­füh­rungs­preis von 300.000 US-Dol­lar abschreck­te. Eine Zukunfts­tech­no­lo­gie ohne Zukunft also?

Mill­en­ni­um-Boost für 3D-Druck

Die Jün­ge­ren wer­den sich dar­an nicht erin­nern kön­nen, doch im Jahr 1999 beschäf­tig­te vie­le Nut­zer von Com­pu­tern eine Fra­ge: Wird mein PC noch am 1. Janu­ar 2000 funk­tio­nie­ren? Gan­ze Fern­seh­sen­dun­gen, Zei­tungs­ar­ti­kel und Radio­bei­trä­ge wur­den die­sem The­ma gewid­met. Doch als die Zei­ger der Uhr an Sil­ves­ter die Mit­ter­nacht pas­sier­ten, pas­siert nichts, außer, dass die Com­pu­ter wei­ter­hin funk­tio­nier­ten. Ein digi­ta­ler Super-GAU blieb also aus, doch die Beschäf­ti­gung mit dem The­ma PC in der Öffent­lich­keit, brach­te neue Auf­merk­sam­keit zu den noch nicht ent­fal­te­ten Poten­zia­len die­ser Gerä­te. Auch der 3D-Druck wur­de als Nut­zungs­mög­lich­keit identifiziert.

Die Medi­zin­tech­nik war eine der ers­ten Bran­chen, die das Poten­zi­al erkann­te. Schon in den frü­hen 2000er-Jah­ren began­nen unter ande­rem Ortho­pä­die­tech­ni­ker, indi­vi­du­el­le Pro­the­sen digi­tal zu kon­struieren und zu dru­cken. Als einer der Mei­len­stei­ne lässt sich das Jahr 2005 benen­nen, als neue bio­kom­pa­ti­ble Kunst­stof­fe wie medi­zi­ni­sches Nylon und spe­zi­el­les TPU (Ther­mo­plas­ti­sches Poly­ure­than) ver­füg­bar wurden.

Verschiedene Shore-Härtegrade in einem Produktionsschritt sind dank 3D-Druck möglich und fühlbar. Foto: Springer Aktiv
Ver­schie­de­ne Shore-Här­te­gra­de in einem Pro­duk­ti­ons­schritt sind dank 3D-Druck mög­lich und fühl­bar. Foto: Sprin­ger Aktiv

Die Mate­ri­al­schlacht: Kunst­stof­fe für jeden Zweck

Die 2010er-Jah­re brach­ten eine wah­re Explo­si­on neu­er 3D-Druck-Mate­ria­­li­en. Was einst mit weni­gen Stan­dard-Kunst­stof­fen begann, ent­wickelte sich zu einem Arse­nal hoch­spe­zia­li­sier­ter Werk­stof­fe für jeden erdenk­lichen Einsatz.

High-Per­for­mance-Poly­me­re wie PEEK (Poly­ether­ether­ke­ton) erober­ten die Medi­zin­tech­nik. Die­ser Super­kunststoff ist nicht nur bio­kom­pa­ti­bel, son­dern auch röntgendurch­lässig – per­fekt für Implan­ta­te, die nicht bei jeder Unter­su­chung stö­ren. Mit einem Schmelz­punkt von über 300  Grad Cel­si­us ist PEEK aller­dings anspruchs­voll zu dru­cken und erfor­dert ent­spre­chend teu­re Drucker.

Am ande­ren Ende des Spek­trums eta­blier­ten sich was­ser­lös­li­che Stütz­ma­te­ria­li­en wie PVA und HIPS. Sie ermög­lich­ten kom­ple­xe­re Geo­me­trien, da über­hän­gen­de Struk­tu­ren gedruckt und die Stüt­zen anschlie­ßend ein­fach auf­ge­löst wer­den konnten.

Beson­ders span­nend wur­de die Ent­wick­lung von Verbundwerk­stoffen. Kunst­stof­fe mit Koh­le­fa­ser-Ver­stär­kung erreich­ten die Fes­tig­keit von Alu­mi­ni­um bei einem Bruch­teil des Gewichts. Glas- und Kev­lar-ver­stärk­te Fila­men­te brach­ten wei­te­re Eigen­schaf­ten ins Spiel – von elek­tri­scher Iso­lie­rung bis zu extre­mer Schlagfestigkeit.

Geschwin­dig­keit und ­Prä­zi­si­on: die tech­ni­sche Evo­lu­ti­on der Drucker

Par­al­lel zur Mate­ri­al­ent­wick­lung mach­ten auch die Dru­cker selbst gewal­ti­ge Sprün­ge. Die ers­ten SLA-Dru­cker von 1988 benö­tig­ten Stun­den für klei­ne Objek­te und erreich­ten bes­ten­falls 0,1 Mil­li­me­ter Auf­lö­sung. Moder­ne Res­in-Dru­cker schaf­fen heu­te Details von 0,01 Mil­li­me­tern – zehn­mal fei­ner als ein mensch­li­ches Haar.

Der Durch­bruch kam mit LCD-­ba­sier­ten Dru­ckern um 2016. Statt jeden Punkt ein­zeln mit einem Laser zu belich­ten, här­te­ten die­se Gerä­te gan­ze Schich­ten gleich­zei­tig aus. Ein Objekt, für das frü­he­re Gene­ra­tio­nen einen gan­zen Tag brauch­ten, war plötz­lich in zwei Stun­den fertig.

Auch FDM-Dru­cker wur­den revo­lu­tio­niert. Mul­ti-Mate­ri­al-Sys­te­me kön­nen bis zu fünf ver­schie­de­ne Kunst­stof­fe gleich­zei­tig ver­ar­bei­ten. Wasserlös­liche Stüt­zen, far­bi­ge Akzen­te oder die Kom­bi­na­ti­on von star­ren und fle­xi­blen Berei­chen in einem Bau­teil sind dadurch mög­lich geworden.

Die Tem­pe­ra­tur­kon­trol­le wur­de immer prä­zi­ser. Moder­ne Dru­cker über­wa­chen nicht nur die Düsen- und Bett­tem­pe­ra­tur, son­dern die gesam­te Bau­kam­mer. Das ermög­licht das Ver­ar­bei­ten anspruchs­vol­ler Hoch­leis­tungs­kunst­stof­fe, die frü­her nur in Indus­trie­an­la­gen gedruckt wer­den konnten.

Von der Gara­ge zur Fabrik: indus­tri­el­ler 3D-Druck

Was in Hob­by­kel­lern begann, erober­te schnell die Fabrik­hal­len. Indus­tri­el­le 3D-Dru­cker sind heu­te wah­re Fer­ti­gungs­mons­ter – mit Bau­raum-Grö­ßen von meh­re­ren Kubik­me­tern und der Fähig­keit, rund um die Uhr zu produzieren.

Beson­ders beein­dru­ckend ist die Ent­wick­lung des Pul­ver­bett­ver­fah­rens (SLS – Sel­ec­ti­ve Laser Sin­te­ring). Hier wird Kunst­stoff­pul­ver schicht­wei­se mit einem Laser ver­schmol­zen. Da unver­schmol­ze­nes Pul­ver als natür­li­che Stüt­ze dient, sind extrem kom­ple­xe Geo­me­trien mög­lich – hoh­le Struk­tu­ren, beweg­li­che Gelen­ke oder inein­an­der ver­schach­tel­te Bauteile.

Neue Kunst­stof­fe für indus­tri­el­le Anwen­dun­gen brin­gen extre­me Eigen­schaf­ten mit: flamm­hem­men­de Mate­ria­li­en für die Luft­fahrt, anti­sta­ti­sche Com­pounds für die Elek­tro­nik oder UV-bestän­di­ge For­mu­lie­run­gen für Außenanwendungen.

Die Zukunft ist schon da: ­aktu­el­le Trends und Ausblick

Der 3D-Druck steht heu­te an einem Wen­de­punkt. Was einst Pro­to­ty­p­ing-Tech­no­lo­gie war, wird zuneh­mend zur Seri­en­fer­ti­gung. Adi­das druckt mitt­ler­wei­le Mil­lio­nen von Schuh­soh­len, Auto­mo­ti­ve-Zulie­fe­rer pro­du­zie­ren End­ver­brauchs­tei­le, und in der Ortho­pä­die-Tech­nik sind gedruck­te Hilfs­mit­tel längst Standard.

Die neu­es­ten Ent­wick­lun­gen ver­spre­chen wei­te­re Quan­ten­sprün­ge. Mul­ti-Jet-Fusi­on (MJF) von HP kann ver­schie­de­ne Eigen­schaf­ten inner­halb eines Bau­teils rea­li­sie­ren – har­te und wei­che Berei­che, leit­fähige und iso­lie­ren­de Zonen oder ver­schie­de­ne Far­ben. Car­bon hat mit sei­nem DLS-Ver­fah­ren (Digi­tal Light Syn­the­sis) die Geschwin­dig­keit noch ein­mal dra­ma­tisch gestei­gert – was frü­her Stun­den dau­er­te, ist in Minu­ten erledigt.

Beson­ders span­nend ist die Ent­wick­lung neu­er nach­hal­ti­ger Mate­ria­li­en. Recy­cel­te Kunst­stof­fe, oze­an­plas­tik-basier­te Fila­men­te und sogar aus Algen gewon­ne­ne Poly­me­re zei­gen, dass 3D-Druck Teil der Lösung für unse­re Umwelt­pro­ble­me wer­den kann, statt sie zu verstärken.

Nach­hal­tig­keit: Recy­cling statt Abfall

Ein oft über­se­he­ner Aspekt des 3D-Drucks ist sein Nach­hal­tig­keits­po­ten­zi­al. Tra­di­tio­nel­le Fer­ti­gung ist sub­trak­tiv – aus einem gro­ßen Block wird das gewünsch­te Teil her­aus­ge­fräst, der Rest ist Abfall. 3D-Druck ist addi­tiv – es wird nur Mate­ri­al ver­wen­det, das auch im End­pro­dukt landet.

Moder­ne Recy­cling-Sys­te­me kön­nen alte Dru­cke wie­der zu neu­em Fila­ment ver­ar­bei­ten. Unter­neh­men wie Poly­ma­ker haben geschlos­se­ne Kreis­lauf­sys­te­me ent­wi­ckelt, bei denen aus Fehl­dru­cken und Stütz­material wie­der hoch­wer­ti­ges Druck­ma­te­ri­al wird.

Hei­ko Cordes

Die wich­tigs­ten 3D-Druck-Kunst­stof­fe heute

 

PLA: ein­steig­er­freund­lich, bio­lo­gisch abbaubar
ABS: robust, hit­ze­be­stän­dig, chemikalienresistent
PETG: klar, lebens­mit­tel­echt, ein­fach zu drucken
TPU: fle­xi­bel, gum­mi­ar­tig, stoßdämpfend
Nylon (PA): sehr fest, ver­schleiß­re­sis­tent, chemikalienbeständig
PEEK: Hoch­leis­tungs­kunst­stoff für Implantate
PVA: was­ser­lös­lich, für Stützstrukturen 

 

Hier fin­den Sie alle Arti­kel unse­rer drei­tei­li­gen Serie „Addi­ti­ve Fertigung“:

„Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 1: Scannen“

„Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 2: Konstruieren“

„Addi­ti­ve Fer­ti­gung – Teil 3: Fertigen“

 

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