„Sicher­heits­gur­te“ für Gelenke

In vier Jahren vom experimentellen Prototypen zum Startup im Gesundheitsbereich mit eigener Produktionslinie in Deutschland: Im Dezember vergangenen Jahres eröffnete die aus der Technischen Universität (TU) Berlin ausgegründete Berliner Firma Betterguards Technology GmbH eine halbautomatisierte Produktionsstrecke im Brandenburger Technologiepark Hennigsdorf.

Von hier aus sol­len nach Wil­len der Grün­der Vin­zenz Bich­ler, Max Müse­ler und Timo Stum­per spe­zi­ell design­te „Sicher­heits­gur­te“ für mensch­li­che Gelen­ke zum welt­wei­ten Erfolgs­mo­dell werden.

Auf­ga­be der in Ban­da­gen, Schu­hen oder Tex­ti­li­en inte­grier­ten, patent­ge­schütz­ten Bau­tei­le: beim Sport oder am Arbeits­platz vor gefähr­li­chen Ver­let­zun­gen schüt­zen, die infol­ge eines Umkni­ckens oder Stur­zes ent­ste­hen kön­nen. Die Bewe­gungs­frei­heit soll dabei aber trotz­dem erhal­ten blei­ben. In der ers­ten Jah­res­hälf­te 2019 wer­den dar­über die ers­ten unab­hän­gi­gen Stu­di­en ver­öf­fent­licht. Noch in die­sem Jahr will der Hilfs­mit­tel­her­stel­ler in Koope­ra­ti­on mit der Juli­us Zorn GmbH (Juzo) sei­ne Ban­da­gen mit ein­ge­bau­tem Bet­ter­guards-Sys­tem auf den Markt brin­gen. Über den Auf­bau des eige­nen Unter­neh­mens berich­tet Mit­grün­der Max Müse­ler im Interview.

OT: Wie kam es zu der Idee, ein Schutz­sys­tem für Gelen­ke zu entwickeln?

Max Müse­ler: Vin­zenz Bich­ler und ich haben an der TU Ber­lin Bio­me­di­zi­ni­sche Tech­nik stu­diert, Timo Stum­per Bio­nik. Vin­zenz ging es auf die Ner­ven, dass sei­ne Lieb­lings­fuß­bal­ler im Spiel umknick­ten und dann ver­let­zungs­be­dingt lan­ge aus­fie­len. Außer­dem ist er selbst sehr sport­lich, von Fuß­ball bis Snow­board, und hat­te mit Gelenk­ver­let­zun­gen zu kämp­fen. Aus­gangs­punkt für uns war also, eine Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on zu erfin­den, die wirk­lich hilft. Bereits da dach­ten wir auch an den Ein­satz im Bereich Arbeits­si­cher­heit. In einer Pro­jekt- und einer Mas­ter­ar­beit haben wir wäh­rend des Stu­di­ums an der Idee geforscht. 2014 grün­de­ten wir aus der Uni her­aus unser Unter­neh­men und konn­ten mit einem EXIST-Grün­der­sti­pen­di­um (EXIST = Zuschuss für Exis­tenz­grün­der aus der Wis­sen­schaft, um sich aus der Uni her­aus selbst­stän­dig zu machen, Anm. d. Red.) los­le­gen. Wir haben seit­her zwölf Paten­te ange­mel­det, Pro­to­ty­pen ent­wi­ckelt und ers­te Son­der­an­fer­ti­gun­gen produziert.

OT: Was war die größ­te Her­aus­for­de­rung für Ihr Start-up? 

Müse­ler: Die Finan­zie­rung. Drei Busi­ness Angels haben uns gehol­fen, der Ein­stieg zwei­er Ven­ture-Capi­tal-Inves­to­ren sowie öffent­li­che Mit­tel sicher­ten die Finan­zie­rung. So haben wir in einem von Bun­des­for­schungs­mi­nis­te­ri­um geför­der­ten Ver­bund­pro­jekt unter ande­rem mit der TU Ber­lin drei Jah­re die Tech­no­lo­gie erforscht und Pro­ban­den­tests durch­ge­führt. Die Ergeb­nis­se wer­den im Lau­fe des ers­ten Halb­jahrs 2019 ver­öf­fent­licht. Auf unse­ren Prüf­stän­den konn­ten wir die Wirk­sam­keit unse­res Pro­dukts nach­wei­sen – ein wesent­li­cher Schritt für den Ein­tritt in den Medi­zin­tech­nik­markt. Nicht zuletzt tes­ten die Pro­fi ‑Hand­bal­ler der Füch­se Ber­lin unse­re Pro­duk­te seit dem Som­mer letz­ten Jahres.

OT: Wo ste­hen Sie jetzt? 

Müse­ler: Wir befin­den uns in der Pro­fes­sio­na­li­sie­rungs­pha­se. Wir sind zu dritt gestar­tet, mit unse­ren Lap­tops zusam­men­ge­pfercht in einem klei­nen Büro. Inzwi­schen haben wir elf fes­te Mit­ar­bei­ter. Unse­re For­schungs- und Ent­wick­lungs­ab­tei­lung sitzt im Char­lot­ten­bur­ger Inno­va­tions-Cen­trum (CHIC) in Ber­lin auf knapp 200 Qua­drat­me­tern mit Nähe zur TU Ber­lin. Außer­dem haben wir unse­re Pro­duk­ti­on auf 450 Qua­drat­me­tern in Bran­den­burg gera­de in Betrieb genommen.

OT: Sie pro­du­zie­ren in Deutsch­land. Soll dies so bleiben?

Müse­ler: Made in Ger­ma­ny ist uns wich­tig. Wir möch­ten Know-how und Pro­duk­ti­on selbst in der Hand haben. Wir wol­len die Kon­trol­le über den gesam­ten Pro­zess behal­ten. Wenn man die Pro­duk­ti­on aus­la­gert, kann man nicht mehr schnell genug reagie­ren. Uns hel­fen auch Bera­ter aus der Auto­mo­bil­in­dus­trie. Wir nut­zen zum Bei­spiel einen Pro­duk­ti­ons­ro­bo­ter, da haben wir viel von unse­ren Bera­tern gelernt. Unse­re Pro­duk­ti­ons­li­ni­en sind modu­lar erwei­ter­bar, wir kön­nen die Kapa­zi­tä­ten jeder­zeit erhö­hen und grö­ße­re Stück­zah­len im Jahr erreichen.

OT: Sie haben mit Juzo einen im Hilfs­mit­tel­markt eta­blier­ten Part­ner gewon­nen. Was ist das Ergeb­nis die­ser Zusammenarbeit?

Müse­ler: Juzo bringt ein gro­ßes Händ­ler­netz­werk mit. Das Unter­neh­men hat eine welt­wei­te Lizenz für den Ein­satz unse­rer Tech­no­lo­gie für das Sprung­ge­lenk. Die ers­ten Sprung­ge­lenk­ban­da­gen mit dem Bet­ter­guards-Sys­tem bringt unser Part­ner in die­sem Jahr auf den Markt. Die Serie heißt „Fast­Pro­tect“. Juzo bemüht sich der­zeit um die Ertei­lung einer Hilfs­mit­tel­num­mer beim GKV-Spitzenverband.

OT: Wel­ches sind die nächs­ten Schrit­te für Ihr Unternehmen? 

Müse­ler: Wir wol­len die Gelenk­prä­ven­ti­on revo­lu­tio­nie­ren, damit Gelenk­ver­let­zun­gen irgend­wann Geschich­te sind. Des­halb ist für uns wich­tig, dass unse­re Ent­wick­lung in vie­len Berei­chen zum Tra­gen kommt. Die Tech­no­lo­gie kann eben­falls ande­re Gelen­ke wie Hand- oder Knie­ge­lenk vor Ver­let­zun­gen und Über­las­tungs­schä­den schüt­zen. Wir ver­han­deln gera­de mit Her­stel­lern aus dem Sport- und Frei­zeit­markt sowie von Arbeits­schutz­aus­rüs­tun­gen und berei­ten ent­spre­chen­de Mach­bar­keits­stu­di­en vor.

Ein­ma­li­ger Gelenkschutz

Der von Bet­ter­guards ent­wi­ckel­te Gelenk­schutz lässt sich unter ande­rem in Ban­da­gen für Sprung‑, Hand und Knie­ge­len­ke imple­men­tie­ren. Nach Her­stel­ler­an­ga­ben schützt das Sys­tem effi­zi­en­ter als fle­xi­ble Ban­da­gen. Im Unter­schied zu robus­ten, star­ren Pro­duk­ten wie­der­um akti­vie­re es sich aus­schließ­lich im Ernst­fall. Es wer­de erst bei einer defi­nier­ten Geschwin­dig­keit aus­ge­löst, ab der Gelenk­ver­let­zun­gen auf­tre­ten kön­nen. So ver­stei­fe sich das Sys­tem sofort bei plötz­li­cher Kraft­ein­wir­kung auf­grund eines Stur­zes oder beim Umkni­cken eines Gelenks. Dabei reagie­re es schnel­ler als der Mus­kel. Für den Ein­satz der Tech­no­lo­gie wer­den zwei Fix­punk­te benö­tigt, die auf ver­schie­de­nen Sei­ten des zu sichern­den Gelenks lie­gen müs­sen. Dazwi­schen sitzt das Schutz­sys­tem. Beim Sprung­ge­lenk bei­spiels­wei­se befin­det sich Fix­punkt 1 am Über­gang vom Unter­schen­kel zum Knö­chel und der zwei­te unter dem Fuß, ver­an­kert durch das Kör­per­ge­wicht und die Ein­bet­tung im Schuh. Beim Umkni­cken des Fußes ver­län­gert sich der Abstand der bei­den Fix­punk­te. Das Schutz­sys­tem wird akti­viert. Das heißt, bei sehr schnel­len Bewe­gun­gen im defi­nier­ten kri­ti­schen Bereich mit Gefahr einer Bandrup­tur blo­ckiert das Sys­tem und begrenzt die Bewe­gung. Für Mes­sun­gen an künst­li­chen Gelen­ken, Pro­ban­den­tests sowie Dau­er­last­ver­su­che hat die Fir­ma spe­zi­el­le Prüf­stän­de kon­stru­iert. Nach Ergeb­nis­sen eige­ner Unter­su­chun­gen schüt­ze die Neu­ent­wick­lung das Sprung­ge­lenk in glei­chem Maße wie eine star­re Orthe­se. Dies hät­ten zudem noch unver­öf­fent­lich­te Ver­gleichs­mes­sun­gen inner­halb eines Ver­bund­pro­jekts bestä­tigt, das im Rah­men der För­der­initia­ti­ve „KMU-inno­va­tiv“ des Bun­des­for­schungs­mi­nis­te­ri­ums stattfand.

Michael Blatt
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