Das Konfrontiertsein mit der eigenen Sterblichkeit, Unsicherheiten und Ängste und das Wissen, dass das eigene Erscheinungsbild sich möglicherweise gravierend verändern wird: All diese Unwägbarkeiten werden obendrein noch durch Fragen nach der sexuellen Identität, der Sexualität und der Stabilität der Partnerschaft verstärkt. Die Fachberater:innen im Sanitätshaus sind hier auch auf der emotionalen Ebene gefragt wie in sonst kaum einem anderen Bereich – ein Aspekt des Berufs, dem man sich gewachsen fühlen muss.
Erstgespräch in der sensibelsten Phase der Erkrankung
Eine von acht Frauen erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs, fast jede Dritte vor dem 55. Lebensjahr. Inzwischen kann in den meisten Fällen brusterhaltend operiert werden. Etwa ein Viertel der erkrankten Frauen verliert die Brust ganz. Beispielsweise, wenn es sich um entzündlichen Brustkrebs handelt oder zu viel Gewebe befallen ist. Im Anschluss an die OP erfolgt üblicherweise zunächst eine mehrwöchige Versorgung mit einem speziellen Kompressions-BH und einer Übergangsepithese aus Schaumstoff, bevor auf die Versorgung mit Silikonepithese und Spezial-BH umgestiegen werden kann.
Im Idealfall findet das Erstgespräch zur Brustversorgung noch vor der Operation statt. Das bedeutet, dass die Fachberater:innen im Sanitätshaus auf einen Menschen treffen, dem es nicht nur körperlich, sondern auch mental nicht gut geht. Und jeder Mensch reagiert auf seine eigene Art und Weise auf Angst und Unsicherheit. Eine solche Diagnose zu verarbeiten, gliedert sich bei den meisten Menschen in unterschiedliche Etappen. Trauer, Wut, Ablehnung und Unglauben sind ebenso ein Teil davon wie Akzeptanz und Optimismus.
Es gilt besonders in dieser sensiblen Phase, empathisch und geduldig Sicherheit zu vermitteln, die Kundin an dem Punkt abzuholen, an dem sie sich in diesem Augenblick befindet, und in dieser speziellen Situation Beistand zu leisten, um den Grundstein für eine langfristige, vertrauensvolle Zusammenarbeit zu legen.
Jedoch fällt dieses Erstgespräch immer häufiger weg bzw. sehr kurz aus, weil die postoperative Versorgung zunehmend vereinheitlicht wird. Auch wenn die Vorteile der einheitlichen Kompressionsversorgung noch im Operationssaal klar auf der Hand liegen, wie ein deutlich geringeres Risiko für Komplikationen wie etwa Lymphstau und ‑ödeme zum Beispiel, fehlt ohne das vorherige Gespräch im Sanitätshaus meist ein ganz wesentlicher Baustein im Gerüst zur dauerhaften physischen und psychischen Genesung. Die Erfahrung der meisten Versorger:innen im Erstgespräch vor der OP zeigt, dass besonders die Verbindung, die in dieser verletzlichen Phase entsteht, für die Patientinnen auch im weiteren Verlauf von unschätzbarem Wert ist. Und dass die Angst der Patientinnen deutlich reduziert werden kann, wenn im Vorfeld klar ist, wie es in den nächsten Schritten weitergehen kann und an wen sie sich wenden können.
Vieles spricht also dafür, betroffene Frauen auch dann zu einem solchen Erstgespräch zu animieren, wenn die Erstversorgung vor Ort zunächst gar nicht von den Fachberater:innen aus dem Sanitätshaus durchgeführt wird und mittels konfektionierter Kompressions-BHs erfolgt.
Ladenbau an die Bedürfnisse der Patientinnen anpassen
All diese zeitintensiven und oftmals sehr intimen Gespräche führt man keineswegs an der Ladentheke des Sanitätshauses oder gar zwischen Tür und Angel. Neben einer ausreichend großzügigen Terminierung braucht es nach Möglichkeit ebenfalls ein bauliches Umfeld, das sowohl die Privatsphäre der Gespräche sicherstellt als auch einen gewissen Wohlfühlfaktor bietet.
Dabei haben die wenigsten Sanitätshäuser die Möglichkeiten, separate Studios und ganze Räume ausschließlich für die Brustversorgung zu reservieren oder gar ein eigenes Gebäude für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Dennoch sollte man sich zu jeder Zeit bewusst machen, dass lediglich die Abtrennung durch einen Vorhang niemals die Wohlfühlatmosphäre bieten kann, die die Kundinnen benötigen und auch erwarten dürfen. Moderner Ladenbau ermöglicht es jedoch auch, vergleichsweise kleine Bereiche abzuteilen und dennoch hell und angenehm zu gestalten. Im dunklen Kämmerlein ist nicht nur kein Vertrauen aufzubauen, sondern zudem einfach kein zielführendes Verkaufsgespräch möglich. Ein Invest an dieser Stelle kann somit die Arbeit der Fachberater:innen erleichtern, indem für die Kundinnen ein Umfeld geschaffen wird, das ihren Bedürfnissen bestmöglich gerecht wird.
Zeit ist der entscheidende Faktor
Immer wenn es um Beratungen im Gesundheitswesen geht, ist es wichtig, dass sich die beratenden Personen genügend Zeit nehmen können, um alle Fragen zu beantworten und neben Expertise gleichermaßen Sicherheit zu vermitteln und Vertrauen aufzubauen. Niemand legt seine Versorgung gern in fremde und unpersönliche Hände.
Für die Prothetik gilt dies natürlich im Besonderen, denn wenn Patientinnen sich von einem Teil ihres Körpers verabschieden müssen, ist dies ein psychisch schwer belastender Prozess. Im Falle einer Mastektomie ist dieser besonders schwerwiegend, denn neben dem tatsächlichen Erscheinungsbild geht auch emotional ein großer Teil dessen verloren, was die Weiblichkeit der Patientinnen ausmacht. Die Frage nach der sexuellen Identität holt einige Betroffene erst Monate, manchmal sogar Jahre nach dem Überstehen der eigentlichen Erkrankung ein. Schließlich steht zunächst einmal das nackte Überleben im Vordergrund.
Dann sind die Berater:innen im Sanitätshaus oft die ersten Ansprechpersonen – schließlich sind sie die Begleiter:innen seit Diagnose und OP. Und während Ärzt:innen und Pflegepersonal aus dem Krankenhaus mehr oder weniger aus dem Alltag verschwunden sind, ist es die Versorgung und die dazugehörige Wäsche längst nicht, und somit wendet sich die Kundin mit ihren Fragen und Ängsten weiterhin an das Fachpersonal, dem sie vertraut. Auch jetzt gilt es für die beratenden Personen wieder, sich im Gespräch ausreichend Zeit und die Kundin ernst zu nehmen. Zuzuhören, gegebenenfalls zu Selbsthilfegruppen oder psychologischer Hilfe zu raten. Wer im Bereich Brustversorgung tätig ist, ist eben viel mehr als eine Verkaufskraft im Fachgeschäft.
Mehr als bloße Funktion – Mode im Bereich Brustversorgung
Denn nach der Versorgung mit der ersten Epithese stellt sich schnell die Frage nach dem Erscheinungsbild mit Prothese und BH – möglichst unauffällig, trotzdem einigermaßen modisch. Egal, ob beim Theaterbesuch, im Fitnessstudio oder im Schwimmbad. Neben der Funktionalität und dem Tragekomfort muss hier ebenso die Optik stimmen, um den Kundinnen langfristig Lebensfreude und Selbstsicherheit zurückgeben zu können. Für viele Frauen ist es ein großes Thema, sich nach der OP dennoch wie gewohnt kleiden und sich somit wohlfühlen zu können. Die Angst „entstellt“ zu wirken, begleitet sie bei der Auswahl der richtigen Epithese und eben der dazugehörigen BHs und im späteren Verlauf eventuell der Bademode. Hier gilt es wieder, Empathie zu zeigen, wenn die neuen BHs in all ihrer Funktionalität sehr breit und kompakt sind und so gar nicht zum modischen Geschmack oder den vor der Erkrankung bevorzugten BHs passen wollen. Auch das kann die Kundinnen belasten. Umso wichtiger ist es, verständnisvoll zu agieren und mit der gebotenen Geduld an die Beratung heranzugehen.
Auch die Hersteller der Epithesen und dazugehörigen BHs haben die Bedeutung dieser Thematik längst begriffen und so gibt es mittlerweile ein einigermaßen breites Angebot an Wäsche und Bademode. Und auch hier kommt beim Verkauf wieder die emotionale Ebene ins Spiel – Frauen, die das Gefühl haben, auch ein Stück weit ihren Geschmack und ihre Persönlichkeit in die Versorgung einbringen zu können, bringen auch eine wesentlich höhere Compliance mit. Wenn sie sich sowohl beim Einkauf ihrer Versorgung als auch im Alltag beim Tragen wohlfühlen, werden sie dies auch gern nach außen kommunizieren und regelmäßig ihre Folgeversorgungen in Anspruch nehmen. Natürlich muss der BH passen, mit der Epithese tragbar sein und seinen Zweck erfüllen, aber es ist eben auch entscheidend, dass frau sich darin so wohl wie möglich fühlt.
Gemeinsam die richtige Versorgung zu finden, im Laufe der Zeit sich verändernde Bedürfnisse erkennen und diesen nach Möglichkeit nachkommen zu können, sind die großen Herausforderungen, denen sich die Fachberater:innen täglich stellen müssen.
Alexandra Klein
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