OT: Herr Jakobi, im Fußball werden meistens Interimstrainer zur Dauerlösung, wenn sie sich in der „ersten Reihe“, also als Chef der Organisation, bewährt haben. Haben Sie die vergangenen sieben Monate auch als eine Art Probezeit auf dem CEO-Posten gesehen?
Oliver Jakobi: Nein, diesen Vergleich würde ich nicht ziehen. Seit ich bei Ottobock arbeite, geht es mir immer darum, meine Erfahrung und meine Energie so einzubringen, dass ich dem Unternehmen bestmöglich helfen kann. Und genau das habe ich auch in den vergangenen Monaten getan, die aufgrund des wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeldes sehr schwierig waren. Aber gemeinsam mit dem Führungsteam konnten wir Ottobock wirklich gut durch diese Phase steuern. Natürlich hat es mich dann sehr gefreut, dass diese positive Entwicklung auch vom Verwaltungsrat anerkannt wurde.
OT: Was verändert sich für Sie mit der dauerhaften Berufung als CEO?
Jakobi: Eine entscheidende Veränderung besteht darin, dass ich mich jetzt umfassend auf die Aufgaben des CEO konzentrieren werde. Somit werde ich einige Aufgaben, die ich als CSO bis jetzt noch übernommen hatte, an Kolleginnen und Kollegen abgeben. Das wird vor allem für den wichtigen Bereich Patient Care der Fall sein. So stelle ich sicher, dass alle Aufgaben die notwendige Aufmerksamkeit bekommen.
OT: Sehen Sie es als Vorteil an, dass Ottobock sich beim CEO-Posten für eine interne Besetzung entschieden hat, weil Sie die Abläufe im Unternehmen schon kennen?
Jakobi: Es gibt immer Gründe, die für oder gegen eine interne Lösung sprechen. Aber unabhängig von diesem konkreten Fall hat eine interne Kandidatin oder ein interner Kandidat beispielsweise immer den Vorteil eines bestehenden starken Netzwerkes innerhalb eines Unternehmens und einer Industrie. Zusammen mit langjähriger Erfahrung mit Kund:innen, Produkten, Marktentwicklungen und Innovationen kann das natürlich generell ein entscheidender Vorteil sein.
OT: Was für eine Vision haben Sie für Ottobock und welche Projekte wollen Sie vorantreiben?
Jakobi: Weltweit gibt es mehr als 560 Millionen Menschen, die Mobilitätsunterstützung benötigen. Wir wollen die Lebensqualität dieser Menschen verbessern. Gerade im Bereich der neurologischen Erkrankungen können wir noch viel bewirken. Mit dem Exopulse Mollii Suit, den wir auf der OTWorld im vergangenen Jahr vorgestellt haben, erzielen wir erstaunliche Ergebnisse bei Menschen mit Spastiken, zum Beispiel aufgrund von Cerebralparese oder Multipler Sklerose. Beim Exopulse Mollii Suit ebenso wie bei der sensorgesteuerten Beinorthese C‑Brace arbeiten wir daran, dass die Produkte in internationale Erstattungssysteme aufgenommen werden, damit sie noch mehr Menschen zur Verfügung stehen. Besonders wichtig für uns ist die Nähe zu unseren Anwenderinnen und Anwendern. Wir wollen ihre Bedarfe noch besser verstehen und unser Versorgungsangebot auf jeden einzelnen von ihnen optimal abstimmen. Dabei wird uns das digitale Ökosystem der Ottobock-Lifelounge helfen, mit der wir 2023 durchstarten wollen.
OT: Das Fach hat mit akutem Fachkräftemangel zu kämpfen. Welche Chancen, aber auch Risiken birgt das für die Industrie?
Jakobi: Der Fachkräftemangel in der Orthopädie-Technik zwingt die Branche zum Handeln. Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten. Daher wird es auch zu vermehrten Kooperationen und kollaborativen Ansätzen kommen. Durch die Digitalisierung des Handwerks sehen wir die Möglichkeit, junge Talente für den Beruf begeistern zu können. Durch neue Technologien werden Arbeitsschritte verkürzt und Distanzen spielen keine Rolle mehr. Das ermöglicht zum einen mehr Zeit mit den Patientinnen und Patienten und bietet zum anderen die Möglichkeit der Zusammenarbeit auch über nationale und internationale Standorte hinweg. Unser Vorteil ist, dass wir in den vergangenen Jahren bereits große Schritte hin zum digitalen Handwerk gegangen sind und in diesem Bereich auch ausbilden. Diesen Weg müssen und werden wir konsequent weiterverfolgen.
OT: Eine jüngste Umfrage des Bündnisses „Wir versorgen Deutschland“ ergab, dass die Sanitätshäuser krisenbedingt unter großem Kostendruck leiden. Bei den Kostenträgern sind ähnliche Stimmen zu hören. Was bedeutet das für Ottobock?
Jakobi: Den Kostendruck in der Branche, der sich aufgrund der steigenden Inflationsrate nochmals deutlich zugespitzt hat, spüren wir natürlich auch. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern versuchen wir Lösungen zu finden, um diese Phase der multiplen Krisen gemeinsam zu meistern. Um auf die Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender zugeschnittene Versorgungen vornehmen zu können, ist die Zusammenarbeit aller Parteien notwendig. Für die Kostenerstattung bedarf es individueller Argumentationen und einer sauberen Dokumentation der Versorgungsergebnisse. Darauf achten wir in unseren eigenen Sanitätshäusern besonders. Unseren Partnerinnen und Partnern bieten wir außerdem mit unserem Expertenteam aus dem Bereich Business Solutions Unterstützung bei der Optimierung von Werkstatt‑, Administrations- und Versorgungsprozessen. Dort ist häufig noch Potenzial, um einen Teil der höheren Kosten auszugleichen.
OT: Sie übernehmen Ottobock in einer schwierigen Phase – die Auswirkungen der Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiepreiskrise belasten Privatleute und Unternehmen gleichermaßen. Dennoch sollen Sie die Wachstumsstrategie des Unternehmens fortsetzen. Lässt sich das aktuell miteinander vereinbaren?
Jakobi: Der weltweite Bedarf an Mobilitätslösungen ist ungebrochen hoch. Entsprechend gibt es auch für Ottobock großes Potenzial, um weiter nachhaltig zu wachsen trotz des natürlich sehr volatilen Umfeldes. Wir fokussieren uns also weiterhin auf die Ziele, die wir gemeinsam mit den Eigentümern festgelegt haben. Unsere Wachstumsstrategie steht und wir setzen diese konsequent um.
OT: Sie sind selbst gebürtiger Eichsfelder, kommen also aus der Region um Duderstadt. Was bedeutet Ottobock für die Region und die Menschen dort?
Jakobi: Als Eichsfelder bin ich mit Ottobock aufgewachsen. Es ist ein großes und international erfolgreiches Unternehmen in der Region. Darauf sind die Menschen stolz. Viele Duderstädter und Menschen aus der Region arbeiten bei Ottobock. Teilweise sind Familien mit mehreren Personen oder auch seit Generationen mit dem Unternehmen verbunden. Entsprechend wichtig ist für sie, dass es der Firma gut geht.
OT: Sie waren zuvor Chief Sales Officer und bekleideten das Amt während Ihrer Interimszeit als CEO zusätzlich. Werden Sie diese Doppelfunktion weiterhin ausüben oder wird es eine personelle Neubesetzung der CSO-Position geben?
Jakobi: Ich werde weiterhin auch den Sales-Bereich als geschäftsführender Direktor leiten. Allerdings plane ich, wie bereits erwähnt, Aufgaben abzugeben, damit vor allem der Bereich Patient Care optimal betreut wird. Unser Wachstum hängt eben im Wesentlichen davon ab, wie gut wir unsere Mission erfüllen, Menschen zu helfen, ihre Bewegungsfreiheit zu erhalten oder wiederzuerlangen. Und genau diese Mission treibt uns alle bei Ottobock jeden Tag an.
Die Fragen stellte Heiko Cordes.
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